Nach dem Putsch gegen Putin ist die Wagner-Gruppe in aller Munde als brutale Söldner-Truppe. Dabei sind sie gar keine Söldner, sondern PMCs. Doch was wissen wir überhaupt über den internationalen Einsatz privatisierter Gewalt und die gescheiterten rechtlichen Versuche, diese einzudämmen?

  • Sarah Katharina Stein

    Sarah Katharina Stein ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Öffentliches Recht der Universität Freiburg und Rechtsreferendarin am Landgericht Freiburg.

Spätes­tens seit Wagners Putsch-Versuch von letztem Samstag gerät die Gruppe immer stärker in den Fokus der Öffent­lich­keit. Dabei nimmt das Inter­esse an Söld­nern und die Forde­rung nach ihrer Kontrolle und Verboten von allen Seiten zu. Die Mitglieder der Gruppe Wagner sind jedoch keine Söldner. Sie sind private mili­tary contrac­tors (PMCs) – und damit eine weitaus größere Bedro­hung für das Gewalt­mo­nopol, die Einhal­tung des huma­ni­tären Völker­rechts und den Schutz von Betrof­fenen. Echte Regu­lie­rung von PMCs ist nicht erst seit Wagners brutalem Einsatz bitter nötig – jetzt könnte sich zuletzt durch den geschei­terten Staats­streich das erste Mal ein Fenster auftun, indem sich auch der Westen einer echten Kontrolle von PMCs nicht mehr verschließen kann. Wagner könnte damit zum Kipp­punkt werden, die Haltung zum Outsour­cing von Gewalt zu überdenken.

Altes und neues Inter­esse an priva­ti­sierter Gewalt 

Die Meuterei ist vorbei – lang leben die Meuterer, zumin­dest im Fall von Jewgeni Prigo­schin und seiner Wagner-Gruppe. Prigoschins Versuch, Moskau zu erobern, wurde am 24. Juni auf den Straßen Russ­lands offenbar von vielen begrüßt, endete aber am Abend desselben Tages recht anti­kli­mak­tisch mit der Ankün­di­gung des Rück­zugs der Gruppe nach Zuge­ständ­nissen der russi­schen Regie­rung. Während Prigoschins Schicksal in Belarus unklar bleibt, haben die Mitglieder der Wagner-Gruppe das Angebot, sich dem russi­schen Militär anzu­schließen und unge­straft davon­zu­kommen (und wahr­schein­lich – diesmal unter offi­zi­eller Flagge – in die Ukraine zurück­zu­kehren). Wagner wurde bereits 2014 im Kampf um die Erobe­rung der Krim-Halbinsel einge­setzt und anschlie­ßend verstärkt nach Syrien entsandt, wo ein Zwischen­fall mit U.S.-Truppen in Khasham im Februar 2018 für Schlag­zeilen sorgte. Außerdem hat Wagner in den letzten Jahren seine Präsenz in Afrika, insbe­son­dere in Mali und der Zentral­afri­ka­ni­schen Repu­blik, verstärkt.

Die Anwen­dung von Gewalt im inter­na­tio­nalen bewaff­neten Konflikt durch andere als staat­liche Truppen ist dabei kein Novum, auch wenn Wagner neue, gräu­liche Maßstäbe zu setzen scheint. Orga­ni­sierte Gruppen, die Gewalt im Krieg anwenden, wurden schon immer einge­setzt. Nicht nur Wallen­steins Söldner, die Schweizer Garde oder die fran­zö­si­sche Frem­den­le­gion passen in diese Kate­gorie, sondern auch die U.S.-amerikanischen Firmen Black­water und DynCorp, die im Kampf gegen den Terror ab 2001 einer brei­teren Öffent­lich­keit bekannt wurden. Söldner, so sagt man, streiten sich mit der Prosti­tu­tion darum, wer das älteste Gewerbe der Welt sei. Was Wagner aller­dings so beson­ders macht, ist ihr Einsatz gegen den Westen und die Inter­essen der NATO. Bisher wurden „Söldner“ vor allem vom Westen für die eigenen Inter­essen einge­setzt – und nicht im Konflikt gegen sie. Daher eröffnet der Fall Wagner die Möglich­keit neuer poli­ti­scher und auch mora­li­scher Bewer­tungen.  

Trotz der Ähnlich­keit: Wagner-Mitglieder sind keine Söldner

Die Wagne­rianer sind jedoch keine Söldner. Sie sind PMCs, was ihren Einsatz für die Nutz­nießer profi­ta­bler und risi­ko­ärmer, aber gleich­zeitig auch unbe­re­chen­barer macht. 

Söldner sind nach Art. 47 des Ersten Zusatz­pro­to­kolls zu den Genfer Konven­tionen von 1977 weder Kombat­tanten noch Kriegs­ge­fan­gene. Daher haben sie im Krieg oder nach ihrer Gefan­gen­nahme keine Privi­le­gien und für den Umgang mit ihnen gelten nur die elemen­tarsten (huma­ni­tären) Grund­sätze (Art. 75 ZP I). Der Einsatz von Söld­nern wird inter­na­tional verur­teilt, wie aus Art. 47 ZP I (der vor dem Hinter­grund der Erfah­rungen mit dem Einsatz von Söld­nern in der Zeit der Deko­lo­nia­li­sie­rung verfasst wurde) und der Anti-Söldner-Konvention der Vereinten Nationen und der Afri­ka­ni­schen Union deut­lich wird. Letz­tere nutzen fast dieselbe Defi­ni­tion für Söldner, verbieten aber auch Ausbil­dung, Einsatz und Bezah­lung von Söld­nern. Aller­dings sind die Söld­ner­kon­ven­tionen nicht von vielen Staaten rati­fi­ziert worden, insbe­son­dere nicht von Russ­land, den USA oder Groß­bri­tan­nien, wohl aber von der Ukraine, die nach der russi­schen Beset­zung der Krim 2014 den Dispo­sitar darüber noti­fi­zierte, dass sie die Anwen­dung und Umset­zung der U.N.-Konvention im Krim-Gebiet nicht garan­tieren könne, solange die Ukraine nicht ihre volle Souve­rä­nität zurückerhalte.

Was nun aber ist ein Söldner? Zunächst einmal ist ein Söldner eine Einzel­person und keine Grup­pen­ka­te­gorie. Als Söldner gilt,

a) wer im Inland oder Ausland zu dem beson­deren Zweck ange­worben ist, in einem bewaff­neten Konflikt zu kämpfen,

b) wer tatsäch­lich unmit­telbar an Feind­se­lig­keiten teilnimmt,

c) wer an Feind­se­lig­keiten vor allem aus Streben nach persön­li­chem Gewinn teil­nimmt und wer von oder im Namen einer am Konflikt betei­ligten Partei tatsäch­lich die Zusage einer mate­ri­ellen Vergü­tung erhalten hat, die wesent­lich höher ist als die den Kombat­tanten der Streit­kräfte dieser Partei in vergleich­barem Rang und mit ähnli­chen Aufgaben zuge­sagte oder gezahlte Vergütung,

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d) wer weder Staats­an­ge­hö­riger einer am Konflikt betei­ligten Partei ist noch in einem von einer am Konflikt betei­ligten Partei kontrol­lierten Gebiet ansässig ist,

e) wer nicht Ange­hö­riger der Streit­kräfte einer am Konflikt betei­ligten Partei ist und

f) wer nicht von einem nicht am Konflikt betei­ligten Staat in amtli­chem Auftrag als Ange­hö­riger seiner Streit­kräfte entsandt worden ist.

Die Voraus­set­zungen von lit. (a) und (b) werden von den Mitglie­dern der Wagner-Gruppe ohne weiteres erfüllt, ebenso wie (e) und (f), denn Wagne­rianer sind (noch) keine Mitglieder der Streit­kräfte Russ­lands. Die Einglie­de­rung in die Streit­kräfte ist ein formaler Prozess, dessen Einzel­heiten der natio­nalen Gesetz­ge­bung obliegen. Es besteht aber inter­na­tio­naler Konsens darüber, dass es nicht ausreicht, allein im Namen oder im Inter­esse eines Staates zu kämpfen (siehe Art. 43 ZP I). Das Angebot von Präsi­dent Putin, einzelne Wagner-Kämpfer in das Militär zu inte­grieren, würde sie zu Mitglie­dern der Streit­kräfte machen und damit jede Diskus­sion über Söld­nertum oder private Gewalt beenden, da sie zu Soldaten und damit zu Kombat­tanten werden würden.

Dennoch sind die Wagne­rianer keine Söldner, denn zum einen sind sie – in über­wie­gender Zahl – russi­sche Staats­bürger. Das wider­spricht lit. (d), die den Söld­ner­status für all dieje­nigen ausschließt, die im Gebiet einer Konflikt­partei ansässig sind oder dessen Staats­an­ge­hö­rig­keit inne­haben. Bei jedem inter­na­tio­nalen Konflikt mit russi­scher Betei­li­gung ist es daher fast ausge­schlossen, dass Wagner-Mitglieder als Söldner gelten. Da Art. 47 ZP I nur für den inter­na­tio­nalen bewaff­neten Konflikt gilt, können sie erst recht in inner-russischen Konflikten nicht als Söldner gelten. 

Erschwe­rend hinzu tritt lit. (c). Die als völlig miss­lungen geltende Formu­lie­rung lässt fast alle Versuche, Söldner zu über­führen, in Beweis­pro­bleme laufen. Der Mili­tär­his­to­riker Geoffrey Best fasste die Probleme der Norm in folgendem Bonmot zusammen: „any mercenary who cannot exclude himself from this defi­ni­tion deserves to be shot—and his lawyer with him“.  

Keine Söldner – trotzdem ein Problem 

Dass Wagne­rianer keine Söldner sind, macht die Sache aber weder weniger gefähr­lich noch recht­lich klarer. Das Verhalten von Wagner und die Gefahren privater Gewalt sind nicht kleiner, nur weil sie nicht unter das Label „Söldner“ passen. PMCs können genau die glei­chen Leis­tungen anbieten und durch­führen wie Söldner. Der einzige wirk­liche Unter­schied besteht darin, dass PMCs völlig unre­gu­liert sind. Und das ist – offen­sicht­lich – keine gute Differenz. 

Alle inter­na­tio­nalen Bemü­hungen, den Einsatz priva­ti­sierter Gewalt einzu­dämmen, einschließ­lich der Gefahr mangelnder staat­li­cher Verant­wor­tung, des Fehlens indi­vi­du­eller straf­recht­li­cher Verant­wor­tung oder der Sorge um die Opfer, kumu­lieren in den Söld­ner­kon­ven­tionen, Art. 47 ZP I, und einigen UN-Menschenrechtsmechanismen. Regu­lie­rungs­be­mü­hungen von PMCs sind mehr­fach auf vielen Ebenen geschei­tert, z.B. in der „Open-ended inter­go­vern­mental working group to consider the possi­bi­lity of elabo­ra­ting (sic) an inter­na­tional regu­la­tory frame­work on the regu­la­tion, moni­to­ring and over­sight of the acti­vi­ties of private mili­tary and secu­rity compa­nies rela­ting to the acti­vi­ties of private mili­tary and secu­rity compa­nies“ der Vereinten Nationen, in der die USA, Groß­bri­tan­nien, Russ­land und andere das Mandat zur Ausar­bei­tung einer verbind­li­chen Regu­lie­rung blockierten. Die neue Working Group hat nunmehr nur noch das Mandat, einen unver­bind­li­chen Vorschlag zu unter­breiten. Auf der letzten Sitzung im April 2023 wurde Wagner zwar erwähnt, aber nicht einge­hend erör­tert (Russ­lands Vertreter erklärte: „Die Diskus­sionen in der Arbeits­gruppe sollten profes­sio­nell und unpo­li­tisch geführt werden“). Ein weiterer Grund für die fehlende Moti­va­tion, ein neues Instru­ment zu entwi­ckeln, ist die Exis­tenz des ebenso unver­bind­li­chen Montreux-Dokuments, einer Zusam­men­fas­sung bestehender (unspe­zi­fi­scher) Verpflich­tungen und bewährter Prak­tiken für Staaten und PMCs, die vom IKRK, der Schweiz und 16 anderen Staaten entwi­ckelt und bis heute von 58 Staaten unter­zeichnet wurde.

Die Wirkung des falschen Verspre­chens und eine Chance zur Regulierung

Doch so gut und edel die Absichten auch sein mögen, das Montreux-Dokument und andere unver­bind­liche Initia­tiven lenken von der Tatsache ab, dass es an harten, verbind­li­chen und durch­setz­baren Rege­lungen bezüg­lich PMCs fehlt. Es gibt keine Regeln über Aufsicht, es gibt keine Anwei­sungen für die Anwen­dung von Gewalt, es gibt keine Vorgaben für ein Minimum an Verant­wor­tung oder Führung. Die indi­vi­du­elle Verant­wort­lich­keit von PMCs ist gering bis nicht vorhanden, manchmal aufgrund fehlender Möglich­keiten zur Rechts­ver­fol­gung durch die Schwä­chung des Staates durch den Konflikt auf ihrem Gebiet (hier sind die Bemü­hungen der Ukraine eine bewun­derns­werte Ausnahme); manchmal weil zwischen dem entsen­denden Staat und dem Gast­staat Abkommen geschlossen werden, die eine straf- und zivil­recht­liche Haftung für jegli­ches Fehl­ver­halten ausschließen. Die promi­nen­testen (und fast einzigen) verur­teilten PMCs der vergan­genen Jahre wurden von Präsi­dent Trump in seinen letzten Tagen im Amt begna­digt. Kurzum: Gut gemeinte unver­bind­liche Instru­mente sowie die Kumu­la­tion wirk­li­cher Regu­lie­rung unter dem Söldner-Label führen dazu, dass der falsche Anschein erweckt wird, private Gewalt sei regu­liert ist und werde im Zaum gehalten ­– was nicht der Fall ist. Dies ist ein haus­ge­machtes Problem des Westens, vor allem der USA und Groß­bri­tan­niens, die am meisten PMCs einsetzten und beher­bergen. Bislang schien es diesen Staaten nicht nötig, etwas zu regu­lieren, dessen unkon­trol­lierte Verwen­dung in erster (und zweiter, dritter, vierter…) Linie von Vorteil war. 

Das muss sich ändern. Der Einsatz und die Bruta­lität von PMCs haben schon lange vor Wagner deut­lich gemacht, wie drin­gend ihre Regu­lie­rung ist (man denke nur an die Kinder­pro­sti­tu­ti­ons­ringe in Bosnien, die Folter von Abu Ghraib oder das Massaker am Nisour Square). Aber viel­leicht kann der geschei­terte Aufstand Wagners in Russ­land allen Staaten vor Augen führen, dass private Mili­tär­dienst­leister regu­liert werden müssen – denn sie könnten nach langer Ausbil­dung, enger Zusam­men­ar­beit mit dem Militär und Staats­schutz­ap­pa­raten und mit teils hervor­ra­gender Ausrüs­tung in der Lage sein, ihre eigenen Auftrag­geber physisch zu überwältigen. 

Auch wenn der Aufstand Wagners keinen Regime­wechsel (inklu­sive zu befürch­tender Radi­ka­li­sie­rung) in Russ­land herbei­führen konnte, kann er viel­leicht das Momentum geben, sich dem falschen Verspre­chen der Kontrolle anzu­nehmen und damit zu beginnen, PMCs und ihre Auftrag­geber zu regu­lieren. Der 24. Juni hat gezeigt, dass das Gewalt­mo­nopol nicht nur von Rostow am Don nach Moskau laufen kann, sondern auch durch die Finger rinnt, wenn man es zu sehr aus der Hand gibt.

 

Der Text ist zuerst erschienen im Verfas­sungs­blog: Stein, Sarah Katha­rina: Wagner ist keine Söld­ner­truppe: Und das ist nicht so gut, wie es auf den ersten Blick klingt, VerfBlog, 2023/6/30.