Einer der bekanntesten Satiriker Deutschlands, der ehemalige Chefredakteur der Satire-Zeitschrift TITANIC, Martin Sonneborn, hat (so liest man u.a. auf der Autorenseite von Kiepenheuer und Witsch) seine Magisterarbeit über die „absolute Wirkungslosigkeit moderner Satire“ geschrieben. Freilich hat er auch, wie Cornelius Pollmer bereits 2013 in einem klugen Artikel in der SZ feststellte, seine eigene These in der Wirklichkeit widerlegt. Sonneborn ist als Mitbegründer der Partei DIE PARTEI, die wahlweise als Spaß-Partei abqualifiziert oder als Satire-Partei geadelt wird, eine Figur, die in den letzten Jahren die Geschichte der Gegenwartssatire nachdrücklich mitgeprägt und ihr einen neuen Zug verliehen hat – fast möchte man von einer real-satirischen Wende sprechen. Nicht nur, dass Sonneborn bei der Wahl zum Europaparlament 2014 tatsächlich einen Sitz als Abgeordneter gewann, er hat auch im Jahr 2017 einen juristischen Sieg in Sachen Parteienfinanzierung gegen Wolfgang Schäuble errungen – ein Sieg, der eine Lücke im deutschen Parteienfinanzierungsgesetz offenlegte, die zuvor von der AfD genutzt worden war, um ihre Parteikassen zu füllen.

Screenshot des Webauftritts der Partei DIE PARTEI, Quelle: die-partei.de
Die AfD hatte mit Gold-Verkäufen einen hohen staatlichen Zuschuss erhalten, denn das deutsche Gesetz zur Parteienfinanzierung bemisst die Höhe des staatlichen Zuschusses an der Höhe des Gesamtumsatzes, den eine Partei alljährlich macht. Wenn eine Partei 100.000 Euro Umsatz macht, etwa durch den Verkauf von Gold zum Einkaufspreis wie im Fall der AfD, dann bekommt sie einen Betrag in gleicher Höhe von staatlicher Seite dazu. Man braucht also keine Geschäftsidee, die auf Gewinnerzielung aus ist, sondern nur eine Idee, wie man Umsatz macht. Die Partei DIE PARTEI griff diese Möglichkeit 2014 in modulierter Form auf: Sie verkaufte kein Gold, sondern Geld. Sprich, man konnte 50 Euro für 55 Euro oder 100 Euro für 105 Euro erwerben – und damit den Umsatz der Parteifinanzen der PARTEI erhöhen. Im Jahr darauf wurde die Aktion fortgeführt – diesmal konnte man einen 100 Euroschein für 80 Euro erwerben. Nun klagte der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gegen die Aktion, verlor aber vor Gericht – zuletzt auch in der zweiten Instanz. Geld-Verkaufen ist in Deutschland genauso legal wie Gold-Verkaufen – zumindest solange es im Rahmen der Parteienfinanzierung geschieht.

Werbeplakat der Parte DIE PARTEI zur Geld-Verkaufsaktion
Aufmerksamkeit auf Missstände lenken
Diese satirische Aktion, die viel Aufmerksamkeit in den deutschen Medien erzeugte, wollte offensichtlich einen Gegner (die AfD) und einen Missstand (das Deutsche Parteienfinanzierungsgesetz) lächerlich machen, indem sie beide öffentlich vorführt. Dabei zielte die satirische Strategie darauf ab, die Lücke im Gesetz zur Parteienfinanzierung und diejenigen, die diese Lücke ausnutzen, sichtbar zu machen. Die Aufmerksamkeit auf Missstände oder Missbrauch zu lenken, ist ganz offensichtlich etwas, das Satire kann. Mehr noch, das Sichtbarmachen ist nicht nur eine satirische Aktion, sondern auch eine politische Aktion: Sie schafft einen Raum, in dem ein Missstand öffentlich kritisierbar wird.
In der achten These seiner „Zehn Thesen zur Politik“ schreibt Jacques Rancière: „Wesentliche Arbeit der Politik ist die Konfiguration ihres eigenen Raumes“; mehr noch: Politik bestehe darin, „den Raum umzugestalten, dasjenige, was es dort zu tun, zu sehen, zu benennen gibt“. Satirische Aktionen wie der Geld-Verkauf der PARTEI tun genau dieses: Sie konfigurieren einen medialen Raum, um dort die Zustände und die Missstände eines partiell paradoxen Gesellschaftssystems sichtbar zu machen. Und sie gestalten den medialen Raum so um, dass die satirischen Aktionen Empörung darüber hervorrufen, dass man als Akteur des Systems (etwa als Satire-Partei) den Missbrauch des Gesellschaftssystems offen begehen und offen zur Schau stellen kann.
Die politische Dimension der Aktionen der Satire-Partei DIE PARTEI besteht so besehen zum einen darin, dass sie sich in ihrer Mimikry fragwürdiger Praktiken politischer Akteure selbst als fragwürdiger Akteur offen zur Schau stellt. Dieses Sich-selbst–offen-Zur-Schau-Stellen ist genau die Differenz, die aus einer fragwürdigen Praktik eine subversive satirische Performance macht. Zum anderen besitzt DIE PARTEI aber auch deshalb politischen Impact, weil sie mit ihrem Offen-Zur-Schau-Stellen den medialen Raum besetzt, den andere Parteien für sich zu konfigurieren suchen. Damit macht DIE PARTEI anderen Parteien ihren Raum in der Medienöffentlichkeit streitig, und zwar ganz unabhängig von irgendeiner inhaltlichen Auseinandersetzung. Das Motto der Partei DIE PARTEI lautet denn auch: „Inhalte überwinden!“
Mit ihren medienwirksamen Auftritten und Aktionen lenkt DIE PARTEI die Aufmerksamkeit von anderen Parteien ab und lenkt die Aufmerksamkeit auf sich selbst um. Indem sie so in das Kräfteverhältnis der Ökonomie der Aufmerksamkeit eingreift, gestaltet sie den politischen Raum um: re-konfiguriert ihn als einen Raum mit satirischer Tendenz.
Wie politisch werden?
Natürlich lässt sich fragen: Warum auf diese Weise politisch werden? Kann man Missstände wie das deutsche Gesetz zur Parteienfinanzierung nicht auf andere Weise sichtbar machen? Zum Beispiel, indem man sich im Rahmen einer etablierten Partei dafür engagiert einsetzt? Warum muss man das als Satire-Partei machen? Nun, vielleicht, weil vom Gesetz zur Parteienfinanzierung alle Parteien so stark profitieren, dass sie es nicht ändern wollen.
Aber gibt es nicht auch in der Satire eine lange Tradition, politisches Handeln von einer Position her kritisch zu hinterfragen, die außerhalb der Politik liegt? Eine Position, die analog zur Kunst ‚frei‘ ist von allen Zwängen, es ‚besser zu machen‘ (oder überhaupt etwas zu machen); eine Position, die bewusst außerhalb des politischen Systems angesiedelt ist, um nicht vom System kontaminiert zu werden: um sich nicht die Finger schmutzig zu machen; um keine interessegeleitete Kritik an Politikern und Politiken zu üben, sondern sich in den Stand zu versetzen, gewissermaßen reine Kritik an den Zuständen üben zu können.
Diese Haltung, auf die man sich seit der Aufklärung und ihrer Indienstnahme der Satire als polemisches Werkzeug der Gesellschaftskritik gern beruft, ist in den letzten Jahrzehnten zunehmend unglaubwürdig geworden. Zum einen, weil wir den Satirikern nicht mehr glauben, dass sie wirklich eine ‚quasi-transzendentale‘ Position der Gesellschaftskritik außerhalb des Systems einnehmen können; zum anderen, weil wir grundsätzlich nicht mehr glauben, dass sich durch satirische Gesellschaftskritik unser Gesellschaftssystem überhaupt verändern ließe.
Und so ist es eigentlich kein Wunder, dass an die Stelle der offenen satirischen Kritik im Kabarettformat die satirische Subversion getreten ist: die verdeckte, ‚indirekte Aggression‘. Subversion, verstanden als „Gegenmacht“ (Antonio Negri), die im Rahmen der bestehenden gesellschaftlichen Zustände im Modus der Schein-Affirmation operiert – mit dem Ziel, zu provozieren und Unsicherheit zu erzeugen. So muss man mit Blick auf die DIE PARTEI mit Bertolt Brecht fragen: Was ist die größere gesellschaftspolitische Zumutung: eine Partei mit den Mitteln der Satire zu kritisieren oder eine Satire-Partei zu gründen? Die Antwort ist offensichtlich: Der ‚gute politische Witz‘, den Tucholsky so hochhielt, lockt heute keinen mehr hinter dem Sofa hervor (auf dem früher ja angeblich halb Deutschland saß, um übel zu nehmen). Ganz anders sieht es mit satirischen Performances aus, und hier hat die Partei DIE PARTEI über die Jahre so etwas wie ein neues Genre in Deutschland eingeführt: den Performative Political Joke. Diese für unsere Mediengesellschaft re-konfigurierte Form der Satire ist nicht mehr primär an der Kritik interessiert, sondern vor allem an der Erzeugung von Aufmerksamkeit. Die satirische Strategie besteht in einer performativen Geste, die auf gesellschaftliche Zustände deutet, die man an sich selbst feststellt.
So besehen ist die Gründung einer Satire-Partei – frei nach Clausewitz – die Fortführung der satirischen Kritik mit anderen Mitteln, genauer gesagt, mit den Mitteln der Anderen, etwa den staatlichen Mitteln aus der Parteienfinanzierung. Die Empörung darüber, dass eine Satire-Partei – mit den gleichen unseriösen Methoden wie die Nicht-Satire-Partei AfD – Mittel aus der Parteienfinanzierung erhält, ist im Grunde Politik pur: eine politische Mobilisierung von Empörungspotential, um die Aufmerksamkeit der Medienöffentlichkeit zuallererst auf sich selbst als perfiden politischen Akteur zu lenken, der aber nichts Anderes tut als alle anderen politischen Akteure, nur eben offensichtlich und ostentativ. Die dadurch ausgelösten Reaktionen können unter Umständen sogar tatsächlich zu einer Veränderung der Zustände (etwa der Gesetzgebung) führen, was man ohne weiteres als Erfolg einer gelungenen satirischen Strategie bezeichnen darf. So ja auch im Fall des Geld-Verkaufs: Die satirische Aktion blieb politisch nicht wirkungslos, sondern führte dazu, dass das Gesetz zur Parteienfinanzierung in Zukunft geändert wird.
Spiel mit den Grenzen des Gesetzes
Das satirische Spiel mit den Grenzen des Gesetzes kann also zu einer Veränderung der Gesetzeslage (sprich zu einer Grenzverschiebung im Terrain der Gesetzgebung) führen, was eine eminent politische Konsequenz ist. Ähnliches ließ sich im Fall Böhmermann beobachten, an dessen Ende zwar das teilweise Verbot des „Schmähgedichts“ stand, aber eben auch die Abschaffung des Paragrafen zur „Majestätsbeleidung“. Mit anderen Worten: Satire kann gesellschaftliche Zustände verändern – zumindest solange diese gesellschaftlichen Zustände das Terrain der Gesetzgebung oder den medialen Raum der Konfiguration von Aufmerksamkeit betreffen.
Nun ist die Satire-Partei DIE PARTEI, wie bereits erwähnt, erklärtermaßen nicht an irgendwelchen ‚politischen Inhalten‘ interessiert – Stichwort: „Inhalte überwinden!“ Dies wurde und wird immer wieder kritisiert, etwa in der linken Tageszeitung die taz. So schrieb Martin Kaul 2017 im Vorfeld der Bundestagswahl in einem Artikel, der die Überschrift trug „Elitär, bourgeois und amoralisch“: „Es ist gespenstisch: Als gäbe es nichts zu bereden, scheint die PARTEI derzeit im – nennen wir es abschätzig – ‚linksalternativen Milieu‘ immer neue Freunde zu finden. Die Straßen sind gepflastert mit Wahlwerbung von Komödianten“.

Wahlplaktat DIE PARTEI
Aber was gibt es denn zu bereden? Offenbar findet das erklärte Nicht-Interesse der PARTEI für politische Inhalte Resonanz bei Wählerinnen und Wählern, die das Reden der anderen Parteien über politische Inhalte für Gerede halten. „Inhalte überwinden!“ wird so zu einem Slogan, der zwar die landläufige Erwartung, dass sich Politik für Inhalte einzusetzen habe, enttäuscht, die dafür aber mit ihrem Ethos punktet: Was nützt ein laut proklamiertes Interesse für politische Inhalte, wenn diese dann nach der Wahl nie umgesetzt werden? Da ist eine Partei, die „Inhalte überwinden!“ zu ihrem Wahlprogramm macht, doch sehr viel ehrlicher. Die halten wenigstens ein, was sie nie versprochen haben. Was die Partei DIE PARTEI ihren Wählerinnen und Wählern als Alternative zu anderen Parteien stattdessen bietet, ist eine offen zur Schau gestellte Selbstbezüglichkeit, die man zwar auch als satirische Botschaft verstehen kann, die aber vielleicht einfach nur ein Zeichen unverhohlener Selbstverliebtheit ist.
In eben diesem Sinne ist die Satire-Partei dann tatsächlich eine reine ‚Spaß-Partei‘. Eine Spaß-Partei allerdings, die – gewollt oder ungewollt – unsere Aufmerksamkeit immer wieder auf die Rahmenbedingungen unserer Mediengesellschaft lenkt. Rahmenbedingungen, die insofern politische Implikationen haben, als sie gleichsam die Bedingung der Möglichkeit für freie Meinungsbildung in einer Demokratie sind: Wer politische Inhalte kommunizieren – oder überwinden… – will, muss zuallererst wissen, wie Aufmerksamkeit erzeugt wird. Womit indirekt allerdings zugleich darauf hingewiesen ist, was die Satire nicht kann, nämlich sich den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie zu entziehen.