Die aktuelle Debatte zur angeblich gescheiterten Restitution der Benin-Bronzen verdeckt mehr als sie aufklärt. Vor allem schneidet sie eine Diskussion ab, bevor diese überhaupt begonnen hat.

Im Zuge der Rück­gabe der Benin-Bronzen an Nigeria erschien im Mai 2023 ein kriti­scher Artikel in der FAZ von der emeri­tierten Indonesien-Expertin Brigitta Hauser-Schäublin, die seit einiger Zeit in der deut­schen und Schweizer Presse zum Thema schreibt und ethno­lo­gi­sches Fach­wissen in die Resti­tu­ti­ons­de­batte einbringen möchte. Insbe­son­dere die Über­tra­gung der Eigen­tums­rechte an den Oba Ewuare II., der sich in der Nach­folge des letzten unab­hän­gigen Königs von Benin Oba Ovon­ramwen versteht, welcher wiederum nach der Erobe­rung und Plün­de­rung seines Palastes 1897 von den Briten exilierte wurde, gab Anlass zur Empö­rung. Es folgten zahl­reiche weitere Artikel unter­schied­li­cher Autor:innen, die den Tenor weiter­führten, die Rück­gabe sei ein Fiasko, denn unsere wert­vollen Bronzen würden in den Privat­be­sitz des Oba über­gehen. Von „Baer­bocks Unheil“ ist die Rede, vom Blut, das an den Bronzen kleben würde. Hauser-Schäublin schrieb zudem mehr­fach von deut­schem Schuld­kom­plex und Nazi-Trauma als Grund­lage von Resti­tu­tionen. Da heißt es erst einmal durchatmen.

Zwei­erlei Maß

Während Brigitta Hauser-Schäublins sensible Vertei­di­gung von Taring Padi, ihre kennt­nis­reiche Einord­nung von deren anti­se­mi­ti­scher oder anti­se­mi­tisch erschei­nender Symbol­sprache in eine Geschichte der Unter­drü­ckung in Indo­ne­sien von verschie­denen Zeitungen abge­lehnt wurde, und schließ­lich auf der Platt­form des Netz­werks Wissen­schafts­frei­heit erschienen ist, fanden ihre Anwürfe gegen den Oba von Benin, die deut­sche Außen­po­litik und die Arbeit von Museen offene Ohren und sehr viel mehr Anklang. Hauser-Schäublins Rekon­struk­tion der Geschichte des König­tums Benin ist vornehm­lich auf Trigger ange­legt (Skla­ven­handel, Menschen­opfer), und nicht an der jahr­zehn­te­langen Forschung zur Geschichte Nige­rias orientiert.

Ihr Anliegen jedoch ist zwei­fellos richtig: nämlich ethno­lo­gi­sches Wissen in die Debatte einzu­bringen und kriti­schen Posi­tionen, z.B. aus Nigeria und der Schwarzen Commu­nity in den USA, Gehör zu verschaffen, deren Argu­mente zu erläu­tern und zu disku­tieren. Aber warum geschieht das so abfällig gegen­über dem Oba, dem Staat Nigeria und den Museen, zudem so sehr auf Zuspit­zungen zielend und aus einer in der Ethno­logie über­holten Perspek­tive der distan­ziert aus euro­päi­schen Berichten schöp­fenden arm-chair anthro­po­logy, mit der sie sich etwa zu der Aussage versteigt, die Schätze der Hofkunst des König­tums Benin seien erst in Europa zu Kunst­werken und afri­ka­ni­schem Kultur­erbe geworden? Für Indo­ne­sien würde sich Brigitta Hauser-Schäublin solche Stereo­type und aus der Kolo­ni­al­li­te­ratur zusam­men­ge­stellte Schlag­lichter vermut­lich verbitten. Und wenn immer wieder vom Oba als Nach­fahren von Skla­ven­händ­lern die Rede ist, die hofiert würden, sei zumin­dest kurz die Frage erlaubt, ob denn nicht wir die Nach­fahren der Skla­ven­ein­käufer sind (ja, auch Deut­sche und Schweizer waren am Skla­ven­handel beteiligt).

Geschichts­stunde

Abba Isa Tijani, Direktor des nige­ria­ni­schen Natio­nal­mu­seums, Kultur­staats­mi­nis­terin Claudia Roth und Außen­mi­nis­terin Anna­lena Baer­bock im Dezember 2022 in Lagos; Quelle: spiegel.de

Entgegen der Unter­stel­lung, die deut­sche Außen­mi­nis­terin sei naiv in die Verhand­lungen gegangen, dürfte wohl klar sein, dass hinter den Kulissen eine komplexe und kompli­zierte Diplo­matie statt­ge­funden hat, die u.a. ganz unter­schied­liche nige­ria­ni­sche Inter­essen kennt und auszu­glei­chen versucht hat – etwa unter­schied­liche Inter­essen der zentral- und bundes­staat­li­chen Kultur­po­litik und von heute nur noch kultu­rell aner­kannten Ober­häup­tern wie dem Oba von Benin. In Nigeria haben die „tradi­tional leaders“, anders als in anderen afri­ka­ni­schen Staaten, keine verfas­sungs­recht­liche Stel­lung, dennoch ist er von nige­ria­ni­scher und deut­scher Seite – zu Recht – in die Verhand­lungen einbe­zogen worden. Ohnehin ist es völker­recht­lich durchaus umstritten, ob nur Natio­nal­staaten über Rück­gaben verhan­deln können, wie oft behauptet wird, oder ob nicht indi­gene Gemein­schaften eben­falls als Vertrags­partner behan­delt werden können.

Der Präsi­dent der Stif­tung Preu­ßi­scher Kultur­be­sitz Hermann Parzinger hat zudem darauf hinge­wiesen, dass Rück­gaben im Herkunfts­land Debatten zwischen staat­li­chen Kulturerbe-Behörden und regio­nalen Commu­ni­ties auslösen. Dies seien wich­tige Prozesse, um zu einer trag­fä­higen Lösung zu kommen. Auch für die Herkunfts­länder seien Resti­tu­tionen ein neues Phänomen, Debatten daher legitim und gera­dezu notwendig: „In unseren Gesprä­chen haben der Oba und seine Vertreter das hohe Inter­esse an einer öffent­li­chen Präsen­ta­tion von Kunst aus Benin, auch mit welt­weiten Leih­gaben in Museen, stets sehr glaub­haft unterstrichen.“

Geplant ist neben dem Edo Museum of West African Art (EMOWAA) in Benin City auch ein Royal Benin Museum. Die Aner­ken­nung regio­naler Inter­essen ist kein Rück­fall in kultur­re­la­ti­vis­ti­sche Posi­tionen, wie in manchen Kommen­taren behauptet. Viel­mehr geht es in vielen Fällen bei Diskus­sionen und Konflikten zwischen Regie­rungen bzw. deren Minis­te­rien und lokalen Gruppen um Minder­hei­ten­rechte oder Ansprüche gegen­über dem Zentral­staat. Dies resul­tiert aus einem aus der Kolo­ni­al­zeit ererbten Problem, vor dem prak­tisch jede afri­ka­ni­sche Regie­rung nach der Unab­hän­gig­keit stand, nämlich dem Umgang mit ehemals vom Kolo­nia­lismus je nach Inter­es­sens­lage dele­gi­ti­mierten oder in Dienst gestellten Ober­häup­tern – von Dorf­vor­ste­hern bis zu Königs­häu­sern –, die im modernen post­ko­lo­nialen Staat einen Platz in den Verfas­sungen und im poli­ti­schen System finden mussten. Der post­ko­lo­niale Staat konnte diese Inter­essen nicht einfach über­gehen, zumal sie häufig die länd­li­chen Regionen betrafen und betreffen. Auch ohne den Oba als Person oder Insti­tu­tion zu vertei­digen, wäre es gerade eine verfehlte Diplo­matie, ihn zu ignorieren.

Muse­ums­po­litik – “ances­tors from the future”

Jenseits der erst seit relativ kurzer Zeit zwischen Staaten ausge­han­delten Resti­tu­tionen (ein frühes Beispiel wäre die Rück­füh­rung der sterb­li­chen Über­reste von Sarah Baartman aus Frank­reich nach Südafrika) gibt es schon lange Koope­ra­ti­ons­pro­jekte zwischen ethno­lo­gi­schen Museen und der soge­nannten Herkunfts­ge­sell­schaft. Dies begann spätes­tens in den 1960er Jahren in ehema­ligen Sied­ler­ko­lo­nien USA, Austra­lien, Neusee­land, in denen die ehemals Kolo­ni­sierten Teil der eigenen Gesell­schaft sind. Unter­stützt durch Gesetze wie dem NAGPRA entstanden neue Museums- und Ausstel­lungs­kon­zepte, oft in Kombi­na­tion mit der Rück­gabe von Kunst- und Kultur­gü­tern sowie sterb­li­chen Über­resten. Solche Parti­zi­pa­tion verläuft für alle Seiten nicht konflikt­frei. Es geht um die Defi­ni­ti­ons­macht über Samm­lungen und Objekte: Haben Museen, haben Kurator:innen hier nur noch eine Stimme unter anderen, oder über­haupt keine legi­time Stimme mehr? Wer spricht für die Herkunfts­ge­sell­schaften, wer für die Nach­fahren, die sich nicht von soge­nannten tradi­tio­nellen Auto­ri­täten reprä­sen­tiert fühlen? Wer verwaltet und kura­tiert „die Tradi­tion“? Spricht etwa die Rapperin AKU-MATU aus Alaska, die sich als „ancestor from the future“ bezeichnet, für „die Inuit“ oder für ihre Generation?

Die alas­ki­sche Rapperin Aku-Matu; Quelle: allisonwarden.com

Solche Fragen und Ausein­an­der­set­zungen im Zuge von kultu­rellen Eman­zi­pa­ti­ons­pro­zessen und einer (künst­le­ri­schen, histo­ri­schen und spiri­tu­ellen) Rück­be­sin­nung auf das eigene kultu­relle Erbe, mit dem sich die ethno­lo­gi­schen Museen auch in Europa schon lange beschäf­tigen, errei­chen nun auch Öffent­lich­keit und Politik. Bei der Resti­tu­tion von Kunst- und Kultur­gü­tern geht es nicht in erster Linie darum, wer sie zu Recht oder Unrecht zu Welt­kunst und Welt­erbe erklärt hat, oder wer wessen Kunst und Kultur ausstellen „darf“, sondern dass diese Arte­fakte in einer konkreten histo­ri­schen Phase mehr oder weniger gewalt­tätig ange­eignet und ins Museum gestellt worden sind. Mit der Verhand­lung über die Rück­gabe von Objekten ist also auch eine Ausein­an­der­set­zung mit der Kolo­ni­al­ge­schichte von Objekten und Samm­lungen in Museen verbunden. Dabei geht es um die Aner­ken­nung von mehr­fa­chem Verlust: So sind die Objekte viel­leicht vor dem „Verfall“ gerettet worden, aber oftmals nicht das Wissen über diese Objekte und die mit ihnen verbun­denen Prak­tiken. „Die Statuen sterben auch“, lautet der Titel eines pathe­ti­schen und in Frank­reich zunächst zensierten Films über afri­ka­ni­sche Kunst in euro­päi­schen Museen vom Alain Resnais und Chris Marker (1953).

Mit der Fest­stel­lung, dass sich das west­liche Museum mit seinem univer­salen Anspruch heute global verbreitet hat, geht oft die Vorstel­lung einher, es hätte sich in diesem Prozess selbst nicht verän­dert. Auch wenn manche Museen auf dem afri­ka­ni­schen Konti­nent bereits aus kolo­nialen Grün­dungen hervor­ge­gangen sind, wie etwa das IFAN (Musée de l’Institut Fonda­mental d’Afrique Noire) in Dakar, oder als direkte Antwort auf den Kolo­nia­lismus entstanden, wie das in den 1920er vom Sultan selbst gegrün­dete Palast­mu­seum in Fumban in Kamerun, haben sie längst eigene Tradi­tionen entwi­ckelt. Zudem haben Kunstethnolog:innen, wie der Pionier Hans Himmel­heber schon in den 1930er Jahren, viel­fach gezeigt, dass Dinge zu sammeln, zu bewahren und zu präsen­tieren oder sie zum eigenen Vergnügen kontem­plativ zu betrachten, keine exklusiv west­liche Praxis ist. So können heutige Museen auf dem afri­ka­ni­schen Konti­nent aus unter­schied­li­chen Tradi­tionen schöpfen und auch das „west­liche“ Museum selbst hat sich in Ausein­an­der­set­zung mit den eigenen kolo­nialen Anfängen und seiner welt­weiten Verbrei­tung verändert.

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Zukunft des Museums

Was in den ethno­lo­gi­schen Museen begann, betrifft heute alle Museen, so die These der Profes­sorin für Kunst­ge­schichte Kavita Singh. Selbst wenn das Museum, verstanden als Kunst- oder Natio­nal­mu­seum, west­li­chen Ursprungs ist, so ist es inzwi­schen als Insti­tu­tion globa­li­siert und damit geht eine Verän­de­rung einher. Die spezi­fi­sche Heraus­for­de­rung ethno­lo­gi­scher Museen, den Kontext der fremden Dinge zu erklären, betrifft heute jedes Museum welt­weit, denn Europa, so Singh, ist längst durch Mobi­lität und Migra­tion, durch den Aufstieg neuer Ökono­mien und aufgrund einer Neuord­nung der Welt nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes dezen­triert worden. So wird das Museum „zum Schau­platz radi­kaler Begeg­nungen, die durch radi­kale Verschie­bungen hervor­ge­rufen werden – unsere eigenen ebenso wie die der Objekte, die wir betrachten“.

Singh geht in ihrem Vortrag mit dem program­ma­ti­schen Titel „The Future of the Museum is Ethno­gra­phic“, davon aus, dass wir uns in einer zuneh­mend globa­li­sierten Welt alle gegen­seitig erklären müssen, dass jedes Museum, also auch das euro­päi­sche Kunst­mu­seum (und seine Ableger in aller Welt) zum „ethno­gra­phi­schen“ Museum wird, das dem globalen Publikum Objekte nicht nur zeigen kann, sondern durch Über­set­zung zugäng­lich machen muss.

Singh zeigt damit etwas Wich­tiges. Nicht der Univer­sa­lismus wird heraus­ge­for­dert, sondern eine west­liche Posi­tion, die sich selbst als univer­sa­lis­tisch versteht und den Rest der Welt als parti­kular. Es ist keines­wegs kultur­re­la­ti­vis­tisch, davon auszu­gehen und zu verstehen, dass andere Regionen der Welt eine andere Geschichte und andere Vorstel­lungen etwa von Kunst, Besitz, Ästhetik, Objekten, Indi­vi­dua­lität etc. haben. Im Gegen­teil, und das ist ja im Grunde auch ein Anliegen von Brigitta Hauser-Schäublin, wären die Resti­tu­ti­ons­de­batten eine Gele­gen­heit, sich mit der Geschichte und Gegen­wart anderer Welt­re­gionen oder „Kulturen“ zu befassen und etwas zu lernen. Aller­dings gerät Afrika fast ausschließ­lich in den Blick, wenn es Anlass zur Skan­da­li­sie­rung gibt oder diese herbei­ge­schrieben wird.

Symbol Benin-Bronzen

Gedenk­kopf eines Herr­schers (oba);
vermut­lich 16. Jh.; Benin City, Nigeria; Quelle: mbk.ch

Die Hofkunst des König­tums Benin, die bereits Felix von Luschan, seit 1885 zunächst Direk­to­ri­al­as­sis­tent und dann Direktor des König­li­chen Museums für Völker­kunde in Berlin, mit Werken der Renais­sance verglich, sind zu einem Symbol in der Resti­tu­ti­ons­de­batte geworden, weil es sich hier um einen abgrenz­baren und inzwi­schen in einer Daten­bank erfassten Bestand handelt, dessen Rück­gabe beschlos­sene Sache ist. Das Bedürfnis und die Notwen­dig­keit, sich mit den eigenen Samm­lungen und deren genauer Herkunft bis hin zu den Schöpfer:innen der Objekte zu befassen, wird aller­dings niemals dazu führen, dass Museen geleert werden, zumal es zu keiner Zeit aus afri­ka­ni­schen Ländern Forde­rungen nach einer kompletten Rück­gabe der zu Hundert­tau­senden vor allem in Muse­ums­de­pots lagernden Kunst- und Kultur­güter gab. Um euro­päi­sche Museen zu leeren, dieser Scherz sei erlaubt, müsste wohl der gesamte Flug­ver­kehr von Europa nach Afrika auf Jahre hinaus auf Fracht umge­stellt werden. Nicht einmal alle Benin-Bronzen sollen aus Sicht nige­ria­ni­scher Museen, Intel­lek­tu­eller und Politiker:innen zurück nach Nigeria gehen. Professor Abba Tijani von der Nige­rian Commis­s­ison for Museums and Monu­ments etwa versteht die Skulp­turen als wich­tige Botschafter in den Museen des globalen Nordens. Und selbst die Über­tra­gung von Eigen­tums­rechten bedeutet nicht gleich die physi­sche Rückgabe.

Felix von Luschan oder Carl Einstein sahen afri­ka­ni­sche Objekte als Kunst, weil deren Schöpfer Werke schufen, die über sie hinaus­gingen, die unab­hängig vom „Zweck“ gültig waren. Der Kunst­markt aller­dings verlangte afri­ka­ni­sche Kunst, die nach­weis­lich im Ritual benutzt worden ist, deren reli­giöser und ritu­eller, durch Patina bezeugter Kontext sie zu begehrten und teuren Objekten machte. Dass Objekte zur Reprä­sen­ta­tion von Status und Macht dienten, dass es sich zum Beispiel bei den Reli­ef­platten aus den Werk­stätten von Benin um Archive des Wissens handelte, inter­es­sierte hier wenig. Der Status der Benin-Bronzen war und ist also weder in Europa noch im heutigen Nigeria eindeutig, sie sind gleich­zeitig Kunst und Kultur­erbe, Geschichts­bü­cher und Reprä­sen­ta­tionen von Ahnen, Muse­ums­ob­jekte und Beute. Luschan, unter dessen Leitung die Afri­ka­samm­lung des Museums in Berlin von 3500 Objekten im Jahr 1880 auf über 50.000 Kata­log­num­mern ange­wachsen war, verstand seine Erwer­bungen als Rettungs­eth­no­logie, als Bewah­rung einer alten Kunst und Kultur, die der Moderne zum Opfer fielen und dem Unter­gang geweiht waren. Er hat die Zeug­nisse afri­ka­ni­scher Zivi­li­sa­tionen also, etwas zuge­spitzt, vor Kolo­nia­lismus und Mission gerettet.

Nun sind die afri­ka­ni­schen Kulturen aber nicht unter­ge­gangen, es fand viel­mehr eine Renais­sance etwa im Zuge von Négri­tude und Panafri­ka­nismus statt. Schon vor und nach der Unab­hän­gig­keit Nige­rias gab es sehr höfliche Anfragen, einzelne Stücke auszu­leihen oder zurück­zu­er­halten. Ein Vorschlag von nige­ria­ni­scher Muse­ums­seite lautete, dass jedes Museum in Europa ein einziges Stück zurück­geben könnte, doch dieser Vorschlag schei­terte nach Inter­ven­tion der Samm­ler­lobby. Die Rück­ga­be­for­de­rungen haben also eine lange Geschichte. Während­dessen haben nige­ria­ni­sche Museen Konzepte entwi­ckelt, wie mit Objekten, deren Status mehr­deutig ist, umzu­gehen sei. Bei einem Besuch im Natio­nal­mu­seum in Lagos habe ich an einer leeren Vitrine den Hinweis gelesen, das hier ausge­stellte Ritu­al­schwert sei für eine Zere­monie ausge­liehen worden und würde nach Abschluss des entspre­chenden Festes zurückkehren.

Offene Räume

Resti­tu­ti­ons­de­batten und Prove­ni­enz­for­schung eröffnen einen gemein­samen Raum, der über das Museum als Insti­tu­tion hinaus­geht, und notwen­di­ger­weise unter­schied­liche Inter­essen berück­sich­tigen muss. Der Verweis von Hauser Schäublin auf die Benin-Bronzen, die im Zuge der Wirren des Biafra-Krieges und in den 1980/90er Jahren aus Nigeria auf dem Kunst­markt aufge­taucht sind, ist doppelt inter­es­sant: Er stellt den Oba bereits präventiv unter Gene­ral­ver­dacht und lässt die ille­galen Prak­tiken des Kunst­marktes im Westen außer Acht. Viel­leicht führt aber die welt­weite Erfas­sung der Benin-Bronzen und die Resti­tu­ti­ons­de­batte gerade dazu, dass sie auf dem Kunst­markt ihren Wert verlieren bzw. nicht mehr (legal) verkäuf­lich sind.

Die jetzt aufge­flammte Diskus­sion um die Benin-Bronzen zeigt gerade nicht beispiel­haft, was bei Resti­tu­ti­ons­pro­zessen im Argen liegt, sondern befeuert nur Vorur­teile und verdeckt die eigent­lich wich­tigen Themen: die Verän­de­rung des Museums in einer globa­li­sierten Welt, die Rück­gabe und Zirku­la­tion von Objekten aufgrund einer Neube­wer­tung des Kolo­nia­lismus und eines anderen Unrechts­be­wusst­seins, die langen Koope­ra­tionen zwischen Museen und Herkunfts­ge­sell­schaften, die gemein­same Forschung. In den meisten Fällen haben nicht afri­ka­ni­sche Menschen entschieden, welche Objekte nach Europa kommen. Es ist gerecht, dass sich bei Resti­tu­ti­ons­fragen die Rich­tung nun umkehrt, und trotz der sehr mode­raten Forde­rungen führt dies notwendig zu Konflikten – aber es führt auch zur Koope­ra­tion. Der nige­ria­ni­sche Kunst­his­to­riker Sylvester Okwu­nodu Ogbe­chie hat schon vor fast zwanzig Jahren geschrieben: „Museum coll­ec­tions are valued higher than the cultural processes that bring them into being.“ Das verän­dert sich mit der gemein­samen Prove­ni­enz­for­schung und gibt uns mehr, als es uns nimmt, auch wenn manche Objekte aufgrund der kultu­rellen Prozesse, die sie einst erschaffen haben, heute zurückkehren.