Es hiess, der Erfolg der AfD bei den Landtagswahlen in Deutschland am 13. März habe hohe Wellen geschlagen – und ja, der Wahlausgang war international in den Schlagzeilen, so auch in der Schweiz. Allerdings war die Welle, wie es scheint, dann so hoch wiederum auch nicht. In den Schweizer Medien ist sie jedenfalls so gut wie verebbt; die Themen haben längst wieder gewechselt. Das ist durchaus verständlich. Es gibt andere wichtige Ereignisse, über die zu berichten ist, vom Lesermarkt einmal ganz abgesehen, der mutmasslich zum grösseren Teil nach neuem und anderem Stoff verlangt.
Letzteres ist allerdings vielleicht gar kein Zufall, sondern gewollt und durch die Berichterstattung über die AfD mit produziert. Sieht man von ganz wenigen Artikeln ab, die zu zählen man wohl keine ganze Hand bräuchte, erweckt die deutschsprachige Schweizer Tagespresse nämlich den Eindruck, als sei ihr daran gelegen gewesen, den Lesern zu signalisieren, dass man sich als Schweizer nun wirklich nicht den Kopf über diesen Wahlausgang zerbrechen müsse. In der NZZ urteilte man umgehend, die AfD-Wähler hätten Merkel nur die Rechnung für ihre nicht tragbare Flüchtlingspolitik verpasst, der Tagesanzeiger holte die „Merkel-Klatsche“ aus den Abgründen journalistischer Titeleikunst. Weithin war man sich einig, dass es sich bei dem Wahlergebnis also nur um einen Protest handelte – um einen gerechtfertigten zumal, wie einige Journalisten deutlich nahe legten. Als Leser kann man da durchaus zu dem Schluss kommen: Deutschland hat sich das Problem AfD selber eingebrockt. Eine so unvernünftige Flüchtlingspolitik der offenen Grenzen darf man eben einfach nicht verfolgen.

AfD-Parteitag in Bremen, Quelle: Spiegel.de
Die AfD ein Problem? Nach der Lektüre der letzten Woche kann man beinahe den Eindruck gewinnen, als wäre „Problem“ ohnehin eine überzogene Formulierung. Immerhin ist die AfD von Seiten der Presse auf die Frage hin durchleuchtet worden, ob es denn wirklich gerechtfertigt ist, sie als „rechtsextrem“ zu bezeichnen. Für die Schweiz vielleicht doch keine ganz unerhebliche Frage; immerhin hat es sich herumgesprochen, dass sich die AfD die hauseigene SVP zum Vorbild nimmt. Doch Entwarnung scheint angezeigt. So ist das Porträt von Frauke Petry im Tagesanzeiger zwar wenig geeignet, sie zur Sympathieträgerin zu machen. Dieses „kalte Herz der AfD“, wie sie genannt wird, ist ehrgeizig bis in die Knochen, die Frau ist skrupellos, machtversessen, sie taktiert. Politisch aber ordnet man sie als „nationalkonservativ“ ein, eine „Ideologin“ sei sie nicht, heißt es. Frauke Petry ist somit die Zuschreibung, „rechtsextremistisch“ oder „rechtsradikal“ zu sein, los. Ebenso Markus Pretzell, Landesvorsitzender der AfD in Nordrhein-Westfalen, über den es offenbar nichts Wichtigeres, Zutreffenderes mehr zu sagen gab, als dass er ein „schneidiger Stratege“ sei. Und wäre die NZZ davon ausgegangen, dass Marc Jongen, Chefideologe der AFD, ein „Rechtsradikaler“ wäre, hätte sie ihm vermutlich nie in ihrem Blatt eine Bühne geboten und ihm vertrauensvoll die Frage gestellt: „Woran krankt unsere Gesellschaft?“ Tatsächlich hält sich die Schweizer Presse seit dem 13. März überwiegend damit zurück, die AfD als „rechtsextrem“ oder „rechtsradikal“ zu bezeichnen. Sicher, man hört dann doch noch über die „Radikalen“, die sich in Sachsen-Anhalt und Thüringen nun wirklich hetzerisch verhalten; sogar das Wort „völkisch“ fällt. Doch der Stichwortkasten zur AfD hält zunehmend andere Wörter parat, um die Partei, ihre Mitglieder, ihre Wähler zu charakterisieren. Sie lauten: „populistisch“, „nationalkonservativ“, sogar „moderat“ und „bürgerlich“. Das sind Adjektive, mit denen hierzulande viele gerne auch die SVP beschreiben. Ein Zufall? Wohl kaum. Mit der Entschärfung der AfD wird nämlich auch Zündstoff aus der hiesigen Debatte über die SVP genommen, mit der die so genannte „bürgerliche“ Mitte nach wie vor gerne den Schulterschluss sucht.
Eine solche Weichzeichnung der AfD wäre – wenn überhaupt je – nur bis zum Sommer 2015 in Teilen verständlich gewesen. Seither aber ist sie nicht vertretbar. Sie erinnern sich? Nach dem Essener Parteitag der AfD trat eine ganze Reihe von Mitgliedern, die sich dem konservativen und liberalen Spektrum der Partei zuordnete, aus der AfD aus. In der offiziellen Begründung, die heute noch im Internet verfügbar ist, hieß es: „Eine PEGIDA-Partei, eine politische Kraft, die muslimische Mitbürger ausgrenzt und deren Funktionäre völkische Ideen und Sprache pflegen, ist uns zuwider.“ Im medialen Kurzzeitgedächtnis der Schweizer Presse hat dies offenbar keine nachhaltige Aufnahme gefunden. Ich vermute, es hat mit dem „politischen Erdbeben“ zu tun, das die AfD mit ihrem Wahlergebnis vielen Medienberichten zufolge angeblich auslöste. Man hätte sich wahrlich andere Schockwellen gewünscht.

SVP Aargau mit Parteimaskottchen „Willy“, Quelle: srf.ch
Stattdessen aber wird einem in der Schweiz jetzt deutlich nahegelgt, man müsse differenzieren, wenn es um die AfD geht; nicht jeder, der dieser Partei angehöre oder sie wähle, sei deshalb gleich ein „Rechtsradikaler“ oder „Rechtsextremist“, und Gleiches gelte natürlich auch ganz besonders für die SVP. Alles richtig, differenzieren ist gut. Doch wer glaubt, eine solche Partei, ob AfD, SVP, Front National, die FPÖ, die Wahren Finnen oder wie die Rechte auch sonst heißen mag, sei politisch deswegen keine Gefahr, weil ihre Mitglieder und Wähler nachweislich nicht alle gleichermaßen „extrem“ seien, der irrt sich gewaltig.
Ein Blick zurück ins 20. Jahrhundert kann einem da die Augen öffnen – und nein, bevor Sie den Vorwurf schon zur Hand haben sollten: das ist nicht die angebliche „Nazi-Keule“, auch wenn es jetzt ein paar Sätze zum Nationalsozialismus für all diejenigen gibt, die immer noch glauben, „die Nazis“ seien alle gleichermaßen Anhänger der nationalsozialistischen Ideologie und „rechtsextrem“ gewesen. Ein Irrtum. Es gab radikale Antisemiten unter ihnen und genauso welche, die diese verabscheuten; es gab unter ihnen Hitlerverehrer und Hitlerverächter; in der NSDAP befanden sich Opportunisten, Karrieristen, Machtbesessene, Profiteure, Strategen, Fanatiker, Konkurrenten – man könnte noch sehr viel weiter aufschlüsseln. Das ist keine Relativierung des Nationalsozialismus. Das Interessante und Entscheidende ist vielmehr: der Nationalsozialismus ,funktionierte’, obwohl, teilweise sogar gerade weil seine Anhänger und Parteimitglieder so heterogen waren. Und zum Teil waren oder wurden die Differenzen zur offiziellen Parteiideologie im Verlauf der Zeit so groß, dass es vielen am Ende nicht schwer fiel, sich selbst und anderen voller Überzeugung zu erzählen, sie seien nie Nazis gewesen.
Lesen Sie ein gutes Buch.* Es kann auch eines zur spanischen Falange sein.
Ich wünsche Ihnen schöne Ostern.

Quelle: welcometosvp.ch
* Frank Bajohr u. Michael Wildt (Hg.), Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2009.