Die Forschung zur Künstlichen Intelligenz (KI) geht neue Wege: Statt grosse, komplexe Roboter zu bauen, entwirft sie jetzt Schwärme von Mini-Drohnen. Diese sollen dereinst die Bienen ersetzen, um Nutzpflanzen zu bestäuben. Oder für militärische Anwendungen bereit stehen.

  • Sebastian Vehlken

    Sebastian Vehlken lehrt Medien- und Kulturwissenschaften an der Leuphana Universität Lüneburg und ist Senior Researcher der DFG-Kollegforschergruppe Medienkulturen der Computersimulation. Er arbeitet zur Theorie und Geschichte Digitaler Medien.

Pünkt­lich zur ersten Früh­jahrs­blüte 2018 und inmitten besorgter Meldungen über ein sich quer durch Europa ziehendes Insek­ten­sterben machte die US-amerikanische Super­markt­kette Walmart Schlag­zeilen. Es ging um ein frisch einge­reichtes Patent mit dem Titel Systems and Methods for Polli­na­ting Crops via Unmanned Vehicles, das den „Gläsernen Bienen“ des Inge­nieurs Zappa­roni in Ernst Jüngers Erzäh­lung zur Ehre gereicht: Walmart sicherte sich Rechte für die Entwick­lung künst­li­cher Bienen in Form von Mikro-Drohnen – ein poten­zi­eller Ersatz für die durch Inten­siv­land­wirt­schaft bedrängte natür­liche Bestäubungsfauna.

Künst­liche Bienen

Diese „Bienen“ sollen in einiger Zukunft – mit entspre­chenden Sensoren ausge­stattet – Blüten ansteuern, Pollen selbst­ständig erkennen, und mittels akus­ti­scher Signale mit anderen Robo­bees kommu­ni­zieren. Damit würden sie nicht nur die Bestäu­bungs­funk­tion von Bienen über­nehmen, sondern zugleich das Wachstum der Pflanzen über­wa­chen oder sich gege­be­nen­falls um Schäd­lings­be­fall kümmern können.

Flapping-Wing Micro-Air Vehicle, Harvard Univ.

Ähnliche Ziele verfolgen Forscher an der TU Delft mit einer Mini-Drohne namens DelFly, die in nicht allzu ferner Zukunft in den Gewächs­häu­sern der nieder­län­di­schen Agrar­in­dus­trie zum Einsatz kommen soll. Genau wie in Jüngers Fiktion stehen „Verein­fa­chungen, Abkür­zungen und Normungen“ im Vorder­grund, welche die künst­li­chen Bienen ihren biolo­gi­schen Pendants schließ­lich gar über­legen machen sollen. Während derar­tige Vorhaben ange­sichts des beun­ru­hi­genden ökolo­gi­schen Kontexts eher ableh­nende Reak­tionen auslösen, verar­bei­tete der briti­sche Guar­dian nur einige Wochen später eine Pres­se­mel­dung der NASA recht süffi­sant zu einem fiktiven Dialog. Es ging um ein von der Raum­fahrt­be­hörde geför­dertes Schwarm-Robotik-Projekt namens Mars­bees:

Mars­bees. It sounds like a new chain of mid-priced family restau­rants. – It is not. – What, then? – They are robotic bees with giant wings, wire­less comms and sensors that can be sent to explore Mars. – I think I’ve seen this movie. It did not end well. – No, these are being deve­loped by Nasa and Japa­nese scien­tists. – Again, I have seen this movie. It does not end well. […] Whose idea were these […] bees anyway?  – They were one of 25 propo­sals short­listed from 230 submitted to Nasa’s Inno­va­tive Advanced Concepts programme, which receives $125,000 each and nine months to make them ready for phase II.

Robobee, DelFly und Mars­bees sind nur drei unter einer Viel­zahl weiterer Projekte, die sich gegen­wärtig – und mit teils durchaus respek­ta­blen Ergeb­nissen – mit dem Thema Coll­ec­tive Robo­tics und Unmanned Aerial Systems (UAS) ausein­an­der­setzen. Denn Roboter- oder Droh­nen­schwärme verspre­chen eine Reihe von Vorteilen, speziell wenn es um die Erkun­dung von und die Orien­tie­rung in noch unbe­kanntem Terrain geht: Schwärme sind imstande, viel größere Bereiche in wesent­lich kürzerer Zeit zu erkunden als einzelne Roboter: Anstatt viele tech­ni­sche Elemente auf einer Drohne oder in einem Flug­zeug zu konzen­trieren, können theo­re­tisch z.B. verschie­dene tech­ni­sche Abtast­ver­fahren auf die Mitglieder eines Schwarms verteilt, parallel durch­ge­führt, und die indi­vi­duell gene­rierten Daten später zu einem Gesamt-„Bild“ eines zu unter­su­chenden Gebiets zusam­men­ge­fügt werden.

Im Unter­schied zu kompli­ziert aufge­bauten Single-Platform-Systemen gewinnen solche künst­li­chen Schwärme ihre Fähig­keiten dabei aus dem Zusam­men­spiel vieler relativ einfach konstru­ierter, aber hoch­gradig mitein­ander vernetzter Mini-Roboter. Die rapide Trans­mis­sion lokaler Infor­ma­tionen unter nächsten Nach­barn führt zu emer­genten Koor­di­na­ti­ons­fä­hig­keiten auf kollek­tiver Ebene. Dies resul­tiert – zumin­dest in der Theorie – in größerer Robust­heit, Flexi­bi­lität und Verläss­lich­keit: Fallen einzelne Drohnen des Schwarms aus, bleibt das Kollektiv erstens im Unter­schied zu einem Einzel­ro­boter funktionsfähig.

Zwei­tens kann sich der Schwarm selbst­ständig auf Umwelt­ein­flüsse einstellen und flexibel reagieren: Dies funk­tio­niert ohne Vorwissen über diese Umwelt und allein auf Basis der Weiter­lei­tung und der Orien­tie­rung an lokalen Infor­ma­tionen zwischen nächsten Nach­barn. Und drit­tens sind sie skalierbar, d.h. dem Kollektiv können auch nach­träg­lich noch zusätz­liche Mitglieder hinzu­ge­fügt werden. Zwei Robo­tiker brachten es einmal folgen­der­maßen auf den Punkt: „[U]sing swarms is the same as ‘getting a bunch of small cheap dumb things to do the same job as an expen­sive smart thing’.“

Das Medien-Werden von Schwärmen

Schwarm­in­tel­li­genz (SI) wurde vor einigen Jahren noch vornehm­lich im Kontext von Compu­ter­si­mu­la­tionen disku­tiert – als Nutzung biolo­gi­scher Selbst­or­ga­ni­sa­ti­ons­fä­hig­keiten für komplexe Rege­lungs­fragen und intrans­pa­rente Probleme: von der Logistik bis zur Finanz­markt­si­mu­la­tion, oder von der Epide­mio­logie bis hin zur Panik­for­schung. SI beruht auf einer rekur­siven Verschrän­kung von Prozessen der Biolo­gi­sie­rung von Compu­ter­technik auf der einen Seite und der Compu­te­ri­sie­rung biolo­gi­scher Forschungen auf der anderen. Es wird dabei also mitnichten einfach Wissen aus der Biologie in andere Wissen­schaften impor­tiert, wie es popu­lär­wis­sen­schaft­liche Doku­men­ta­tionen zum Thema oft nahe­legen. Denn auch die Biologie konnte Schwärme erst hinrei­chend mit Hilfe von Simu­la­ti­ons­tools beschreiben, die an ganz anderen Orten und für ganz andere Zwecke entstanden – etwa in der Infor­matik oder im Anima­ti­ons­de­sign. Kurz gesagt: Erst seitdem Schwärme – z.B. in Form von soge­nannten Agen­ten­ba­sierten Compu­ter­si­mu­la­tionen – zu Medien im Forschungs­pro­zess geworden sind, wurden sie einer­seits als biolo­gi­sche Forschungs­ob­jekte fassbar und konnten ande­rer­seits als tech­ni­sche Objekte ange­wendet werden.

Mit der Entwick­lung funk­ti­ons­fä­higer Robo­ter­schwärme verbinden sich diese epistemologisch-technischen Verhand­lungen von Schwarm­in­tel­li­genz nun auf eine neue Weise. Während Robo­ter­schwärme in genanntem Guar­dian-Beitrag als etwas absurde Science-Fiction-Idee ironi­siert werden, zeigt ihre Geschichte, dass Mars­bees und ähnliche Projekte tatsäch­lich auf ganz beson­dere Art ‚science facts‘ mit ‚science fiction‘ koppeln.

Sie können uns unter­stützen, indem Sie diesen Artikel teilen: 

Fast, Cheap, and out of Control

Ende der 1980er Jahre suchte der Robo­tiker Rodney Brooks am MIT nach alter­na­tiven Wegen, um Maschinen ›intel­li­gentes Verhalten‹ beizu­bringen. Frus­triert von den symbol­ver­ar­bei­tenden Ansätzen der GOFAI (Good Old-Fashioned Arti­fi­cial Intel­li­gence) war er der Ansicht, dass Roboter nur im Austausch mit den wech­sel­haften Verhält­nissen ihrer Umwelt zur Entwick­lung intel­li­genten Verhal­tens befä­higt werden konnten. Das Schlag­wort lautete Embedded­ness, und das Konstruk­ti­ons­prinzip war Bottom-up: Kleine, einfach konstru­ierte Roboter sollten jeweils nur jene mittels Sensoren aus der Umwelt aufge­nom­menen Infor­ma­tionen verar­beiten, die sie zur Erfül­lung bestimmter Aufgaben benö­tigten. Dies stellte ein diame­trales Gegen­mo­dell dar zu Ansätzen, die eine Konstruk­tion kompli­zierter Roboter mit komplexen künst­li­chen Gehirnen anstrebten. Selbst mit ausge­feilten, vorpro­gram­mierten mentalen Reprä­sen­ta­tionen bewegten sich diese nämlich mehr schlecht als recht in der Welt.

Brooks hingegen malte die Zukunft seiner Systeme in leuch­tenden Farben. Und gemeinsam mit seiner Mitar­bei­terin Anita M. Flynn imagi­nierte er im Jahr 1989 ausge­rechnet Mars­bees-artige plane­tare Erkun­dungs­mis­sionen als Beispiel für künf­tige Anwendungen:

Complex systems and complex missions take years of plan­ning and force laun­ches to become incre­dibly expen­sive. The longer the plan­ning and the more expen­sive the mission, the more cata­stro­phic if it fails. The solu­tion has always been to plan better, add redun­dancy, test thoroughly and use high quality compon­ents. Based on our expe­ri­ence […] we argue here for cheap, fast missions using large numbers of mass produced simple auto­no­mous robots that are small by today’s stan­dards […]. Lastly, we suggest that within a few years it will be possible at modest cost to invade a planet with millions of tiny robots.

Flapping-Wing Micro-Air Vehicle, Harvard Univ.

Mars­bees „avant la lettre“: Hier finden sich bereits alle Ingre­di­en­zien versam­melt, die derzeit in den Entwick­lungs­be­richten von UAS wieder auftau­chen. Mit einem gravie­renden Unter­schied: Heute werden erste künst­liche Schwärme tatsäch­lich gebaut und getestet. Selbst wenn man hinzu­fügen muss, dass etwa die Bestäu­bung­fä­hig­keiten der Robo­bees noch sehr rudi­mentär sind und bisher nur bei Blumen­arten wie der japa­ni­schen Lilie funk­tio­nierten – sie ist bekannt für ihre extrem ausla­denden Blüten.

Verkehrte Evolu­tion: Umwelt-Werden

Angeb­lich wehrte sich der polni­sche Schrift­steller Stanisław Lem zeit­le­bens gegen die Bezeich­nung ›Science-Fiction-Autor‹ – ›Visionär‹ ist aber auch viel tref­fender. Lem widmete sich wieder­holt der Kritik und dem Umdenken von Logiken des tech­ni­schen Fort­schritts. In seinem sati­ri­schen Essay Waffen­sys­teme des 21. Jahr­hun­derts, oder Die verkehrte Evolu­tion etwa lässt er dessen Erzähler retro­spektiv den Prozess einer Abkehr von der komplexen, aber fehler­an­fäl­ligen und leicht auszu­schal­tenden Waffen­tech­no­logie des 20. Jahr­hun­derts zugunsten einfa­cherer und klei­nerer koope­ra­tiver Elemente rekapitulieren.

Lems Beschrei­bung einer tech­no­lo­gi­schen „Invo­lu­tion“ hin zu Schwärmen von „Synsekten“ – so sein Akronym für „synthe­ti­sche Insekten“ – reflek­tierte seine Able­hung von GOFAI-Methoden, und dies bereits einige Zeit bevor Rodney Brooks sein Labor am MIT bezog. Wenn für 97,8 Prozent der Aufgaben, die Menschen als physi­sche wie geis­tige Arbeit leis­teten, Intel­li­genz gar nicht notwendig sei, so schreibt Lem augen­zwin­kernd, frage man sich schon, warum so viel Aufwand für die (vergeb­liche) Entwick­lung von Simu­la­tionen des mensch­li­chen Gehirns getrieben würde. Denn was war für die Erle­di­gung der meisten alltäg­li­chen Aufgaben nötig? „Orien­tie­rungs­sinn, Routine, Geschick­lich­keit, Gewandt­heit und Erfin­dungs­gabe. Alle diese Eigen­schaften weisen die Insekten auf.“ Hätten sich „Gene­ra­tionen von Infor­ma­ti­kern und Profes­soren der Compu­ter­wis­sen­schaft“ nicht so hart­nä­ckig darin verbissen, die Funk­tionen des mensch­li­chen Gehirns auf digi­tale Tech­no­lo­gien zu über­tragen, hätten sie kaum über­sehen, dass die Simu­la­tion künst­li­cher Instinkte viel leichter und reali­sier­barer ist als die einer KI. Eine Entwick­lung, die in Lems Essay dann im 21. Jahr­hun­dert nach­ge­holt wird, das zu einer Phase der „beschleu­nigten Mikro­mi­nia­tu­ri­sie­rung unter dem Zeichen der künst­li­chen Nicht-Intelligenz wurde.“

Wie in vielen anderen seiner Erzäh­lungen zeigt Lem auch hier ein außer­or­dent­li­ches Gespür für spätere tech­ni­sche Entwick­lungen. So wird in der heutigen UAS-Forschung nicht nur ständig nach Analo­gien gesucht, mit denen man sich die physio­lo­gi­schen Anpas­sungen biolo­gi­scher Vorbilder an dyna­mi­sche Umwelt­pro­zesse für den Robo­terbau zunutze machen kann: Im Sinne einer möglichst Energie-effizienten Flug­weise orien­tiert sich das DelFly-Projekt z.B. am Flügel­schlag von Frucht­fliegen, anstatt die übli­chen Rotoren einzu­setzen. Es geht zudem auch um die Erfor­schung von Stra­te­gien, wie derar­tige Roboter sich über lange Zeit­räume hinweg autonom in der Umwelt aufhalten können, indem sie quasi eine techno-ökologische Nische besetzen. Das heißt, sie imitieren dabei das Verhalten von Tieren – wenn etwa Proto­typen von Über­wa­chungs­drohnen sich selbst­ständig hoch­ge­le­gene Plätze suchen, von denen sie wie Raub­vögel die Umge­bung über­bli­cken, ohne Batte­rie­la­dung fürs In-der-Luft-Schweben aufwenden zu müssen. Oder indem eben Bienen-Drohnen (sic!) zur Bestäu­bung von Pflanzen einge­setzt werden.

Während in Lems Erzäh­lung das Umwelt-Werden von Mini­ro­bo­ter­schwärmen jedoch stets in Bezug auf mili­tä­ri­sche Mimikry-Funktionen verhan­delt wird – etwa Spionage-Roboter, die sich als Staub oder Tropfen tarnen – arbeiten die Entwickler hinter Robo­bees an einer auch funk­tio­nalen Hybri­di­sie­rung: Die künst­li­chen Bienen sollen dabei den Bestand genau jener hoch­in­ten­siven Agrar­in­dus­trie sichern, deren Produk­ti­ons­me­thoden (mit-)ursächlich für das drohende Aussterben biolo­gi­scher Arten sind. Und mehr noch: Sie fungieren als opti­mie­rendes Element einer ‚Natur‘, die mehr denn je nur noch als tech­ni­sierte zu denken wäre. Genau wie in Jüngers Gläsernen Bienen würden die Automaten-Bienen die natür­li­chen als Maßstab für den Menschen über­holen, denn die Stei­ge­rung ökono­mi­scher Leis­tung verschöbe sich mit ihnen noch mehr in den Bereich der Maschi­ni­sie­rung. Dies gilt natür­lich nur für den Fall, dass diese Bienen nicht als naive techno-utopische Eintags-Delfly enden. Denn dann könnte Albert Einstein mit seinem berühmten Ausspruch doch recht behalten: „Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben.“ So oder so: Die Zeit läuft.