Der Faschismus des 20. Jahrhunderts zielte auf staatliche Verführung und Kontrolle. Die Wahl des neuen brasilianischen Präsidenten markiert den Triumph eines neuen, digitalen Faschismus, in dem die Massen der Motor ihrer eigenen Manipulation sind. Doch das macht ihn nicht weniger gefährlich.

  • Antoine Acker

    Antoine Acker teaches and researches in the field of global history at the University of Zurich. He is the author of a book on Volkswagen in the Amazon and several contributions about Brazil's international connections during the period of the military regime.

Ist Jair Bolso­naro, der neue, mit 55 Prozent der Stimmen trium­phal gewählte Präsi­dent Brasi­liens, ein „Faschist“? Bolso­naro hat öffent­lich Folter befür­wortet, bedauert, dass die ehema­lige Diktatur seines Landes nicht genü­gend Menschen getötet habe, und Brasi­lien einen Bürger­krieg mit 30.000 Toten gewünscht, in dem sich das Land rege­ne­rieren könne. Aber macht ihn das zum Anführer einer „faschis­ti­schen Bewe­gung“? Die Meinungen hierzu gehen auch unter Histo­ri­kern ausein­ander. Natür­lich ist der Hinweis berech­tigt, dass ein vorschnell aus Europa „impor­tierter“ Faschismus-Begriff die Tendenz hat, lokale Faktoren auszu­blenden: So die einhei­mi­sche Tradi­tion des Auto­ri­ta­rismus, und vor allem das Mili­tär­re­gime, das von 1964 bis 1985 in Brasi­lien herrschte und dessen Erbschaft noch immer unauf­ge­ar­beitet ist. Und in der Tat ist der neu gewählte Präsi­dent ein ehema­liger Mili­tär­of­fi­zier, der in dieser Zeit ausge­bildet wurde und seine Nost­algie für das Regime nie versteckt hat. 

Dennoch besitzt Brasi­lien eine eigene, unzwei­fel­haft faschis­ti­sche Tradi­tion. Hier entstand in den 1930er Jahren die welt­weit zweit­grösste Sektion der NSDAP, die nicht zuletzt Mitglieder aus der deut­schen Einwan­de­rungs­ge­mein­schaft des Landes anzog. Dazu tauchte in den 1930er Jahren die „Brasi­lia­ni­sche Inte­gra­lis­ti­sche Aktion“ auf: Eine Bewe­gung, die eine auf katho­li­schen, länd­li­chen und männ­li­chen Werten basie­rende „natio­nale Ordnung“ vertei­digen sollte. Die Bewe­gung rekla­mierte dabei offen ihre Zuge­hö­rig­keit zum italie­ni­schen Faschismus und besaß eine starke anti­se­mi­ti­sche Strö­mung. Mit mehr als einer Million Mitglie­dern in einem Land, das damals etwa 35 Millionen Einwohner zählte, wurde sie zur größten Massen­be­we­gung Brasi­liens dieser Zeit. 

Bolso­n­aros persön­liche Geschichte und seine ideo­lo­gi­schen Über­zeu­gungen sind mit dem modernen Erbe dieser Zwischen­kriegs­er­fah­rungen eng verknüpft. Seine Freund­schaft mit dem Neonazi Marco Antônio Santos ist bekannt: Auf einem Foto, das in jüngster Zeit häufig zirku­lierte, ist Santos neben Bolso­naro als Hitler verkleidet zu sehen. Und auch der Kampa­gnen­slogan von Bolso­naro, „Brasil acima de tudo“, ist eine direkte Über­set­zung von „Deutsch­land über alles“. Die Wendung wurde 1969 vom „Nati­vis­ti­schen Funken“ (Centelha Nati­vista) nach Brasi­lien impor­tiert, einer von Nazi-Symbolen faszi­nierten Grup­pie­rung am radi­kalen Rand des Mili­tärs, die auf mehr Hardliner-Autoritarismus drängte. Dank poli­ti­scher Persön­lich­keiten wie dem neu gewählten Präsi­denten hat diese Strö­mung den demo­kra­ti­schen Wandel gut über­lebt und trägt heute neue Blüten.

Ähnlich­keiten mit dem Europa der Zwischenkriegszeit

Mit der neuen Bewe­gung Bolso­n­aros haben damit Elemente des „klas­si­schen“ Faschismus euro­päi­scher Prägung Einzug in Brasi­lien gehalten. Dazu gehört nicht nur der ausgie­bige Perso­nen­kult um Bolso­naro, der von seinen Anhän­gern kurz „der Mythos“ genannt wird. Dazu gehört auch eine Ästhetik der Gewalt, mit der auch der „Finger-Revolver“ spielt: an beiden Händen hoch­ge­reckte Daumen und gestreckte Zeige­finger sind zum Zeichen der Bewe­gung geworden, und die Bilder von Anhän­gern mit in die Luft zeigenden „Revolver“-Händen erin­nern stark an die kollek­tive Mimik des faschis­ti­schen Grußes. Wenn Bolso­naro dazu aufruft, die Mitglieder der Arbei­ter­partei PT zu „erschiessen“, oder wenn ein gewählter Abge­ord­neter damit droht, linke Mitglieder der Staats­ver­samm­lung von Rio de Janeiro „abzu­feuern“, dann wird der poli­ti­sche Konkur­rent zum Feind erklärt, den es zu vernichten gilt – auch dies bestens kongruent mit faschis­ti­schen Vorstellungswelten. 

Auch ohne die Exis­tenz orga­ni­sierter „Kampf­ver­bände“ agierte ein Teil seiner glühendsten Anhänger nicht anders als Musso­linis Schwarz­hemden und beging Hunderte von Gewalt­taten gegen PT-Aktivisten, Homo­se­xu­elle, Trans­se­xu­elle und Indi­gene – einschließ­lich mindes­tens dreier Morde. Haken­kreuze und Graf­fiti, die mit dem Mord an Schwarzen und LGBT+ drohen, wurden in die Straßen, in Schulen und sogar an Kirchen­mauern gesprüht, was ein Klima der Einschüch­te­rung während der Wahlen schuf. Zudem basierte die offi­zi­elle Kampagne auf der Mani­pu­la­tion der Massen durch eine große Fake News-Indus­trie, die in sozialen Netz­werken wie Whatsapp und Face­book Falsch­mel­dungen verbrei­tete. Kandi­daten und Führer der Linken wurden darin mit Anschul­di­gungen wegen Korrup­tion, Sexua­li­sie­rung von Kindern, Verge­wal­ti­gung und sogar Sata­nismus verleumdet. 

„Finger-Revolver“, Quelle: jungewelt.de

Mora­li­sche Verun­glimp­fung und poli­ti­sche Verfol­gung haben sich zu einer Hysterie hoch­ge­stei­gert, die dem poli­ti­schen Klima der euro­päi­schen Zwischen­kriegs­zeit in nichts nach­steht. Unmit­telbar nach dem Sieg von Bolso­naro forderte einer seiner Kongress­ab­ge­ord­neten Schüler dazu auf, mit ihren Handys Lehrer zu filmen, die „linke Indok­tri­na­tion“ prak­ti­zieren würden. Die Feind­se­lig­keit gegen die „Roten“ hat sich in einen tota­li­tären Wahn verwan­delt, in dem selbst konser­va­tive Denker wie Francis Fuku­yama als „Kommu­nist“ verab­scheut und Menschen auf der Straße ange­griffen werden, nur weil sie rote Klei­dung tragen. Diese Hexen­jagd gegen die Linke – ein Wort, das von seiner eigent­li­chen poli­ti­schen Bedeu­tung entleert wurde – hat die Form einer irra­tio­nalen Suche nach Sünden­bö­cken für die brasi­lia­ni­sche Wirt­schafts­krise ange­nommen; einer Suche, die beun­ru­hi­gende Ähnlich­keiten mit der ersten histo­ri­schen Phase der faschis­ti­schen Schi­kanen gegen reli­giöse und ethni­sche Minder­heiten aufweist.

 „Faschismus“: ein passendes Etikett?

Gleich­wohl gibt es auch gute Gründe, vorsichtig zu sein, bevor man den „Bolso­na­rismus“ (nennen wir ihn so, bis die Debatte beendet ist) mit dem Etikett „Faschismus“ versieht. Bolso­naro besitzt nicht Hitlers dogma­ti­sche Substanz, und seine unge­fähre Syntax liegt weit hinter Musso­linis berühmten intel­lek­tu­ellen und lite­ra­ri­schen Fähig­keiten. Er ist ein weiteres Beispiel für den rätsel­haften Erfolg rechts­extremer Persön­lich­keiten auf der ganzen Welt – Matteo Salvini in Italien, Marine Le Pen in Frank­reich und Donald Trump in den USA –, deren mittel­mä­ßiges Auftreten und unge­schlif­fene Sprache in scharfem Kontrast zum rheto­ri­schen Stil faschis­ti­scher Führer der Zwischen­kriegs­zeit stehen. Ein anderer bemer­kens­werter Unter­schied ist das Fehlen einer Massen­partei: Die Sozi­al­li­be­rale Partei (PSL), der Bolso­naro erst im März 2018 beitrat, war ledig­lich eine der wenigen Split­ter­gruppen, die ihn dazu einluden, sie in der Präsi­den­ten­wahl zu vertreten. 

Anhän­gerin von Jair Bolso­naro © Silvia Izquierdo/AP/dpa, Quelle: zeit.de

Erst in den letzten Tagen der Kampagne wuchs sie zur zweit­stärksten poli­ti­schen Kraft Brasi­liens heran, und ihr fehlen noch immer die struk­tu­rie­renden Rituale und die mili­tä­ri­sche Orga­ni­sa­tion früherer faschis­ti­scher Bewe­gungen. Schließ­lich scheint der Bolso­na­rismus nicht wie der euro­päi­sche Faschismus den Anspruch auf terri­to­riale Expan­sion zu erheben. Aber dieser letzte Punkt muss im geogra­fi­schen Kontext Brasi­liens disku­tiert werden, eines Landes mit einer Fläche von 8,5 Millionen Quadrat­ki­lo­me­tern, dessen riesiges Inneres von den auto­ri­tären Bewe­gungen des Lands immer als leerer Raum betrachtet wurde, den es zu unter­werfen gelte, damit die Nation über­leben und wachsen könne. Daher können Bolso­n­aros Verspre­chen, die Entwal­dung zu verstärken und indi­gene Gebiete zu verklei­nern, durchaus als eine tropi­sche Version des faschis­ti­schen Stre­bens nach „Lebens­raum“ inter­pre­tiert werden.

Der Blick der Histo­riker und Erklä­rungen der ganz kurzen Dauer

Auch wenn sich „geogra­phi­sche“ Argu­mente dafür finden lassen, in der Sozi­al­li­be­ralen Partei unter Jair Bolso­naro eine „brasi­lia­ni­sierte“ Vari­ante des Faschismus zu sehen, so sind die histo­ri­schen Entwick­lungen, die zu ihrem Durch­bruch geführt haben, sehr viel schwie­riger zu erfassen. Zahl­reiche Histo­ri­ke­rinnen und Histo­riker Brasi­liens haben die auto­ri­täre Tendenz ihrer Regie­rungs­in­sti­tu­tionen spätes­tens mit der verfas­sungs­wid­rigen Amts­ent­he­bung gegen die gewählte Präsi­dentin Dilma Rousseff im Jahr 2016 erkannt. Dennoch kam auch für die Histo­riker der Erfolg Bolso­n­aros in der ersten Präsi­dent­schafts­runde über­ra­schend. Noch eine Woche vor dem ersten Wahl­gang war Bolso­naro in den Meinungs­um­fragen nicht Favorit gewesen: Ein erheb­li­cher Anteil jener Wähler, die ihm das spek­ta­ku­läre Ergebnis von 46 Prozent der Stimmen bescherten, entschied sich erst in den letzten 48 Stunden für ihn. Inso­fern versagen lang- und mittel­fris­tige Erklä­rungen des Wahl­sieges, wie Histo­riker sie gewöhn­lich kennen, weit­ge­hend, auch wenn sich entspre­chende Erklä­rungen selbst­ver­ständ­lich finden lassen. Hierzu gehören etwa das Rache­be­dürfnis jener reak­tio­nären Elite, deren Wohl­stand auf dem struk­tu­rellen Erbe der Skla­verei beruht, aber auch die Deklas­sie­rungs­macht einer seit vier Jahren durch­grei­fenden Wirt­schafts­krise sowie der Zusam­men­bruch des gesamten poli­ti­schen Systems aufgrund unge­heurer Korruptionsskandale. 

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Auch die zuneh­mend engeren Bünd­nisse mit evan­ge­li­kalen Pries­tern im Zeichen von Bolso­n­aros Projekt der Wieder­her­stel­lung einer patri­ar­cha­li­schen Fami­li­en­ord­nung haben gegen Ende der Kampagne eine wich­tige Rolle gespielt. Ihr poli­ti­scher Einfluss ist das Ergebnis von inzwi­schen fünfzig Jahren erfolg­rei­cher Basis­ar­beit dieser Kirchen in den sozial segre­gierten Stadt­vier­teln, die sich geschickt die Mittel der modernen Unter­hal­tungs­in­dus­trie und digi­talen Welt zu eigen machten, um ihr Dogma zu verbreiten. Doch solche lang- und mittel­fris­tigen Entwick­lungen reichen nicht aus, um den „Blitz­krieg“ Bolso­n­aros in vielen Teilen Brasi­liens zu erklären: Im Bundes­staat Rio de Janeiro zum Beispiel wuchs der Stimm­an­teil von Bolso­n­aros engen Verbün­deten und Gouver­neurs­kan­di­daten Wilson Witzel in 24 Stunden von 14 Prozent (in der für ihn güns­tigsten Umfrage) auf 41 Prozent in weniger als 24 Stunden. 

Der Aufstieg des digi­talen Faschismus

Was der histo­ri­sche Blick nicht erkennen kann, ist die entschei­dende Rolle digi­taler Tech­no­logie, die bei der Wahl die Auswir­kungen länger­fris­tiger sozialer und poli­ti­scher Entwick­lungen in kürzester Zeit dupli­zierte und beschleu­nigte. Laut der Daten, die das Meinungs­for­schungs­in­stitut Data­folha am 28. Oktober 2018 veröf­fent­lichte, gaben 65 Prozent der brasi­lia­ni­schen Wähler an, sich poli­tisch durch „Nach­richten“ auf Whatsapp zu infor­mieren, wobei 47 Prozent ergänzten, diese Nach­richten auch zu glauben. In dieser Konstel­la­tion gelang es Bolso­naro mit seiner Kampagne, eine neue Form des Faschismus zu erfinden, deren Geburtsort nicht die Straße, sondern die sozialen Netz­werke waren. 

Die atem­be­rau­bende Geschwin­dig­keit, mit der sich Lügen digital verbreiten ließen, machte die faschis­ti­sche Massen­partei als Instru­ment zur Mani­pu­la­tion der Gesell­schaft obsolet. Statt­dessen wurde, wie die Zeitung Folha de São Paulo bereits am 18. Oktober 2018 enthüllte, eine zentral geplante Propa­gan­da­kam­pagne über die Sozialen Netz­werke initi­iert, in der Hunderte von Geschäfts­leuten einen massiven Wahl­be­trug zugunsten der PSL voran­trieben. Obwohl voll­ständig illegal inves­tierten diese Unter­nehmen jeweils bis zu vier Millionen Dollar, um Benut­zer­daten der Sozialen Netz­werken zu erhalten, Whatsapp-Gruppen zu gründen und Millionen von Privat­konten mit Diffa­mie­rungen gegen Kandi­daten der Arbei­ter­partei zu bombar­dieren. Diese Kampagne wurde mit viel ille­galem Geld in Gang gesetzt, aber sie entfal­tete Kraft, weil von den Massen selbst getragen wurde. Kaum war dieses Gift in die digi­tale Welt einge­führt, wurde die Mani­pu­la­tion der Massen zu einem parti­zi­pa­tiven Prozess: Durch ihre Mobil­te­le­fone verbrei­teten die Brasi­lianer jene gefälschten Nach­richten, die geschaffen worden waren, um ihre Wahl­ent­schei­dung zu beein­flussen, inmitten des alltäg­li­chen Flusses von Emoti­cons, persön­li­chen Nach­richten und anderen, unpo­li­ti­schen Infor­ma­tionen an Verwandte, Freunde und Kollegen.

Protest gegen Bolso­naro; Quelle: zeit.de

Diese Konstruk­tion eines durch Inter­ak­ti­vität verflüs­sigten Faschismus, der sich über die sozialen Medien immer wieder spontan bildet, könnte Bolso­naro und seine Clique davon abhalten, in Zukunft einen staat­li­chen Überwachungs- und Repres­si­ons­ap­parat zu bauen. Der brasi­lia­ni­sche Jour­na­list Fausto Salva­dori hat in einer der besten Analysen nach dem zweiten Wahl­gang auf diese Gefahr hinge­wiesen, als er danach fragte, wer schon Zensur und eine poli­ti­sche Polizei brauche, wenn Schüler Lehrer ganz direkt mit ihren Handys filmten. Und welche Diktatur, liesse sich im Anschluss daran fragen, braucht plan­volle Tech­niken staat­li­cher Gewalt, wenn Hundert­tau­sende von anonymen „Trollen“ das Internet nutzen, um Aufrufe zur Verge­wal­ti­gung oder Ermor­dung von Ange­hö­rigen ethni­scher und sexu­eller Minder­heiten zu verbreiten, wie es in den letzten Wochen geschehen ist? Darin könnte auch der entschei­dende Grund dafür liegen, warum klas­si­sche faschis­ti­sche Rhetorik im Bolso­na­rismus kaum eine Rolle spielt: In der Welt der sozialen Netz­werke, in denen Kommu­ni­ka­tion aus schnellen Sätzen, manchmal mit einer streng begrenzten Anzahl von Zeichen (Twitter), und einer syntak­tisch unter­kom­plexen Sprache besteht, sind die Sprach­bilder des klas­si­schen Faschismus ebenso unpas­send wie unnötig. Digi­tale Rhetorik produ­ziert keine charis­ma­ti­schen Volks­tri­bune, sondern „Influencer“, die in ihrer spon­tanen Alltags­sprache spre­chen, mit provo­kanten Erklä­rungen auf sich aufmerksam machen, sich durch Instagram-Bilder und Live-Videos aus ihrem Kran­ken­zimmer oder vom heimi­schen Sofa zu Wort melden und damit jenes digi­tale Summen erzeugen, das die Kampagne von Bolso­naro zum Erfolg führte. 

Wie Histo­riker des klas­si­schen Faschismus hervor­ge­hoben haben, kann es viele Arten von faschis­ti­schen Bewe­gungen geben. Bolso­na­rismus ist die erste, die eine digi­tale Form annimmt. Doch das macht sie nicht weniger tota­litär in ihrem Projekt der poli­ti­schen Verfol­gung, wie die fast surrea­lis­ti­sche Rede Bolso­n­aros am 22. Oktober 2018 zeigte. Während tausende Unter­stützer für die Rede in die Haupt­straße Sao Paulo’s gekommen waren, wandte sich der Kandidat per Inter­net­video an den Mob: gefilmt mit einem Mobil­te­lefon stand er in zufäl­ligen Haus­kla­motten an einem Ort, der wie die Wasch­küche seines Hauses aussah. Der Inhalt der Rede jedoch war Faschismus der grau­samsten Art: Bolso­naro riet seine poli­ti­schen Gegner, „das Land zu verlassen oder ins Gefängnis zu gehen“ und versprach, „sie alle nach Ponta da Praia zu schi­cken“, eine Mili­tär­basis, die während der Diktatur als Folter­zen­trum diente.

Es ist Zeit, vom Faschismus zu sprechen

Seit Ende der 1980er Jahre hat das Aufkommen des Rechts­po­pu­lismus in der euro­päi­schen Partei­en­land­schaft zu einer infla­tio­nären Nutzung des Faschismus-Vergleichs in Politik und Medien geführt. Viele Histo­riker hat dies bewegt, den häufigen Über­trei­bungen in der poli­ti­schen Diskus­sion entge­gen­zu­treten und das Etikett Faschismus nur sehr sparsam für rechts­ra­di­kale Bewe­gungen zu verwenden. Jetzt ist es an der Zeit, es auch für die Gegen­wart wieder zu nutzen, denn Bolso­naro ist nicht nur der Trump der Tropen“. Ihm geht es um einen rechts­extremen Tota­li­ta­rismus, auch wenn sein Plan einer rechten Diktatur in der digi­talen Welt der gegen­sei­tigen Vernet­zung weitaus schwerer zu erkennen ist als in Zeiten, in denen diese Politik noch von tradi­tio­nellen faschis­ti­schen Struk­turen verkör­pert wurde. Den Bolso­na­rismus als digi­talen Faschismus zu erkennen, ist deshalb keine Frage des akade­mi­schen Fach­jar­gons. Es ist ein adäquater histo­ri­scher Vergleich, der uns über die Risiken dessen infor­miert, was derzeit geschieht. Denn Faschismus produ­ziert Blut­ver­gießen, vor allem wenn die inter­na­tio­nale Gemein­schaft ihn nicht in seinem Früh­sta­dium identifiziert.

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