
Nach zwei Jahren Covid-19-Pandemie hat die Mainstream-Populärkultur ihre Begeisterung für die Wissenschaft entdeckt. Das wohl augenfälligste Zeugnis davon liefert Adam McKays schwarze Weltuntergangs-Komödie Don’t Look Up, die vor Weihnachten in die Kinos kam und ironischerweise pünktlich zu Heiligabend auf Netflix aufgeschaltet wurde – es geht um einen Kometen, der unaufhaltsam auf die Erde zurast und alles Leben darauf vernichten wird. Im Film spielt Leonardo DiCaprio Dr. Mindy, einen verwuschelten, schüchternen Astrophysikprofessor im Cordanzug; Jennifer Lawrence verkörpert seine kämpferische Doktorandin Kate Dibiasky, und dies mit einigem Badass-Riot-Grrrl-Flair. Die beiden kämpfen gemeinsam für die wissenschaftliche Wahrheit – die unausweichliche Erkenntnis, dass der Komet einschlagen wird – und gegen die vereinten Interessen des ökonomischen, politischen und medialen Establishments, das nichts davon wissen will. Eher soll die Welt untergehen, als dass man die Midterms verliert oder ein Milliardengeschäft verpasst. Der politische Slogan lautet konsequenterweise: «Don’t look up!» Die Wissenschaftler:innen kontern mit «Just look up!», um die alternativen Fakten durch Evidenz vom Tisch zu wischen. Ähnlichkeiten mit aktuellen Debatten sind selbstverständlich beabsichtigt.
Panik

Dr. Randall Mindy und seine Doktorandin Kate Dibiasky; Quelle: derbund.ch
Doch lässt sich Don’t Look Up nicht nur als Satire auf die Anhänger:innen «alternativer Fakten» in der Pandemie lesen. Der Film findet mit dem Kometen ein drastisches Bild, um die Absurdität der politischen und sozioökonomischen Prioritätensetzung angesichts der drohenden Klimakatastrophe auf den Punkt zu bringen. Die einzigen, die klar denken können, sind die Wissenschaftler:innen mit ihren Labors, ihren Instrumenten, ihren Peer Reviews. Ihre Forschung, das wird im Film immer wieder betont, lässt sich überprüfen und ist ein grosses, internationales Gemeinschaftsprojekt, frei von Partikularinteressen. Doch die Mehrheit der Bevölkerung will nichts davon wissen; die Gesellschaft ist bereits zu korrumpiert, um sich für ihre eigene Rettung zu interessieren. Selbst zu dem Zeitpunkt, als der Komet von blossem Auge zu sehen ist, wissen sich die Kometenleugner:innen zu helfen mit ihrer Parole «Don’t look up!» zu helfen. Einfach nicht hinschauen – so einfach lässt sich Evidenz aus der Welt schaffen.
Adieu, Mad Scientist

Dr. Valdo Obruchev, Wissenschaftler in „James Bond 007: No Time to Die“; Quelle: jamesbond.fandom.com
Die Wissenschaftskritik, die seit der Romantik das fantastische Erzählen befeuert hatte, ist zwar nicht aus Filmen, TV-Serien und Romanen der Gegenwart verschwunden, wie der letzte James Bond, No Time To Die, zeigt. Allerdings ist der für die Entwicklung der tödlichen Nanobots, mit denen der Bösewicht die Welt nach seinen rassistischen Idealen formen will, zuständige Wissenschaftler ein opportunistisches Würstchen. Die Verbindung von Genialität und Wahnsinn, die den Mad Scientist in der Tradition von Mary Shelleys Dr. Frankenstein alle Grenzen überschreiten liess, hat ihren Schrecken verloren, denn die Bösewichte sind beruflich im wirtschaftlichen bzw. wirtschaftskriminellen Bereich tätig. Der obsessive, selbstverliebte Grössenwahn, beim Mad Scientist traditionell verbunden mit Weltherrschaftsfantasien, geistert nach wie vor durch populäre Medien – nur hat sich diese toxische Kombination von Eigenschaften jetzt vor allem auf die Tech-Branche verschoben. Nicht der grenzenlose Wissensdrang ist das Problem, sondern der grenzenlose Eigennutz. Er drückt sich aus in der Bereitschaft, neue Technologien für die Interessen einer kleinen Elite auszuschlachten, ohne Rücksicht auf Verluste.

Multimilliardär Peter Isherwell; Quelle: ip.index.hr
In Don’t Look Up gibt es in dieser Perspektive durchaus eine fürs 21. Jahrhundert adaptierte Version des Mad Scientist. Der Multimilliardär Peter Isherwell (Mark Rylance) entwickelt als CEO der Tech-Firma BASH Cellular die Idee, den Kometen vor dem Aufprall noch gehörig auszubeuten, denn er steckt voller wertvoller Rohstoffe. In einem Handstreich gelingt es ihm, die rechtspopulistische Präsidentin der USA (Meryl Streep) von seinem Plan zu überzeugen, den Kometen auf seiner Bahn mit kleinen Bohrrobotern in Stücke zu schlagen und so den grossen Knall in einen märchenhaften Geldregen zu verwandeln. Der Plan geht schief – und die Welt unter. Isherwell hat für sich, die Präsidentin und ein paar andere aber einen Plan B – schliesslich gibt es noch andere Planeten. Anspielungen auf Elon Musk, Mark Zuckerberg, Jeff Bezos und nicht zuletzt auf den Trump-Berater Peter Thiel sind leicht zu erkennen. Im Gegensatz zu den Wissenschaftler:innen, die im Film zwar Recht, aber kaum Einfluss haben, wird ihnen und ihrem Kapital die Macht zugeschrieben, etwas zu bewirken. Und sei es auch das Ende der Welt.
Der Nerd als Influencer

Doc Emmett Brown aus Back to the Future; Quelle: nocookie.net
Während in der Figur des weltfremden, aber raffgierigen Tech-Giganten die exzentrische, verantwortungslose, von toxisch männlichem Geniekult umwölkte Seite des obsessiven Wissenschaftlers ad absurdum geführt wird, löst sich die Inszenierung der Astronom:innen Mindy und Dibiasky ganz vom Unternehmerischen, das den liebenswürdigen, verspielten Nerds des 80er Jahre-Kinos noch eigen war – man denke nur an Doc Emmett Brown aus Robert Zemeckis Science-Fiction-Komödie Back to the Future (1985). Eine Domestizierung des Nerds zu einem verantwortungsbewussten Wissenschaftsvermittler lässt sich unter anderem in der TV-Serie Stranger Things (Netflix, seit 2016) beobachten, die von der 80er-Nostalgie zehrt, aber klar zwischen verwerflicher Forschung im Wettrüsten mit der Sowjetunion und zweckfreier Begeisterung für die Wissenschaft unterscheidet. Letztere wird durch Mr. Clarke verkörpert, der MINT-Fächer unterrichtet und seinen Schüler:innen beibringt, dass kritische Neugier und Solidarität das Entscheidende sind im Leben von Wissenschaftler:innen. Vom Wahnsinn der Mad Scientists ist nichts übrig geblieben, im Gegenteil.
Dr. Mindy aus Don’t Look Up ordnet sich in die Reihe der gutmütigen, wenn auch etwas wunderlichen Nerds ein. Deshalb, da ist der Film konsequent in seiner popkulturellen Selbstreflexion, wird der Mann mit dem Cordjackett in den Medien bald als «handsome astronomer» herumgereicht. Auf Social Media kursieren Memes mit seinem Foto und den Initiatlen AILF («Astronomer I’d like to fuck»). Die Versuchung, der er widerstehen muss, ist denn auch weder die Weltherrschaft noch das grosse Geld – sondern die Aussicht, wenn nicht gerade zum Popstar, so doch immerhin zum Influencer zu werden. In deutschsprachigen Kritiken zum Film wurde Mindy deshalb gern mit Christian Drosten verglichen.
Die Forscherin als Aktivistin
In der Figur von Kate Dibiasky hingegen zeigt sich eine neue Variation der populären Wissenschaftler:in – in ihr überlagert sich die Forscherin mit der Umweltaktivistin. Der Bezug zu Greta Thunberg ist schnell gemacht, wenn Dibiasky in einer TV-Show angesichts der Kaltschnäuzigkeit, mit der das Moderator:innenteam die Nachricht vom Kometen mit kleinen Spässchen quittiert, ihrer Verzweiflung Ausdruck gibt und schreit: «we’re all one hundred percent for sure gonna fucking die». Während viele Filmkritiker:innen Don’t Look Up in Sachen Humor eher lahm und dramaturgisch fürchterlich absehbar fanden (was bei einem Kometen-Plot schwer zu umgehen ist), meldeten sich Klimaforscher:innen zu Wort, die eindringlich mahnten, den Film nicht für seine ästhetischen Mängel zu kritisieren, sondern sich von der Botschaft aufrütteln zu lassen. Als Klimaforscher halte er die Reaktion von Politik und Wirtschaft auf den Kometen in Don’t Look Up für die präziseste Schilderung des Nichtstuns in Sachen Klimawandel, schrieb Peter Kalmus im Guardian und fügte hinzu: «Dibiasky, on national TV, screams “Are we not being clear? We’re all 100% for sure gonna fucking die!” I can relate. This is what it feels like to be a climate scientist today.» Und der britische Klimaaktivist George Monbiot, der in einer TV-Diskussion im Zusammenhang mit Cop26 in Tränen ausbrach, sieht in der panischen Kate Dibiasky seine eigene Existenz gespiegelt: «So, as we race towards Earth system collapse, trying to raise the alarm feels like being trapped behind a thick plate of glass. People can see our mouths opening and closing, but they struggle to hear what we are saying. As we frantically bang the glass, we look ever crazier. And feel it. The situation is genuinely maddening. I’ve been working on these issues since I was 22, and full of confidence and hope. I’m about to turn 59, and the confidence is turning to cold fear, the hope to horror.»
Climate Fiction
Doch wie alle populären Figuren hat auch die engagierte Klimaforscherin mehr mit der Geschichte des Erzählens über Wissenschaft in populären Genres zu tun als mit Vorbildern aus der Wirklichkeit. Auf der Suche nach dem Modell wird man ziemlich schnell fündig, wenn man sich in der Climate Fiction – Erzählungen rund um den Klimawandel – der letzten Jahrzehnte umsieht. Auch wenn Wissenschaftler:innen in populären Erzählungen immer in Chemieunfälle oder Störfälle in AKWs verwickelt seien, werde die Schuld dafür nicht ihnen, sondern vielmehr den verantwortlichen Unternehmen zugewiesen, wie die australische Medienwissenschaftlerin Roslynn D. Haynes in ihrer Studie zur Überschreibung des Mad Scientist durch engagierte, mit Haut und Haar dem Allgemeinwohl verschriebene Forscher:innen feststellt. Die Bedrohung wird in der Climate Fiction in der Regel und je länger, je mehr bei der wirtschaftlichen Wachstumseuphorie diagnostiziert; Grundlagenforschung hingegen erscheint nicht als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung. In Romanen und Filmen über den Klimawandel sind Wissenschaftler:innen wichtige Verbündete im Kampf gegen den Klimawandel und dem Schutz der Biodiversität. Sie sind die einzigen, die über das Wissen verfügen, um die komplexen Zusammenhänge des Lebens im Anthropozän zu verstehen.

Quelle: goodreads.com
Eine paradigmatische Figur ist die Delphinforscherin Piya Roy, die in den Klimaromanen des indischen Romanciers und Essayisten Amitav Gosh die Artenvielfalt in den Sundarbans, den Mangrovensümpfen im Ganges-Delta, erforscht (The Hungry Tide, 2004; Gun Island, 2021). Die Verzweiflung, die sich bei Kate Dibiasky angesichts der akuten Bedrohung durch den Kometen ereignishaft ausbricht, äussert sich bei Piya Roy in einer schleichenden Melancholie. Diese wiederum entspricht der Analyse des Klimawandels als eines schwer in dramatischen, lokal eingrenzbaren Ereignissen zu fassenden Phänomens, auf die sich Gosh beruft. Piya, die als Tochter indischer Eltern aus Kolkata in den USA aufwächst und als Fremde in die Sundarbans kommt, wird durch ihr Engagement für die bedrohten Delphine Teil der komplexen Verstrickungen zwischen dem Ökosystem, das sie untersucht, und der Geschichte des Kolonialismus, die vom Gangesdelta bis hin zu Biografien von Flüchtenden führt, die auf Inseln im Mittelmeer gestrandet sind. In Gun Island, dem jüngsten Roman Goshs, ist Piya nur eine von vielen Figuren, die zwischen den Sundarbans, Venedig, Sizilien, New York und Kalifornien unterwegs sind. Der Erzähler versucht, die Schauplätze ihrer ganz unterschiedlichen Lebensgeschichten in den Vordergrund treten zu lassen und sie so zu arrangieren, dass ein Muster sichtbar wird, mit dem sich so etwas wie eine Wirklichkeit des Lebens im Klimawandel fassen lässt.
Zur Heldin wird die ökologisch engagierte Forscher:in nicht; vielmehr wird an ihr das verhandelt, was der ökokritische Literaturwissenschaftler Timothy Clark als «anthropocene disorder» bezeichnet – die Verstörung angesichts der selbst für Expert:innen letztlich schwer fassbaren Veränderung der Biosphäre. Die Figuren mögen toben vor Wut und Empörung, doch letztlich liegt ein melancholischer Schleier über vielen Klimaerzählungen. Auch wenn immer wieder gefordert wird, nicht zuletzt von Amitav Gosh selbst, dass Literatur und Film die Aufgabe hätten, die Menschen aufzurütteln, so liegt die Stärke des populären Erzählens nicht in der Didaktik, sondern in der Analyse. Es stimmt zwar, dass Climate Fiction unter anderem von aufwändigen Recherchen der Autor:innen und entsprechend exzessiver Wissensvermittlung lebt. Entscheidend ist aber, dass die Welt in der Krise als ein System inszeniert wird, das sich vielleicht nicht so schnell ändern, aber doch immerhin verstehen lässt. Das Warten auf eine unerwartete Wende, auf ein Wunder, das alles wider jede Logik gut werden lässt, ist der Climate Fiction jedenfalls fremd. Dafür setzt sie Berechenbarkeit als Verfahren der grösstmöglichen Verfremdung ein, als eine Ent-Täuschung, die wir auch in der Wirklichkeit benötigen. Don’t Look Up mit seiner Zuspitzung auf einen für alle evidenten Extremfall – just look up! – ist das beste Beispiel dafür.