Anfang Juni hat der amerikanische Präsident Joe Biden die Universitätspräsidentin Amy Gutmann als neue Botschafterin für Berlin vorgestellt. Fraglos will die US-Regierung mit dieser Wahl ein Zeichen gegenüber dem transatlantischen Partner und in der Welt setzen, dass die Zeit von fake news und staatlicher Wissenschaftsleugnung überwunden sei. In scharfem Kontrast zu ihrem Vorgänger, dem Trump-Vertrauten Richard Grenell, verleiht die studierte Politikwissenschaftlerin Gutmann dem Amt akademisches Charisma. Ihre Nominierung signalisiert einen Neustart für die diplomatischen Beziehungen zwischen Washington und Berlin, greift aber zugleich auf historische Traditionen zurück, die sich schon früher bewährt haben: Die Universität war in der Vergangenheit immer wieder ein zentrales Feld, auf dem die sogenannte „Kulturdiplomatie“ (oder „public diplomacy“, wie es moderner heißt) zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland ausgesprochen intensiv betriebenen wurde. Gutmann als neue US-Botschafterin, wenn sie die Bestätigung vom Congress erhält, verspricht ein neues Kapitel in dieser besonderen Verflechtung von akademischer Welt und Diplomatie aufzuschlagen.
Inszenierungen auf dem Campus
Das Faszinierende, ja Paradoxe, am „academic charisma“, so stellte der Historiker William Clark 2006 in seinem gleichnamigen Buch fest, sei, wie Wissenschaft und Universität unaufhörlich zur Entzauberung der Welt beitrügen und gleichzeitig selbst stets eine Aura des Erhabenen behielten. Die so geweihten Räume – und Personen – können damit gerade außerhalb der akademischen Welt besondere Wirkung entfalten. Hinzu kommen hehre abstrakte Werte wie Rationalität, Wahrheit, Neutralität (bzw. Unabhängigkeit), Freiheit und Zukunftsorientierung. Auch wenn jedes dieser Konzepte unendlichen Interpretationsspielraum offen lässt, und die administrative Realität sowie die organisatorischen Herausforderungen des Systems Universität zu vielfältigen Idiosynkrasien in Anwendung und Umsetzung führen, werden Schlagworte wie diese doch gern angeführt, um das „academic charisma“ wirkmächtig zu beschwören. Gerade für internationale Politik und Diplomatie ist die universitäre Bühne besonders attraktiv; suggeriert das Ideal der Gelehrtenrepublik doch Internationalität und transnationale Kooperation.

John F. Kennedy bei seinem Besuch der Freien Universität; Quelle: fu-berlin.de
Es überrascht daher kaum, dass im Kalten Krieg, der zu einem beachtlichen Anteil als Ideologien-Konflikt auf dem Feld der Kulturdiplomatie ausgetragen wurde, die akademische Welt eine zentrale Rolle spielte. Bevor John F. Kennedy 1963 vor dem Berliner Rathaus die Massen begeisterte, hatte er auf dem Campus der Freien Universität Berlin das transatlantische Verhältnis beschworen und dabei die Universität als einen tragenden Pfeiler des westlichen Kanons der Freiheit gepriesen. Hier wurden Allianzen geschlossen, aber vor allem auch sichtbar und mit den Weihen des akademischen Charismas inszeniert.
Auch die erste öffentliche Präsentation des Marshallplans fand anlässlich einer akademischen Feier in Harvard statt. US-Außenminister George Marshall nahm 1947 die Auszeichnung mit einer Ehrendoktorwürde zum Anlass, um erstmals seine Überlegungen für den Wiederaufbau Europas vorzustellen. Sozialwissenschaften hatten Konjunktur und versprachen ein konkretes Instrumentarium zur effektiven Gesellschaftsgestaltung. Vor diesem Hintergrund verlieh der Kontext der Universität dem wirtschaftlichen Vorhaben Marshalls intellektuelle Glaubwürdigkeit, die besonders in der öffentlichen Wahrnehmung zählte.
Ehrendoktorwürden und Politik
Ehrendoktorwürden scheinen für das Ineinandergreifen von Universität und (internationaler) Politik besonders naheliegend. Eine Graduierung honoris causa, etwa von Personen des öffentlichen Lebens, gehört zu den etablierten Formen der Universität, um sich im gesellschaftlichen Diskurs zu positionieren. Vor allem an US-amerikanischen Universitäten gilt die Ehrendoktorwürde als Kommentar der Hochschulen zum politischen und sozio-kulturellen Geschehen, als „seal of approval“ wie es ein Handbuch der Harvard Universität schon Anfang der 1950er Jahre beschrieb. Vor diesem Hintergrund sind Inszenierungen auf dem Campus aus Sicht der Kulturdiplomatie, bei der es darum geht, geopolitische Beziehungen kulturell zu unterfüttern und gesellschaftlich zu legitimieren, besonders attraktiv. Schnell wird jedoch deutlich, dass es sich nicht ausschließlich um eine Instrumentalisierung von akademischem Charisma für die Politik handelt, sondern, dass die Hochschulen auch eigene Interessen verfolgen. Von der Princeton Universität ist gar ein Anschreiben von 1961 ans State Department überliefert, in dem die Hochschule anfragte, welche Staatsbesuche in den nächsten Monaten geplant seien, da man gern von Zeit zu Zeit einen internationalen Gast auszeichne.
Universitäten gelang und gelingt es, etwa durch die Ehrung von internationalen Politikern und Politikerinnen, bewusst die grenzübergreifende Sichtbarkeit der Diplomatie für sich zu nutzen. Fast alle deutschen Nachkriegskanzler, ausgenommen Gerhard Schröder, wurden von mindestens einer US-amerikanischen Universität ausgezeichnet – zuletzt erhielt Angela Merkel an der Johns-Hopkins-Universität ihren dritten amerikanischen Ehrendoktor. Konrad Adenauers erste Auszeichnung in den USA, 1953 an der Georgetown Universität, war ein wichtiges Element bei der Inszenierung der Wiederannäherung für die beiden Nationen. Gleichzeitig war der Universität in Washington DC aber auch daran gelegen, sich als Ausbildungsstätte international agierender Eliten zu profilieren, da sich die Diplomatenausbildung in den USA gerade in einer Phase der Professionalisierung befand.

James B. Conant bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde u.a. an Robert Oppenheimer und George Marshall; Quelle: wikipedia.de
Für den ersten Kanzler der Bundesrepublik hatten seine insgesamt neun US-amerikanischen Ehrendoktorwürden eine zusätzliche Funktion. Besonders solange die BRD noch nicht volle diplomatische Souveränität hatte und ein offizieller Staatsbesuch schwierig gewesen wäre, boten die Einladungen zu den akademischen Feiern wiederholt einen Vorwand, um quasioffiziell im richtigen Moment über den Atlantik zu reisen und bei der Gelegenheit mit amerikanischen Partnern zu konferieren. Bei diesen gezielten akademischen Einladungen für Adenauer, zum Zweck einer effektiven transatlantischen Quasidiplomatie, fällt der Blick auf Harvard Präsident James B. Conant. Wie viele US-Hochschulen, hatte die Harvard Universität ab 1933 unter Conant und besonders während des Zweiten Weltkriegs aktiv wie nie zuvor die Nähe der US-Regierung gesucht. Im wissenschaftlichen Kontext ist hier vor allem die Arbeit an der Atombombe im sogenannten Manhattan Projekt bekannt. Nicht ganz zufällig wurde 1947 in derselben Zeremonie wie George C. Marshall auch Robert Oppenheimer mit einem Ehrendoktor geehrt. Aber die Verflechtungen gingen weit darüber hinaus. In den 1950er Jahren, als Adenauer in die USA reiste, hatte Präsident Conant allerdings bereits vom Campus aufs diplomatische Parkett gewechselt. Als US-High-Commissioner in Deutschland ab 1952 und dann ab 1955 als erster US-Botschafter in der jungen Bundesrepublik half er die Einladungen zu koordinieren, indem er effektiv seine akademischen und seine diplomatischen Netzwerke verknüpfte.
Transatlantische Universitätsdiplomatie

James B. Conant bei einer Pressekonferenz, 1953 in Berlin; Quelle: wikipedia.org
Conant war nicht der erste amerikanische Universitätspräsident, der in den amerikanisch-deutschen Beziehungen eine aktive Rolle spielte. Bevor Jacob Gould Schurman 1925 – auch in einer Zeit der Wiederannäherung nach dem Ersten Weltkrieg – als Botschafter nach Deutschland kam, war er Präsident der Cornell-Universität gewesen. Er trat damit in die Fußstapfen Andrew Dixon Whites, dem Gründungspräsidenten Cornells (1865), der von 1879 bis 1881 die USA in Berlin vertreten hatte. Auch zwischen 1908 und 1911 wurde mit David Jayne Hill von der Western Reserve University ein Universitätspräsident in diplomatischer Mission nach Deutschland gesandt.
Die Wahl von Universitätspräsidenten sowie prominenten Professoren als Botschafter (damals noch ausschließlich männlich), ist umso bemerkenswerter, als in den USA eine universitäre Ausbildung für den diplomatischen Dienst keineswegs zwingend war – besonders nicht für jene Vertreter, die nicht als Berufsdiplomaten sondern auf persönliches Geheiß des Präsidenten ihr Amt antraten, was gerade für die Posten in den Hauptstädten Europas galt. Da es in den USA keinen klassischen Adelsstand gab, der in den meisten europäischen Nationen traditionell den diplomatischen Dienst dominierte, war man gezwungen, auf Geld- und Geistesaristokratie zurückzugreifen. Es fällt auf, dass vor allem für Berlin besonders oft Akademiker rekrutiert wurden. Ins republikanische Frankreich, dem man sich politisch verwandt fühlte, und das zugleich für Lebensart und schöne Künste stand, gingen eher Finanziers oder Politiker, die bereits national Karriere gemacht hatten. Nach England hingegen, einem der wichtigsten Handelspartner der USA und Zentrum eines Weltreiches, sandte man gern Vertreter der Wirtschaftsprominenz.
Im Austausch mit der „Wissenschaftsnation“
Wie kam es dazu, dass Wissenschaft und Universität zu einem zentralen Begegnungsraum im deutsch-amerikanischen Verhältnis wurden? Die deutschen Universitäten hatten gerade den US-Amerikanern im 19. Jahrhundert als fortschrittliche Vorbilder gegolten. Während der Gründungs- und Umgestaltungsphase des US-amerikanischen Hochschulsystems nach dem Bürgerkrieg ab Mitte der 1860er Jahre hatte ein Verweis auf Deutschland somit einen besonderen Effekt gehabt. Auch wenn der bis heute gern beschworene deutsche Einfluss auf die amerikanische Forschungsuniversität, etwa, was die Einführung des Doktortitels betraf, meist mehr rhetorisch als real war, verfestigte sich dieser Topos im transatlantischen Diskurs. Bemüht, sich der ‚alten Welt‘ gegenüber als gleichwertiges Mitglied der sogenannten ‚Kulturnationen‘ zu beweisen, setzten die USA ab der Jahrhundertwende, vor allem in ihrer Beziehung zu Deutschland, auf die akademische Welt. Dies traf sich gut, denn von deutscher Seite aus hatte man die Universität ebenfalls als vielversprechenden Ansatzpunkt diplomatischer Bemühungen um die USA ausgemacht. In der Hoffnung, Spannungen wie in der Venezuela-Krise 1902/3 oder einem sich anbahnenden transatlantischen Zollkrieg entgegen zu wirken, begann man im Preußischen Kultusministerium, das vor allem unter Ministerialdirektor Friedrich Althoff (1839-1908) in ganz Deutschland Einfluss ausübte, Praktiken der „auswärtigen Kulturpolitik“, wie es damals noch hieß, zu entwickeln.

Eugen Kühnemann; Quelle: wikipedia.org
Dazu gehörten neben der Verleihung von Ehrendoktorwürden vor allem durch die Berliner Universität, auch erste Austauschabkommen und Vortragstouren. Programme für Studierende gab es erst ab den 1920er Jahren. Zunächst beschränkte man sich auf Professoren, von denen man sich am meisten Prestige versprach. Allerdings war es zunächst gar nicht so einfach, Kandidaten für diese Unternehmungen zu finden, da die meisten deutschen Akademiker keinen wissenschaftlichen Nutzen im Austauschs mit US-Institutionen sahen, denen sie sich weit überlegen wähnten. Oft gingen daher Vertreter, denen auch der politischen Nutzen dezidiert am Herzen lag, wie etwa der Germanist Eugen Kühnemann oder der Historiker Eduard Meyer. Beide versuchten kurz darauf, während des Ersten Weltkriegs, ihre Kontakte in Amerika propagandistisch zu nutzen. Neben der deutschen Regierung warb vor allem Frankreich in ähnlicher Weise um die Gunst der aufstrebenden Großmacht jenseits des Atlantiks. Doch obgleich die akademische Kulturdiplomatie in Frankreich sogar früher professionalisiert und dem Außenministerium angegliedert wurde, blieb Deutschland bis zum Ersten Weltkrieg als bewunderte Wissenschaftsnation dominant auf diesem Feld der transatlantischen Beziehungen.
Das europäische Interesse an einer Intensivierung der transatlantischen Beziehungen machten sich um die Jahrhundertwende auch die aufstrebenden amerikanischen Universitäten zu Nutze. Tatsächlich waren es in der Regel die großen privaten Hochschulen, die als Partner für die kulturdiplomatischen Annäherungsversuche aus Deutschland und Frankreich bereitstanden. Im US-amerikanischen Außenministerium gab es noch niemanden, der hier verantwortlich hätte zeichnen können. Angesichts der steigenden Konkurrenz im universitären Wettbewerb um Spenden, Studierende und öffentliches Ansehen versprach eine Rolle auf dem internationalen Parkett auch innerhalb Amerikas Sichtbarkeit und wertvolles Prestige. Es lag daher nahe, sich im Sinne einer Internationalisierungsstrategie mit dem diplomatischen Milieu zu vernetzen.
Hier war der Universitätspräsident gefragt (Präsidentinnen gab es zu jener Zeit noch so gut wie keine). Er war praktisch der „Minister des Äußeren“ für seine Hochschule, wie es ein deutscher Austauschprofessor 1909 einmal formulierte. Das Amt an der Spitze einer Research University verlangte mehr als akademisches Charisma. Schon damals zogen Kritiker Parallelen zu den Vorsitzenden großer Wirtschaftsunternehmen. Der Soziologe Thorstein Veblen beispielsweise titulierte Universitätspräsidenten ironisch als „Captains of Erudition“ in Anspielung auf prominente „Captains of Industry“ wie John D. Rockefeller, Andrew Carnegie oder J.P. Morgan. Gleichzeitig galt es, zivilgesellschaftlich und politisch präsent zu sein und das eigene Ansehen gezielt für die Institution einzusetzen, sowohl national als auch international, etwa durch Engagement in Stiftungen und internationalen Organisationen. Für den nicht immer einfachen Balanceakt zwischen Campus und Diplomatie mussten Universitätspräsidenten daher geradezu als prädestiniert erscheinen. Sie vereinten gesellschaftspolitisches Geschick und wirtschaftliches Verständnis mit akademischer Ausstrahlung.
Universitätspräsidentin in diplomatischer Mission
Viele der beschriebenen Eigenschaften treffen auch auf Amy Gutmann zu. Sie gehört zu den bestbezahlten Unipräsident*innen des Landes und die University of Pennsylvania, der sie seit 2004 vorsteht, ist im Finanzjahr 2020 die siebtreichste Universität der USA und zugleich der größte Arbeitgeber in der Region. Gutmann engagiert sich zudem in mehreren Think Tanks und NGOs. Eine dezidiert globale Strategie war von Anfang an erklärtes Ziel ihrer Präsidentschaft. Der Botschaftsposten ist auch nicht Gutmanns erster Vorstoß ins politische Milieu. Als Mitglied des National Security Higher Education Advisory Board beriet sie das FBI und hatte von 2009 bis 2016 den Vorsitz der Presidential Commission for the Study of Bioethical Issues inne. 2013 verlieh ihre Universität Biden die Ehrendoktorwürde. Nicht zuletzt hat die Wahl Gutmanns, der Tochter eines Holocaustüberlebenden, für den Posten in Berlin noch eine ganz andere historische Dimension.

Amy Gutmann und Joe Biden; Quelle: upenn.edu
Es dürften also wohl kaum ausschließlich die akademischen Weihen seien, die hier ins Gewicht fallen und doch sind sie es, die bei dieser Nominierung am prominentesten herausgestellt und auch auf deutscher Seite entsprechend wahrgenommen werden. „America is Back“ verkündete Biden wiederholt gegenüber den internationalen Partnern, zurück ist auch eine Diplomatie, die sich wissenschaftlich abwägend und intellektuell fundiert gibt. Sie knüpft an historische Traditionen in den deutsch-amerikanischen Beziehungen an, die internationale Beziehungen und akademische Welt immer wieder unter unterschiedlichen Vorzeichen zusammen brachten; sei es die nationale und institutionelle Prestigepolitik der Jahrhundertwende oder die ideologische Blockbildung des Kalten Kriegs. Und im 21. Jahrhundert? Imagepolitik oder nicht, angesichts der populistischen Wissenschaftsskepsis, die augenblicklich international um sich greift, kann ein wenig akademisches Charisma in den transatlantischen Beziehungen sicher nicht schaden.