
FPÖ-Kandidat Norbert Hofer, Quelle: vox.com
Die erste Nachricht kam über Facebook: Eine Stunde, bevor offiziell bekannt wurde, dass der Grüne Alexander Van der Bellen die Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten gewonnen hat, trat der Gegenkandidat Norbert Hofer vor seine Facebook-Community und gestand die eigene Niederlage ein. Ein Akt von zerknirschter Größe und ein symbolischer Akt: Auf Facebook waren zuvor die lautesten Schlachten einer Wahl ausgetragen worden, die als Richtungsentscheidung von europäischer Dimension hätte enden können. Man werde sich noch wundern, was alles möglich sei, wenn er erst einmal in der Hofburg sitze, hat der Rechtspopulist Norbert Hofer verlauten lassen.
Dass das keine leere Drohung hätte bleiben müssen, liegt an einem pikanten Detail der österreichischen Verfassung in ihrer Form des Jahres 1929. Der österreichische Präsident hat die Möglichkeit, die Bundesregierung in die Wüste zu schicken, wenn ihm deren Politik nicht passt. Noch niemals in der Zweiten Republik hat ein Bundespräsident von diesem Recht Gebrauch gemacht, unter dem Signum dieser Realverfassung hat das Land seine Contenance bewahrt, die es – zumindest theoretisch – unter einem Bundespräsidenten, der aus der fundamentaloppositionellen FPÖ kommt, hätte verlieren können. Es wäre die Aushebelung des Parlamentarismus gewesen. Und das unter den Vorzeichen einer Politik, die sich in zahllosen Anti-Ausländerwahlkämpfen und mit gesellschaftlichen Polarisierungen profiliert hat, deren Wiener-Schnitzel-Patriotismus so abgrenzungsintensiv ist, dass ihm auch Antisemitisches nicht fremd ist, und der vor allem eine Methode der Stimmungsmache kennt: die Hetze gegenüber allem, was anders ist.

Wahlkampfveranstaltung auf dem Wiener Stephansplatz, April 2016; Quelle: facebook.com/ng.hofer/
Stimmungspolitisch unterscheidet sich Österreich aber wohl nicht sehr vom Rest Europas. Von Le Pen über Geert Wilders und die neue polnische Rechte bis zum Ungarn Viktor Orbán, zur AfD und zu Christoph Blocher lebt die Propaganda von einem Heimatbegriff, der zu schön ist, um jemals wahr gewesen zu sein. Gerade deshalb aber verfehlt er seine Wirkung nicht. Heimat, das ist nach Auslegung der neuen Rechtspopulisten und ihrer Anhänger eine Art Urzustand des Eigenen, das Paradies, in dem einem die Unschuld noch nicht durch Globalisierung, Flüchtlinge und EU genommen ist. Und es gibt darin wohl auch nicht die Erbsünde des Zorns, unter der die Wutbürger selbst vielleicht genauso leiden wie dessen Angriffsziele.
Deutlich war bei der österreichischen Wahl das Gefälle zwischen den ländlichen und strukturschwachen Gegenden und den Städten. Je weiter man sich an die Peripherie begibt, umso mehr Hofer-Wähler gab es. Möglich, dass man sich ausgerechnet im Salzburger Ort Muhr oder im Tiroler Spiss (über 87 Prozent für Hofer) besonders große Sorgen um die Zukunft macht, wahrscheinlich aber ist es nicht. Das Burgenland, von der EU ganz besonders mit Fördergeldern bedacht, hat mit großer Mehrheit den Kandidaten der EU-austrittsaffinen Partei gewählt. Umgekehrt liegt Alexander Van der Bellen auch in jenen Wiener Wahlbezirken vorne, die einen besonders hohen Ausländeranteil haben.
Mit 50,3 Prozent gegen 49,7 Prozent hat Van der Bellen die Wahl gewonnen, es ist eine hauchdünne Mehrheit, die einen Unterschied macht, der größer kaum sein könnte. Ist das Land jetzt gespalten? Oder sind einfach Gräben sichtbar geworden, die es schon länger gibt? Einerseits zeigt sich wohl bis in die einzelnen Wahlurnen hinein, wo die Demarkationslinien zwischen Vertrauen und Misstrauen liegen. Es ist eine Binsenweisheit: Wer nur einigermaßen im Gefühl lebt, Herr der eigenen Lage zu sein, kann Weltoffenheit und Multikulturalität als Chance sehen, er braucht keine retrograde nationale Selbstverherrlichung und auch nicht deren Projektion auf alle künftigen Zeiten.
Andererseits lässt sich selbst in einem Land, das wirtschaftlich EU-weit zur Spitze zählt, mit Ängsten Politik machen. Wie weit der österreichische Rechtspopulismus damit gekommen ist, zeigt sich auch am österreichischen Wahlergebnis. Ab den Achtzigerjahren hat das Raubein Jörg Haider altgediente Strukturen angegriffen und die sozialpartnerschaftlich organisierte Gemütsrepublik Österreich mit kalkuliertem Tabubruch unterwandert, bis es mit der Gemütlichkeit vorbei und eine Sündenbockpolitik etabliert war, wie sie die FPÖ heute noch betreibt: Alles Schlechte kommt von Außen. Nach einigen personellen Zwischenstufen und einer schwarz-blauen Regierung ist jetzt Heinz-Christian Strache als Parteichef der FPÖ am Ruder, der schon rhetorisch wie ein geklonter Haider wirkt. Aus der Niederlage bei den Wahlen zum Wiener Landtag im letzten Herbst, die man angesichts der Flüchtlingsströme mit forcierter Anti-Ausländer-Politik zu gewinnen hoffte, hat man gelernt: Norbert Hofer war daher ein Präsidentschaftskandidat, der jedem national überkochenden Stammtisch den Anstrich der Seriosität geben konnte. Und das Ergebnis, die stolzen 49,7 Prozent der Stichwahl, wirken wiederum zurück auf die Hoheitsgebiete von Kandidaten wie Hofer. Viele Motive werden sich hier mischen, aber auch die weniger guten sind mit diesem Ergebnis nobilitiert.

Norbert Hofer mit Bruce Willis (Wachsfigur), London, 26.12.2016; Quelle: facebook.com/ng.hofer/
Schon biografisch haben sich die beiden Kandidaten der Bundespräsidentenwahl unterschieden, und das auf höchst symbolische Art. Norbert Hofer kommt aus deutschnationalem Haushalt und einer kleinen idyllischen Gemeinde im Burgenland, einem Landstrich an Österreichs Grenze, wo sich das Deutschtum gegen die nahen Kroaten und Ungarn hochhalten lässt. Hofers Weg war konsequent. Von der rechtsextremen Burschenschaft Marko-Germania zur FPÖ, deren Thinktank er bis heute angehört, und wo er an einem Parteiprogramm mitgeschrieben hat, das nach alter Sitte die „deutsche Volksgemeinschaft“ hochhält. Als Dritter Nationalratspräsident beschäftigt Hofer einschlägig bekannte Recken des rechtsextremen Lagers in seinem Büro. Während Hofer neben seinem polternd auftretenden Parteichef Heinz-Christian Strache den guten Onkel gibt, der sein Ohr am Herz des Volkes hat, wurde der Gegenkandidat mit Häme überzogen, weil er ein Vertreter der „Eliten“ sei und der „linken Hautevolee“ angehöre. Sich volksnah gebender rechter Stratege versus behäbiger Universitätsprofessor: das war ein TV-Duell der Sonderklasse, bei dem der eine seine NLP-Tricks auspackte und der andere so verdattert war, dass er bis ins Kindliche regredierte.
Die österreichische Wahl war so politisch wie schon lange nicht (Wahlbeteiligung in der Stichwahl 72,7 Prozent), und dass dabei ausgerechnet die beiden großen Parteien, die bürgerliche ÖVP und die Sozialdemokraten von der SPÖ, kaum eine Rolle spielten, ist bezeichnend. Es war eine Wahl der Zuspitzung auf Milieus, ein gesellschaftlicher Lackmustest, der zeigt, wie die Teile der Gesellschaft auseinanderdriften und wie Parteien diese Zentrifugalkräfte noch stützen. Gewonnen hat Alexander Van der Bellen beim Fotofinish unter anderem durch die Kampagnenstärke urbaner Eliten, und das ist keineswegs schon beruhigend. Doch immerhin hat eine hauchdünne Mehrheit der Bürger dafür gesorgt, dass Ressentiment und Angst nicht Teil der österreichischen Staatsraison werden. Vorerst.