Die Schweiz ist eine Sondersteuerzone und verdient daran Milliarden. Welche Verantwortung hat die Wissenschaft gegenüber der Off-Shore-Industrie? Das Symposium des neuen „Tax Policy Centers“ der Universität Lausanne zeigte: Anstatt Kritik zu formulieren, hilft sie beim Suchen von Schlupflöchern.

  • Dominik Gross

    Dominik Gross ist Wirtschaftshistoriker und arbeitet als Verantwortlicher für Internationale Finanz- und Steuerpolitik bei Alliance Sud, der entwicklungspolitischen Arbeitsgemeinschaft von Schweizer Hilfswerken.

„Nur zwei Dinge auf Erden sind uns ganz sicher“, sagte der US-amerikanische Aufklärer Benjamin Franklin einmal: „Der Tod und die Steuer.“ Schweizer Steu­er­be­rater wissen jedoch: Die Steuer ist es ganz bestimmt nicht. Trotz aller Wehklagen über das bevor­ste­hende Ende des Bank­ge­heim­nisses ist die Schweiz immer noch ein attrak­tiver Hafen für viele Vermö­gende aus aller Welt, die zwar ihre irdi­sche Endlich­keit akzep­tiert haben mögen, aber nicht ihre Steuerpflicht.

Refu­gium für Reiche

Ende 2015 lagen gemäss Angaben der Schwei­ze­ri­schen Bankier­ver­ei­ni­gung 6’567,6 Milli­arden Franken Vermögen in der Obhut von Schweizer Banken. Die Hälfte davon stammt aus dem Ausland. Damit liegt ein Viertel der welt­weiten Offshore-Vermögen in der Schweiz – mehr als irgendwo sonst. Zum Schaden der fast gesamten Welt: Der Washing­toner Think Tank „Global finan­cial Inte­grity“ (GFI) schätzt, dass den Gemein­wesen in den soge­nannten Entwick­lungs­län­dern (also jenen Ländern, die fast ausnahmslos aus den alten euro­päi­schen Kolo­nien entstanden und die von Welt­bank und Inter­na­tio­nalem Währungs­fonds (IWF) nicht zu den reichen Indus­trie­na­tionen gezählt werden, weil ihr Brut­to­in­lands­pro­dukt unter einem bestimmten Niveau verharrt) aufgrund von Steu­er­ver­mei­dung, Korrup­tion und Geld­wä­scherei jähr­lich insge­samt eine Billion Dollar verloren geht. Davon landen gemäss GFI etwa 30% in der Schweiz. Nicht nur Privat­ver­mö­gende, sondern vor allem auch Konzerne, die ihre Gewinne aus Toch­ter­firmen in Ländern mit hohen Gewinn­steuern gerne in die Tief­steu­er­ge­biete ihrer Haupt­sitze verschieben, nutzen gerne Schweizer Steu­er­ver­mei­dungs­in­stru­mente. Alleine durch die Steu­er­ver­mei­dung von Konzernen, so hat der Inter­na­tio­nale Währungs­fonds (IWF) ausge­rechnet, verlieren Entwick­lungs­länder jähr­lich über 200 Milli­arden Dollar. Private Steu­er­flucht und Steu­er­ver­mei­dung von multi­na­tio­nalen Unter­nehmen kostet Entwick­lungs­län­dern jähr­lich insge­samt zwischen 6-13 Prozent ihres Staatsbudgets.

Die gegen­wär­tige Rolle der Schweiz als Steu­er­oase im globa­li­sierten Kapi­tal­ver­kehr wider­spricht deshalb nicht nur den UNO-Zielen für nach­hal­tige Entwick­lung, die die Schweiz im letzten Jahr mitun­ter­schrieben hat, sondern auch ihrer eigenen Entwick­lungs­zu­sam­men­ar­beit: Das, was an Entwick­lungs­hil­fe­gel­dern in Länder des globalen Südens fliesst, verlieren diese wiederum durch Steu­er­flucht – und zwar zehn­fach. Der Schweizer Wirt­schafts­standort profi­tiert also immer noch promi­nent und ganz seiner alten Tradi­tion eines „Kolo­nia­lismus ohne Kolo­nien“ entspre­chend von einer globalen Reichtums- und Macht­ver­tei­lung, die zwar den Kolo­nia­lismus als Herr­schafts­system, nicht aber die von ihm gesetzten Herr­schafts­ver­hält­nisse zwischen den Welt­re­gionen und inner­halb der ehema­ligen Kolo­nien über­wunden hat.

Vernünftig ist, was sich rentiert

Die Nationalmannschaft im Standortwettbewerb in Aktion: 7. 11. 2016 - Aktion der USR III Befürworter auf dem Bundesplatz mit bürgerlichen Parteienvertretern, Quelle: NZZ am Sonntag

Die Natio­nal­mann­schaft im Stand­ort­wett­be­werb in Aktion: 7. 11. 2016 – Aktion der USR III Befür­worter auf dem Bundes­platz mit bürger­li­chen Partei­en­ver­tre­tern, Quelle: NZZ am Sonntag

Eine wich­tige Rolle in der Kritik dieses (post-)kolonialen Geschäfts­mo­dells spielen die Univer­si­täten. In der Schweiz ist diese bisher jedoch fast voll­ständig Sache der Kultur- und Sozi­al­wis­sen­schaften. Im Sinne einer Wieder­ent­de­ckung der kriti­schen poli­ti­schen Ökonomie könnten sich aber ebenso die Wirtschafts- und Rechts­fa­kul­täten für diese Kritik öffnen. Auch, weil Fragen der inter­na­tio­nalen Steu­er­po­litik in der Schweiz zurzeit ganz oben auf der Agenda stehen: Der auto­ma­ti­sche Infor­ma­ti­ons­aus­tausch von Bank­kun­den­daten zwischen Steu­er­be­hörden wird 2018 im Rahmen der sich seit 2013 durch­set­zenden soge­nannten Weiss­geld­stra­tegie mit 38 Ländern einge­führt. Über die Unter­neh­mens­steu­er­re­form III (USR III) stimmen die Schweizer Stimm­be­rech­tigten im kommenden Februar ab, und die Umset­zung der neuen inter­na­tio­nalen Stan­dards der Orga­ni­sa­tion für Entwick­lung und Zusam­men­ar­beit (OECD) im Bereich der inter­na­tio­nalen Steu­er­po­litik, die unter dem Namen „BEPS“ (engl. für Base Erosion and Profit Shif­ting) bekannt wurden, ist in der Schweiz in diesem Jahr angelaufen.

Tatsäch­lich waren all diese Themen vor zwei Wochen Gegen­stand eines Sympo­siums an der Univer­sität Lausanne mit dem Titel „The Post-Beps World“. Die Fakul­täten für „Busi­ness and Econo­mics“ und für „Law, Criminal Justice and Public Admi­nis­tra­tion“ luden in der Aula der „Swiss Graduate School of Public Admi­nis­tra­tion (IDHEAP)“ zur Eröff­nung des  „Tax Policy Centers“. Begriffe wie „Geschäfts­mo­dell“, „Steu­er­oase“, „Gewinn­ver­schie­bung“ oder „Reich­tums­ver­tei­lung“ kamen dann aller­dings während des ganzen Tages nicht vor. Die Veran­stalter gingen offen­sicht­lich nicht davon aus, dass die über hundert Gäste aus Steu­er­rechts­kanz­leien, Unter­neh­mens­be­ra­tungen, Rohstoff­firmen und Gross­kon­zernen an solchen Zusam­men­hängen inter­es­siert waren. Entspre­chend waren Menschen, die ihr Geld nicht mit der möglichst kosten­güns­tigen Ausge­stal­tung des Schwei­ze­ri­schen Steu­er­sys­tems verdienen, sondern sich eher mit dessen Auswir­kungen im aussen-, wirtschafts-, sozial- oder entwick­lungs­po­li­ti­schen Kontext beschäf­tigen, auch gar nicht erst einge­laden: Keine NGOs, keine steu­er­freund­li­chen Ökonom*innen, keine Menschenrechtler*innen und nicht einmal die entwick­lungs­po­li­ti­schen Kapa­zi­täten aus der Direk­tion für Entwick­lungs­zu­sam­men­ar­beit des Bundes (DEZA), die einiges zur Frage der poli­ti­schen Wider­sprüch­lich­keiten zwischen Aussenwirtschafts- und Entwick­lungs­po­litik hätten beitragen können. Einige wenige Dokto­rie­rende waren da, auf Studie­rende traf ich nicht, was bei einer Teil­nah­me­ge­bühr von 650 Franken (quasi einmal Semes­ter­ge­bühr) auch nicht weiter erstaunt. Ich selbst war nur dabei, weil mein Arbeit­geber die poli­ti­sche und wissen­schaft­liche Unaus­ge­gli­chen­heit der Konfe­renz kriti­siert hatte und ich selbst in einem längeren Tele­fonat einem akade­mi­schen Mitar­beiter, Mitor­ga­ni­sator und aktiven Waadt­länder Frei­sin­nigen auf dessen Nach­fragen hin versi­cherte, dass ich erstens einer „rein tech­ni­schen Debatte zu Steu­er­themen“ gewachsen sei und zwei­tens auch nicht mit einem Trans­pa­rent am Insti­tuts­ein­gang auftau­chen werde.

„Mag sein, dass die Unter­neh­mens­steu­er­re­form III neue Gewinn­ver­schie­bungs­ri­siken bei Nieder­las­sungen in Afrika eröffnet, aber für die Schweiz ist sie doch gut“, sagte eine Mitar­bei­terin der Steu­er­rechts­kanzlei Bär&Karrer aus Zürich beim morgend­li­chen „Coffee Break“. Auch SVP-Finanzminister Ueli Maurer legte zur Eröff­nung des Tages in einer „medio­kren Rede“ (so ein KPMG-Mitarbeiter) den Fokus auf „das Wohl der Schweiz“, bevor er wieder nach Bern eilte, um an einer Pres­se­kon­fe­renz im Namen des Bundes­rates für ein Ja zur Steu­er­re­form zu werben. Kurz vor Maurers Abgang erhob sich dann doch eine kriti­sche Stimme: Der Waadt­länder Sozi­al­de­mo­krat Roger Nord­mann, SP-Fraktionschef im Bundes­par­la­ment und einer der promi­nenten Gegner der USR III, hatte eben­falls kurz herein geschaut und zog die von einem seiner Vorredner behaup­tete „allge­meine Verständ­lich­keit und poli­ti­sche Ausge­wo­gen­heit“ der kommenden Steu­er­re­form in Zweifel. Sein Votum wurde vom miss­mu­tigen Brum­meln des Saales begleitet. Ein Typ, der neben dem Chef der Steu­er­ab­tei­lung von Nestlé sass,  johlte wie im Stadion: „Nicht der schon wieder, halt die Fresse!“ Der Saal wollte keine Steu­er­re­form­kri­tiker anhören, sondern opera­tio­nelles Wissen aus der Bundes­ver­wal­tung, der OECD, den Univer­si­täten und der Steu­er­be­ra­tungs­in­dus­trie vermit­telt kriegen. Sie sollten das sich wandelnde inter­na­tio­nale steu­er­liche Umfeld des Unter­neh­mens­stand­ortes Schweiz analy­sieren und auf seine Konse­quenzen für die Steu­er­op­ti­mie­rungs­ar­beit der Anwe­senden abklopfen. Gefragt war Bera­tung, nicht Kritik, also die möglichst unge­störte Über­mitt­lung purer instru­men­teller Vernunft.

So coachten die Referent*innen den Saal durch neue Regeln und Schlupf­lö­cher hindurch. Dabei spra­chen sie diese direkt als Berater*innen an: „For your compa­nies it is important to note, that…“, setzte ein Vertreter des Staat­s­e­kre­ta­riats für inter­na­tio­nale Finanz­fragen des Bundes (SIF) einmal an. Standort- und Steu­er­wett­be­werb waren Natur­zu­stand; vorpo­li­ti­sche Axiome, nach denen sich die in Lausanne versam­melte Schweizer Natio­nal­mann­schaft im globalen Stand­ort­wett­be­werb richtet. Ihre Akteur*innen kennen sich gut: Man hat zusammen studiert und bleibt einander durch ein Stellenwechsel-System der „Revol­ving Doors“ zwischen Kanz­leien, Verwal­tung, Univer­sität und Unter­neh­mens­be­ra­tung verbunden.

Atlas der Schweizer Weissgeldstrategie, Quelle: alliancesud.ch

Atlas der Schweizer Weiss­geld­stra­tegie, Quelle: alliancesud.ch

„We’re living in a free world“

Ausge­löst durch die Wirt­schafts­krise erfährt das inter­na­tio­nale Steu­er­system unter der Feder­füh­rung der G20 und der OECD in den letzten Jahren zahl­reiche Umge­stal­tungen. Es entsteht hier eine neue Zwei­tei­lung der Welt: Die OECD- und G20-Länder schaffen unter­ein­ander Steu­er­trans­pa­renz und soge­nannte „level playing fields“, die einen Wett­be­werb auf Augen­höhe schaffen sollen. Allen anderen (vor allem den ärmeren Schwellen- und Entwick­lungs­län­dern) entstehen mangels Zugang zu diesen neuen Steu­er­in­for­ma­ti­ons­netz­werken der zustän­digen Behörden neue und weitere volks­wirt­schaft­liche Nachteile.

Für die Schweiz steht in dieser „Post-Beps-Welt“ der Fort­be­stand ihres Finanz­platzes als verschwie­gener Tresor und als Sonder­steu­er­zone auf dem Spiel. Da nicht nur das klas­si­sche Schweizer Bank­schliess­fach gemäss den neuen OECD-Standards für Kunden aus Europa, den USA und einigen wenigen anderen Ländern ausge­dient hat, sondern auch die klas­si­sche Brief­kas­ten­firma, ist im Schweizer Steu­er­op­ti­mie­rungs­ge­schäft zurzeit Inno­va­tion gefragt. Die USR III soll hier nach dem Willen des rechten Parla­ments in Bern alte Sonder­steu­er­re­gime durch neue ersetzen und für eine gene­relle Absen­kung der Gewinn­steuern in den Kantonen sorgen.

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Dabei lägen die poli­ti­schen Alter­na­tiven zum ‚Sach­zwang‘ des globalen Steu­er­wett­be­werbs auf dem Tisch: Es gibt Ideen für eine neue welt­weite Steu­er­ko­ope­ra­tion unter dem Dach der UNO („Global Tax Body“); für die Veröf­fent­li­chung von Konzern­buch­hal­tungen („Public Country-by-Country-Reporting“), um Gewinn­ver­schie­bungen inner­halb von Konzernen wie bei den Rohstoff­händ­lern in Zug zu unter­binden; für öffent­liche Register wirt­schaft­lich Berech­tigter von Firmen, um dem Verschwinden von Kapital in der Offshore-Wolke zuvor­zu­kommen; oder für einen wirk­lich welt­weit bindenden auto­ma­ti­schen Infor­ma­ti­ons­aus­tausch von Bank­kun­den­daten. All das wären auch Mass­nahmen gegen die globale Reich­tums­schere und Schritte hin zu einer egali­tärer orga­ni­sierten Welt­wirt­schaft. Am „Tax Policy Center“ der Univer­sität Lausanne scheint das aber bis auf weiteres nicht zu inter­es­sieren, wie man aus dem Eröff­nungstag der neuen „Forschungs­ein­rich­tung“ schliessen muss. Als wolle sich der Lausanner Steu­er­rechts­pro­fessor Robert J. Danon der Geschlos­sen­heit der Stand­ort­wett­be­werbs­na­tio­nal­mann­schaft noch­mals versi­chern, rief er kurz vor Schluss des finalen Panels, als es noch­mals um die Unter­neh­mens­steu­er­re­form III ging, wie ein einpeit­schender Eisho­ckey­trainer in den Saal: „Is anybody in the room against this reform?“ Nichts als Gelächter. Danon, der auch als Konsu­lent bei Bär&Karrer in Zürich amtet, lachte mit und sagte: „We’re living in a free world, by the way!“ Der Saal applau­dierte. Dann gab’s endlich Apéro.