Der diesjährige internationale Frauen*tag am 8. März war anders. Bestärkt durch den gigantischen Women’s March in Washington fanden globale Proteste statt, über 30 Länder haben – ausgehend von Initiativen aus Argentinien, Polen und anderen Ländern – an Frauen*streiks teilgenommen. Auch in der Schweiz gab es unzählige grössere und kleinere Aktionen: auf dem Bundesplatz in Bern versammelten sich Menschen zu einem ‚Strick-In‘, Parlamentarier_innen strickten in der Wandelhalle für Gleichstellung, in Zürich wurde die Statue des Reformators Zwingli mit einem Pussyhat zur Ober-Pussy geweiht. Musiker_innen produzierten einen Solidaritäts-Song, die Guerilla-Feminist_innen Aktivistin.ch übersäten die klischierten Spielzeugabteilungen grosser Kaufhäuser mit Protestbotschaften, und unter dem Motto „We Can’t Keep Quiet“ formierte sich ein gigantisches Bündnis von Frauen*organisationen und Verbündeten.

Time, 28. Januar 2017; Quelle: time.com
Seit der Wahl von Donald Trump erfahren Frauen*bewegungen weltweit Aufwind, konstituieren sich teilweise neu, weil unzählige Frauen* und Verbündete dazu kommen und realisieren: Frauen*hass und Sexismus sind immer noch weit verbreitet. Was unsere Grossmütter erkämpft haben, ist nicht sattelfest. Und das, was noch erkämpft werden muss, erst recht nicht.
Manchmal sind diejenigen, die seit langem kämpfen, wütend: Warum wacht ihr erst jetzt auf? Wo wart ihr, als alleinerziehende Mütter in Armut versanken und Care-Arbeiterinnen ihre Rechte einforderten? Wo waren die Massen, als Black Lives Matter gegen Polizeigewalt auf die Strasse ging? Als Erdoğan in der Türkei proklamierte, die wichtigste Aufgabe der Frau sei es, Kinder zu gebären? Als in Argentinien jährlich 300 Frauen ermordet wurden? Für viele ist die Welt nicht erst seit Donald Trump unerträglich geworden. Dass es jemanden wie Donald Trump braucht, um grosse Bewegungen zu mobilisieren, ist nicht rühmlich. Gleichwohl macht es Hoffnung, dass jetzt immer mehr Menschen aktiv werden.
Warum heisst es „Women’s March?“

Widerstands-Ikone Princess Leia / Carrie Fischer; Quelle: popsugar.com
Bemerkenswert ist dabei auch, dass so viele Menschen unter dem Label ‚Women‘ protestieren. Das ist nicht selbstverständlich. In der Tradition des 8. März zum Beispiel gab und gibt es zahlreiche Debatten und unterschiedliche Handhabungen zu der Frage, ob Männer den Protesten solidarisch fern bleiben, oder ob sie unter dem Frauen*-Dach teilnehmen sollen. Für beides gab und gibt es gute Gründe. Die aktuelle Dringlichkeit, möglichst breit gegen den reaktionären Backlash zu mobilisieren, hat das Pendel in die Richtung „all Gender“ bewegt. So auch beim bevorstehenden Women’s March am Samstag in Zürich: Marschiert wird zwar unter dem Motto „Women“, teilnehmen können und sollen aber alle. Denn die Proteste richten sich gegen multidimensionale Sexismen sowie auch gegen Rassismus, Homo- und Transphobie, Ausbeutung und soziale Ungleichheit.
Aber warum heisst es dann überhaupt noch „Women“? Bei der Lancierung des Women’s March Zürich kam es zu Diskussionen: Einige forderten, es solle „Equality March“ heissen, schliesslich gehe es nicht nur um Frauen*, und man wolle nicht die Männer* abschrecken, das Label Frau* sei nicht inklusiv genug. Es zeigte sich: Wenn Männer* unter dem Frauen*-Dach mitlaufen sollen, ist das offenbar eine Kröte, die viele nicht so leicht schlucken. Dass sie unter „Women*“ mitgemeint sind, stösst auf. Schnell geht dabei allerdings vergessen, dass Frauen* und viele andere sich Jahrhunderte lang unter dem Dach „weisser Mann“ versammeln mussten. In der so genannten ‚westlichen Welt’ wurde der bürgerliche Mann im Zuge der Moderne zum Standard, von dessen Zentralperspektive aus das Weibliche als anders, als Abweichung und nicht zuletzt Makel markiert war (siehe zum Beispiel die freudsche Vorstellung, die Frau sei durch den Penis-Mangel bestimmt).
Genau genommen bedeutet das: In der Kulturgeschichte der europäischen Moderne existiert das Weibliche für sich genommen nicht, sondern nur im Verhältnis zum Mann (Irigaray). Das rassistische Patriarchat produzierte sich ‚seine Frauen‘ (die ‚gute Mutter‘, züchtige Ehefrau, Heilige oder Hure), deren Funktion die Begründung des Männlichen als Norm war. Aber auch Kategorien wie schwarz, proletarisch, irrational und vieles mehr fingierten als das inferiore „Andere“ gegenüber dem weissen, vernünftigen männlichen Subjekt.
Natürlich ist es nicht das Ziel, diese Mechanismen umzukehren. Der phallozentrischen Ordnung kann keine Herrschaft der Frauen* folgen, keine neue Hierarchie. Gleichwohl scheint mir Women’s March eine sinnvolle Bezeichnung, unter dem Frauen*-Dach lässt sich durchaus für eine Welt einstehen, die Freiheit für alle, nicht für wenige ermöglichen soll.
Frau* ist keine feststehende Kategorie
Jedenfalls dann, wenn wir uns auf einen Frauen*-Begriffe verständigen, wie er in vielfältigen Debatten der letzten Jahrzehnte entwickelt wurde: Differenzfeministische, queer-theoretische und postkoloniale Ansätze haben Frau* als einheitliche Kategorie oder Identität zunehmend infrage gestellt. Es wurde deutlich: Frau*sein bedeutet extrem unterschiedliche Dinge, unterschiedliche Erfahrungen und Kontexte. Es kann nicht festgelegt werden, wer oder was Frauen* sind. Wer das festlegen will, bewegt sich in der vorherrschenden patriarchalen Logik, einer Logik, die Kategorien bildet und dadurch wiederum normiert, ausschliesst und hierarchisiert.
Es wurde deshalb vorgeschlagen, Frau* nicht als biologische, nicht als feste Identität, sondern als eine gesellschaftliche und mithin politische Kategorie zu begreifen (genau darauf soll übrigens auch das Sternchen verweisen). Plädiert wurde für einen utopischen Begriff Frau*, der gerade nicht wie im bisherigen Männersystem funktioniert, das heisst keine Kategorie definiert. Frau* sollte vielmehr eine Sehnsucht nach etwas radikal anderem ausdrücken, den Entschluss, die phallozentrische, rassistische, hetero-sexistische Ordnung zu verlassen, sich den vorherrschenden Massstäben zu entziehen.

Tejal Shah: „Between the Waves“, Collage, Quelle: catch-fire.com
Entsprechend wurde Frau* nicht mehr als Identität gedacht, sondern als eine Aktivität, ein Prozess, der unterschiedlich ausgefüllt werden kann. Deleuze/Guattari (1972), Luce Irigaray (1974) und andere schlugen bereits in den 1970er Jahren vor, Frau* nicht als ein Zustand, sondern als Werden zu denken, als eine Bewegung hin zu etwas, das erst erfunden werden muss. Etwas, das kontinuierlich im Begriff des Entstehens ist, und niemals abgeschlossen. Frau* wurde zu einem Marker für die Bestrebung, das System von festen und zwangsläufig herrschaftlichen Kategorien zu verlassen und zu unterwandern.
Rosi Braidotti (2006) und andere schlugen vor, die symbolische Inexistenz der Frau* als ein politisches Potential zu nutzen: Während die Bestimmung des Mannes als Massstab extrem begrenzend ist, verkörpert das Minorisierte eine relative Offenheit. Es kann nicht zum Massstab werden, an dem der Rest der Welt bewertet wird. Deleuze und Guattari riefen deshalb zum Minoritär-Werden auf, zum „Frau-Werden, Schwarz-Werden, Tier-Werden“: „Becoming woman is the basis of a total critique“.
Das Minorisierte eröffnet einen Raum für politischen Widerstand, gerade weil es nicht feststeht. „Frau-Werden, Tier-Werden, Schwarz-Werden“ ist eine politische Aktivität, die der vorherrschenden binären Ordnung zu entfliehen versucht – ohne schon zu wissen, was das Minoritäre genau ist. „‚Becoming minoritarian‘ is the code name for overturning the logic that legitimates a central norm through hierarchically organized binary oppositions“ (Braidotti 2006).
Politik ohne Hierarchisierung
Frau*-Werden in diesem politischen Sinne können alle, unabhängig vom Chromosomensatz. Auch Männer*. Und es versteht sich von selbst, dass Minoritär-Werden inhärent auch Becoming-Queer. Und Schwarz. Und vieles mehr bedeutet.
Die teils schwer zugänglichen deleuzianischen Überlegungen sind bisher nicht in eine breite Öffentlichkeit gedrungen. Ich meine aber, dass ihre politische Zeit gerade erst kommt, jetzt, wo sich die Idee der intersektionalen Feminismen gerade in den Strassen dieser Welt verbreitet. Jetzt, wo sich herum spricht, dass Feminismus weder in lila Latzhosen daher kommt noch alles auf einen Geschlechterkampf reduziert. Wo klar wird, dass die Situation von Frauen* bei weitem nicht nur mit Geschlecht, mit Sexismus zu tun hat, sondern gerade so viel mit ökonomischer und sozialer Benachteiligung, mit Hautfarbe, Migration, sexueller Orientierung oder Behinderung. Und nicht zuletzt mit politischen Systemen, mit Ökologie und geographischen Standorten.
Dem entsprechend spricht sich auch endlich herum, dass Feminismus kein Partikularanliegen von Frauen* ist, sondern ein universeller Bezugspunkt, an dem sowohl Kapitalismuskritik, Antirassismus, Antisexismus, Friedenspolitik, Fragen der Demokratie, Anti-Faschismus, Ökologie und vieles mehr zusammen kommen. Ich denke, dass wir im Zuge dieser Multidimensionalität die Frage sehr Ernst nehmen sollten, wie und mit welchen Paradigmen sich gemeinsam politisieren lässt, ohne phallozentrische, rassistische usw. Hierarchie-Systeme zu reproduzieren. Denn diese Gefahr besteht – gerade auch in ‚linker’ Politik. Immer noch und immer wieder.

women’s march on Zurich; Quelle: unia.ch
Es ist deshalb sicher nicht falsch, nochmal die vergangenen, bisher uneingelösten Überlegungen – zum Beispiel zum Minoritär-Werden – hervorzukramen.
Und jetzt auf zum „Women’s March“ nach Zürich!