Die „Fridays for Future“-Bewegung verfolgt mit dem Klimaschutz ein äußerst wichtiges Anliegen. Problematisch ist allerdings, dass die Schüler mit dem „Schulstreik“ regelmäßig die Schulpflicht verletzen. Damit spielen sie ungewollt neurechten Protestformen in die Hände, die ebenfalls Regelbrüche als legitimes politisches Mittel propagieren.

  • Liane Bednarz

    Liane Bednarz ist Publizistin und promovierte Juristin mit dem Schwerpunkt Neue Rechte, Populismus und religiöse Bewegungen. Sie unterhält eine monatliche Kolumne bei Tagesspiegel Causa und veröffentlichte 2018 das Buch „Die Angstprediger – Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern“.

Die „Fridays for Future“-Demonstrationen sind längst zu einem welt­weiten Phänomen geworden. Jeden Freitag bleiben Schüler dafür in verschie­denen, wech­selnden Städten jeweils frei­tags für ein paar Stunden der Schule fern und fordern von ihren jewei­ligen Regie­rungen die Einhal­tung von Klimaschutzabkommen.

Greta Thun­berg trifft Papst Fran­ziskus auf dem Peters­platz; Quelle: bazonline.ch

Die 16jährige Schwedin Greta Thun­berg, die den Protest unter dem ursprüng­li­chen Namen „Skol­strejk för klimatet“ („Schul­streik für das Klima“) initi­iert hat, wird mitt­ler­weile auf höchsten Ebenen empfangen. Karfreitag kam es sogar zu einem medi­en­wirk­samen Hand­schlag zwischen ihr und Papst Fran­ziskus auf dem Petersplatz.

Offen ist indes, wie proble­ma­tisch die Regel­ver­let­zung in Form des Fern­blei­bens vom Unter­richt ist. Insbe­son­dere ist zu über­legen, ob diese mögli­cher­weise neurechten Protest­formen unge­wollt in die Hände spielen kann. Dabei geht es nament­lich um die Frage, ob und inwie­weit die „Fridays for Future“-Demonstrationen und neurechte „Widerstands“-Handlungen inso­weit eine Logik teilen, als die jewei­ligen Prot­ago­nisten den Regel­bruch für notwendig halten, um ihre Anliegen durch­zu­setzen, womit sie, wenn auch in unter­schied­li­cher Qualität, am Rechts­staat rütteln.

In linken und links­li­be­ralen Milieus werden solche Erwä­gungen vor allem in den sozialen Medien oft vorschnell und empört zurück­ge­wiesen. Die zuge­hö­rige Gegen­ar­gu­men­ta­tion läuft fast immer darauf hinaus, mit dem Klima­schutz den fraglos guten Zweck der  Schü­ler­streiks hervor­zu­heben und aus diesem abzu­leiten, dass die Schul­pflicht­ver­let­zung die Ausübung eines notwen­digen „zivilen Unge­hor­sams“ sei.

Wie nach­fol­gend aufzu­zeigen ist, über­zeugt dieser Einwand jedoch nicht, vor allem dann nicht, wenn man ihn in einen größeren Kontext setzt und dabei neben aktu­ellen neurechten auch regel­bre­chende linke Protest­formen aus den letzten Jahr­zehnten wie die Anti-Atomkraft-Bewegung in den Blick nimmt. Vorweg sei betont, dass es hier nicht darum geht, das wich­tige mate­ri­elle Anliegen des Klima­schutzes und den Einsatz der Schüler hierfür in irgend­einer Weise zu diskre­di­tieren, sondern nur um die Prüfung der recht­li­chen Logik der in der Öffent­lich­keit zugunsten der Schul­pflicht­ver­let­zung vorge­brachten Argumente.

Die neurechte Theorie des Regelbruchs

Fraglos ist der Klima­schutz ein äußerst wich­tiges Anliegen. Inso­fern ist der grund­sätz­liche Einsatz der Schüler für selbigen sehr positiv zu bewerten. Anders sieht es im Hinblick auf die regel­mä­ßige Schul­pflicht­ver­let­zung aus. Zwar wird nicht in jeder Stadt an jedem einzelnen Freitag gestreikt, sondern zumeist höchs­tens einmal pro Monat, aber auch darin liegt ein mehr als nur gele­gent­li­ches Fern­blieben vom Unterricht.

Bewusste Regel­brüche zur Durch­set­zung eigener Anliegen sind in einer rechts­staat­li­chen Demo­kratie immer heikel. Das zeigt sich vor allem dann, wenn man die Perspek­tive wech­selt und sich bestimmte Protest­formen von rechts aus den letzten Jahren anschaut. Und dabei über­legt, ob die Schul­pflicht­ver­let­zung der „Friday for Future“-Bewegung es erschweren könnte, Regel­brü­chen von rechts entgegenzutreten.

Seit dem Jahr 2016 propa­giert die Neue Rechte als Reak­tion auf die Flücht­lings­krise, dass man „die kleine Ordnung stören“ müsse, „um die große Ordnung zu erhalten“. Gemeint damit sind etwa Blockaden von Flücht­lings­heimen oder von Grenz­über­gängen. Den theo­re­ti­schen Überbau für solche Forde­rungen lieferte im selben Jahr der neurechte Jurist Thor v. Wald­stein in einem Gutachten mit dem Titel „‚Wir Deut­schen sind das Volk‘ – Zum poli­ti­schen Wider­stands­recht der Deut­schen nach Art. 20 IV Grund­ge­setz in der ‚Flücht­lings­krise‘“, das im vom neurechten Verleger Götz Kubit­schek mitge­grün­deten „Institut für Staats­po­litik“ veröf­fent­licht wurde. Art 20 Absatz 4 des Deut­schen Grund­ge­setzes sieht vor, dass jeder Deut­sche gegen jeden, der es unter­nimmt, die verfas­sungs­mä­ßige Ordnung zu besei­tigen, das Recht zum Wider­stand hat, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

In dem erwähnten Gutachten behauptet Thor von Wald­stein, dass die Voraus­set­zungen von Art. 20 Abs. 4 einge­treten seien, weil die Flücht­lings­po­litik einen „Putsch von oben“ bzw. einen „Staats­streich der Regie­rung“ darstelle. Insbe­son­dere würden „nach der von der Kanz­lerin und ihrer Regie­rung zu verant­wor­tenden Auflö­sung der Staats­grenze Deutsch­lands nunmehr auch die Deut­schen selbst in ihrer bishe­rigen Lebens­form ‚gren­zenlos‘, also nach und nach in die Minder­hei­ten­rolle gedrängt und am Ende als Volk ausge­löscht werden“. Mit dieser hane­bü­chenen Begrün­dung tat von Wald­stein also so, als stünde die hiesige verfas­sungs­mä­ßige Ordnung kurz vor dem Kollaps und folgerte daraus, dass nun Regel­brüche wie die oben geschil­derten gerecht­fer­tigt seien.

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Regel­bruch für den Klimaschutz?

Friday for Future-Demo in Berlin, 25.1.2019; Quelle: wikipedia.org

Die für den Klima­schutz strei­kenden und die Schul­pflicht brechenden Schüler gehen selbst­ver­ständ­lich nicht so weit, sich auf ein Wider­stands­recht zu berufen. Sie, oder mehr noch ihre Vertei­diger führen wie eingangs erwähnt statt­dessen oft einen diffusen „zivilen Unge­horsam“ als Legi­ti­ma­ti­ons­grund­lage an. Manche rücken Greta Thun­berg gar in die Nähe eines Mahatma Gandhi oder Martin Luther King. Die weitere Argu­men­ta­tion voll­zieht sich sodann auf mehreren Ebenen.

Beliebt ist vor allem, darauf hinzu­weisen, dass die Schüler anders als neurechte „Wider­ständler“ nicht behaupten, dass die verfas­sungs­mä­ßige Ordnung gefährdet sei, sondern nur die Einhal­tung verbind­li­cher Klima­schutz­ab­kommen einfor­dern. Das ist zwar richtig, ändert in der Sache aber nicht allzu viel, weil auch diese Argu­men­ta­tion zumin­dest auf ein Staats­ver­sagen in einem Teil­be­reich hinaus­läuft. Auf diesen Aspekt hat Rein­hard Müller Ende März in der Frank­furter Allge­meinen Zeitung aufmerksam gemacht, als er unter dem Stich­wort „Rechts­bruch als Protest­form“ schrieb, dass hinter der Schul­pflicht­ver­let­zung letzt­lich „die Haltung steht, diese staat­liche Ordnung, das System sei nicht in der Lage, die geeig­neten umwelt­po­li­ti­schen Maßnahmen zu treffen, um das Land und den Planeten zu retten“. 

Ein weiterer Argu­men­ta­ti­ons­strang der Vertei­diger der Schüler hebt den Umstand hervor, dass diese sich mit dem Klima­schutz für etwas und ergo anders als Neurechte, die gegen die Flücht­lings­po­litik oder Bundes­kanz­lerin Merkel agitieren, nicht gegen etwas stark­ma­chen. Dieses Argu­ment erweist sich jedoch eben­falls als dünn. Denn Neurechte behaupten ja durchaus auch, für etwas zu streiten, nament­lich für den „Erhalt der großen Ordnung“. Zudem lässt sich ganz gene­rell so gut wie jeder Einsatz gegen etwas seman­tisch in einem Kampf für etwas umformulieren.

Heiligt der Zweck die Mittel?

Nicht weniger flach ist die viel­fach zu lesende Behaup­tung, dass der Klima­schutz nun einmal etwas Wich­tiges und der Schul­streik allein deshalb legitim sei. Denn so eine Argu­men­ta­tion läuft auf das schlichte Motto „Der Zweck heiligt die Mittel“ hinaus. Wer so argu­men­tiert, eröffnet Neurechten Tür und Tor, da diese in Anleh­nung an Götz Kubit­schek eben­falls behaupten könnten, dass bestimmte ihrer Anliegen außer­or­dent­lich wichtig und deshalb Grund für einen Regel­bruch im Sinne eines Schutzes der „größeren Ordnung“ seien, etwa die Forde­rung nach einer strik­teren Anwen­dung geltender Asyl­ge­setze oder die Abwehr der „Isla­mi­sie­rung“. Das ist keine nur theo­re­ti­sche Überlegung.

Im rechten Milieu wird  längst beklagt, wie angeb­lich unfair die „Iden­ti­täre Bewe­gung“ im Vergleich zu den „Fridays for Future“-Aktivisten behan­delt werde. So fragte Dieter Stein, der Chef­re­dak­teur der Wochen­zei­tung „Junge Frei­heit“, Anfang Mai in selbiger unter dem Titel „Die geäch­teten Akti­visten“ empört, „warum  bei den ‚Iden­ti­tären‘ in der Öffent­lich­keit nicht auch wie bei den „Fridays for Future“-Schülern, die mit Entschul­di­gung der Eltern, unter dem Jubel vieler Medien und mit dem Segen der Kanz­lerin auf die Straße gehen, von ‚mutigen Akti­visten‘, sondern von ‚Extre­misten‘ die Rede“ sei.

Stein propa­gierte nicht ausdrück­lich Regel­brüche, erwähnte aber affir­mativ die „spek­ta­ku­lären Aktionen“ der Iden­ti­tären, darunter das Besteigen des Bran­den­burger Tors zum Zweck des Hissens eines Banners mit dem Slogan „Sichere Grenzen – Sichere Zukunft“, sowie  einen Hubschrau­ber­flug im Jahre 2018 zu einem Alpen­pass, wo die Iden­ti­tären sodann „mit Dutzenden Mitstrei­tern eine symbo­li­sche Sperre gegen ille­gale Migranten“ errich­tetet hätten. Zwar wurden die meisten straf­recht­li­chen  Ermitt­lungs­ver­fahren gegen Iden­ti­täre einge­stellt, aber gerade mit Blick auf Steins Text ist es mehr als nur denkbar, dass rechte Bewe­gungen anleh­nend an die „Fridays for Future“-Bewegung künftig Ordnungs­wid­rig­keiten wie eine Schul­pflicht­ver­let­zung propa­gieren könnten. 

Gewiss, der Impuls, eine Protest­form zu vertei­digen, die wie die „Fridays for Future“-Bewegung ein fraglos sehr wich­tiges Anliegen verfolgt, hingegen Regel­brüche als Kampf­mittel gegen rechte Phan­tasmen wie den „Bevöl­ke­rungs­aus­tausch“ oder die „Isla­mi­sie­rung“ abzu­lehnen, ist verständ­lich. Doch am Ende läuft dieser Ansatz dennoch unver­meid­lich auf ein Denken à la „guter Zweck“ versus „schlechter Zweck“ hinaus. Wer aber soll entscheiden, welche Zwecke Regel­brüche legi­ti­mieren und welche nicht? Bei absurden Vorstel­lungen von einem Bevöl­ke­rungs­aus­tausch oder einer „Isla­mi­sie­rung“ ist es leicht, den Kampf dagegen als gutzu­hei­ßenden Zweck abzu­lehnen. Bei der konse­quen­teren Durch­set­zung der Abschie­bung von Asyl­be­werben ohne Aufent­halts­an­spruch wird es schon schwie­riger. Und weiter­ge­dacht: Was wäre, wenn Rechte inso­weit etwa zu Streiks z.B. von Feuer­wehr­leuten oder Kran­ken­haus­per­sonal aufrufen und die jewei­ligen öffent­li­chen Arbeit­geber das ähnlich wie manche Schulen akzep­tieren würden, etwa, indem die ausge­fal­lenen Tage von den Urlaubs­tagen abge­zogen werden? Klingt fern­lie­gend? Ange­sichts des Zuspruchs, den die AfD in Ostdeutsch­land inzwi­schen als dort stärkste Partei hat, könnte das durchaus mehr als nur ein Gedan­ken­spiel sein.

Auch bei der expli­ziten Beru­fung auf einen angeb­lich legi­timen „zivilen Unge­horsam“ handelt es sich um einen untaug­li­chen Versuch, eine Legi­ti­ma­ti­ons­grund­lage für die andau­ernde Verlet­zung der Schul­pflicht zu finden. Zunächst einmal kennt das deut­sche Grund­ge­setz mit seinem Rechts­staats­prinzip aus gutem Grund keinen allge­mein erlaubten zivilen Unge­horsam. Es gibt ledig­lich gericht­liche Einzel­fall­ent­schei­dungen, in denen es bei der Beur­tei­lung von Regel­brü­cken zu einer Kolli­sion von verschie­denen grund­ge­setz­li­chen Normen kam. Viele dieser Urteile betreffen die in Art. 8 des Grund­ge­setzes garan­tierte Versamm­lungs­frei­heit. Diese genießt einen hohen Schutz, weil sie vor allem in einer reprä­sen­ta­tiven Demo­kratie wie der deut­schen eine wich­tige Möglich­keit für Bürger ist, ihre Anliegen in die poli­ti­sche Debatte einzu­bringen. Kolli­diert die Versamm­lungs­frei­heit mit anderen Bestim­mungen des Grund­ge­setzes, obliegt es den Gerichten, im Einzel­fall fest­zu­stellen, welche Bestim­mung im Sinne einer „prak­ti­schen Konkor­danz“ höher zu werten ist und ob ein regel­bre­chendes Verhalten zu sank­tio­nieren ist oder nicht.

So befand etwa das Verwal­tungs­ge­richt Hannover im Jahre 1991, dass in dem zu entschei­denden Fall der Versamm­lungs­frei­heit der Vorrang vor der in Artikel 7 des Grund­ge­setzes wurzelnden Schul­pflicht einzu­räumen sei. Dabei ging es um die einma­lige Teil­nahme eines Schü­lers an einer Demons­tra­tion gegen den dama­ligen Irak-Krieg, die um 12 Uhr beginnen sollte. Für das Gericht war dabei „der Umstand, dass durch Teil­nahme an der Demons­tra­tion nur verhält­nis­mäßig wenig Unter­richt ausfällt“, beson­ders zu berück­sich­tigen. Somit machen sich es Vertei­diger des heutigen Schul­streiks zu einfach, wenn sie dieses Urteil anführen. Denn dort ging es um eine einma­lige Teil­nahme an einer Demons­tra­tion, die zufällig während der Schul­zeit statt­fand, während die „Fridays for Future“-Bewegung die Schul­pflicht­ver­let­zung zu einem ihrer Wesens­merk­male erhoben hat. Die Schüler setzen ergo auf einen Regel­bruch in Perma­nenz, um die von ihr in der Sache monierte Nicht­ein­hal­tung verbind­li­cher Klima­ab­kommen zu bean­standen. Diesen perfor­ma­tiven Wider­spruch wiederum reden manche Schulstreik-Verteidiger sich mit dem dürren Argu­ment schön, selbiger sei erfor­der­lich, um beson­ders deut­lich auf die Nicht­ein­hal­tung der Klima­schutz­ziele hinzuweisen. 

„Ziviler Unge­horsam“

Den Umstand, dass das Grund­ge­setz keinen allge­meinen „zivilen Unge­horsam“ kennt, über­gehen viele wiederum damit, indem sie sich auf Worte des Philo­so­phen und Sozio­logen Jürgen Habermas berufen. Dieser hatte hat den „zivilen Unge­horsam“ im Jahre 1983 wie folgt definiert:

Ziviler Unge­horsam ist ein mora­lisch begrün­deter Protest, dem nicht nur private Glau­bens­über­zeu­gungen oder Eigen­in­ter­essen zugrunde liegen dürfen; er ist ein öffent­li­cher Akt, der in der Regel ange­kün­digt ist und von der Polizei in seinem Ablauf kalku­liert werden kann; er schließt die vorsätz­liche Verlet­zung einzelner Rechts­normen ein, ohne den Gehorsam gegen­über der Rechts­ord­nung im Ganzen zu affi­zieren; er verlangt die Bereit­schaft, für die recht­li­chen Folgen der Norm­ver­let­zung einzu­stehen; die Regel­ver­let­zung, in der sich ziviler Unge­horsam äußert, hat ausschließ­lich symbo­li­schen Charakter – daraus ergibt sich schon die Begren­zung auf gewalt­freie Mittel des Protests.

Macht man sich die Mühe, diese Defi­ni­tion im Lichte heutiger neurechter Protest­be­we­gungen zu betrachten, so ist leicht ersicht­lich, dass diese versu­chen könnten, diese für sich zu rekla­mieren, was erneut zeigt, wie riskant es ist, den angeb­li­chen „zivilen Unge­horsam“ der strei­kenden Schüler gutzu­heißen. Zwar fällt zum Beispiel die rechts­extreme „Iden­ti­täre Bewe­gung“ zumeist durch unan­ge­kün­digte Sponti-Aktionen, darunter die oben genannten, auf, aber das war bei früheren linken Protest­be­we­gungen oftmals auch nicht anders. So wichtig ist dieser Punkt Habermas selbst anschei­nend ohnehin nicht, da er nur davon spricht, dass die vorhe­rige Ankün­di­gung „in der Regel“ erfolge.

Dieje­nigen, die die Habermas’sche Formel zur Vertei­di­gung der Schü­ler­streiks anführen, betonen oft die Symbol­haf­tig­keit der Schul­pflicht­ver­let­zung. Auch dieser Vorstoß über­zeugt nicht. Zwar unter­scheiden sich die Schul­streiks von rechten Blockaden von Flücht­lings­heimen sowie von linken Blockie­rungen von Castor-Atommüll-Transporten, die unmit­telbar in das Geschehen eingreifen. Aber was am regel­mä­ßigen physi­schen Fern­bleiben vom Unter­richt rein symbo­lisch sein soll, ist dennoch nicht ersichtlich.

Hinzu kommt, dass die Unter­schei­dung zwischen einer weiter­ge­henden Wider­stands­rhe­torik und „zivilem Unge­horsam“ bei den großen linken Protest­be­we­gungen wie dem Anti-Atomkraft-Aktivismus längst nicht so ausge­prägt war, wie es von denje­nigen sugge­riert wird, die die “Fridays for Future“-Bewegung in eine Art edle Tradi­tion des „zivilen Unge­hor­sams“ stellen wollen. Man denke nur an den damals verbrei­teten Slogan: „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Wider­stand Pflicht“. Und umge­kehrt wurde erst 2010 versucht, die damals ange­dachte „Entstei­nung“ ganzer Gleis­bett­ab­schnitte zur Verhin­de­rung eines Castor-Transports als „zivilen Unge­horsam“ zu baga­tel­li­sieren und zu legi­ti­meren.

Die Bedeu­tung des Rechtsstaats

Sicher­lich, die „Fridays for Future“-Bewegung ruft mit der Schul­pflicht­ver­let­zung „nur“ zu einer poten­ti­ellen Ordnungs­wid­rig­keit auf. Aber der Regel­ver­stoß ist ihr inhä­rent und damit dele­gi­ti­miert sie nur um der höheren Aufmerk­sam­keit willen den Rechts­staat. Dieser setzt sich aus mehreren Elementen zusammen. Dazu gehören vor allem die Frei­heit von staat­li­cher Willkür bzw. die Bindung staat­li­cher Gewalt an Gesetze, die Gewal­ten­tei­lung, die Gleich­heit vor dem Gesetz, die Rechts­si­cher­heit und der effek­tive Recht­schutz. Eben­falls Teil des Rechts­staats­prin­zips ist aber auch das Einhalten des Rechts sowohl seitens des Staats als auch der Bürger. In Staaten, in denen ein funk­tio­nie­render, will­kürfreier Rechts­staat herrscht, ist der Bürger gewis­ser­maßen spie­gel­bild­lich gehalten, die geltenden Rege­lungen zu beachten, ohne sich aus subjek­tiven Erwä­gungen und poli­ti­schen Einstel­lungen heraus selbst zu Regel­brü­chen zu ermächtigen.

Genau in diesem Punkt liegt das Problem bei den „Schul­streiks“. Der Regel­bruch, sprich die Verlet­zung der Schul­pflicht gehört für die Schüler zwin­gend zu ihrer Form des Protests dazu. Ange­sichts der Tatsache, dass der Rechts­staat derzeit in einer Reihe von euro­päi­schen Ländern durch Rechte ange­griffen wird, sollte man sehr vorsichtig damit sein, Regel­brüche um der guten Sache willen zu propa­gieren. Ein Blick nach Polen und Ungarn und inzwi­schen auch Öster­reich dürfte genügen. In Öster­reich ist die Pres­se­frei­heit längst von der mitre­gie­renden rechten FPÖ unter Druck geraten, weil ihr kriti­sche Äuße­rungen über sich selbst in den öffentlich-rechtlichen Medien nicht passen.

Im Lichte solcher Entwick­lungen zeigt sich, wie viel wert, aber wie wenig selbst­ver­ständ­lich ein Rechts­staat ist, der Abwehr­rechte gegen­über dem Staat garan­tiert, jeden ohne Ansehen der Person gleich behan­delt und effek­tiven Rechts­schutz sichert. Norma­ler­weise spie­gelt der Bürger das mit Rechts­treue und trägt so zu einem fried­li­chen Gemein­wesen bei. Wer sich wie die „Fridays for Future“-Bewegung hingegen selbst zu Regel­brü­chen ermäch­tigt, unter­gräbt dieses Wech­sel­spiel, sei das Anliegen wie hier der Klima­schutz auch objektiv gesehen noch so wichtig.