Sind die Menschen erst durch die Jagd zu Menschen geworden? Handelt es sich um ein evolutionäres Erbe, Tiere töten zu wollen, oder zeigt sich in der Allgegenwart der Jagd – und ihrer Kritik – in allen menschlichen Gesellschaften, nicht gerade eine höchst differenzierte Kulturgeschichte?

Die Jagd­saison ist eröffnet und lässt Kontro­versen über Sinn und Zweck des „edlen Waid­werks“ bzw. „sinn­losen Mordens“ von Millionen von Tieren wie alle Jahre wieder aufflammen. Es handelt sich um ein Reiz­thema, und die Diskus­sion zwischen Jagdbefürworter:innen und Jagdgegner:innen wird zumeist hoch emotional und zum Teil sehr pole­misch geführt. Dabei geht es um gegen­wär­tige Fragen von Tier­ethik und Wald­be­wirt­schaf­tung, um die Jagd als Hand­werk oder als archai­schen „Trieb“, um Evolu­ti­ons­bio­logie und Geschichte. Diese Fragen sind in eigen­ar­tiger Weise mitein­ander verhängt. Denn auf beiden Seiten werden Figuren der Natur und des Natür­li­chen aufge­rufen und zugleich darauf hinge­wiesen, dass in der heutigen Kultur­land­schaft auch die scheinbar wilden Tiere Teil von Planungs- und Verwal­tungs­pro­zessen sind.

Manage­ment

Unei­nig­keit besteht aller­dings darüber, wie ein effek­tives Wild­ma­nage­ment umzu­setzen ist. Eins der Argu­mente gegen die Jagd lautet, dass die Wild­tiere keinerlei natür­li­cher Regu­lie­rung mehr unter­liegen würden, sondern erst durch den Winter gefüt­tert und dann von Hobby­jä­gern auf der Jagd nach Trophäen dezi­miert würden. So hätten sich die Wild­be­stände gerade aufgrund der Jagd immer weiter erhöht und das Verhalten der Tiere habe sich verän­dert. Lobbyist:innen für die Jagd halten dagegen, dass gerade die hohe Zahl des Wildes dessen Beja­gung notwendig mache, und hier nicht zuletzt eine „nach­wach­sende Ressource“ beson­ders hoch­wer­tigen Flei­sches zu erhalten sei. Jagd und die Hege seien zudem notwen­dige Regu­lie­rungs­maß­nahmen, die den Tieren und dem Wald nützten, und die Jäger:innen seien letzt­lich nur Ersatz für die fehlenden Präda­toren. Auch in den Reihen der Jäger­schaft selbst gibt es aller­dings seit längerem Kritik an bestimmten Jagd­prak­tiken und der als über­holt ange­se­henen Jagd­ge­setz­ge­bung, wie die Grün­dung des Ökolo­gi­schen Jagd­ver­bandes e.V. (ÖJV) zeigt, der schon 1988 gegründet worden ist und mit seinen heute zwölf Landes­ver­einen und seinem Magazin die Ökojagd propagiert.

Weitere Konflikte bestehen zwischen der Jagd­in­dus­trie und der Holz­in­dus­trie bzw. der Jäger­schaft und den Förs­te­rinnen und Bauern. Die soge­nannte Wald-Wild-Frage betrifft die Konkur­renz zwischen den trotz oder aufgrund der Jagd zuneh­menden Wild­be­ständen und den Bedürf­nissen eines Misch­waldes, der sich aufgrund von starkem Verbiss nicht rege­ne­rieren könne. Der Entwick­lung und Erhal­tung eines gesunden Waldes versucht der ÖJV denn auch Rech­nung zu tragen. Dabei geht es nicht so sehr um moral­phi­lo­so­phisch basierte Argu­mente gegen das durch die Jagd verur­sachte Tier­leid, sondern um ökolo­gi­sche Argu­mente gegen ein veral­tetes Jagd­ge­setz, gegen eine ideo­lo­gi­sierte Verbrä­mung der Frei­zeit­jagd als scheinbar notwen­dige Bestands­re­gu­lie­rung und gegen den Wald­schaden. So hat sich aufgrund der Beja­gung das Verhalten von Tieren und ihr Lebens­raum verän­dert, manche Tiere sind über­haupt erst als Jagd­wild in Europa einge­führt worden und die extrem genutzten und bewirt­schaf­teten Wälder können wohl kaum als Wildnis bezeichnet werden.

Auch die Jäger:innen selbst geben zu, dass es sich bei den Jagd­re­vieren um Kultur­land­schaften handelt – oder betonen das gera­dezu, wenn sie gegen die Kritik argu­men­tieren, die sie auffor­dert, Wald und Wild in Ruhe zu lassen. Dann wird das Argu­ment ins Feld geführt, die Hege sei notwendig, denn der Mensch habe bereits so tief in Ökosys­teme einge­griffen, dass „die Natur“ sich nicht selbst über­lassen bleiben könnte. Auch beim Wild, den nicht domes­ti­zierten Tieren, handelt es sich also um „Kultur­tiere“, und das gilt übri­gens nicht nur für Europa, sondern ist ein sehr viel allge­mei­neres Phänomen. Schon 1933 schrieb Aldo Leopold, ein Doyen der Natur­schutz­be­we­gung, mit Blick auf afri­ka­ni­sche Wild­tiere: „Every head of wild life still alive in this country is already arti­fi­ci­a­lized, in that its exis­tence is condi­tioned by economic forces.”

Das Prinzip der Veränderung?

Sowohl die Gegner:innen als auch die Befürworter:innen der modernen Jagd bedienen sich einer Reihe histo­ri­scher, kultur­ge­schicht­li­cher und zuneh­mend auch evolu­ti­ons­bio­lo­gi­scher Argu­mente, die es aufzu­schlüs­seln gilt. Dabei wird immer wieder auf die funda­men­tale Rolle hinge­wiesen, die die Jagd in der Mensch­heits­ge­schichte gespielt habe, als immer noch wirk­sames urge­schicht­li­ches Erbe oder als eine über­wun­dene Notwen­dig­keit einfa­cher Subsis­tenz­öko­no­mien. Umstritten ist aller­dings – das betrifft sowohl die evolu­tio­näre als auch die histo­ri­sche Zeit –, welchen Anteil an der Ernäh­rung die Jagd über­haupt gespielt hat und ob sie als entschei­dender evolu­tio­närer Movens zu deuten ist.

Im Jahr 2012/13 besaßen laut statis­ti­scher Angaben des Deut­schen Jagd­ver­bands e.V. (DJV) 312.367 Menschen in Deutsch­land einen Jagd­schein, darunter etwa 1000 Berufs­jä­ge­rinnen und Berufs­jäger. Keine dieser Personen muss jagen, weder um Nahrung zu beschaffen, noch – bis auf seltene Ausnahmen – zur Vertei­di­gung gegen gefähr­liche Tiere. Jagd ist für die meisten Menschen in den indus­tria­li­sierten und post-industriellen Gesell­schaften Hobby und Sport und keine Notwen­dig­keit mehr. Aller­dings prägte die Vorstel­lung eines evolu­tio­nären Erbes, einer gene­ti­schen Dispo­si­tion der Menschen, oder besser der Männer, zur Jagd lange Zeit sowohl wissen­schaft­liche als auch popu­läre Diskurse und erlebt derzeit eine Renaissance.

Die Jagd­hy­po­these bezie­hungs­weise die Man the Hunter-Theorie besagt im Kern, dass sich unsere Vorfahren haupt­säch­lich von der Jagd ernährten und diese neue Lebens­weise die trei­bende evolu­tio­näre Kraft auf dem Weg der Mensch­wer­dung gewesen ist. Oder in den Worten von Donna Haraway: „Alles, was nicht mit Jagen zu tun hatte, hatte es schon immer gegeben. Jagen war das Prinzip der Verän­de­rung.“ Daran knüpfen sich weit­rei­chende Thesen zur mensch­li­chen Entwick­lungs­ge­schichte, und die Jagd wurde für eine Reihe von Inno­va­tionen verant­wort­lich gemacht, etwa ein gemein­sames plane­ri­sches Handeln und Koope­ra­ti­ons­fä­hig­keit, die Entwick­lung von Werk­zeugen und sozialen Tech­niken sowie die Entwick­lung der geschlechts­spe­zi­fi­schen Arbeits­tei­lung. Doch stimmt das auch? Wie ließe sich eine so bedeu­tende Rolle der Jagd nach­weisen? Archäo­lo­gi­sche Funde lassen sich ganz unter­schied­lich inter­pre­tieren. Wenn z.B. in einer Sied­lung nur wenige Tier­kno­chen gefunden werden, könnten diese zerstreut worden sein oder auf einen geringen Fleisch­konsum hinweisen. In ihrem Buch Man the Hunted gehen Robert Sussman und Donna Hart davon aus, dass Primaten und auch die Früh­men­schen über Millionen von Jahren eher Beute als Jäger waren.

Alle mögli­chen Fach­dis­zi­plinen haben die Man the Hunter-Theorie umfas­send kriti­siert, doch sie beein­flusste die popu­lären und wissen­schaft­li­chen Vorstel­lungen der Mensch­wer­dung nach­haltig. Dabei werden in unter­schied­li­chen Medien und auch von der Jäger­lobby kultur­ge­schicht­liche Argu­mente, die Jagd habe die Menschen in ihrer ganzen Geschichte bis in die Moderne hinein geprägt, mit biologisch-evolutionsgeschichtlichen Vorstel­lungen eines immer noch bestehenden „Jagd­triebes“ kombi­niert, wobei es ein entschei­dender Unter­schied zwischen Menschen und Tieren sei, dass Menschen mit Waffen jagten. Dieses „Jäge­rerbe“ betrifft natür­lich vor allem Männer, während Frauen als „Samm­le­rinnen“ zur Ernäh­rung der Familie beigetragen und sich ansonsten um die Aufzucht der Kinder geküm­mert hätten.

Die Rede von „archai­schen Jäger­in­stinkten“ oder die Theorie von der Geburt des Menschen als “Killer Ape“, als genuin aggres­siver, ja mörde­ri­scher „Affe“, zielen darauf, die in der gesamten Mensch­heits­ge­schichte zu findenden Jagd­prak­tiken und die Lust am Töten von Tieren schon in der evolu­tio­nären Vorzeit zu veran­kern. Sie verkennen dabei jedoch etwas Grund­le­gendes. Die Jagd ist nichts “Natür­li­ches“, sondern eine mit Ritualen verbun­dene, uralte Kultur­technik, die sich bis heute stetig gewan­delt hat. Es ist die Jagd selbst, die einem kultu­rellen Prinzip der Verän­de­rung unter­liegt. Auch wenn jede Jagd auf das Erbeuten eines Tieres zielt, umfasst das Phänomen der Jagd insge­samt höchst unter­schied­liche Prak­tiken: Menschen jagen alleine oder in der Gruppe, mit oder ohne Waffen, mit oder ohne tier­liche Beglei­tung – und auch die Beute­tiere unter­scheiden sich natür­lich vonein­ander. Es gibt nicht „die“ Jagd.

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Koope­ra­tion

Das wohl wich­tigste Tier in Beglei­tung von Jäger:innen sind Hunde, die bereits Zehn­tau­sende von Jahren früher als andere Tiere oder Pflanzen domes­ti­ziert worden sind. So spricht u.a. Donna Haraway von einer Koevo­lu­tion von Mensch und Hund, und die Anthro­po­login Pat Shipman geht davon aus, dass nicht die Jagd an sich, sondern viel­mehr die mensch­liche Beschäf­ti­gung mit Tieren und der Versuch, Kontrolle über sie zu erlangen, einer der trei­benden Schlüs­sel­fak­toren bei der mensch­li­chen Evolu­tion war. Mit anderen Worten: Jäger:innen verfolgen und töten Tiere, häufig aller­dings in Beglei­tung von anderen Tieren. Beide Verhält­nisse – jenes zwischen den Jagenden und ihrer Beute und jenes zu ihren Begleit­tieren – waren und sind nicht rein instru­men­tell, auf den bloßen Zweck etwa der Nahrungs­ge­win­nung zu verstehen. Viel wich­tiger als das Aufspüren eines angeb­lich in der Evolu­tion des Menschen entstanden „Jagd­triebes“ ist daher ein Verständnis der „Kultur“ der Mensch-Tier-Beziehung, nicht zuletzt bei der Jagd.

In der anthro­po­lo­gi­schen und der ethno­lo­gi­schen Lite­ratur wird etwa darüber debat­tiert, ob Tiere gene­rell oder einzelne Tier­in­di­vi­duen – wie beson­ders gefähr­liche Gegner oder beson­ders nahe Jagd­be­gleiter – in anderen kultu­rellen und zeit­li­chen Kontexten als Personen ange­sehen worden sind, oder, so eine weitere Frage, ob ihnen der Perso­nen­status nur symbo­lisch, rituell zuge­wiesen wurde, um z.B. ihre Kräfte zu bannen. Während die beiden Anthro­po­logen Nurit Bird-David und Tim Ingold von rela­tio­nalen Onto­lo­gien ausgehen, die Dingen und Pflanzen und Tieren eine eigene Hand­lungs­macht (agency) zuweisen, argu­men­tieren andere, dass Jäger:innen eher in eine Verbin­dung mit einer “anthro­po­mor­phic Spirit figure“ treten, welche die Klasse der gejagten Tiere insge­samt und keine einzelnen Tier­per­sonen reprä­sen­tiere. In beiden Fällen wird jedoch die gegen­sei­tige Beein­flus­sung von Mensch und Tier unter­sucht und die Jagd als Inter­ak­tion verstanden.

Die respekt­volle Behand­lung der getö­teten Tiere – wenn etwa wie bei Alaska Yupiit die Knochen und andere Körper­teile von Meeres­säu­gern und Karibus noch bis zu einem Jahr nach der Jagd „kura­tiert“ werden –, kann sowohl von einer Auffas­sung des Tieres als Person als auch von einer symbo­li­schen Würdi­gung spre­chen. Es gibt zahl­reiche ethno­lo­gi­sche Beispiele für ein beson­deres Verhältnis zu dem gejagten Tier, vor, während und nach der Jagd. Auch wenn es nicht darum gehen kann, den „west­li­chen Onto­lo­gien“ eine irgendwie über­grei­fende „indi­gene Onto­logie“ gegen­über zu stellen, sind die Erkennt­nisse aus verschie­denen ethno­lo­gi­schen Unter­su­chungen dennoch ein wich­tiger Beitrag zum Verständnis der Geschichte der Jagd. Denn sie ermög­li­chen es, andere Verhält­nisse zu den Beute­tieren wie auch zu den Tieren in Beglei­tung zu denken – und zwar noch ganz unab­hängig von der spezi­fi­schen Frage nach deren Status als Personen oder Perso­ni­fi­ka­tionen eines „Tier­geistes“ bei verschie­denen indi­genen Gemeinschaften.

Liebe und Tod

Trotz aller kultur­his­to­ri­scher Herlei­tungen und Rahmungen, und trotz aller Erkennt­nisse über Ko-Evolution, Tier­per­sonen und ökolo­gi­scher Formen der Jagd bleibt doch ein blutiger Kern. Alle Jäger:innen töten Tiere.

Im Kontext der Jagd liegen Liebe und Tod, Leben und Mord­lust sehr eng beiein­ander. Tier­ge­schenke können Freund­schaft und Liebe zwischen Menschen symbo­li­sieren und vermit­teln, die Liebe richtet sich aber auch auf das sorg­fältig gepflegte Tier, sei es nun „Jagd­helfer“ oder Beute. Ziel der Jagd ist der Tod, vom Jäger, von der Jägerin herbei­ge­führt oder dele­giert an ein anderes Tier, wie Beiz­vögel oder Jagd­ge­parden. Zur Recht­fer­ti­gung der Jagd gehört es, dass einige Tiere sterben müssen, um Leben zu ermög­li­chen, um Menschen und Felder zu schützen oder aber als Teil der soge­nannten Hege. Und zur ritua­li­sierten Gewalt der Jagd und zur Mord­lust bemerkte der Psycho­ana­ly­tiker Paul Parin einmal: „Leiden­schaft­lich Jagende wollen töten. Jagd ohne Mord wäre ein Oxymoron, ein Begriff, der sich selbst aufhebt.“ Er war selbst Jäger.