Das „Ibizagate“ zeigt nicht nur den Ist-Zustand unserer Gesellschaft, sondern auch den unserer politischen Phantasie. Nirgendwo kommt diese so deutlich zum Vorschein wie beim strategischen und ironischen Spekulieren über die Urheber*innen des Strache-Videos. Eine detaillierte Rekonstruktion von Ania Mauruschat.

  • Ania Mauruschat

    Ania Mauruschat ist Journalistin sowie Literatur- und Medienwissenschaftlerin. Sie absolvierte die Ausbildung zur Redakteurin an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München und promoviert zur Zeit am Collegium Helveticum in Zürich und an der Universität Basel zur Störung aus medienästhetischer Perspektive.

Die verwa­ckelte Kamera, das schiefe, grob­kör­nige Bild, der schlechte Ton: Schon auf der ästhe­ti­schen Ebene erin­nert das sechs­mi­nü­tige Video an eine Traum­se­quenz. Noch surrealer, ist nur sein Inhalt: Der rechts­extreme FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache erklärt vor laufenden – aller­dings versteckten – Kameras ausführ­lich, wie er einer vermeint­li­chen letti­schen Nichte eines russi­schen Olig­ar­chen künftig Staats­auf­träge zu über­höhten Preise vergeben werde, wenn sie dafür die Krone, Öster­reichs größte Boule­vard­zei­tung, kauft, unlieb­same Jour­na­listen – „zack, zack, zack“ – gegen will­fäh­rige austauscht und so seine Partei hoch­schreiben läßt, auf dass die FPÖ bei den Natio­nal­rats­wahlen im Oktober 2017 zur stärksten Kraft im öster­rei­chi­schen Parla­ment würde. Zuge­spitzt formu­liert: Ein angeb­lich demo­kra­ti­scher Poli­tiker erklärt, dass er die Pres­se­frei­heit mit einem Hand­streich abschaffe würde, wenn er denn könnte.

Quelle: sueddeutsche.de

Das Surreale dieses Film­ma­te­rials, das das deut­sche Nach­rich­ten­ma­gazin der Spiegel, die Süddeut­sche Zeitung und das Wiener Wochen­ma­gazin Falter in wenigen Auszügen gemeinsam am Freitag, den 17. Mai im Internet veröf­fent­lichten, besteht darin, dass es zwar eine Täuschung insze­niert, dadurch aber eine Realität doku­men­tiert, die anders nie ans Tages­licht gelangt wäre. Kein Wunder also, dass in Zeiten von „Fake News“ und „Alter­na­tive Truth“ sofort ein kollek­tives „Whod­unit?“ ausbrach. Seither über­schlagen sich die Speku­la­tionen darüber, wer die Urheber der Aufnahmen und was ihre Motive gewesen sein könnten: War es der deut­sche Sati­riker Jan Böhmer­mann? Oder waren es von der poli­ti­schen Konkur­renz beauf­tragte „Schmutzkampagnen“-Experten wie der Israeli Tal Silber­stein? Vermeint­liche FPÖ-Parteifreunde? Inves­ti­ga­tive Jour­na­listen? Der Mossad? Polit-Kunst-Aktivisten wie das Zentrum für Poli­ti­sche Schön­heit? Um nur die am häufigsten verdäch­tigten Kandi­daten zu nennen. Im Verlauf der vergan­genen Woche verdich­teten sich diese Speku­la­tionen schließ­lich zu drei Haupt-Theorien: Entweder es handelte sich um inves­ti­ga­tiven Jour­na­lismus à la Günther Wall­raff oder um ein Kompromat à la KGB & Co. oder um eine Kunst­ak­tion à la The Yes Men. –

Und auch wenn es doch ganz anders gewesen sein könnte, diese drei zentralen Speku­la­tionen sind es wert, rekon­stru­iert und analy­siert zu werden. Denn sie sagen viel darüber aus, welches Ausmaß an Phan­tasie in der Politik am Werk ist, wie solche Speku­la­tionen für unter­schied­liche poli­ti­sche Agenden instru­men­ta­li­siert werden und wie dabei abge­lenkt wird von dem, worum es bei der ganzen Enthül­lung eigent­lich geht: Den Kampf um Pres­se­frei­heit und Demo­kratie.     

Verdäch­tige und mediale Schlammschlachten

Schon im ersten Satz seiner Rück­tritts­er­klä­rung vom 18. Mai bringt HC Strache zwei Verdäch­tige ins Spiel, um von seiner erwie­senen Demo­kra­tie­feind­lich­keit und Korrup­ti­ons­be­reit­schaft abzu­lenken: Entweder hätte ihm ein auslän­di­scher Geheim­dienst die Falle gestellt oder es war „Dirty-Campaigning“ in „Silberstein-Manier“. Am Tag nach Stra­ches Rück­tritt hatte auch Sebas­tian Kurz, zu dem Zeit­punkt noch Bundes­kanzler Öster­reichs, im Inter­view mit der BILD-Zeitung speku­liert: „Wenn wir über die Methoden reden, dann erin­nert mich das sehr an Tal Silber­stein, den Wahl­kampf­helfer der SPÖ 2017. Er hat ähnliche Methoden in aller Welt ange­wandt.“  Sowohl der schei­dende FPÖ-Vizekanzler Strache als auch der ÖVP-Bundeskanzler und Regie­rungs­chef Kurz griffen somit vom ersten Moment an auf die bewährte „Silberstein“-Methode zurück, um sich „als Sauber­mann zu gene­rieren und unter­schwellig Anti­se­mi­tismus zu sugge­rieren“, wie Armin Thurnher, Heraus­geber des Falter, es formuliert.

Quelle: welt.de

Der Israeli Tal Silber­stein war im öster­rei­chi­schen Natio­nal­rats­wahl­kampf 2017 von der SPÖ als Spin­doktor ange­heuert worden. In ihrem Auftrag entwi­ckelte er eine Nega­tiv­kam­pagne, in deren Verlauf der damals amtie­rende Außen­mi­nister Sebas­tian Kurz mittels zweier gefakter Facebook-Accounts diskre­di­tiert wurde. Im August 2017 wurde dieser Versuch der SPÖ, den poli­ti­schen Gegner durch die Schmutz­kam­pagne zu schwä­chen, von Jour­na­listen aufge­deckt. Die Aktion, die als „Silberstein-Affäre“ bekannt wurde, ging nach hinten los: Anstatt der SPÖ den Wahl­sieg zu sichern, stei­gerte sie die Popu­la­rität der ÖVP und machte Kurz zum stärksten Mann. Bereits am Abend der Veröf­fent­li­chung des Strache-Videos hatte Peter Puller, Silber­steins eins­tiger SPÖ-Kontaktmann, aller­dings via Twitter erklärt: „Ich schwöre, der Silber­stein und ich haben nichts damit zu tun. Wenn dem so wäre, wär ich schon geplatzt vor Stolz.“ Und auch Silber­stein selber wies auf Nach­frage eines Maga­zins am Montag­abend per Mail eine Betei­li­gung von sich: „Ich lehne diese falschen und grund­losen Anschul­di­gungen gegen mich ab.

Also musste aus Sicht der FPÖ drin­gend ein anderer Sünden­bock her. Und niemand bot sich dafür besser an, als der zweite Mann im Spiel, der im Video so anschau­lich erklärt, was eine Pistole der Marke „Glock“ ist: Johann Gudenus. Der eins­tige Wiener Vize-Bürgermeister und bis zur Enthül­lung Frak­ti­ons­prä­si­dent der FPÖ im Natio­nalrat hatte schließ­lich seinem lang­jäh­rigen Freund, Förderer und Chef HC Strache das ganze Schla­massel einge­brockt, da er den Kontakt zwischen Strache und den Lock­vö­geln herstellt hatte. Und so gab Gudenus am Dienstag, den 21.5. der Tages­zei­tung Die Presse und der öster­rei­chi­schen Nach­rich­ten­agentur APA Inter­views. Darin entschul­digt er sich reue­voll bei Strache dafür, dass er ihn in diese Situa­tion gebracht habe. Zugleich stellt er sich als unschul­diges und schuld­un­fä­higes Opfer dar, dem man in seinen Cock­tail aus Alkohol, Energy Drinks und „psycho­tropen Substanzen“ – sprich: Drogen – „womög­lich zusätz­lich K.O.-Tropfen“ gemischte habe, was zu einem mehr­stün­digen Verlust seiner Erin­ne­rung führte. Die gleiche Argu­men­ta­ti­ons­figur, mit der HC Strache sich in seiner Rück­tritts­er­klä­rung aus der Affäre zu ziehen versucht hatte: „A b’soffene G’schicht.“

Sehr gut erin­nern konnte Gudenus sich dafür an den Anwalt, der den Kontakt zur vermeint­liche Nach­wuch­solig­ar­chin im März 2017 herge­stellt hatte, sowie an deren stän­digen Begleiter, an den angeb­li­chen Münchner Geschäfts­mann. Umge­hend kündigten FPÖ-freundliche Blogs, Online-Portale und Boule­vard­zei­tungen daraufhin die Enttar­nung der Quelle an. Keine 24 Stunden später fanden sich der volle Name des Anwalts und des als Detektiv enttarnten Geschäfts­manns sowie unge­schwärzte Fron­tal­fotos der beiden Männer im Netz. Die Hetz­jagd der FPÖ und ihrer Anhänger auf die angeb­li­chen Täter war somit eröffnet. Um das Ausmaß des vermeint­li­chen Verbre­chens – der Erstel­lung des verhäng­nis­vollen Videos – weiter aufzu­blasen, wurde verkündet, wie teuer laut „Infor­manten“ das ganze Unter­fangen angeb­lich gewesen sei: Mindes­tens 600‘000 bis 1 Mio. Euro! Eine lächer­liche Über­trei­bung, wie bereits unmit­telbar nach Veröf­fent­li­chung die öster­rei­chi­schen Polit-Kunst-Aktivistinnen der Burschen­schaft Hysteria vorge­rechnet hatten. In Zeiten von Airbnb, Char­ter­flügen und relativ billiger, schnell vernetzter Digi­tal­tech­no­logie ist kein grosser Aufwand nötig, um einen wesent­lich grös­seren Medi­en­ef­fekt zu erzielen.

Quelle: bild.de

Am Mitt­woch­abend wurde zur Beglau­bi­gung der unbe­legten Anschul­di­gungen gegen den Detektiv und den Anwalt auch noch ein höchst dubioser „Sicher­heits­experte der Unter­welt“ in der Talk­show Fellner! Live des Privat­sen­ders oe24 präsen­tiert. Seine Funk­tion: Er bezeugte mit seiner Person angeb­lich, dass die beiden wirk­lich hinter den Videos steckten. Der Beweis: Das Video trage exakt seine Hand­schrift. Er selbst sei einst der Chef des Detek­tivs gewesen und habe ihm alles beigebracht, was er nun mit diesem Video meis­ter­haft zur Schau stelle. Wie die BILD-Zeitung zwei Tage später berich­tete, berät dieser „Sicher­heits­experte“ die Unter­welt aller­dings nicht nur, sondern ist selbst tief in sie verstrickt. Die öster­rei­chi­schen Behörden würden gegen ihn wegen Indus­trie­spio­nage ermit­teln und die Aussagen in der Talk­show hätten einen einzigen Zweck: durch die Beschul­di­gung seines angeb­li­chen Ex-Mitarbeiters die Aner­ken­nung als Kron­zeuge zu erlangen und seiner eigenen Verur­tei­lung zu entkommen. Ein weiteres „Glanz­stück“ des „Fell­ne­rismus“, wie Falter-Heraus­geber Armin Thurnher diese von dem Wiener Medi­en­ma­cher Wolf­gang Fellner perfek­tio­nierte Version eines unse­riösen, kommer­zi­ellen Jour­na­lismus nennt.

Geheim­dienste und das „Kompromat“

Während im Schmie­ren­theater des Boule­vards das Ablen­kungs­ma­növer mit immer abstru­seren Geschichten voran­ge­trieben wurde, bekam der rechts­extreme Ex-Vizekanzler inter­es­san­ter­weise zusätz­lich Schüt­zen­hilfe von ganz anderer Seite: von deut­schen Poli­ti­kern und Ex-Geheimdienstlern sowie von Jean-Philippe Gaudin, dem amtie­renden Chef des schwei­ze­ri­schen Nach­rich­ten­dienst (NDB), und – natür­lich – von Roger Köppel, als Poli­tiker der rechts­po­pu­lis­ti­schen SVP Mitglied im Schwei­ze­ri­schen Natio­nalrat und nebenbei Chef­re­dak­teur und Heraus­geber der Welt­woche.

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Quelle: weltwoche.ch

Unter dem Titel „Ibiza ist überall“ machte Köppel im Edito­rial der ersten Ausgabe der Welt­woche nach der Veröf­fent­li­chung des Videos nichts anderes, als Strache weiß­zu­wa­schen. Zwar sei er erstaunt über die „kolos­sale Dumm­heit“, mit der der FPÖ-Politiker einer Unbe­kannten „brisan­teste Vertrau­lich­keiten“ erzählt habe, aber krimi­nell seien diese „brisanten Vertrau­lich­keiten“ natür­lich nicht: alles „im Suff“ nur „daher geschwa­felt“, von einem „amts­losen Oppo­si­ti­ons­führer“. Wirk­lich schlimm hingegen sei, dass Stra­ches „theo­re­ti­sche Aussagen“, zu denen er sich „im Verlauf eines sieben­stün­digen Wodka-Abends“ von einer „bild­hüb­schen Russin“ habe verleiten lassen, bei Poli­ti­kern des linken und bürger­li­chen Lagers – sogar in der Schweiz! – ganz alltäg­lich seien und es folg­lich dort, und zwar nur dort, echte Korrup­tion gebe. Die einzige Straftat bei diesem „poli­ti­schen Auftrags­mord“, wie Köppel gewohnt dras­tisch und skru­pellos zürnt, sei die heim­liche Aufzeich­nung des Videos, bei der die „Strache-Killer“ sich „ille­galer KGB-, Gestapo- und Mafia-Methoden“ bedient hätten. Rechts­po­pu­lis­ti­scher Propa­gan­da­jour­na­lismus pur.

Zwar hält Köppel sich nicht mit Speku­la­tionen über die Hinter­männer auf, aber auch er bedient sich klar des beliebten Erklä­rungs­an­satzes „Geheim­dienste“, indem er „ille­gale KGB-, Gestapo- und Mafia-Methoden“ am Werk sieht. Und auch dem NDB-Chef Jean-Philippe Gaudin war seine Vermu­tung, dass hinter dem Video ein auslän­di­scher Nach­rich­ten­dienst stecke, eine Pres­se­kon­fe­renz wert. Dass er in ähnliche Rich­tung speku­liere, das verriet auch der deut­sche Bundes­tags­prä­si­dent Wolf­gang Schäuble kurz nach der Veröf­fent­li­chung des Videos: „Irgendwie riecht’s nach irgendwas wie ein Geheim­dienst.“

Quelle: nzz.ch

Dieser Haut­gout erklärt sich dadurch, dass das Video alle Krite­rien eines soge­nannten „Kompro­mats“ erfüllt. Ursprüng­lich wurde diese geheim­dienst­liche Methode vom sowje­ti­schen KGB entwi­ckelt: Mit Hilfe von Drogen-, Liebes- und sons­tigen Fallen heim­lich ange­fer­tigtes, kompro­mit­tie­rendes Mate­rial, mit dem man poten­ti­elle und tatsäch­liche Gegner erpressen kann. Der russi­sche Präsi­dent Vladimir Putin und sein aktu­eller Geheim­dienst FSB hätten diese Methode zur „Kunst des Kompro­mats“ perfek­tio­niert, wie die Jour­na­listin Julia Ioffe es nennt, und sie scheuten sich nicht, sie anzuwenden.

Aber wenn es ein Geheim­dienst war, welcher könnte es gewesen sein und – warum? Das fragt sich auch Rudolf Adam, Ex-Vizepräsident des deut­schen Bundes­nach­rich­ten­dienstes (BND). Glei­cher­massen berauscht von seinem eigenen Insi­der­wissen wie getrig­gert durch die Geheim­nis­krä­merei der Enthül­lungs­jour­na­listen, die jede Auskunft über ihre Quellen mit Verweis auf Infor­man­ten­schutz und Redak­ti­ons­ge­heimnis verwei­gern, lässt Adam sich zu den wildesten Speku­la­tionen hinreissen, und das deut­sche Polit-Magazin Cicero veröf­fent­licht sie auch noch, sogar im Internet. In seinem Text kommt der Ex-BND-Mann, nachdem er alle euro­päi­schen, ameri­ka­ni­schen, russi­schen, chine­si­schen und arabi­schen Geheim­dienste durch­ge­spielt und ausge­schlossen hat, zu dem Schluss: „Bleibt nur ein Staat, der die mensch­li­chen und tech­ni­schen Fähig­keiten zu einer derar­tigen Opera­tion und ein eindeu­tiges Motiv hat: Israel.“ Sprich: Der Mossad war’s! Viel­leicht hat der Ex-Geheimdienstmann seine Speku­la­tionen wirk­lich nicht so anti­se­mi­tisch gemeint, wie sie instru­men­ta­li­siert werden. FPÖ-Fans jeden­falls verlinken fleissig auf Adams Artikel, schließ­lich ist für sie der israe­li­sche Geheim­dienst synonym mit „jüdi­scher Welt­ver­schwö­rung“.

Quelle: cicero.de

Wenn es der Mossad nicht war, welcher Geheim­dienst sollte es sonst gewesen sein? Herbert Kickl, der im Zuge der Ibiza-Affäre entlas­sene ehema­lige FPÖ-Innenminister sugge­rierte bei Fellner!Live die perfekte Speku­la­tion für die seit Kurz’ Aufkün­di­gung der Koali­tion tobende Schlamm­schlacht um die Macht: Der öster­rei­chi­sche Geheim­dienst! Kann es sein, dass das Bundesamt für Verfas­sungs­schutz und Terro­ris­mus­be­kämp­fung (BVT), der öster­rei­chi­sche Nach­rich­ten­dienst, hinter alledem steckt, fragt sich Kickl laut zur Prime­time im Fern­sehen und raunt von „alten ÖVP-Seilschaften“ im Innen­mi­nis­te­rium, dem auch das BVT untersteht.

Auf ein pikantes Detail des Erklä­rungs­an­satzes „Geheim­dienst“ hat der deut­sche Publi­zist Sascha Lobo hinge­wiesen: Ausge­rechnet im Fall des Strache-Videos erin­nern sich Poli­tiker und Ex-Geheimdienstleute, die norma­ler­weise bei ihren Ermitt­lungen soviel Über­wa­chung wie nur möglich einsetzen wollen, an das Persön­lich­keits­recht des illegal Gefilmten und fordern wie der ehema­lige deut­sche Verfas­sungs­schutz­prä­si­dent Hans-Georg Maaßen „scho­nungs­lose Aufklä­rung“ über die Hinter­männer des Videos.

Der einzige Ex-Geheimdienstler, der der Theorie von den staat­li­chen Spionen wider­sprach, war Ex-BND-Präsident Gerhard Schindler. Gegen­über der BILD-Zeitung erklärte er:

Der wenig ausge­reifte Tech­nik­ein­satz spricht eher gegen einen Nach­rich­ten­dienst. Bei hinrei­chender Beschränkt­heit einer Ziel­person bedarf es keiner aufwen­digen nach­rich­ten­dienst­li­chen Opera­tion. Alkohol und eine schöne Frau genügen ja. Diese Mittel einsetzen kann jeder – nicht nur Nachrichtendienste.

Der öffent­liche Rund­funk, Böhmer­mann, Zentrum für poli­ti­sche Schönheit…

Kommen wir zur viel­leicht absur­desten Speku­la­tion über die Draht­zieher in der Ibiza-Affäre, mit der Björn Höcke seinem Gesin­nungs­freund HC Strache zu Hilfe eilte. Höcke ist im thürin­gi­schen Landtag Frak­ti­ons­vor­sit­zender der AfD, der rechts­po­pu­lis­ti­schen bis rechts­extremen Partei Alter­na­tive für Deutsch­land. In einem Facebook-Post zwei Tage nach Veröf­fent­li­chung des Ibiza-Videos war für ihn offen­sicht­lich: Hinter dieser Falle steckt der „extre­mis­tisch politisch-mediale Komplex“, die Täter stammten ganz klar aus dem „links­extre­mis­ti­schen Milieu im Medi­en­be­trieb“. Aber nicht den Spiegel und die SZ verdäch­tigt er, Höcke hat eine viel grös­sere Verschwö­rung im Sinn: „Ist es auszu­schließen, daß diese Insze­nie­rung, die letzt­lich ein regel­rechter Staats­streich war, mit Mitteln, Personal und / oder Ausrüs­tung des öffentlich-rechtlichen Rund­funks durch­ge­führt wurde?“ Oder noch etwas konkreter gefragt: „Wieviel ZDF steckt hinter dem Staats­streich in Öster­reich?“ Ernst­haft: das ZDF, das Zweite Deut­sche Fern­sehen?!

Quelle: youtube.com

AfD-Mann Höcke hat natür­lich seine Gründe, warum er den öffentlich-rechtlichen Rund­funk verdäch­tigt. Für Höcke, Strache und alle anderen Rechts­po­pu­listen ist der öffentlich-rechtliche Rund­funk die Wurzel allen Übels. Was sie am meisten fürchten, ist gebüh­ren­fi­nan­zierter, unab­hän­giger, kriti­scher Quali­täts­jour­na­lismus. Deswegen kämpfen sie wo und wann immer sie können gegen Rund­funk­ge­bühren, siehe die Hinter­gründe der No-Billag-Initiative in der Schweiz im vergan­genen Jahr. Aller­dings gibt es noch einen anderen, amüsan­teren Grund, der die eigent­liche Agenda hinter Höckes Speku­la­tion über das ZDF als Draht­zieher kaschierte, und dieser Grund heisst: Jan Böhmermann.

Am Tag vor der Veröf­fent­li­chung des Strache-Videos hatte der deut­sche Sati­riker, Polit­ak­ti­vist und Poli­zis­ten­sohn die aktu­elle Folge seiner vom ZDF produ­zierten Sendung Neo Magazin Royale mit einem Trailer beworben, in dem er sagt: „Kann sein, dass morgen Öster­reich brennt.“ Und tatsäch­lich brannte am nächsten Tag die poli­ti­sche Szene des Nach­bar­landes. Aber es gab noch eine andere Video­bot­schaft Böhmer­manns, die sich nach der Ibiza-Enthüllung wie ein Lauf­feuer in den sozialen Medien verbrei­tete: Sie stammt von der Verlei­hung des öster­rei­chi­schen Film- und Fern­seh­preises Romy. Darin entschul­digt sich Böhmer­mann vor einer EU-Flagge sitzend am 13. April 2019 dafür, dass er der Gala fern­bleibt, mit den Worten:

Ich kann heute Abend leider nicht persön­lich bei Ihnen sein (…) Ich hänge gerade ziem­lich zuge­kokst und Red Bull betankt bei FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russi­schen Oligarchen-Villa auf Ibiza rum und verhandle darüber, ob und wie ich die Kronen-Zeitung über­nehmen und die Meinungs­mache in Öster­reich an mich reißen kann, aber darüber darf ich leider noch nicht reden. (…)

Böhmer­mann wusste also bereits einen Monat vor der Veröf­fent­li­chung von der Exis­tenz des Videos. Hatte er die Falle viel­leicht sogar selbst gestellt?

Solche Speku­la­tionen sind nicht ganz unbe­gründet. Seit Beginn der türkis-blauen Regie­rungs­ko­ali­tion in Öster­reich bekämpft Böhmer­mann mittels Satire die FPÖ und ihre Anhänger aufs Heftigste. Sein Feldzug gegen den öster­rei­chi­schen Rechts­po­pu­lismus begann im Dezember 2017 mit dem Magazin-Beitrag „Red Bull Refugee Chall­enge“. Es ist eine so brachiale wie clevere Demon­tage des Welt­bildes von Diet­rich Mate­schitz. Dieser ist nämlich nicht nur der reichste Mann Öster­reichs, der sein Vermögen dem Ener­gy­drink Red Bull und dessen verant­wor­tungslos spek­ta­ku­lärem Marke­ting verdankt. Mate­schitz ist auch ein guter „Spezl“ von HC Strache (der sich selbst im Video übri­gens als „Red Bull Brother from Austria“ bezeichnet) und gegen Flücht­linge und Über­frem­dung wettert. Den zweiten Treffer landete Böhmer­mann bei der Romy-Verleihung 2018. Mit Hilfe eines Werbe­vi­deos hatte er seine Fans dazu gebracht, so oft für ihn zu stimmen, dass er tatsäch­lich die Romy in der Kate­gorie „Show“ erhielt. Bei der Preis­ver­lei­hung in Wien bedankte er sich live vor dem versam­melten Publikum im Saal und zu Hause vor den Fern­seh­ge­räten u.a. mit dem Worten:

Ich freu mich immer als Deut­scher in einem Land mich ausruhen und erholen zu können, das vom Zweiten Welt­krieg und der Verant­wor­tung für den Natio­nal­so­zia­lismus so unbe­rührt ist wie Österreich.

Und genau ein Jahr später verrät Böhmer­mann per Video­bot­schaft sein Insi­der­wissen über das Strache-Video.

Die Tatsache, dass der polit-aktivistische Brachi­al­ko­miker Jan Böhmer­mann zwei­fellos über Insi­der­wissen verfügte und dass es sich bei dem Strache-Video um eine Insze­nie­rung und Täuschung mit poli­ti­scher Spreng­kraft handelte, hatte aber auch schnell eine ganz andere Speku­la­tion aufkommen lassen: Steckte hinter der ganzen Ibiza-Affäre viel­leicht ein polit­ak­ti­vis­ti­sches Satire- und Kunst-Kollektiv wie z.B. die US-amerikanische Gruppe The Yes Men? Mit ihren hyperaf­fir­ma­tiven Aktionen, in denen sie z.B. Top-Manager durch grotes­keste neoli­be­rale Behaup­tungen täuschten und zugleich entlarvten, hat diese Netzkunst- und Kommunikationsguerilla-Gruppe seit 1999 immer wieder welt­weites mediales Aufsehen erregt.

Weil die Yes Men sich aber wohl kaum für öster­rei­chi­sche Innen­po­litik inter­es­sieren dürften, musste in diesem Falle eine andere Grup­pie­rung hinter der Falle stecken. In Frage kam somit eigent­lich nur das Zentrum für Poli­ti­sche Schön­heit, eine Verei­ni­gung von Akti­visten, die den Kampf für Menschen­rechte mit Akti­ons­kunst verbinden wollen und für ihre künst­le­ri­schen Aktionen wie „Bau das Holocaust-Mahnmal vor Höckes Haus!“ bekannt sind. Die Künstler demen­tierten zwar unmit­telbar nach Veröf­fent­li­chung die Urheber des Strache-Videos gewesen zu sein. Ein Enthüllungs-Tweet eines deut­schen Jour­na­listen sorgte jedoch für neues Aufsehen: Der Twitter-Account @kurzschluss14 sei am Freitag, den 17.5. um 17:46 Uhr erstellt worden, also kurz vor der Veröf­fent­li­chung des Videos durch SpiegelSZ und Falter. Von @kurzschluss14 aus wurde angeb­lich vorüber­ge­hend auf noch unver­öf­fent­lichtes Video­ma­te­rial aus der ibizen­ki­schen Villa verlinkt.

Das Zentrum für Poli­ti­sche Schön­heit sei der erste Follower des Accounts gewesen und hätte durch einen Tweet die Seite über­haupt erst bekannt gemacht. Inzwi­schen ist jedes noch nicht offi­ziell veröf­fent­liche Film­ma­te­rial über das Treffen von HC Strache mit der vermeint­li­chen Oligarchen-Nichte an dieser Stelle im Netz aber wieder verschwunden. Alles was man dort noch sehen kann, sind Groß­auf­nahmen von ein paar Linien weissen Pulvers auf einem Glas­tisch. Dass das Zentrum für Poli­ti­sche Schön­heit in die Veröf­fent­li­chung des Strache-Videos zwar auf irgend­eine Weise invol­viert gewesen sei, das berich­tete nach eigenen Recher­chen inzwi­schen auch das ZDF-Polit-Magazin Frontal 21.

Quelle: face­book

Offi­zi­elle Stel­lung­nahmen dazu gibt es vom Zentrum für Poli­ti­sche Schön­heit jedoch immer noch nicht, auch wenn ein blog­gender FPÖ-Vasalle und die Frank­furter Allge­meine Zeitung Speku­la­tionen in diese Rich­tung weiter kräftig anheizen. Am Freitag, den 24.5., also genau eine Woche nach der Veröf­fent­li­chung des Strache-Videos, meldete sich dafür der Anwalt, der laut Gudenus den Kontakt zur Oligarchen-Nichte herge­stellt hatte, mit einer Pres­se­mel­dung zu Wort. Darin erklärt wiederum der Anwalt des Anwalts, dass sein Mandat mitteile: „Es handelt sich um ein zivil­ge­sell­schaft­lich moti­viertes Projekt, bei dem investigativ-journalistische Wege beschritten wurden.“ Dieser Satz wurde nicht nur in der FPÖ-nahen Boule­vard­presse als „Geständnis“ bezeichnet. Aber ist er das wirklich?

Die Moral von der „G’schicht“

Was bei all dem Rätsel­raten immer mehr in Verges­sen­heit gerät: Das Poli­tikum von HC Stra­ches Demo­kra­tie­feind­lich­keit und Korrup­ti­ons­be­reit­schaft, erwiesen in Bild und Ton. Die einzigen, die dem fatalen Wuchern der Speku­la­tionen ein Ende machen könnten, sind die Macher des Videos, die Strache die Falle gestellt haben. Nur wenn sie sich öffent­lich bekennen und ihre Motive offen­legen, kann den Speku­lanten und ihren jewei­ligen Inter­essen die Macht genommen werden. Der deut­sche Inves­ti­ga­ti­v­jour­na­list Günter Wall­raff hat sich bereits kurz nach der Veröf­fent­li­chung in einem Inter­view gewünscht, die Macher würden sich zu erkennen geben. Aller­dings – was würde das für sie bedeuten? Selbst wenn der öster­rei­chi­sche Verfas­sungs­ge­richtshof zu ihren Gunsten entscheidet, dass es sich bei der Erstel­lung des Videos um zivil­ge­sell­schaft­lich rele­vanten Inves­ti­ga­ti­v­jour­na­lismus handelt? Poli­zei­schutz und Mord­dro­hungen bis ans Ende ihres Lebens? Ganz abge­sehen davon, dass so ein Prozess Jahre dauert. Und was, wenn der am Montag per Miss­trau­ens­votum durch die SPÖ zwar gestürzte, aber am Sonntag unmit­telbar davor in der Euro­pa­wahl von den Wählern mit einem kräf­tigen Zuwachs an Stimmen gestärkte Sebas­tian Kurz nach den Neuwahlen wieder Kanzler wird? Kurz hatte ja schon mal keine Skrupel „sich für Öster­reich zu opfern“ und die „Feschisten“ (ein Koffer­wort aus „fesch“ und „Faschisten“ von Armin Thurnher) durch Regie­rungs­be­tei­li­gung salon­fähig zu machen. Kommt es dann viel­leicht zu einer Koali­tion türkis-blau II unter Wieder-Kanzler Kurz? Wer wird dann Vize­kanzler, wer Innen- und Justiz­mi­nister? Die FPÖ-Hardliner Norbert Hofer und Herbert Kickl? Auch wenn einem das zum jetzigen Zeit­punkt absurd und unvor­stellbar erscheinen mag: Es ist nicht auszu­schliessen. Schließ­lich verlor die FPÖ trotz des Ibiza-Skandals bei der Euro­pa­wahl am vergan­genen Sonntag ledig­lich 2,5 Prozent­punkte. Über 33 500 Menschen wählten HC Strache am vergan­genen Sonntag direkt. Er könnte also ins EU-Parlament einziehen. Am Montag hatte Strache – ganz nach seinem neuen Motto: „Jetzt erst recht!“ – bereits auf Face­book erklärt, dass er das Mandat annehmen würde. Kurze Zeit später war der Post wieder verschwunden. Die FPÖ hat dazu bisher nicht Stel­lung genommen. Öster­reichs Kampf um den Schutz der Pres­se­frei­heit und den Erhalt seiner Demo­kratie ist noch nicht gewonnen. Noch lange nicht.