Seit der Computer Eingang in die Büros, Werkshallen und Privathaushalte gefunden hat, suchen Politik und Verwaltung nach bildungspolitischen Antworten auf den digitalen Wandel. Den Technologiekonzernen bietet dies die Möglichkeit, mit ihren Hard- und Softwareprodukten in den Schulen Fuß zu fassen. So stellt die privatwirtschaftliche Initiative «#wirmachendigitalisierungeinfach» eine umfassende Unterstützung in Aussicht, wenn Kommunen in Deutschland Gelder aus dem «DigitalPakt Schule» abrufen wollen. Die Firma «edu.de», Teil eines international tätigen Anbieters von Medientechnikzubehör, offeriert den Schulen etwas subtiler das «Microsoft Digitalpaket», weist in diesem Zusammenhang aber ebenfalls auf den «DigitalPakt» der letzten deutschen Bundesregierung hin. Die «Cloudwürdig GmbH» wiederum arbeitet mit «Google for Education» zusammen, wenn es darum geht, die Gemeinden bei der digitalen Transformation der Schulen zu begleiten.
Die Technologiekonzerne sehen im Bildungswesen eine attraktive Möglichkeit, ihre Kundschaft früh an die eigenen Produkte zu gewöhnen: Wer einmal gelernt hat, mit einer Software oder einem bestimmten System zu arbeiten, wird auch später eher zu diesem Angebot greifen. Lehrpersonen und Schulleitungen sind ebenfalls froh, wenn sie nicht ständig neue digitale Dienste kennenlernen müssen. Dasselbe gilt wohl auch für die Rechtsdienste in den Behörden und den technischen Support für die Schulhäuser. Dies erschwert es aber nicht nur kleineren Anbietern, sich mit ihren vielleicht besseren digitalen Lösungen auf einem rasant wachsenden Markt zu behaupten. Es verhindert auch, dass die im Bildungswesen erzeugten Daten für die Entwicklung sinnvoller Unterrichtstools verwendet werden. Und es führt dazu, dass alternative Modelle des Eigentums an Daten und Software, der partizipativen Entwicklung digitaler Bildungstechnologien und transparenter Code keine echte Chance bekommen.
Dass die Politik den privaten Technologieanbietern die Tür so weit öffnet, hat eine Geschichte: Das öffentliche Bildungswesen ist ein eigenartiger Absatzmarkt, stark administrativ reguliert, zugleich aber auch abhängig von technischen Infrastrukturen, die der Staat nicht selbst zur Verfügung stellen kann. Wer hier als Unternehmen einmal Zutritt gefunden hat, Vertrauen aufbaut und dann Abhängigkeiten schafft, kann auf eine langfristige Nachfrage bauen. Um Zugang zu den Schulhäusern zu erhalten, mussten die Unternehmen pädagogische und politische Erwartungen bedienen und mit einer besonders sensiblen Öffentlichkeit umgehen lernen.
Mit der digitalen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft sind im Bildungsbereich dann neue politische Netzwerke entstanden, die quer zu den etablierten und demokratisch legitimierten Formen der Bildungssteuerung verlaufen. Das öffentliche Bildungswesen ist hier nicht länger nur ein Absatzmarkt für die Produktpalette privater Unternehmen. Die Technologieanbieter und ihre Angebote sind vielmehr integraler Bestandteil des bildungspolitischen Aushandlungssettings.
Schule als Absatzmarkt
Der Aufbau eines öffentlichen Bildungswesens in den europäischen Staaten im Laufe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts war fraglos seit Beginn eine ungeheure Infrastrukturleistung. Mit der sogenannten «Bildungsexpansion» erhöhte sich zudem die Verweildauer der Kinder und Jugendlichen im Bildungswesen beträchtlich. Damit wurde der Bereich der öffentlichen Bildung zu einem potentiell lukrativen Absatzmarkt für eine differenzierte Produktpalette. Zugleich blieb die Unterrichtslandschaft mit ihren vielen Gatekeepern kompliziert. In Staaten mit einem ausgeprägten Bildungsföderalismus kam hinzu, dass sich der Marktzugang zwischen den einzelnen Hoheitsgebieten mitunter beträchtlich unterscheiden konnte. Für jeden Kanton, jedes Bundesland bzw. jedes Territorium musste mit einer anderen Bildungsverwaltung verhandelt werden.
Öffentliche Bildung bedeutete wachsende Budgets. Allerdings hatten die Infrastrukturdienstleister mit der öffentlichen Bildungsverwaltung aber auch ein selbstbewusstes Gegenüber und mussten – wollten sie erfolgreich sein – die Erwartungen und Eigenarten von Politik, pädagogischem Personal und Kultusbürokratie verstehen lernen.

Die Pressey Testing Machine, Quelle: ioannouolga.blog

B.F. Skinners Teaching machine; Quelle: si.edu
Insgesamt blieb die Gewährleistung eines allgemeinbildenden Unterrichts während des 20. Jahrhunderts, finanziell wie organisatorisch, eine Herausforderung. Auf dieses ungelöste Problem schienen die Anbieter von Lehrmaschinen und anderer didaktischer Hardware endlich eine Antwort gefunden zu haben – wobei die großen Erwartungen an die jeweils neueste Bildungstechnologie regelmäßig enttäuscht wurden. Das gilt für Sidney Presseys «Automatic Teacher» in den 1920er Jahren, mit dem die Schülerinnen und Schüler Multiple Choice-Fragen beantworten konnten, für BF Skinners «Teaching Machines» in den 1950er Jahren, der eine elaboriertere Apparatur als Pressey entwickelt haben wollte, und, in der jüngeren Vergangenheit, für das Programm «One Laptop per Child» gleichermaßen: Nie konnten die Technologien die an sie gestellten Erwartungen wirklich einlösen.
Dennoch gab es während des 20. Jahrhunderts kaum eine technologische Neuerung, die nicht gleich auf ihr Potenzial für eine Revolutionierung des schulischen Lernens abgeklopft wurde. Insbesondere die sogenannten «audiovisuellen Medien» schienen ungeahnte Möglichkeiten zu eröffnen, den Unterricht gehaltvoller und attraktiver zu machen. Lichtbild und Film, Radio, Fernseh- und Tonbandgeräte oder Magnetkassetten holten die Welt ins Klassenzimmer und konnten entsprechend mit pädagogischen Erwartungen aufgeladen werden. So hat Katie Day Good 2020 in ihrem Buch Bring the World to the Child gezeigt, wie zentral diese mediale Dimension für die Bildungsgeschichte im 20. Jahrhundert von Beginn an war: Mit den massenhaft angefertigten audiovisuellen Lehrmitteln sollten Bürgerinnen und Bürger erzogen werden, die in globalen Zusammenhängen denken konnten.

Anzeige der ELA AG, Quelle: Schweizerische Lehrerzeitung 117(1972)36, S. 1336
Die Entwicklung neuer Unterrichtsmedien bediente sich also jeweils der neuesten Technologien oder des didaktischen und lernpsychologischen Stands der Diskussion – und wirkte auf diese zurück. Sie war dazu gedacht, das schulische Lehren und Lernen effektiver und effizienter zu machen, wurde aber stets auch von reformpädagogischen Verheißungen begleitet: Film und Tageslichtprojektor sollten im Klassenzimmer neue Erfahrungen ermöglichen und den buchzentrierten Unterricht überwinden helfen. Tonbandgerät und Magnetkassette schienen geeignet, das Erlernen einer Fremdsprache lebendiger und interaktiver zu machen.
Neue Netze
Ein Blick in die pädagogische Fachpresse in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigt, dass viele Technologieanbieter im öffentlichen Bildungswesen einen attraktiven Markt sahen. In den Werbeanzeigen rückten die Unternehmen das pädagogische Potenzial der mitunter klobigen Hardware ins Zentrum. Besonders deutlich wird dies bei den Sprachlaboren, die vor allem in den 1960er und 70er Jahren für Furore sorgten. Mit diesen teuren, wartungsintensiven und raumgreifenden Anlagen sollte das Erlernen von Fremdsprachen endlich sowohl effizienter als auch lebendiger werden.

Anzeige der Digital Equipment Corporation. Quelle: Schweizerische Lehrerzeitung 121(1976)5, S. 143.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts war also ein Markt für sich ständig weiterentwickelnde Bildungstechnologien entstanden. In den 1970er Jahren positionierten sich hier nun auch die Hersteller von Computerhard- und -software. Die amerikanische «Digital Equipment Corporation» (DEC) präsentierte sich 1975 auf der Bildungsmesse «Didacta» in Nürnberg mit einem «Classroom Interactive Computer» (CLASSIC), einem auf dem Minirechner PDP-8 basierenden System, das nicht nur einen Monitor und eine Tastatur, sondern auch Floppy-Disk und einen Drucker umfasste. Mitgeliefert wurden außerdem das Betriebssystem und pädagogische Software. Dieses Komplettpaket, das sowohl für Universitäten als auch für allgemeinbildende Schulen geeignet sein sollte, bot das US-amerikanische Unternehmen für 28’000 Mark bzw. für 35’000 Schweizer Franken an.
Auch wenn die Werbung von «Digital Equipment» anderes versprach: Mit diesem Angebot konnte sich also noch lange nicht jede Schule einen Computer leisten. Als die Geräte dann günstiger wurden, war eine sinnvolle und qualifizierte Nutzung in den Schulhäusern aber keineswegs sichergestellt: Larry Cuban hat dies vor zwanzig Jahren in seiner Studie zur Einführung von Computern für die Schulen im Silicon Valley auf eine griffige Formel gebracht: «Oversold and Underused».
Mit der digitalen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft bot sich den Schulen nun nicht einfach abermals ein neues Tool, um den Unterricht effizienter, anregender und effektiver zu gestalten. Der Computer im Klassenzimmer symbolisierte zugleich die entstehende digitale Gesellschaft. Anders als bei Tageslichtprojektoren, Tonbandgeräten oder Fernsehern fand diese Universalmaschine nämlich gleichzeitig Eingang in die Privathaushalte, Werkshallen und Büros.
Entsprechend verabschiedete die Politik als Reaktion auf den digitalen Wandel seit dem Ende der 1970er Jahre zahlreiche politische Impuls- oder Aktionsprogramme, die nicht nur technologie-, sondern zunehmend auch oder ausschließlich bildungspolitisch ausgerichtet waren. Sowohl die Europäische Gemeinschaft als auch viele ihrer Mitgliedstaaten – dazu aber etwa auch Schweden oder die Schweiz – versuchten so, die eigene, verloren oder bedroht geglaubte Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen und die Gesellschaft für eine computerisierte Zukunft fit zu machen. Während ein erster Schwung an Programmen in den 1980er Jahren eine Reaktion auf den Mikrochip und den Mikrocomputer war, rückte in den 1990er Jahren das Internet ins Zentrum des bildungspolitischen Interesses.
Hierbei durchkreuzten sich zwei bildungshistorische Entwicklungslinien: Der Computer sollte fortan sowohl Bildungsziel als auch Bildungsmittel sein. Zwar wusste man häufig nicht, was genau in der Schule mit dem Computer anzufangen war. Bevor graphikfähige Computer attraktivere Bilderwelten möglich machten und das Internet nun wirklich die Welt ins Klassenzimmer holen konnte, ließ sich mit den Computern gerade einmal Programmieren, Textbearbeitung und Tabellenkalkulation trainieren – oder spielen. Dass man sich mit dem Computer in irgendeiner Form beschäftigen musste, wurde in Bildungspolitik und -verwaltung dennoch kaum mehr grundsätzlich hinterfragt. Die wachsende volkswirtschaftliche Bedeutung dieser Technologie war zu offensichtlich, als dass man sie ganz hätte ignorieren können.
Im Zuge der Computerisierung gingen die nationalen Regierungen und andere Stakeholder in der Bildungspolitik vermehrt dazu über, auf sogenannte «Public-Private-Partnerships» zu setzen, die seit den 1980er Jahren auf ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Gebieten ebenfalls realisiert wurden. 1996 startete in Deutschland dann das Programm «Schulen ans Netz», für das der Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers die Schirmherrschaft übernahm und bei dem sein Ministerium mit der erst im Vorjahr privatisierten deutschen Telekom kooperierte. Auch in der Erwachsenenbildung kam es zu kreativen Paarungen: Seit 1995 konnten sich in Deutschland Volkshochschulen als «Microsoft anerkanntes EDV-Weiterbildungszentrum» zertifizieren lassen und die Produkte des Softwarekonzerns zu besseren Konditionen beziehen. Für Kritik sorgte ein Lehrmittel zum Thema Urheberrecht, an dem Microsoft ebenfalls mitgewirkt und für welches die Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn das Vorwort verfasst hatte. Kritisiert wurde, dass das Urheberrecht hier ausschließlich aus Sicht der Privatwirtschaft dargestellt und andere Sichtweisen nicht aufgegriffen würden. Seit 1996 organisierte die Europäische Kommission sogenannte «Netd@ys» und orientierte sich dabei an einer privaten amerikanischen Initiative, die in den USA die Unterstützung Präsident Clintons gefunden hatte. Ziel der «Netd@ys» war es, ein größeres Bewusstsein («awareness») der Bedeutung des Internets für Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen, den Netzausbau in den Schulen voranzutreiben und neue «Public-Private-Partnerships» anzustoßen.
Seit diesen politischen Versuchen, durch Partnerschaften mit der Privatwirtschaft die vermeintliche Schwerfälligkeit von Unterrichtsverwaltung oder Bildungsföderalismus zu überwinden und die längerfristige Finanzierbarkeit der Maßnahmen sicherzustellen, haben viele Unternehmen ihre Schulprogramme fortlaufend ausgebaut. 2004 startete der Pilot für die Microsoft-Initiative «Innovative Gesamtschule». 2008 wurde das Programm «IT-Fitness macht Schule» lanciert.
Softwarelizenzen für Schulen und das Internet waren, regulatorisch wie finanzpolitisch gesehen, Neuland. Public-Private-Partnerships und eine Einbindung der großen Unternehmen in die Aushandlung der bildungspolitischen Agenda galten hier als naheliegende Lösung. Wer sollte die entsprechende Expertise und das notwendige Kapital mitbringen, wenn nicht die Privatwirtschaft? Microsoft und Apple positionierten sich ja von Beginn an auch als Bildungsanbieter.

Anzeige Apple Computer. In: Interface 1988(2), o.P.
Für die politische Ökonomie der Bildung bedeutete dies eine entscheidende Verschiebung im Verhältnis von Politik und privaten Technologieanbietern. Die Unternehmen bedienten nicht länger nur einen staatlich regulierten Absatzmarkt mit ihren Produkten. Sie wurden vielmehr Teil des politischen Gefüges.
Mit den großen Plattformbetreibern scheinen sich die Abhängigkeiten von den Technologieunternehmen nochmals erhöht zu haben. Lucas Cone und Katja Brøgger haben diese neue Konstellation in einem vielbeachteten Aufsatz als «sanfte Privatisierung» bezeichnet: Formal gesehen bleibt das Bildungswesen öffentlich. Private Institutionen, Unternehmen oder neue Interessensgruppen werden aber Teil des bildungspolitischen Aushandlungssettings und bestimmen so mit, was in den Schulen passiert. Einige Forscherinnen und Forscher sprechen bereits von sogenannten «Platform Pedagogies», bei denen die Grenzen zwischen privat und öffentlich gar nicht mehr zu ziehen sind und die technischen Infrastrukturen vorgeben, was im schulischen Unterricht überhaupt möglich ist.
Es ist leicht, aus den Ankündigungen der Technologieunternehmen ein Schreckensszenario für die öffentliche Bildung zu spinnen. Das unterschätzt aber den Gestaltungsspielraum, den Politik und Bildungsverwaltung durchaus haben. Um den digitalen Wandel verantwortungsvoll gestalten zu können, braucht es in den Behörden Personal, das sich mit den rechtlichen und technischen, den didaktischen wie pädagogischen Anforderungen an digitale Unterrichtstools auskennt. Zudem ist, wie jüngst in der Schweiz, sicherzustellen, dass auch für die großen Technologieanbieter nationales Recht zur Anwendung kommt, wenn ihre Produkte in den Schulen verwendet werden. Es wäre den Lehrpersonen und Dozierenden Gehör zu schenken, was sie tatsächlich benötigen, um den Unterricht besser zu machen. Vor allem müsste aber in der Bildungspolitik dringend darüber debattiert werden, was mit dem Ausbau der digitalen Infrastruktur und dem Einsatz von Tablets, VR-Brillen, Lernplattformen, digitalen Lehrmitteln oder «intelligenten Tutoren-Systemen» jeweils genau erreicht werden soll.