Die Coronapandemie hat die ganze Welt erfasst. Doch ihre Bekämpfung prägen die alten Ungleichheiten zwischen Globalem Norden und Globalem Süden. Ein Blick in die Geschichte frühere Pandemien zeigt, inwieweit Krankheiten wirklich „global“ sind und wie wir darauf reagieren sollten.

  • Sarah Ehlers

    Sarah Ehlers ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut für Wissenschafts- und Technikgeschichte des Deutschen Museums in München. 2019 erschien ihr Buch „Europa und die Schlafkrankheit. Koloniale Seuchenbekämpfung, europäische Identitäten und moderne Medizin, 1890-1950“.

Als zu Beginn des letzten Jahres in den euro­päi­schen Medien die ersten Meldungen über das Auftreten eines neuar­tigen Virus in China erschienen, schien dieses Ereignis den meisten Leser:innen noch ähnlich fern wie der sprich­wört­liche Sack Reis. Doch dies änderte sich schnell. Wenig bestimmt die Wahr­neh­mung der gegen­wär­tigen Pandemie so sehr wie der Umstand, dass das Virus nicht an natio­nalen Grenzen halt­macht. Die Gesund­heits­krise ist global und Berichte über die Corona-Lage in verschie­denen Teilen der Welt prägen die öffent­liche Diskus­sion. Mit dem Beginn des Impf­pro­gramms erhält die Diskus­sion um die globale Dimen­sion der Pandemie derzeit eine neue Wendung: In den Blick rückt die ausge­spro­chen ungleiche Vertei­lung von Impf­stoffen zwischen dem Globalen Süden und dem Globalen Norden – und der viel­fach wieder­holte Appell, dass sich die „globale Krank­heit“ auch nur „global“ bekämpfen ließe.

Was aber bedeutet es, wenn eine Krank­heit „global“ ist – für ihre Erfor­schung und für ihre Bekämp­fung? Welche Effekte hat das aktuell beob­acht­bare Zusam­men­wirken globaler Vernet­zung mit sozialer wie poli­ti­scher Ungleich­heit? So sehr uns diese Fragen heute umtreiben, so wenig entstammen sie der aktu­ellen Situa­tion. Corona bildet nur die Spitze einer Reihe pande­mi­scher Infek­ti­ons­krank­heiten und tödli­cher Epide­mien der Vergan­gen­heit, die uns helfen können, die globale Dimen­sion der aktu­ellen Pandemie besser zu verstehen.

Schock und Aufbruch: Euro­päi­sche Wahr­neh­mungen der „Schlaf­krank­heit“

Ein aufschluss­rei­ches Beispiel für die euro­päi­sche Wahr­neh­mung „globaler“ Krank­heit ist die Afri­ka­ni­sche Trypa­no­so­miasis. Als die soge­nannte Schlaf­krank­heit vor allem in Uganda und dem Kongo­be­cken am Beginn des 20. Jahr­hun­derts hundert­tau­sende Tote forderten, waren ihre Schock­wellen auch in Europa zu spüren. Noch waren weder Erreger noch Über­tra­gungs­wege bekannt. Unter den Kolo­ni­al­mächten machte sich die Sorge breit, die Krank­heit könnte sich auf den gesamten Konti­nent ausbreiten, etwa entlang des Nils bis nach Ägypten gelangen – mit kata­stro­phalen wirt­schaft­li­chen Folgen.

Robert Koch (rechts) in einem Labor­zelt am Vikto­riasee, Uganda; Quelle: rki.de

In der Wissen­schaft erzeugte die Pandemie hingegen Aufbruchs­stim­mung: Die Schlaf­krank­heit bot mit ihrer medialen wie poli­ti­schen Aufmerk­sam­keit der noch jungen Diszi­plin der Tropen­me­dizin die Gele­gen­heit, die eigene Rele­vanz unter Beweis zu stellen. Robert Koch, David Bruce, Émile Brumpt und andere dama­lige Stars des Feldes machten sich auf den Weg nach Afrika, um die unbe­kannte Krank­heit zu erforschen.

Kolo­niale Krankheit

Es war der Kolo­nia­lismus, der aus der Schlaf­krank­heit eine globale Krank­heit machte. Weil sie durch die Tsetse-Fliege über­tragen wird, die einzig im subsa­ha­ri­schen Afrika vorkommt, bestand zwar nie die reale Gefahr, dass die Schlaf­krank­heit zu Epide­mien in Europa führen könnte. Doch auf dem afri­ka­ni­schen Konti­nent wurde die Eska­la­tion des Infek­ti­ons­ge­sche­hens durch die kolo­niale Erobe­rung ange­trieben; bereits Zeit­ge­nossen sahen in der verstärkten Mobi­lität und der neuen Verkehrs­in­fra­struk­turen, in der Vertrei­bung und Neuan­sied­lung lokaler Bevöl­ke­rung die Gründe für das Ausufern der Epidemie.

Infi­zierte in einem „Schlaf­lager“ in Bugala (Uganda) 1907; Quelle: rki.de

Zudem wurde die Krank­heit zu einem Expe­ri­men­tier­feld der euro­päi­schen Mächte. Die medi­zi­ni­schen Maßnahmen der Kolo­ni­al­ver­wal­tungen griffen tief in die kolo­ni­sierten Gesell­schaften ein. Ärzte durch­suchten die Kolo­ni­al­ge­biete nach Infi­zierten und brachten auf diese Weise den Kolo­ni­al­staat gleichsam in die Fläche der Kolo­nien. Infi­zierte wurden in Lagern inter­niert, um sie an einer Weiter­ver­brei­tung der Infek­tion zu hindern und um mögliche Thera­pien an ihnen zu testen. Im Zuge der Schlaf­krank­heits­kam­pa­gnen wurden neue, soge­nannte sichere Sied­lungs­ge­biete geschaffen, indem durch Umwelt­ein­griffe wie Rodungen oder Trocken­le­gungen der Lebens­raum der Tsetse-Fliege vernichtet wurde. Die Pande­mie­be­kämp­fung fügte sich nicht nur nahtlos in die brutale Herr­schaft der euro­päi­schen Kolo­ni­al­mächte ein, sie chan­gierte auch zwischen Gewalt, Rassi­fi­zie­rung und Entwicklungsphantasien.

Kolo­niale Forschungen

Für die Wissen­schaft eröff­nete sich mit den neuar­tigen Epide­mien ein hervor­ra­gendes Forschungs­feld. Im kolo­nialen Kontext waren Unter­su­chungen möglich, die in Europa so nicht durch­führbar gewesen wären. Dies betraf insbe­son­dere Menschen­ver­suche mit infi­zierten Afrikaner:innen, die in allen euro­päi­schen Schlaf­kran­ken­la­gern statt­fanden. Wissen­schaftler wie der Nobel­preis­träger Paul Ehrlich sandten ausge­suchte Wirk­stoffe in die Kolo­nien, die hier an einer großen Anzahl Infi­zierter getestet werden konnten. Dabei ging es nicht nur darum, ein Mittel gegen den Erreger der Schlaf­krank­heit zu finden. Die Hoff­nung war, dass sich ein solches auch gegen andere, euro­päi­sche Krank­heiten einsetzen ließe. Ehrlich etwa expe­ri­men­tierte mit Verfahren zur Heilung von Syphilis und suchte nach chemo­the­ra­peu­ti­schen Stra­te­gien gegen Infek­ti­ons­krank­heiten, als er in die kolo­niale Forschung einstieg. Auch dafür lieferten Studien in den Schlaf­kran­ken­la­gern genaue Beschrei­bung der Neben­wir­kungen der getes­teten Substanzen bei unter­schied­li­cher Dosierung.

Paul Ehrlich in seinem Frank­furter Labor, 1910; Quelle: wikipedia.org

In euro­päi­schen Laboren wären solche Unter­su­chungen nicht nur aufgrund der mangelnden Anzahl an mögli­chen Test­per­sonen nicht möglich gewesen. Ein Hinde­rungs­grund waren auch die unbe­kannten Effekte der Wirk­stoffe, da zu Beginn des Jahr­hun­derts nach einigen in der Presse wild disku­tierten Skan­dalen in mehreren euro­päi­schen Staaten gesetz­liche Regu­lie­rungen zu Human­ex­pe­ri­menten erlassen worden waren. In den Kolo­nien fühlten sich Ärzte dagegen freier und fern kriti­scher Aufmerk­sam­keit. So gingen die Expe­ri­mente in den Kolo­nien regel­mäßig mit massiven Neben­wir­kungen wie Lähmungen, Erblin­dungen und verein­zelten tödli­chen Vergif­tungen einher, über die auch immer wieder in Fach­zeit­schriften berichtet wurde. Zum Abbruch solcher Expe­ri­mente führten in der Regel jedoch nicht ethi­sche oder juris­ti­sche Über­le­gungen, sondern die hohen Flucht­raten der Internierten.

Die Forschung in den Schlaf­kran­ken­la­gern wurde von den führenden phar­ma­ko­lo­gi­schen Unter­nehmen unter­stützt. Sie stellten Wirk­stoffe zu Test­zwe­cken zur Verfü­gung und über­nahmen ihren Trans­port in betrof­fene Gebiete. Bewährte sich ein Mittel, versprach es die Erschlie­ßung eines viel­ver­spre­chenden Marktes. Kolo­ni­al­be­hörden beur­teilten den Erfolg eines Wirk­stoffes dabei unter epide­mio­lo­gi­schen Gesichts­punkten, ohne den Gefahren für den Einzelnen beson­dere Aufmerk­sam­keit zu schenken: Das hoch­to­xi­sche Medi­ka­ment Atoxyl etwa besaß zwar keine dauer­hafte Heil­wir­kung, vermochte jedoch kurz­zeitig die Erre­ger­last im Blut zu verrin­gern und damit Anste­ckungs­ketten zu unter­bre­chen. Das Produkt wurde deshalb bis zum Ersten Welt­krieg stan­dard­mäßig zur Bekämp­fung der Krank­heit einge­setzt. Trotz schwerer Neben­wir­kungen wie Erblin­dungen schufen die kolo­nialen Schlaf­kran­ken­la­gern somit einen Absatz­markt für Atoxyl, der sich für euro­päi­sche Pharma-Unternehmen als ausge­spro­chen profi­tabel erwies.

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Post­ko­lo­niale Ungleichheiten

Collage für das Medi­ka­ment Suramin mit einem Bild von Robert Koch; Quelle: wikipedia.org

Mit der Deko­lo­ni­sa­tion wendete sich das Blatt: Hatten zuvor die Kolo­ni­al­mächte das Feld der kolo­nialen Gesund­heits­ver­sor­gung nach ihren Inter­essen ausge­richtet, über­ließen sie es nun komplett der Pharma-Industrie. Europa setzte keine Forschungs­an­reize mehr für eine funk­tio­nie­rende Therapie der Schlaf­krank­heit; nicht zuletzt deshalb gehört die Krank­heit heute zu den „negle­cted tropical dise­ases“. Erst seit 2013 wird versucht die vor allem in der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kongo weiterhin verbrei­tete Krank­heit mithilfe einer Förder­initia­tive von der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­tion (WHO), Bayer und Sanofi einzu­dämmen. Die nötigen Medi­ka­mente werden kosten­frei durch die WHO zur Verfü­gung gestellt. Doch gerade an ihnen zeigt sich nicht nur eine Persis­tenz kolo­nialer Struk­turen, sondern auch, wie sehr sich Exper­tise und Inter­essen im Kampf gegen die Schlaf­krank­heit verschoben haben: Von den fünf Stan­dard­me­di­ka­tionen, die aktuell von der WHO aufge­führt werden, stammen drei Medi­ka­mente (Suramin *1920, Penta­midin *1940, Melar­so­prol *1949) noch aus der Kolo­ni­al­zeit. Trotz erheb­li­cher Nach­teile wie verbrei­teter Resis­tenzen sind sie vieler­orts mangels Alter­na­tiven noch immer in Benutzung.

Bei den anderen beiden Wirk­stoffen Eflor­ni­thin und Fexi­nid­azol wurde zwar die Wirkung gegen Schlaf­krank­heits­er­reger erst nach der Deko­lo­ni­sa­tion fest­ge­stellt. Doch mangels Wirt­schaft­lich­keit waren die Produkte bald nicht mehr auf dem Markt. Eflor­ni­thin, ein Mittel gegen weib­liche Gesichts­be­haa­rung (Hirsu­tismus) ist seit 1990 auch als Schlaf­krank­heits­the­ra­peu­tikum zuge­lassen. Bereits 1995 stellte das Pharma-Unternehmen Sanofi die Produk­tion jedoch aus wirt­schaft­li­chen Gründen ein, auch wenn der Wirk­stoff als Mittel gegen Gesichts­haar auf dem Markt blieb. Erst inten­sive Kampa­gnen­ar­beit der Méde­cins Sans Fron­tières und Verhand­lungen der WHO führten dazu, dass Sanofi 2001 die Produk­tion wiederaufnahm.

Plakat der „Drugs for Negle­cted Dise­ases Initia­tive“; Quelle: adeevee.com

Auch die Produk­tion des in den 1970er Jahren entwi­ckelten Wirk­stoffes Fexi­nid­azol hat das Unter­nehmen Hoechst (heute Sanofi) aus markt­stra­te­gi­schen Gründen aufge­geben. Erst durch die Forschungs­för­de­rung der Drugs for Negle­cted Dise­ases Initia­tive begann Sanofi 2005 mit der Vorbe­rei­tung klini­scher Studien für eine Zulas­sung. Seit 2019 verfügbar erweist sich das Produkt momentan als thera­peu­ti­scher wie logis­ti­scher Segen: Im Gegen­satz zu den bishe­rigen Medi­ka­tionen ist es weit weniger toxisch, wirkt in allen Stadien der Krank­heit, kann oral verab­reicht werden und macht so einen Kran­ken­haus­auf­ent­halt während der Therapie unnötig. Endlich zeichnet sich damit eine Kontrolle der Schlaf­krank­heit ab. Zugleich zeigt die Geschichte der Medi­ka­men­ten­pro­duk­tion aber deut­lich, wie sehr auch nach dem Ende des Kolo­nia­lismus globale Struk­turen der Ungleich­heit die Produk­tion medi­zi­ni­schen Wissens und damit Thera­pie­mög­lich­keiten im Globalen Süden bestimmten.

Medi­zi­ni­sches Wissen und tatsäch­liche Therapiemöglichkeiten

Neben der Frage, welche auf der Welt auftre­tenden Krank­heiten im Blick medi­zi­ni­scher Forschungen stehen, steht die Frage nach dem globalen Zugang zu bestehenden Thera­pie­mög­lich­keiten. Sie ist beson­ders offen­sicht­lich am Beispiel der HIV/AIDS-Pandemie. Obwohl der Umgang mit HIV und AIDS seit den 1980er Jahren von massiver Stig­ma­ti­sie­rung und homo­phober Gewalt begleitet war, erzielten Forscher:innen während der letzten Jahr­zehnte bemer­kens­werte Erfolge: Stellte eine HIV-Infektion bis Mitte der 1990er Jahre ein sicheres Todes­ur­teil dar, war dies mit der Entwick­lung der anti­re­tro­vi­ralen Therapie (ART) vorbei. Mitt­ler­weile haben Infi­zierte bei früh­zei­tiger Diagnose und lang­fris­tiger ärzt­li­cher Beglei­tung eine normale Lebens­er­war­tung bei guter Lebens­qua­lität. Hinzu kommt: Solange unter der Therapie das Virus im Blut nicht nach­weisbar ist, können Infi­zierte es auch nicht weiter­geben. Im Jahr 2019 galt dies etwa für 96% der deut­schen HIV-Patient:innen.

Doch die Entwick­lung der anti­re­tro­vi­ralen Therapie führte keines­wegs dazu, dass das AIDS-Sterben auf der Welt endete. Die welt­weit höchste Zahl von AIDS-Toten verzeich­neten die Vereinten Nationen im Jahr 2005 mit 1,95 Millionen Gestor­benen und damit zu einem Zeit­punkt, als das erfolg­reiche ART-Verfahren bereits über zehn Jahre alt war. Im Globalen Norden war die Krank­heit damals längst zu einer beherrsch­baren Infek­tion geworden. Im Globalen Süden ist HIV/AIDS hingegen noch heute einer der „big three“, der drei „großen Killer“ und verzeichnet weiterhin hohe Neuan­ste­ckungs­raten. Das Wissen zur Bekämp­fung der Krank­heit ist also eigent­lich seit langem vorhanden. Solange es jedoch keinen ausrei­chenden Zugang zu Thera­pien gibt, bleibt HIV ein globales Problem.

Globa­li­sierte Krank­heiten in einer globa­li­sierten Welt

Manches aus der Geschichte von Schlaf­krank­heit und HIV/AIDS wieder­holt sich in der aktu­ellen Pandemie. Auch ohne den „Möglich­keits­raum“ der Kolo­nien hat die Corona-Pandemie immense Akti­vi­täten der medi­zi­ni­schen Forschung provo­ziert und der Impf­stoff­ent­wick­lung in kürzester Zeit einen rasanten Wissens­sprung ermög­licht. Auch sie erweist sich als Türöffner für neue Tech­no­lo­gien, die erst jetzt in großem Rahmen getestet werden können. Wie Paul Ehrlich die kolo­nialen Schlaf­krank­heits­stu­dien als Erpro­bungs­feld für die Chemo­the­rapie von Infek­ti­ons­krank­heiten nutzte, lassen sich auch an Corona erzielte Erkennt­nisse auf weitere Felder der Medizin über­tragen. Vor allem die soge­nannten mRNA-Impfstoffe, an denen seit über 15 Jahren geforscht wird, verspre­chen völlig neuar­tige Thera­pie­mög­lich­keiten auch für andere Krankheiten.

Kann sich ihr Wirk­prinzip bald auch an Krebs, Alzheimer oder Diabetes bewähren? Die Hoff­nung zumin­dest ist greif­barer geworden. Für Malaria konnte mit der mRNA-Technik bereits zum ersten Mal ein funk­tio­nie­render Impf­stoff entwi­ckelt werden, der schon jetzt als „abso­lute game changer“ gefeiert wird. Ob der Impf­stoff jedoch tatsäch­lich die Welt von dieser Seuche befreien wird, muss sich erst noch erweisen. Auch hier­über werden ökono­mi­sche Inter­essen mitbe­stimmen, wie sie derzeit die Diskus­sion um die Patente der Corona-Impfstoffe prägen. Wie sehr die Gesund­heits­ver­sor­gung im Globalen Süden unter dem Forschungs­boom zum Corona-Virus leiden könnte, lässt die Lepra-Impfstoffentwicklung erahnen. Sie ist gegen­wärtig fast voll­ständig zum Erliegen gekommen, weil die damit beschäf­tigten Labore aufge­kauft und für Corona-Vakzin-Testreihen benutzt werden. Im Gegen­satz zu Corona ist die Lepra-Bekämpfung ein Feld huma­ni­tärer Inter­ven­tionen und damit durch Spenden finanziert.

Inso­fern ist es wichtig, nicht allein auf wissen­schaft­liche Fort­schritte zu vertrauen, sondern in der Pande­mie­be­kämp­fung immer wieder an die Ungleich­heiten zwischen Globalem Norden und Globalem Süden zu erin­nern. Das Beispiel HIV/AIDS zeigt exem­pla­risch, was passieren kann, wenn in einer Pandemie Forschungs­er­geb­nisse nur in den reichen Regionen der Welt verwertbar gemacht werden. Natür­lich ist die Vertei­lung von Impf­stoffen nur bedingt mit der Schaf­fung einer Gesund­heits­in­fra­struktur zu verglei­chen, in der HIV-Infizierte über Jahr­zehnte täglich Medi­ka­mente erhalten könnten. Dennoch rufen ange­sichts der aktu­ellen globalen Vertei­lung der Corona-Impfstoffe insbe­son­dere AIDS-Expert:innen dazu auf, mit der neuen Pandemie nicht die Fehler der Vergan­gen­heit zu wiederholen.

Nach­drück­lich wird gemahnt, dass eine dauer­hafte Verbrei­tung von Corona-Infektionen in anderen Teilen der Welt zwangs­läufig zu Muta­tionen und absehbar auch zu Resis­tenzen führen werde, vor denen sich auch Europa nicht wird schützen können. Doch ob mit diesem Argu­ment, dass die globale Bekämp­fung der Pandemie zu einem Inter­esse des Nordens erklärt, tatsäch­lich vergan­gene Fehler vermieden werden, scheint frag­lich. Wich­tiger wäre es anzu­er­kennen, dass der Umgang mit der Pandemie nicht von den noch immer bestehenden Ungleich­heiten zwischen dem Globalen Süden und dem Globalen Norden zu trennen ist. Globale Krank­heiten treffen eben weder die ganze Welt glei­cher­maßen, noch erweisen sie sich als die großen Gleich­ma­cher. Viel­mehr liegt die Globa­lität von Krank­heiten oftmals gerade in der Unter­schied­lich­keit, mit der sie verschie­dene Welt­re­gionen prägen.