Die Philosophin Kathleen Stock hat in vergangenen Jahren beständig behauptet, Menschen, die trans sind, würden nicht existieren, da nur biologisches Geschlecht ‚real‘ sei. Ihre Einlassungen, die sich vorrangig auf Twitter abspielten, sind mehr aktivistischer denn wissenschaftlicher Natur. Stock agiert als Treuhänderin der LGB Alliance, die sich dafür einsetzt, die Rechte von trans Menschen einzuschränken. Daraufhin folgten Proteste vonseiten Studierender der University of Sussex. Anscheinend eskalierte diese Auseinandersetzung, als die Protestierenden den Campus plakatierten, woraufhin sich Stock nicht mehr sicher fühlte. Ihr Fall ist aufschlussreich, weil die Rahmung des Konflikts als Frage der Meinungsfreiheit verdeckt, dass die Rhetorik des biologischen Geschlechts, wie sie Stock betreibt, einer reaktionären Schlagrichtung folgt.
Zunächst zur Frage der Bedrohungslage: Stocks Rücktritt geht eine verhärtete Auseinandersetzung voraus – zwischen ihr und Studierenden, Kolleg:innen, der Gewerkschaft, der Universitätsleitung –, die es erschwert, die Gemengelage zu beurteilen. Wenn Stock bedroht wurde, ist dies nicht hinnehmbar. Das gilt allerdings für beide Seiten, wie die Literaturwissenschaftlerin Andrea Geier betont. Wieso stoßen Stocks Äußerungen, dass Geschlecht biologisch festgelegt sei, auf derartigen Widerstand? Hierzu schreibt Peter Weissenburger in der taz: „Warum wird eine Philosophin für das, was sie über Geschlecht sagt, bedroht? Die Antwort ist: Weil sie für viele selbst eine Bedrohung darstellt. Das rechtfertigt nichts. Aber es kann helfen zu verstehen.“ Denn Stock äußert nicht einfach eine Meinung, auf die Studierende überempfindlich reagieren. Sie setzt sich aktiv dafür ein, dass die Rechte von Menschen, die nicht geschlechterkonform leben, eingeschränkt werden. Und sie stellt die Existenz dieser Menschen in Frage, bezeichnet sie als reine Fantasie und scheut nicht davor zurück, Studierende, die ihr widersprechen, auf Twitter hart anzugehen. Studierende die trans oder non-binär sind, berichten, dass sie sich durch Stocks Aktivismus unsicher fühlten, da die Feindseligkeit gegen sie deutlich zunahm.
Man muss sich, wie die Soziologin Paula Villa betont, die
Geschichte vergegenwärtigen: der Gewalt, der Missachtung, des Leidens, der Beschämung, der Verstümmelung von Menschen, die als Transmenschen immer schon gelebt haben – in der Geschichte und auch jetzt. Wenn diese nun mehr Rechte und Anerkennung fordern, wenn sie auf ihre Wirklichkeit hinweisen […], dann wird vielleicht auch verständlich, vor welch leidvollem historischem Hintergrund das geschieht.
Durch ihre Einlassungen hat Stock ihre Studierenden exponiert. Sie entgegnet: Diese würden behaupten, dass allein ihr Buch sie gefährde, doch das, so Stock, entspreche nicht der Wirklichkeit. Stock meint, eine klare Vorstellung von Wirklichkeit zu haben. Dabei blendet ihre Darstellung aus, dass in Großbritannien 41 % der Menschen, die trans sind, Gewalt erfahren mussten. Diese Gewalt wird durch transfeindliche Rhetorik verstärkt. Dazu gehört auch, dass Stock Transgeschlechtlichkeit als Fantasiegebilde verzerrt und im Schulterschluss zur LGB Alliance steht, die Transgeschlechtlichkeit mit Pädophilie und Bestialität assoziiert.
Man kann demnach von einer beidseitigen Bedrohungslage ausgehen. Die Studierenden hatten jedes Recht, gegen Stocks politische Polemik zu protestieren. Dies sollte allerdings eine Dozentin nicht derart bedrängen, dass sie sich an ihrem Arbeitsplatz nicht sicher fühlt. Ebenso unzulässig ist es, wenn sich Studierende in der Universität nicht sicher fühlen, weil ihre Existenz, ihr Geschlecht, ihr Körper von einer Dozentin infrage gestellt werden. Universitäten müssen Umgangsformen finden, die es allen Beteiligten ermöglichen, sich in akademischen Räumen zu bewegen.
Eine Frage der Meinungsfreiheit?
Wie verhält es sich nun mit der Meinungsfreiheit? In den Feuilletons wird der Konflikt als Frage der Meinungs- und Forschungsfreiheit hochgespielt. Dabei konnte Stock ihre Forschung frei betreiben und lautstark ihre Meinung vertreten – in Seminaren, Blog-Einträgen und tausenden Tweets. Im Gespräch mit ihrer Gleichgesinnten Julie Bindel auf Unherd freut sie sich, dass ihr der Rücktritt eine größere Plattform verschaffe. Angesichts all dessen ist es absurd, von bedrohter Meinungsfreiheit zu sprechen. Zudem wäre es leichtfertig, die Auseinandersetzung auf einen Konflikt zwischen zwei feministischen Positionen zu verkürzen oder als Beleg für eine ‚Cancel Culture‘ anzuführen. Sie lässt sich weder auf Fragen der Meinungsfreiheit noch auf ein Minderheitenproblem begrenzen, dafür birgt die biologistische Sichtweise, wie sie Stock vertritt, zu weitreichende politische Risiken.
Stock gilt als Vordenkerin der sogenannten ‚gender-critical feminists‘, sie hat deren Selbstbezeichnung als ‚gender-kritisch‘ geprägt. Gender, so der Kerngehalt, gebe es nicht, denn Geschlecht sei durch Biologie bestimmt. Stock ist nicht die alleinige Protagonistin, zuletzt machte die Schriftstellerin Joanne K. Rowling mit transfeindlichen Äußerungen auf sich aufmerksam. Um die Schlagkraft des Konflikts, den sie in den Vordergrund spielen, zu verstehen, muss man den breiten Diskurszusammenhang betrachten, in dem Biologie zum Einsatz gebracht wird. Man kann schwerlich argumentative Stränge herausarbeiten, da die Äußerungen der ‚Genderkritiker:innen‘ wenig Stringenz zeigen. Selbst die akademischen Vertreter:innen unter ihnen vermeiden tiefergehende Auseinandersetzungen mit dem Forschungsstand, der sich über die Disziplingrenzen hinweg in den letzten Jahrzehnten etabliert hat.
Um beim Beispiel von Stock zu bleiben: Bis vor drei Jahren hat sie nie zum Thema Geschlecht geforscht, ihre Anmerkungen bestehen hauptsächlich aus Tweets und Blog-Einträgen. Ihr Buch Material Girls. Why Reality Matters for Feminists (2021) widmet sich dem Thema zwar ausführlicher, ist allerdings populärwissenschaftlich angelegt. Anstelle von klar konturierten Argumenten findet man zwei Schlüsselmotive, mit denen transfeindliche Rhetorik arbeitet: Bedrohungsszenarien und biologistische Menschenbilder.
Angstbilder und Verschwörungserzählungen
Ein Szenario, das von den ‚gender-critical feminists‘ stetig in die Twitter-Timelines gespült wird, zeichnet Frauen, die trans sind, als Eindringlinge, die sich in Schutzräume einschleichen würden, um sich gewalttätig gegen Frauen und Kinder auszuagieren. Das klingt nicht allein abstrus, diese Behauptung ist vor allem nicht belegbar. Stattdessen wird beständig ein- und derselbe Einzelfall einer Person zitiert, die trotz Vorgeschichte als Sexualstraftäter fälschlicherweise ins Frauengefängnis überstellt wurde. Wenn man dagegen auf die gelebte Praxis von Schutzräumen schaut, zeigen sich hier keinerlei Hinweise auf Gewaltausbrüche, wie sie die ‚gender-critical feminists‘ beschwören. Zudem übersehen sie geflissentlich, dass auch Frauen, die trans sind, als Frauen diskriminiert werden, dass sie Gewalt erfahren und diese Schutzräume bitter benötigen wie auch andere Frauen.
Transfeindliche Rhetorik arbeitet mit paranoiden Angstbildern – Bilder, die auch Rowlings jüngster Roman aufruft, sie schildert einen Psychopathen, der sich feminine Kleidung anzieht, um sich seinen Opfern, die er aus frauenfeindlichen Affekten tötet, anzunähern – ein altbekanntes, transfeindliches Motiv der Film-und Literaturgeschichte, das prominent in Hitchcocks Psycho auftauchte, wie die politische Kommentatorin Natalie Wynn pointiert darlegt. In solchen Narrativen werden Ressentiments geschürt. Wie die Schauspielerin Laverne Cox in der Dokumentation Disclosure erläutert, wird trans Menschen seit jeher vorgeworfen, sich zu verkleiden und falsch auszugeben, um andere zu täuschen. Daher bauen Behauptungen, dass sich Frauen, die trans sind, in Schutzräume ‚einschleichen‘, auf veralteten Vorurteilen auf – Vorurteile, die schnell in handfeste Gewalt umschlagen.
Mithin birgt die Rhetorik des Versteckspiels verschwörungstheoretische Züge, die bislang in konservativen Lagern anklangen. Vor nicht allzu langer Zeit warnte der Vatikan vor einer vermeintlichen ‚Gay-Lobby‘, die sich heimlich daran mache, die traditionelle, sprich patriarchale Familie zu zerstören, wobei Menschen, die trans sind, als quasi-satanische Sündenbockfiguren herhalten müssen. Mit ähnlichem Einschlag wird inzwischen auf Unherd gegen eine angebliche „Trans-Lobby‘ mobilisiert: Beispielsweise schreibt Julie Bindel, die ‚Trans-Lobby‘, die sie auch ‚trans-Taliban‘ nennt, erwarte „blinde Loyalität und totalen Gehorsam“ und lenke heimlich die Polizei und den National Health Service. Zum einen wird hier deutlich, in welcher abstruser Weise solche Behauptungen den Einfluss von Transaktivist:innen überschätzen, zum anderen zeigt sich, wie das ‚gender-kritische‘ ebenso wie das katholische Lager mit Bedrohungsbildern und Verschwörungsnarrativen arbeiten.
Nun haben die katholische Kirche und Personen, die sich als feministisch verstehen, wenig miteinander gemein, ja, in vieler Hinsicht sind ihre Weltanschauungen unvereinbar. Dennoch überkreuzen sich ihre rhetorischen Muster in der Bezugnahme auf biologistische Geschlechtermodelle – dem zweiten Schlüsselmotiv der selbsternannten ‚genderkritischen Feminist:innen‘.
Fremdbestimmte Körper
Das Schlüsselmotiv lautet, dass zwei und nur zwei ‚naturgegebene‘ Geschlechter existieren würden. Diese Annahme vertreten neben den ‚gender-critical feminists‘ auch Anhänger:innen von katholischen und evangelikalen, konservativen bis offen rechtsextremen Strömungen, die gegen eine angebliche ‚Gender-Ideologie‘ agitieren. Vollmundig beruft man sich auf die Biologie. Schaut man jedoch genauer hin, wird unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit ein veraltetes Alltagsverständnis von Geschlecht in Anschlag gebracht.
Das wird auch in Stocks Texten deutlich: In ihrem Buch kommt sie zwar darauf zu sprechen, dass es Menschen gibt, deren Chromosomensatz uneindeutig ist, doch davon lässt sie sich nicht irritieren und sortiert sie kurzerhand in die Kategorien ‚männlich‘ oder ‚weiblich‘ ein. Wissenschaftlich ist das unredlich, politisch macht das Menschen, die intergeschlechtlich sind, unsichtbar. Auch hier wird eine Gewaltgeschichte kaschiert, nämlich die Praxis der Zwangsoperationen an Kleinkindern, um sie in die binäre Norm einzupassen.
Anstatt sich mit aktuellen Erkenntnissen der Biologie und verwandten Wissenschaften wie der Medizin oder Sexualwissenschaft auseinanderzusetzen, beharrt Stock auf zwei naturgegebenen, getrennten Geschlechtern. Dabei geht man über die Disziplingrenzen hinweg davon aus, dass sich Geschlecht weit komplexer zusammensetzt, und zwar aus sozialem, biologischem und gefühltem Geschlecht. In der Biologie wird Geschlecht als Spektrum verstanden, in dem es keine kategorischen Trennungen, sondern Übergänge gibt. Die Natur ist vielfältiger als es manchen recht ist.
Gerade weil sich Geschlecht facettenreich zusammensetzt und anhand von externen Faktoren wie Chromosomen oder Hormonen nicht eindeutig bestimmbar ist, bleibt die Selbstbestimmung das schlüssigste Kriterium – nicht die Fremdbestimmung. Darauf wies beispielsweise 2017 das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hin, welches die Möglichkeit eines dritten Geschlechtseintrags forderte. Angesichts dieser Erkenntnisse– in der Biologie und in verwandten Fächern, aber auch in entfernteren Fächern wie der Rechtswissenschaft – ist die Annahme von zwei getrennten Geschlechtern unhaltbar. Sie enttarnt sich als politische Polemik, die jedweder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt. Das ist nicht nur in wissensethischer Hinsicht fragwürdig, es transportiert ein Menschenbild, das Menschen auf ihre vermeintliche ‚Natur‘ reduziert und in zwei Gruppen einteilt: schützenswerte Frauen und aggressive Männer.
Unheilige Allianzen
Ob gewollt oder ungewollt, das Beharren der selbsternannten ‚gender-kritischen Feminist:innen‘ auf einer ‚Wahrheit der Natur‘ führt zu unerwarteten Allianzen. Auch ein Viktor Orban spricht von ‚biologischem Geschlecht‘, so wurde 2020 in Ungarn ein Gesetz verabschiedet, das Geschlecht als biologisch unumstößliche Tatsache festschreibt, wodurch Menschen, die trans- oder intergeschlechtlich sind, rechtlicher Schutz und medizinische Versorgung entzogen wird. Sie werden zu Verworfenen gemacht, die offen Hass und Hetze ausgesetzt sind, ähnlich wie in den selbsterklärten ‚LGBT-freien Zonen‘ in Polen.
Judith Butler hat jüngst im Guardian geäußert, dass man jene Stimmen und Strömungen, die auf biologischem Geschlecht beharren und gegen eine angebliche ‚Gender-Ideologie‘ predigen, nicht nur reaktionär, sondern faschistisch seien. Das wirkt wie ein hartes Urteil. Konservativ oder reaktionär, vielleicht. Aber gleich faschistisch? Wenn man allerdings in die Geschichte schaut, gerade in die deutsche Geschichte, sieht man, dass ‚Biologie‘ als Einsatzpunkt für Politik autoritäre Schlagkraft entfaltet, die oftmals in den Faschismus führte. Denn faschistisches Denken baut auf naturalisierten Differenzen auf, durch die man eine Gesellschaftsordnung der Ungleichheit begründet. Man zieht die Natur als höhere Ordnung heran, um über die Körper von Menschen zu verfügen.
Nun ist wenig verwunderlich, wenn sich reaktionäre und rechtsextreme Kräfte auf eine ‚natürliche‘ Ordnung der Geschlechter berufen, um ihre antifeministische Agenda zu stärken. Umso erstaunlicher ist es, wenn dies von Stimmen kommt, die sich als feministisch bezeichnen. Sicherlich sind die Motivationen von Stock und ihrem Umfeld anders gelagert als von einem Orban oder Papst. Dennoch sind die rhetorischen Schlüsselmotive, welche die Strömungen miteinander teilen, untrennbar. Zumal Recherchen aufzeigen, dass es zwischen der LGB Alliance sowie ähnlichen Gruppen und Organisationen der religiösen Rechten Verbindungen und Vernetzungen gibt.
Man kann deren Bemühungen, die errungene Gleichberechtigung rückgängig zu machen, als Abwehrkämpfe verstehen, die sich angesichts der enormen Erfolge von feministischen Bewegungen auftun. Doch während religiöse Rechte ihrer altbekannten, antifeministischen Tradition folgen, manövrieren sich die selbsternannten ‚gender-kritischen Feminist:innen‘ in Selbstwidersprüche. Denn Vertreter:innen wie Stock, die sich als Feministin versteht und offen lesbisch lebt, verwenden just jene biologistische Rhetorik, die in der Vergangenheit gegen sie gewendet wurde. Geschichtlich gesehen hat der rhetorische Einsatz von ‚Biologie‘ Frauen und Lesben beständig geschadet, die ‚Natur‘ musste herhalten, um Frauen als passiv, schwach und unterlegen abzutun, um Lesben als krank und gestört zu stigmatisieren. Nun wird sie erneut herangezogen, um eine der größten Errungenschaften des Feminismus in Frage zu stellen: körperliche und geschlechtliche Selbstbestimmung.
Menschen vorzuschreiben, in welchem Geschlecht sie zu leben haben, bedeutet, über ihren Körper zu verfügen, ihnen vorzuschreiben, wie sie sich darin zu fühlen haben, wie sie sich zu bewegen, wie sie sich zu kleiden haben. Deshalb ist die derzeitige Diskussion kein Randgruppen- oder Minderheitenproblem, sondern rührt an den Menschenrechten. Sie führt uns geradewegs zur Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Schließlich ist Selbstbestimmung eine Sache der Gleichheit und Gleichberechtigung, sie geht uns alle an, bis in unsere Körper hinein.