Norbert Hofer hat jedem national überkochenden Stammtisch in Österreich den Anstrich der Seriosität gegeben. Seine 49,7 Prozent nobilitieren jetzt die Hetze gegenüber allem, was anders ist. Die FPÖ profiliert sich mit Sündenbockpolitik im Stile von Orbán, der AfD oder Blocher.

  • Paul Jandl

    Geboren 1962 in Wien, Studium der Germanistik und Philosophie. Lange Jahre Korrespondent und Kritiker bei der NZZ, seit 2010 bei der deutschen Tageszeitung DIE WELT.
FPÖ-Kandidat Norbert Hofer, Quelle: vox.com

FPÖ-Kandidat Norbert Hofer, Quelle: vox.com

Die erste Nach­richt kam über Face­book: Eine Stunde, bevor offi­ziell bekannt wurde, dass der Grüne Alex­ander Van der Bellen die Wahl zum öster­rei­chi­schen Bundes­prä­si­denten gewonnen hat, trat der Gegen­kan­didat Norbert Hofer vor seine Facebook-Community und gestand die eigene Nieder­lage ein. Ein Akt von zerknirschter Größe und ein symbo­li­scher Akt: Auf Face­book waren zuvor die lautesten Schlachten einer Wahl ausge­tragen worden, die als Rich­tungs­ent­schei­dung von euro­päi­scher Dimen­sion hätte enden können. Man werde sich noch wundern, was alles möglich sei, wenn er erst einmal in der Hofburg sitze, hat der Rechts­po­pu­list Norbert Hofer verlauten lassen.

Dass das keine leere Drohung hätte bleiben müssen, liegt an einem pikanten Detail der öster­rei­chi­schen Verfas­sung in ihrer Form des Jahres 1929. Der öster­rei­chi­sche Präsi­dent hat die Möglich­keit, die Bundes­re­gie­rung in die Wüste zu schi­cken, wenn ihm deren Politik nicht passt. Noch niemals in der Zweiten Repu­blik hat ein Bundes­prä­si­dent von diesem Recht Gebrauch gemacht, unter dem Signum dieser Real­ver­fas­sung hat das Land seine Conten­ance bewahrt, die es – zumin­dest theo­re­tisch – unter einem Bundes­prä­si­denten, der aus der funda­men­tal­op­po­si­tio­nellen FPÖ kommt, hätte verlieren können. Es wäre die Aushe­be­lung des Parla­men­ta­rismus gewesen. Und das unter den Vorzei­chen einer Politik, die sich in zahl­losen Anti-Ausländerwahlkämpfen und mit gesell­schaft­li­chen Pola­ri­sie­rungen profi­liert hat, deren Wiener-Schnitzel-Patriotismus so abgren­zungs­in­tensiv ist, dass ihm auch Anti­se­mi­ti­sches nicht fremd ist, und der vor allem eine Methode der Stim­mungs­mache kennt: die Hetze gegen­über allem, was anders ist.

Wahlkampfveranstaltung auf dem Wiener Stephansplatz, April 2016

Wahl­kampf­ver­an­stal­tung auf dem Wiener Stephans­platz, April 2016; Quelle: facebook.com/ng.hofer/

Stim­mungs­po­li­tisch unter­scheidet sich Öster­reich aber wohl nicht sehr vom Rest Europas.  Von Le Pen über Geert Wilders und die neue polni­sche Rechte bis zum Ungarn Viktor Orbán, zur AfD und zu Chris­toph Blocher lebt die Propa­ganda von einem Heimat­be­griff, der zu schön ist, um jemals wahr gewesen zu sein. Gerade deshalb aber verfehlt er seine Wirkung nicht. Heimat, das ist nach Ausle­gung der neuen Rechts­po­pu­listen und ihrer Anhänger eine Art Urzu­stand des Eigenen, das Para­dies, in dem einem die Unschuld noch nicht durch Globa­li­sie­rung, Flücht­linge und EU genommen ist. Und es gibt darin wohl auch nicht die Erbsünde des Zorns, unter der die Wutbürger selbst viel­leicht genauso leiden wie dessen Angriffsziele.

Deut­lich war bei der öster­rei­chi­schen Wahl das Gefälle zwischen den länd­li­chen und struk­tur­schwa­chen Gegenden und den Städten. Je weiter man sich an die Peri­pherie begibt, umso mehr Hofer-Wähler gab es. Möglich, dass man sich ausge­rechnet im Salz­burger Ort Muhr oder im Tiroler Spiss (über 87 Prozent für Hofer) beson­ders große Sorgen um die Zukunft macht, wahr­schein­lich aber ist es nicht. Das Burgen­land, von der EU ganz beson­ders mit Förder­gel­dern bedacht, hat mit großer Mehr­heit den Kandi­daten der EU-austrittsaffinen Partei gewählt. Umge­kehrt liegt Alex­ander Van der Bellen auch in jenen Wiener Wahl­be­zirken vorne, die einen beson­ders hohen Auslän­der­an­teil haben.

Mit 50,3 Prozent gegen 49,7 Prozent hat Van der Bellen die Wahl gewonnen, es ist eine hauch­dünne Mehr­heit, die einen Unter­schied macht, der größer kaum sein könnte. Ist das Land jetzt gespalten? Oder sind einfach Gräben sichtbar geworden, die es schon länger gibt? Einer­seits zeigt sich wohl bis in die einzelnen Wahl­urnen hinein, wo die Demar­ka­ti­ons­li­nien zwischen Vertrauen und Miss­trauen liegen. Es ist eine Binsen­weis­heit: Wer nur eini­ger­maßen im Gefühl lebt, Herr der eigenen Lage zu sein, kann Welt­of­fen­heit und Multi­kul­tu­ra­lität als Chance sehen, er braucht keine retro­grade natio­nale Selbst­ver­herr­li­chung und auch nicht deren Projek­tion auf alle künf­tigen Zeiten.

Ande­rer­seits lässt sich selbst in einem Land, das wirt­schaft­lich EU-weit zur Spitze zählt, mit Ängsten Politik machen. Wie weit der öster­rei­chi­sche Rechts­po­pu­lismus damit gekommen ist, zeigt sich auch am öster­rei­chi­schen Wahl­er­gebnis. Ab den Acht­zi­ger­jahren hat das Raubein Jörg Haider altge­diente Struk­turen ange­griffen und die sozi­al­part­ner­schaft­lich orga­ni­sierte Gemüts­re­pu­blik Öster­reich mit kalku­liertem Tabu­bruch unter­wan­dert, bis es mit der Gemüt­lich­keit vorbei und eine Sünden­bock­po­litik etabliert war, wie sie die FPÖ heute noch betreibt: Alles Schlechte kommt von Außen. Nach einigen perso­nellen Zwischen­stufen und einer schwarz-blauen Regie­rung ist jetzt Heinz-Christian Strache als Partei­chef der FPÖ am Ruder, der schon rheto­risch wie ein geklonter Haider wirkt. Aus der Nieder­lage bei den Wahlen zum Wiener Landtag im letzten Herbst, die man ange­sichts der Flücht­lings­ströme mit forcierter Anti-Ausländer-Politik zu gewinnen hoffte, hat man gelernt: Norbert Hofer war daher ein Präsi­dent­schafts­kan­didat, der jedem national über­ko­chenden Stamm­tisch den Anstrich der Serio­sität geben konnte. Und das Ergebnis, die stolzen 49,7 Prozent der Stich­wahl, wirken wiederum zurück auf die Hoheits­ge­biete von Kandi­daten wie Hofer. Viele Motive werden sich hier mischen, aber auch die weniger guten sind mit diesem Ergebnis nobi­li­tiert.

Norbert Hofer mit Bruce Willis (Wachsfigur), London, 26.12.2016; Quelle: Facebook-Seite von Norbert Gerwald Hofer, www.facebook.com/ng.hofer?fref=ts

Norbert Hofer mit Bruce Willis (Wachs­figur), London, 26.12.2016; Quelle: facebook.com/ng.hofer/

Schon biogra­fisch haben sich die beiden Kandi­daten der Bundes­prä­si­den­ten­wahl unter­schieden, und das auf höchst symbo­li­sche Art. Norbert Hofer kommt aus deutsch­na­tio­nalem Haus­halt und einer kleinen idyl­li­schen Gemeinde im Burgen­land, einem Land­strich an Öster­reichs Grenze, wo sich das Deutschtum gegen die nahen Kroaten und Ungarn hoch­halten lässt. Hofers Weg war konse­quent. Von der rechts­extremen Burschen­schaft Marko-Germania zur FPÖ, deren Thinktank er bis heute ange­hört, und wo er an einem Partei­pro­gramm mitge­schrieben hat, das nach alter Sitte die „deut­sche Volks­ge­mein­schaft“ hoch­hält. Als Dritter Natio­nal­rats­prä­si­dent beschäf­tigt Hofer einschlägig bekannte Recken des rechts­extremen Lagers in seinem Büro. Während Hofer neben seinem polternd auftre­tenden Partei­chef Heinz-Christian Strache den guten Onkel gibt, der sein Ohr am Herz des Volkes hat, wurde der Gegen­kan­didat mit Häme über­zogen, weil er ein Vertreter der „Eliten“ sei und der „linken Haute­volee“ ange­höre. Sich volksnah gebender rechter Stra­tege versus behä­biger Univer­si­täts­pro­fessor: das war ein TV-Duell der Sonder­klasse, bei dem der eine seine NLP-Tricks auspackte und der andere so verdat­tert war, dass er bis ins Kind­liche regredierte.

Die öster­rei­chi­sche Wahl war so poli­tisch wie schon lange nicht (Wahl­be­tei­li­gung in der Stich­wahl 72,7 Prozent), und dass dabei ausge­rechnet die beiden großen Parteien, die bürger­liche ÖVP und die Sozi­al­de­mo­kraten von der SPÖ, kaum eine Rolle spielten, ist bezeich­nend. Es war eine Wahl der Zuspit­zung auf Milieus, ein gesell­schaft­li­cher Lack­mus­test, der zeigt, wie die Teile der Gesell­schaft ausein­an­der­driften und wie Parteien diese Zentri­fu­gal­kräfte noch stützen. Gewonnen hat Alex­ander Van der Bellen beim Foto­fi­nish unter anderem durch die Kampa­gnen­stärke urbaner Eliten, und das ist keines­wegs schon beru­hi­gend. Doch immerhin hat eine hauch­dünne Mehr­heit der Bürger dafür gesorgt, dass Ressen­ti­ment und Angst nicht Teil der öster­rei­chi­schen Staats­raison werden. Vorerst.

Sie können uns unter­stützen, indem Sie diesen Artikel teilen: