Als 1991 das Bild von der nackten, hochschwangeren Schauspielerin Demi Moore auf der Titelseite der Vanity Fair prangte, schien ein Tabu gebrochen. Der schwangere Körper wurde zur Hochglanz-Ikone und zum schicken Lifestyle-Asset. Doch diese Art, Schwangerschaft zur Schau zu stellen, bedeutete gleichzeitig auch ihre Auslöschung. Denn die prominenten Frauen, die seither regelmäßig schwanger inszeniert werden, erstrahlen in vollendeter Ästhetik mit der Botschaft: Diese Frau ist schwanger, aber man sieht es ihr fast nicht an. Der Körper verändert sich kaum, er bleibt leistungsfähig, straff, schlank und verführerisch. Es gibt keine Pigmentflecken, keine Risse im Gewebe, keine Wassereinlagerungen oder Krampfadern. Eine solche Ikonographie reduziert Schwangerschaft vollständig auf den Bauch und ‚entschärft’ sie dadurch. Der schwangere Körper steht seither als Karriere-Körper für eine weibliche Biographie, die beglückende Mutterschaft, Attraktivität und beruflichen Erfolg verbindet und zur Norm erhebt. Eine Schwangeren-Ikonographie ohne reale Körper.
Körper-Geist-Dichotomie
Die Auslöschung des Körpers ist tief in der abendländischen Kulturgeschichte verankert. Die maßgebenden Denker befassten sich mit Themen wie Vernunft, Bewusstsein und freiem Willen und hielten das Körperliche für profan oder minderwertig. Mit Aristoteles gesprochen: Die Seele herrscht über den Körper. Auch die christliche Religion wehrt den Körper ab. Konstituiert wird ein Menschenbild, das über den körperlichen Prozessen, Beschwernissen und Einschränkungen steht. Wie Demi Moore.

Rineke Dijkstra, „Julie“, Den Haag, Netherlands, February 29 1994, Quelle: tate.org
In Wahrheit sind wir natürlich keineswegs frei vom Körper. Besonderes Schwangerschaft und Geburt erinnern an die körperliche Dimension der menschlichen Existenz, mehr noch: Sie verweisen auf eine fundamentale körperliche Abhängigkeit. Geboren werden bedeutet, dass Menschen sich nicht selbst machen, sondern durch einen anderen hindurch in die Welt kommen. Wir entscheiden zudem nicht, geboren zu werden. Eine Art anonyme Kraft wirft uns ins Leben, jenseits unseres Einflusses, so die italienische Philosophin Adriana Cavarero. Vielleicht ist, wie der Philosoph Joachim Fischer es formuliert, das „ins Leben gesetzt werden“ eine narzisstische Kränkung, die abgewehrt werden muss. Auch sind wir nach der Geburt darauf angewiesen, dass andere sich um uns kümmern und uns am Leben halten. Kurzum: Das Leben beginnt mit dem Gegenteil von freiem Willen oder Autonomie, sondern mit vollkommener Abhängigkeit von anderen.
Ohne Sorgearbeit keine Marktwirtschaft
Die Verdrängung von Geburt und Abhängigkeit ging mit einer Abwertung derjenigen einher, die gebären und mithin Souveränität und Entscheidungsmacht infrage stellen. Im idealen griechischen Staat sollen Frauen mit Kindern und Sklaven in einem Extra-Bereich leben und dort die profane Reproduktionsarbeit erledigen. Im 18. Jahrhundert formulierten die Ökonomen ihre Konzepte des autonom handelnden Wirtschaftsbürgers, den Vinfredo Pareto dann an der Schwelle zum 20. Jh. den „homo oeconomicus“ nannte: Der Mensch sei von Natur aus ein rationales ökonomisches Wesen, das Profitinteressen und Nutzenmaximierung folge. Im Zuge liberaler Wirtschaftstheorien rückten produktive Tätigkeiten in den Fokus des ökonomischen Denkens, während reproduktive Tätigkeiten wie Schwangerschaft, Geburt, Kinderbetreuung, Pflege von Alten und Kranken sowie Hauswirtschaft unsichtbar blieben.
Die Industrialisierung forcierte die Trennung zwischen Erwerbsarbeit und Familienleben, der Kapitalismus knüpfte an patriarchale Vorstellungen an und verstärkte sie. Etabliert wurde das Ideal der bürgerlichen Hausfrau und Familie, mit einer klaren geschlechtlichen Arbeitsteilung. Die Familie wurde zum „trauten Heim“, zum Ort der Erholung. Frauen sollten ihren Männern eine optimale Regeneration ermöglichen sowie die bestmögliche Entwicklung der Kinder garantieren. Die Rede war fortan von einer „angeborenen Fürsorglichkeit“ der Frau. Sorgearbeit (engl. Care-work) entspreche ihrer natürlichen Bestimmung, geschehe aus Liebe und sei daher auch gratis zu leisten, in vollkommener ökonomischer Abhängigkeit von „Ernährern“.

Minna Havukainen: Hanne (2006), Quelle: tampereen-taiteilijaseura.fi
Marktwirtschaftlich gesehen lohnt es sich auch heute, den menschlichen Bedarf nach Fürsorge und Pflege ins Privat-Krankenhaus ‚Mutter’ bzw. ‚Frau’ auszulagern. Sorgetätigkeit ist die unsichtbare Voraussetzung des Marktes. Ohne die Produktion immer neuer Menschen, ohne die unablässige Regeneration derjenigen, die Erwerbsarbeit machen, ist Marktwirtschaft nicht denkbar. Ohne Versorgungswirtschaft gibt es keine Marktwirtschaft. Entscheidend dabei ist: Weil Fürsorge nicht als Arbeit, sondern als privater Liebesdienst (von Frauen) definiert ist, muss sie nicht oder kaum bezahlt werden. Die Ökonomin Mascha Madörin verweist auf den hohen Anteil der Sorgearbeit an der wirtschaftlichen Wertschöpfung. Die Millionen Stunden gratis oder unterbezahlte Sorgearbeit tragen, je nach Rechnung, bis zu 50 Prozent zur Bruttowertschöpfung bei (Frauen leisten zwei Drittel dieser Arbeit). In den ökonomischen Mainstream-Lehren und BIP-Statistiken kommen sie jedoch nicht vor. Wer von Wirtschaft spricht, meint industrielle Produktion und Finanzkapital. Wer von Arbeit spricht, meint bezahlte Arbeit.
Kurzum: Sorgearbeit wird marginalisiert, damit sie nicht oder minimal bezahlt werden muss (ein Tierpfleger im Zürcher Zoo verdient deutlich mehr als eine Kleinkinderzieherin. Auch Autolackierer verdienen mehr). Care bleibt auch deshalb abgewertet, weil sich mit dieser Tätigkeit kaum Profit erzielen lässt. Zwar werden auch Betreuungsjobs rationalisiert. Das hat jedoch Grenzen, weil Kinder viel Zeit brauchen und der alte Mann einfach nicht schneller in die Badewanne steigen kann. Eine Möglichkeit, den rasant steigenden Betreuungs-Bedarf rentabel zu halten, ist Löhne zu senken: Betreuungs-und Pflegeberufe werden immer schlechter bezahlt und immer stressiger.
Postfordismus und Care-Krise
In der postfordistischen Gesellschaft wurden Geschlechter-Rollen und Arbeitsteilung aufgeweicht. Der gender-flexibilisierte Mensch passt zum Markt, weil damit das ‚Modell Arbeiter‘ – das heisst die Einbindung in die monetäre Wertschöpfung – auf alle ausgedehnt werden kann. Beruflicher Erfolg ist für Frauen heute ein entscheidender Massstab. Entsprechend bedeutet Frauenförderung oft, Frauen fit zu machen für die Männerwelt – wie zum Beispiel das „Lean In“-Programm von Facebook-CEO Sheryl Sandberg: Sandberg rät Frauen mehr „Willen zum Erfolg“, sie sollen – wie Männer – „hochstapeln und sich mehr in den Vordergrund spielen“. Ohnehin können sich viele Frauen ein Ernährermodell gar nicht leisten und müssen erwerbstätig sein.
Der Care-Bereich ist in eine Krise geraten. Denn Frauen decken viele Care-Tätigkeiten nicht mehr selbstverständlich ab, sie können neben den eigenen Kindern und Berufsstress nicht noch den alten Vater pflegen und der kranken Nachbarin Suppe vorbeibringen. Kommt hinzu, dass die Nachfrage nach Care massiv steigt, weil Menschen immer älter werden und weil in vielen Ländern die Sozialsysteme erodieren. Kurz gesagt: Die Anforderungen an den Care-Bereich steigen, aber wir können ihnen immer weniger gerecht werden.

Minna Havukainen: Hanne (2006), Quelle: tampereen-taiteilijaseura.fi
Diejenigen, die es sich leisten können, kaufen sich Care-Arbeit – möglichst günstig – ein. So gibt es heute eine Art Care-Wander-Prekariat, ungefähr 100 Millionen Hausangestellte erledigen rund um den Globus die wachsende Nachfrage nach Care. Ihre Arbeitsbedingungen gehören zu den prekärsten, denn für sie gilt nicht das Arbeitsrecht. Um die 5,6 Millionen philippinische Frauen arbeiten meist unterbezahlt in amerikanischen Privathaushalten, 300 000 Indonesierinnen machen sich jährlich auf den Weg, um in Hongkong, Singapur oder Saudi-Arabien in privaten Haushalten zu arbeiten, in England arbeiten zwei Millionen Pendel-Migrantinnen im Care-Sektor. Ihr Visum läuft nach drei Monaten ab und sie werden dann mit einer neuen Frau ersetzt.
Die Feminisierung von Care und deren ökonomische Ausbeutbarkeit hängen bis heute eng zusammen. Hinzu kommt nun Ethnisierung: So preisen Schweizer Care-Agenturen, wie die Soziologin Sarah Schilliger aufzeigt, Pflegerinnen aus Polen mit dem Versprechen an, ost-europäische Frauen seien besonders häuslich, freundlich und hilfsbereit. Indem (migrantischen) Frauen eine besondere Fürsorge-Qualität zugeschrieben wird, erscheinen sie als besonders geeignet für diese prestigelose und schlecht bezahlte Arbeit. Denn sie machen das ja ohnehin gern – sozusagen aus Liebe.
Wir sind nicht autonom
Care ist kein ‚Frauenthema‘, es betrifft das Ganze. Unter den bestehenden ökonomischen und ideologischen Prämissen werden nicht nur Care-Arbeit und die Menschen, die sie verrichten, abgewertet. Die existentiellen Bedürfnisse der Menschen werden überhaupt abgewertet. Fetischisiert wird ein autonomes (männliches) Subjekt, ein Homo Oeconomicus, der nichts und niemanden braucht und aus sich selbst heraus produktiv ist.
Dieser Fetisch ist verheerend und extrem zerstörerisch. Nicht nur wegen der Ausbeutungsverhältnisse, die er hervorbringt. Sondern auch deshalb, weil das Ideal von der Autonomie unerreichbar ist. Das führt nicht zuletzt dazu, wie der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit schreibt, dass Menschen zu Gewalt greifen, wenn sie das Autonomie-Phantasma nicht erreichen. Wenn der größte Horror und die tiefste Niederlage sind, bedürftig und auf andere verwiesen zu sein, dann ist die effizienteste Abwehrstrategie, andere zu vernichten.
Kein Mensch überlebt ohne Fürsorge. Feministische Denkerinnen wie Judith Butler plädieren für eine neue Ethik der Fragilität und Verletzlichkeit. Es sei nötig, die Vulnerabilität der menschlichen Existenz zu begreifen und anzuerkennen. Die Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp spricht von „Freiheit in Bezogenheit“ und meint damit, dass Verwiesenheit und Freiheit sich nicht widersprechen, sondern bedingen: Wir können nur frei sein, wenn für uns in vielerlei Hinsicht gesorgt ist und wir „in Bezug“ zu anderen stehen. Womöglich ist es eine der drängendsten Aufgaben unserer Zeit, Koexistenz und Intersubjektivität zum Ausgang politischen wie ökonomischen Denkens und Handelns zu machen.