Regelmäßig werden in Polen Diskriminierungsfälle und Gewalttaten gegen LGBT*-Personen bekannt. Wie ein Bericht der polnischen NGO Kampania Przeciw Homofobii (Kampagne gegen Homophobie, kurz: KPH) über die Situation der polnischen LGBT*-Community belegt, stieg homophobe – vorrangig gegen homosexuelle Männer gerichtete – Gewalt seit 2015 markant an. Bis heute verschärft sich diese Entwicklung, weil Polen bislang wenig getan hat, um die Antidiskriminierungsrichtlinie der Europäischen Union umzusetzen. Nach wie vor gilt hier das Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1969, das in den vergangenen Jahrzehnten kaum modifiziert wurde. Das Antidiskriminierungsgesetz, das 2011 in Kraft trat, bietet lediglich arbeitsrechtlichen Schutz. Ein Entwurf für ein Lebenspartnerschaftsgesetz scheiterte zuletzt im Jahr 2015.
Diese Tendenz hat sich seit dem Sieg der nationalkonservativen Partei Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit, kurz: PiS) bei den Parlamentswahlen im Oktober 2015 und der Wiederwahl der PiS-Partei im Oktober 2019 weiter zugespitzt. Nach wie vor schürt und instrumentalisiert die PiS-Partei Homophobie, um ein eng gefasstes katholisches Nationskonzept zu zementieren, das auf dem Ausschluss von gesellschaftlichen Randgruppen, insbesondere ethnischer, religiöser und sexueller Minderheiten, basiert.
Der Regenbogen als Feindbild
Besonders deutlich wurde dies im Wahlkampf von 2019, als der PiS-Politiker Stanisław Karczewski auf seinem Twitter-Account ein Piktogramm postete, das die Strategie der Partei exemplarisch zum Ausdruck bringt. Es zeigt eine traditionelle Kernfamilie, bestehend aus Vater, Mutter, Tochter und Sohn, über die sich ein bedrohlicher „Himmel“ in den Farben des Regenbogens wölbt, der bis heute als internationales Symbol der LGBT*-Bewegung gilt. Die Rainbow Flag, die vom US-amerikanischen Schwulenaktivist Gilbert Bakergestaltet und 1978 bei der San Francisco Gay and Lesbian Freedom Day Parade erstmals enthüllt wurde, hat sich im Laufe der Zeit zum globalen queeren Protestsymbol entwickelt, das den Stolz von LGBT*-Personen kommuniziert und ein Zeichen für die Akzeptanz der Vielfalt von Lebensformen setzen will.

PiS-Partei, Anti-LGBT*-Piktogramm, 2019 (Screenshot) Quelle: twitter.com
Ganz anders die Symbolik in Karczewskis Piktogramm: aus dem Regenbogenhimmel laufen Tropfen hinunter, die an Blut erinnern und die LGBT*-Bewegung symbolisch mit Tod und Verderben in Verbindung bringen. Um sich und die Kinder vor dem Regenbogen zu ‚schützen‘, halten die Eltern einen Regenschirm hoch, auf dem das Logo der PiS-Partei zu sehen ist. Das Piktogramm setzt damit gleichsam ins Bild, was der Vorsitzende der PiS-Partei, Jarosław Kaczyński, gegen die Durchführung der Parada Równości(Gleichheitsparade) in Rzeszów vorgebracht hatte: „Wir sagen Nein! zum Angriff auf Kinder. Wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir werden die polnische Familie schützen.“ Entsprechend inszeniert sich die PiS-Partei als Hüterin der traditionellen Kernfamilie und der polnischen Nation gegen die „Bedrohung“ und „Sexualisierung“ durch die LGBT*-Bewegung.
Aufschlussreich ist weiter, dass sich das PiS-Piktogramm an ein Icon der rechtsextremen Jugendbewegung Młodzież Wszechpolska (Allpolnische Jugend, kurz: MW) anlehnt, welches diese im Mai 2018 zum 100. Jubiläum der Unabhängigkeit Polens auf ihrem Twitter-Account verbreitet hatte. Darauf ist ebenfalls eine Kleinfamilie zu sehen, die Schutz vor einem Regenbogenhimmel sucht, jedoch unter einem Regenschirm, auf dem der Begriff „nationalism“ – das politische Kernkonzept der Allpolnischen Jugend – zu lesen ist. In den Farbstreifen des Regenbogenmotivs sind weitere Symbole zu sehen, die stellvertretend die Feindbilder der Bewegung repräsentieren, darunter beispielsweise die Europäische Union.

Młodzież Wszechpolska, Anti-LGBT*-Piktogramm, 2019 (Screenshot) Quelle: twitter.com
Piktogramme wie dieses verdeutlichen nicht nur die Nähe der Regierungspartei zu rechtsextremen Kreisen, sondern auch die politische Bedeutung, die sozialen Netzwerke bei der Propagierung von Homophobie zukommt. Dort werden solche Bilder gezielt in Umlauf gebracht, um eine moralische Panik hinsichtlich des Fortbestands der traditionellen Kernfamilie und des gesellschaftlichen Zusammenhalts hervorzurufen. Sie kommunizieren eine enge Auffassung von nationaler Solidarität, die bestimmte Genderidentitäten und sexuelle Minderheiten, aber auch ethnische und religiöse Gruppen zu Feindbildern der polnischen Nation stilisiert.
In diesem Ansinnen wird die PiS-Partei regelmäßig durch regierungstreue Medien unterstützt. So verbreitete das Nachrichtenmagazin Gazeta Polska (Polnische Zeitung) in einer Ausgabe vom Juli 2019 einen Anti-LGBT*-Aufkleber mit einem durchkreuzten Regenbogenmotiv und dem zudem klar antisemitisch aufgeladenen Slogan „LGBT-freie Zone“. Im selben Jahr verabschiedeten mehrere Lokalregierungen in Polen Resolutionen gegen eine von der PiS-Partei so bezeichnete „LGBT-Ideologie“. Und tatsächlich haben sich bis heute rund hundert Städte und Gemeinden in Polen zu „LGBT-ideologiefreien Zonen“ erklärt, in denen nichtheteronorme Personen als unerwünscht gelten. In solchen Parolen werden die Verbindungen augenscheinlich, welche die PiS zur ultrakonservativen Organisation Ordo Iuris unterhält: einer Gemeinschaft aus Anwälten, die dem extremistischen christlichen Netzwerk Agenda Europe angehören.
Strategien der Unsichtbarmachung
Während „LGBT-freie Zonen“ eine Auslöschung von queerer Realität in der Wirklichkeit erzwingen, gibt es auch gezielte Versuche der Unsichtbarmachung im politischen Raum. Ein Beispiel dafür ist das von der Regierungspartei angestrebte Verbot von Gleichheitsparaden. Seit geraumer Zeit wird es vom rechtsgerichteten Teil der katholischen Kirche unterstützt, zu dem der katholische Radiosender Radio Marya (Radio Maria) von Tadeusz Rydzyk ebenso gehört wie die eher konservativen Partei Platforma Obywatelska(Bürgerplattform, kurz: PO) oder die Gewerkschaftsbewegung Solidarność, die ebenfalls regelmäßig Verbotsanträge einbringt. Auf der gleichen Linie liegt der Entwurf für ein Anti-LGBT*-Gesetz der Fundacja Życie i Rodzina (Stiftung Leben und Familie), der im Oktober 2021 von einer Mehrheit des polnischen Parlamentes angenommen wurde. Sollte das Gesetz in Kraft treten, würde sich die bereits jetzt sehr prekäre Lage von queeren Menschen weiter verschlechtern, sähe es doch ein „Werbeverbot“ für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt vor und würde es untersagen, sich öffentlich für die Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare einzusetzen. Darüber hinaus dürften queere Menschen an Demonstrationen oder Gleichheitsparaden nicht mehr öffentlich für ihre Rechte kämpfen.
Queering Poland: Die polonisierte Regenbogenflagge
Gegenläufig zu dieser Entwicklung hat sich auch der queere Protest in den vergangenen Jahren verschärft. Als Polen 2018 seine 100 jährige Unabhängigkeit feierte, zeigte sich, wie sehr der Konflikt zwischen den homophoben und queeren Akteur*innen auch ein Konflikt um die Deutungsmacht nationaler Symbole ist. Um der Homophobie der genannten Gruppierungen zu begegnen, griff und greift die LGBT*-Bewegung mittlerweile gezielt auf ein queeres Symbolrepertoire mit nationaler Konnotation zurück, um ihre polnische Identität zu verdeutlichen und ihre Integration in die Gesellschaft zu befördern. Eine Regenbogenfahne, die während der Gleichheitsparade in Tschenstochau hochgehalten wurde, sorgte in diesem Zusammenhang für mediale Aufmerksamkeit und wurde zum Politikum: LGBT*-Aktivist*innen, darunter Bartosz Staszewski der Posener LGBT*-Gruppe Stonewall, trugen eine Regenbogenfahne, die den polnischen Wappenadler zeigte,vor sich her. Mit dieser Symbolpraxis inszenierten sich die Aktivist*innen gezielt als polnisch und queer und versuchten so, den homophoben Ausgrenzungsdiskurs zu unterwandern. Nationalkonservative Politiker*innen, darunter der polnische Innenminister Joachim Brudziński, fühlten sich durch die polonisierte Version der Regenbogenfahne provoziert und sprachen von einer „Profanisierung“. Brudziński leitete in der Folge gar ein juristisches Verfahren gegen die „Verunglimpfung nationaler Symbole“ ein. Unterstützung erhielten die LGBT*-Aktivist*innen hingegen von der Bürgerbewegung Akcja Demokracja (Aktion Demokratie), die daraufhin gemeinsam mit den LGBT*-Organisationen KPH und Miłość Nie Wyklucza (Liebe schließt nicht aus) die Unterschriftenaktion Tęcza nie obraża (Der Regenbogen beleidigt nicht) ins Leben rief. Sie sammelten 10.000 Unterschriften, überreichten die Petition im September 2018 und protestierten mit der umstrittenen Regenbogenfahne vor dem Innenministerium.

Protestaktion Tęcza nie obraża (Der Regenbogen beleidigt nicht), Warschau 2018 © Agencja Gazeta/ Maciek Jaźwiecki
Immer wieder hat die bildstrategische Kombination des Regenbogens, dem Symbol der globalen LGBT*-Community, mit nationalen und religiösen Zeichen heftige homophobe Gegenreaktionen bei nationalkonservativen Politiker*innen, Nationalist*innen und Kirchenanhänger*innen provoziert. Ein weiteres Beispiel in dieser Reihe bildet der Streitfall um die sogenannte „Regenbogen-Madonna“: Im Mai 2019 wurde eine Aktivistin in Płock verhaftet, weil sie Plakate und Sticker verbreitet hatte, die das Ikonenbild der Czarna Madonna (Schwarze Madonna von Tschenstochau) mit einem regenbogenfarbenen Heiligenschein zeigte. Hintergrund dieser Aktion war eine homophobe Installation in einer Kirche in Płock, die „LGBT“ mit Sünde gleichsetzte und so queere Menschen diffamierte. Innenminister Brudziński verunglimpfte die Aktion als „kulturelle Barbarei“ aufgrund der Verletzung religiöser Gefühle. Gegen die drei an der Protestaktion beteiligten Aktivist*innen wurde Anklage erhoben. Im März 2021 wurden sie schließlich freigesprochen. Das Gericht begründete sein Urteil damit, dass der Regenbogen als Symbol der LGBT*-Community nicht als beleidigend betrachtet werden kann.

Die „Regenbogen-Madonna“ an der Demonstration vom 14.5.2019 in Płock; Quelle: amnesty.org.uk.
So verständlich sie ist, bringt die Symbolpraxis der LGBT*-Bewegung auch Dilemmata mit sich. Im „Krieg der Bilder“ wendet sie sich mit der Polonisierung queerer Symbole zwar dezidiert gegen die rechts-konservativen Strategien des Unsichtbarmachens von queeren Menschen und wirbt für Akzeptanz. Zugleich aber läuft eine solche Bildstrategie jedoch Gefahr, sehr enge Kriterien der nationalen Zugehörigkeit zu perpetuieren. Um die Vielfalt der polnischen Gesellschaft sichtbar zu machen und das Konzept einer heteronormen (weißen) Nation zu dekonstruieren, bleibt es darum auch in Zukunft wichtig, den nationalen Bilderhaushalt nicht nur gezielt umzucodieren, sondern immer wieder zu überschreiten.