Wie geht es weiter mit der iranischen Opposition? Viele haben nur vage Vorstellungen eine künftigen Demokratie, nicht wenig aber verklären die Vergangenheit unter der Herrschaft des Shahs. Doch ist das auch eine Vision für die Zukunft des Landes?

  • Laleh Rashidi

    Laleh Rashidi hat einen Master-Abschluss in Rechtswissenschaften von der Universität Mofid, Iran, und arbeitete als Journalistin. Zurzeit promoviert sie in Politikwissenschaft an der Universität Potsdam und forscht zum Thema "The Islamic Revolutionary Guard Corps (IRGC) and the emergence of tripartite power in the Islamic Republic of Iran."

Im September 2022 wurde Mahsa-Zhina Amini aus der irani­schen Provinz Kurdi­stan in Teheran von der Sitten­po­lizei verhaftet und getötet, weil sie angeb­lich ihren Hidschab nicht korrekt trug. Dieser Vorfall löste eine Welle der Empö­rung aus, die den gesamten Iran erfasste. Es folgten Monate des Aufruhrs, in denen Hunderte von Menschen ums Leben kamen und Tausende inhaf­tiert wurden. Die Inten­sität der Proteste erreichte ein solches Ausmaß, dass viele Menschen darüber speku­lierten, ob die Isla­mi­sche Repu­blik nicht defi­nitiv vor dem Aus stünde, würden die Demons­tra­tionen effektiv orga­ni­siert und von promi­nenten Persön­lich­keiten ange­führt. Das war auch der Moment, in dem bestimmte Rand­gruppen der Oppo­si­tion im Exil plötz­lich Aufwind erhielten.

Die irani­sche Oppo­si­tion in der Diaspora

Da es durch die stän­digen und schweren Repres­sionen in den vergan­genen vier Jahr­zehnten der Isla­mi­schen Repu­blik an Parteien und Orga­ni­sa­tionen sowie an freien und unab­hän­gigen Publi­ka­tionen und Medien im Iran fehlte, begannen Orga­ni­sa­tionen, Parteien und Gruppen im Exil zu arbeiten, die einige ihrer Mitglieder vor den Massen­exe­ku­tionen im ersten Jahr­zehnt der Isla­mi­schen Repu­blik retten konnten. Zu diesen gehört etwa die Farsh­gerd, die sich selbst als eine Orga­ni­sa­tion betrachtet, die die „parla­men­ta­ri­sche konsti­tu­tio­nelle Monar­chie als die würdigste Regie­rungs­form für die Zukunft des Irans vertei­digt“. Deren Mitglieder grün­deten später die Iran-Novin-Partei, die sich selbst als Fort­set­zung der Iran-Novin-Partei aus der Ära des Schahs Pahlavi sieht, welche damals Regie­rungs­partei war. Eine zentrale Rolle in all diesen Gruppen spielen die Monarchist:innen, deren promi­nen­teste poli­ti­sche Aushän­ge­figur kein anderer als Reza Pahlavi ist, der Sohn des ehema­ligen Schahs von Iran.

Irani­sche Exil­me­dien wie BBC Persian, Iran Inter­na­tional, Manoto und VOA widmeten schon seit einiger Zeit einen Teil ihrer Sendungen der Bericht­erstat­tung über Reza Pahlavi und nennen ihn auch regel­mäßig „Prinz“. Gleich­zeitig versuchten viele Twitter- und Instagram-Accounts, von ihm das Bild eines „Leaders“ zu zeichnen; auf change.org läuft zur Zeit gar eine Peti­tion mit dem Titel „Prince Reza Pahlavi is my repre­sen­ta­tive“, mit der Pahlavi um Zustim­mung zu seinem Führungs­an­spruch inner­halb der Oppo­si­tion wirbt. In zahl­rei­chen Inter­views mit persi­schen und nicht-persischen Medien betonte Pahlavi, dass sein Haupt­ziel die Verbes­se­rung der Zustände im Iran sei. Er stellte klar, dass es ihm nicht darum gehe, die Monar­chie wieder einzu­führen oder die künf­tige Staats­form zu diktieren. Viel­mehr sei er der Ansicht, dass die Entschei­dung zwischen Monar­chie oder Repu­blik und dem jewei­ligen Regie­rungs­mo­dell bis nach dem Sturz der Isla­mi­schen Repu­blik aufge­schoben werden sollte; diese Entschei­dungen sollten später, so Pahlavi, durch freie und faire Wahlen getroffen werden.

Das Verhalten und die Schriften seiner Anhänger:innen, seiner engsten Vertrauten und seiner Ehefrau deuten jedoch stark darauf hin, dass der Prinz dennoch Ambi­tionen hat, den Thron zurück­zu­er­obern. Pahl­avis Ehefrau pole­mi­siert etwa mit Slogans wie „Tod den drei korrupten Mullahs der Linken (Marxisten und Kommu­nisten) und den Mudscha­heddin“ gegen alle gegne­ri­schen Kräfte der Isla­mi­schen Repu­blik, die keine Monar­chisten sind. 2022 wurde ein Teil der Demons­tra­tionen im Ausland schnell zur Wahl­kampf­zen­trale von Reza Pahlavi. Neben dem eindring­li­chen Ruf „Frau-Leben-Freiheit“ tauchte ein neuer Slogan auf: „Mann-Mutterland-Wohlstand“. Der Spruch wurde ursprüng­lich von einem Fußball­spieler geprägt, der ein Verehrer von Pahlavi ist, und wird nun nicht nur von Pahlavi-Fans verwendet, sondern Pahlavi selbst inte­grierte ihn in sein Twitter-Profil. Frühere Slogans, die die Diktatur verur­teilten, wichen Parolen zur Unter­stüt­zung von Reza Pahlavi: „König Reza Pahlavi“ – ein Slogan, den ich selbst auf Demons­tra­tionen oft gehört habe.

Die Umdeu­tung der Geschichte

Die Revo­lu­tion von 1979, die die dikta­to­ri­sche Monar­chie stürzte, führte letzt­lich zur Bildung einer Regie­rung, die von einem tief­grei­fenden inneren Wider­spruch geprägt war. Während die Bezeich­nung „Repu­blik“ demo­kra­ti­sche Prin­zi­pien sugge­riert, weist die isla­mi­sche Grund­lage auf eine Domi­nanz des Reli­giösen in allen Berei­chen der Regie­rung hin. In den vierzig Jahren Isla­mi­sche Repu­blik ist der repu­bli­ka­ni­sche Aspekt zugunsten der reli­giösen Frak­tion verschwunden und die Reli­gion hat eine zentrale Rolle in der Regie­rung über­nommen, die von einem nicht direkt vom Volk gewählten höchsten Führer geführt wird. Darüber hinaus hat die isla­mi­sche Ausrich­tung der Regie­rung den Menschen reli­giöse Werte für ihr tägli­ches Leben und ihren Lebens­stil aufgzwungen. Außerdem sind die inter­na­tio­nalen Bezie­hungen der Isla­mi­schen Repu­blik aufgrund der anhal­tenden und eska­lie­renden Span­nungen mit den west­li­chen Ländern seit ihrer Grün­dung so belastet wie nie zuvor. Diese Span­nungen wirken sich direkt auf das tägliche Leben der Bevöl­ke­rung aus. Unzäh­lige Sank­tionen, wirt­schaft­liche Insta­bi­lität und die Abwer­tung der irani­schen Währung sind fester Bestand­teil dieser Realität geworden.

Vor diesem Hinter­grund beginnen Menschen, gerade auch junge Menschen, die ihre Gegen­wart als verloren ansehen und für die Zukunft nichts Konkretes mehr erwarten, auf die Vergan­gen­heit zu verweisen. So beginnen poli­ti­sche Bewe­gungen, die einst im Iran eine wich­tige Rolle spielten, wie die Tudeh-Partei, die Volks­fe­da­jieen oder die Volks­mud­scha­hedin und andere, ihre Vergan­gen­heit kritisch zu durch­leuchten. Auf der anderen Seite neigen auch ganz gewöhn­liche Menschen, keine erfah­renen poli­ti­schen Akti­visten, die heute im mitt­leren Alter oder älter sind, zur poli­ti­schen Nost­algie. Und die monar­chis­ti­sche Propa­ganda nutzt die Gele­gen­heit, Aspekte der Vergan­gen­heit selektiv zu beschö­nigen und histo­ri­sche Ereig­nisse im Lichte der aktu­ellen Unzu­frie­den­heit der Menschen zu inter­pre­tieren. Sie heben z. B. die freie Wahl der Klei­dung, den west­li­chen Lebens­stil der früheren Herr­scher und die freund­schaft­li­chen Bezie­hungen zu west­li­chen Ländern hervor. Und anstatt sich mit den histo­ri­schen Ursa­chen der Revo­lu­tion von 1979 zu befassen, unter­zieht diese Propa­ganda die dama­ligen Ereig­nisse einer neuen Lesart: Sie sucht nicht nach den Wurzeln der Revo­lu­tion, sondern kriti­siert deren Akteur:innen und sie macht sie voll­ständig für die Folgen verant­wort­lich. Die Haupt­ur­sache der Revo­lu­tion, das dikta­to­ri­sche Regime des ehema­ligen Schahs, bleibt so im Schatten, während heute die Isla­mi­sche Repu­blik umge­kehrt – und zu Recht – als Auslöser der jüngsten Unruhen genannt wird. In diesem Sinne werden auch alle Personen und Gruppen, die 1979 gegen das Schah-Regime gekämpft haben und dafür gefol­tert und hinge­richtet wurden, von den heutigen Monarchist:innen – und mit wach­sender Unter­stüt­zung in anderen Oppo­si­ti­ons­kreisen – kollektiv als „1979er“ denun­ziert: das Schimpf­wort für alle Linken im Iran.

Eine andere Form der Kritik an der Revo­lu­tion kommt von dem in der irani­schen Gesell­schaft domi­nie­renden neoli­be­ralen Diskurs, der sich über viele Jahre entwi­ckelt hat, insbe­son­dere in den letzten zwei Jahr­zehnten. Er zielt darauf ab, die Revo­lu­tion grund­le­gend in Frage zu stellen, indem sie in einen Gegen­satz zu damals mögli­chen Reformen gestellt wird, was die Anhänger:innen der revo­lu­tio­nären Sache sträf­lich verkannt hätten. Diese Sicht­weise hat sich im Iran so sehr verfes­tigt, dass sie sogar den von der CIA unter­stützten Staats­streich gegen Mohammad Mossa­degh, der sich für die Verstaat­li­chung der irani­schen Ölpro­duk­tion einge­setzt hatte, am 19. August 1953 in Frage stellt – und dies, obwohl die CIA ihre Rolle bei der Planung und Durch­füh­rung dieser Opera­tion durch die Frei­gabe von Doku­menten offi­ziell aner­kannt hat! Doch trotz dieser Enthül­lung gibt es immer noch Stimmen der neoli­be­ralen Oppo­si­tion, die behaupten, dass Mossa­degh mit dem Versuch der Verstaat­li­chung den eigent­li­chen „Putsch“ insze­niert habe.

SAVAK-Agent als „Exil­op­po­si­tion“

Alle Arten von Klassen-, ethni­schen und geschlechts­spe­zi­fi­schen Spal­tungen, die die Isla­mi­sche Repu­blik in der irani­schen Gesell­schaft geschaffen hat, wie auch die neoli­be­ralen Diskurse in der Medi­en­land­schaft des Iran in den letzten zwanzig Jahren haben insge­samt der Propa­ganda der Monarchist:innen den Weg bereitet. Heute kriti­sieren die Monarchist:innen nicht nur laut­stark den revo­lu­tio­nären Wider­stand gegen den Schah in den späten 1970er Jahren, sondern gehen sogar so weit, die dama­lige gefürch­tete „Geheimdienst- und Sicher­heits­or­ga­ni­sa­tion des Landes“ (SAVAK) des Schahs zu vertei­digen. Im Jahr 2022 führte das dazu, dass eine der meist­ge­hassten Figuren des SAVAK, Parviz Sabeti, Leiter der Haupt­ab­tei­lung III (Inlands­auf­klä­rung), der von 1974 bis 1979 für den SAVAK in Teheran zuständig war, auf einer Demons­tra­tion in Florida auftauchte und buch­stäb­lich wieder sein Gesicht zeigen konnte. Viele Jahre lang gab es nur wenige neue Bilder von Sabeti, obwohl er einigen Medien Audio-Interviews gegeben hatte. Nun aber wurde zum ersten Mal ein Foto von ihm veröf­fent­licht. Er wurde mit dem Argu­ment vertei­digt, er hätte als ehren­werter Mann den SAVAK Übel­tä­tern gegen­über­ge­standen. Jemand schrieb auf Twitter: „Laut Machia­velli muss man das Vater­land vertei­digen, entweder mit Ruhm oder mit Schande. Was Parviz Sabeti beim Geheim­dienst tat, war der Schutz des Vater­landes vor Terroristen.“

Sabetis Anwe­sen­heit auf der Kund­ge­bung führte dazu, dass die Diskus­sion über Gewalt, Folter und die Verhaf­tung von Aktivist:innen wieder in die Öffent­lich­keit kam. Einige, die mit den aktu­ellen Zuständen in der Isla­mi­schen Repu­blik unzu­frieden sind, loben jegliche Gewalt, wenn sie sich gegen die richtet, die damals gegen den Schah kämpften. Sie werfen der SAVAK sogar vor, nicht gewalt­tätig genug vorge­gangen zu sein, um die Oppo­si­tion auszu­schalten, deren Wider­stand und Kampf den Sturz des Schah-Regimes und die Entste­hung des jetzigen Regimes verur­sacht haben.

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Sabeti selbst behauptet, er habe 1979 dem Schah eine Liste mit 1.500 Schriftsteller:innen und poli­ti­schen und reli­giösen Aktivist:innen über­geben und deren Verhaf­tung gefor­dert, doch Mohammad Reza Schah Pahlavi liess nur 300 von ihnen verhaften. Parviz Sabeti glaubt, dass es ein Fehler war, dass der Schah in den letzten Jahren seiner Herr­schaft gegen­über der Oppo­si­tion und den Menschen­rechten nach­giebig geworden sei. Der Hass auf die Isla­mi­sche Repu­blik führt heute schließ­lich dazu, dass tatsäch­lich nicht wenige denken, man hätte heute einen anderen Iran, wenn die 1.500 Personen auf der Liste liqui­diert worden wären.

Keine Zukunfts­vi­sion

Das Haupt­pro­blem, mit dem der Iran derzeit konfron­tiert ist, zeigt sich darin, dass die Infights und wech­selnden Schuld­zu­wei­sungen inner­halb der Oppo­si­tion die irani­sche Gesell­schaft der Möglich­keit beraubt haben, sich effektiv gegen die Regie­rung zu wehren und sich zu orga­ni­sieren. Poli­ti­sche Kandidat:innen werden nicht nach ihren Zukunfts­vi­sionen befragt; es reicht, wenn sie die Gegen­wart ablehnen. In diesem Diskurs wird die „Befreiung von“ der Isla­mi­schen Repu­blik als ausrei­chend ange­sehen, ohne eine wirk­liche Antwort auf das „Befreiung für“ parat zu haben. Die Antwort auf diese Frage bleibt mit einem vagen und allge­meinen Konzept von Demo­kratie verknüpft. Was fehlt, ist zum Beispiel das Bedürfnis zu klären, wie Pahlavi die massiven Ungleich­heiten und Diskri­mi­nie­rungen im Iran bekämpfen will.

Auch wenn die aktu­elle Bewe­gung „Frau-Leben-Freiheit“ zukunfts­ori­en­tiert ist, so domi­nieren in der Oppo­si­tion die rück­wärts­ge­wandten Kräfte, die sich auf die Vergan­gen­heit berufen – eine restau­ra­tive Nost­algie, die jetzt als mögliche Lösung für die aktu­elle Situa­tion wieder auflebt. Das vorherr­schende Gefühl der Verzweif­lung, das im Grunde sowohl von weiten Teilen der Gesell­schaft als auch von der Regie­rung geteilt wird, hat dazu geführt, dass diese Sehn­sucht nach der Vergan­gen­heit als einzig mögliche Lösung für die aktu­elle Situa­tion so attraktiv erscheint. In Teilen der Mittel­schicht gibt es gegen­wärtig sogar eine auffal­lende Begeis­te­rung für die ersten Jahre der Reformen, die unter der Präsi­dent­schaft Khat­amis (1997-2005) begannen – eine Zeit, die tatsäch­lich von einer gewissen poli­ti­schen Offen­heit geprägt war.

Aber auch das Regime erin­nert sich an die Vergan­gen­heit. Chamenei, der oberste Rechts­ge­lehrte der Isla­mi­schen Repu­blik, erin­nerte wenige Tage vor dem großen Aufstand zu Beginn des Sommers an die Geschichte des ersten Jahr­zehnts der Isla­mi­schen Repu­blik und beschwor in seiner Rede den „Gott der 80er Jahre“. Es war ein Jahr­zehnt, in dem die Isla­mi­sche Repu­blik mühelos Tausende von Gegnern hinrich­tete und Tausende von Menschen ins Gefängnis steckte – etwas, was sie heute nicht mehr zu tun wagt, weil sie einen Sturm ernten würde.