Das ehemalige Konzentrationslager Staro Sajmište in Belgrad ist derzeit Austragungsort serbischer nationalistischer Geschichtsdeutung, die nicht nur andere Opfergruppen marginalisiert, sondern Serben als schuldlose Opfer von ‚faschistischen Kroaten‘ während des Zweiten Weltkriegs mythologisiert.

  • Philine Bickhardt

    Philine Bickhardt ist wissenschaftliche Assistentin am Slavischen Seminar der Universität Zürich. Sie hat Slavistik und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin, in Sankt Petersburg und Belgrad studiert, zwei Jahre als Freiwillige bei der Menschenrechtsorganisation „Memorial“ gearbeitet sowie als Webredakteurin bei www.novinki.de.

Bis Mitte letzten Jahres lag das ehema­lige Lager­ge­lände des Konzen­tra­ti­ons­la­gers Staro Sajmište unscheinbar in Nähe des Sava-Ufers und größ­ten­teils verborgen hinter grünen Baum­kronen. Jetzt ziehen die sicht­lich umfang­rei­chen Reno­vie­rungs­ar­beiten des ehema­ligen Wach­turms der KZ-Lagerleitung die Aufmerk­sam­keit der Öffent­lich­keit auf sich. Im Juli 2022 wurde die Gedenk­stätte eröffnet und geplant ist nun ein totaler Umbau des Geländes, bei dem die Mehr­zahl noch exis­tie­render Lager­über­reste (Gebäude) abge­rissen werden soll. Doch proble­ma­tisch ist nicht nur, dass die serbi­sche Regie­rung auf Neubau statt auf Erhalt setzt, sondern dass sich Anzei­chen für die Instru­men­ta­li­sie­rung von Erin­ne­rungs­po­litik im Dienste einer natio­na­lis­ti­schen Geschichts­schrei­bung beob­achten lassen. An die Stelle einer ange­nom­menen Dicho­tomie zwischen dem Wider­stand und dem Natio­nal­so­zia­lismus, die für eine Erin­ne­rungs­kultur an die Opfer der Shoah und alle Opfer­gruppen wichtig wäre, rückt die Unter­schei­dung in serbi­sche Opfer und kroa­ti­sche Täter.

Das Lager­ge­lände „Staro Sajmište“ von 1941 bis 1943 und seine Nutzung bis heute

Gedenk­tafel von 1974, April 2023. Foto: Philine Bickhardt

Das ehema­lige Lager befindet sich auf dem Gelände des heutigen Block 17, am linken Ufer der Sava in Neubel­grad. Ursprüng­lich diente es ab 1937 als Messe­ge­lände, bevor im Winter 1941 hier ein Konzen­tra­ti­ons­lager von der Gestapo instal­liert wurde. Das Bestehen des Lagers glie­dert sich in zwei Phasen: Zuerst war es ein Konzen­tra­ti­ons­lager („Juden­lager Zemun“), in dem ca. 7.000 Jüd:innen – haupt­säch­lich Mütter und Kinder, da die männ­liche jüdi­sche Bevöl­ke­rung Ende 1941 bereits syste­ma­tisch hinge­richtet worden war – und etwa 600 Roma inhaf­tiert waren. Die bis Früh­jahr 1942 etwa 5500 noch über­le­benden jüdi­schen Frauen und Kinder wurden inner­halb von sechs Wochen von SS-Offizieren in Last­kraft­wagen der Marke „Saurer“, auf dem Balkan als „Seelen­mörder“ (serbisch: „duše­gupka“) bekannt, durch Kohlen­mon­oxid aus dem Auspuff­rohr im Innen­raum des Wagens syste­ma­tisch getötet. In der zweiten Phase diente das Lager ab Mitte 1942 unter dem nun neuen Namen „Anhal­te­lager Semlin“ als sog. Auffang­lager für sog. poli­ti­sche „uner­wünschte Elemente“, wie Partisan:innen aus Serbien. In diesem „Anhal­te­lager Semlin“ waren insge­samt etwa 32.000 Menschen inhaf­tiert, von denen nach Angaben des Histo­ri­kers Milan Koljanin 10.636 nicht über­lebten. Entspre­chend der zwei Lager­phasen lassen sich auch die Opfer­gruppen benennen, nämlich Jüd:innen sowie Roma und Wider­stands­kämpfer und Partisan:innen.

In den Anfangs­jahren der Nach­kriegs­zeit wurden die Pavil­lons und andere Lager­ge­bäude entweder von der Zivil­be­völ­ke­rung bewohnt (teil­weise bis heute), von Künstler:innen als Ateliers oder von Baube­hörden als Büros genutzt. Parallel zu dieser alltäg­li­chen Nutzung wurden sukzes­sive über die Jahr­zehnte Gedenk­ta­feln und Mahn­male von verschie­denen Akteur:innen errichtet: Eine erste Gedenk­tafel wurde 1974 aufge­stellt, 1995 folgte eine zehn Meter hohe Statue am Ufer, auf deren Gedenk­tafel aller­dings nicht jüdi­scher Opfer gedacht wird.  Auch gab es nicht­staat­liche Initia­tiven wie die umfang­reich ange­legte Website „Staro Sajmiste“, das daraus entstan­dene Buch der deut­schen und seit den 1990er Jahren in Belgrad lebenden Künst­lerin und Akti­vistin Rena Rädle und des serbi­schen Histo­ri­kers Milovan Pisarri „Orte des Schre­ckens und des anti­fa­schis­ti­schen Kampfes in Belgrad 1941-44. Ein Hand­buch für die Stadt“ und das 2015 im renom­mierten Bitef-Theater in Belgrad aufge­führte Doku­men­tar­thea­ter­stück „Unsicht­bare Mahnmale“.

Doch zur Einrich­tung einer Gedenk­stätte mit einem Museum und der Ausschil­de­rung aller Orte der Verbre­chen kam es nie. Der Präsi­dent Vučić verschweigt in der Eröff­nungs­rede der Gedenk­stätte im Juli 2022 diese Initia­tiven, um sich als lang­ersehnter Initiator für das Gedenken an diesem Ort zu inszenieren.

Eine Lager-Gedenkstätte, die kein „Lager“ im Namen trägt

Die Anfrage, ob die Leitung der geplanten Gedenk­stätte ein Inter­view geben möchte, blieb bis heute unbe­ant­wortet. Sie soll den Namen „Gedenk­stätte – Altes Messe­ge­lände“ tragen, wodurch die Gedenk­stätte mehr an das Messe­ge­lände von vor 1941 erin­nert und weniger an die Massen­ver­bre­chen danach.

Die Reno­vie­rungs­ar­beiten am Turm der ehema­ligen Lager­ver­wal­tung, April 2023. Foto: Philine Bickhardt

Es gibt viel Kritik an der geplanten Gedenk­stätte und ihrer Leitung, der Philologie-Professorin und lang­jäh­rigen Botschaf­terin in Israel Krinka Vida­ković Petrov. Das unab­hän­gige Belgrader Center for Holo­caust Rese­arch and Educa­tion (CHRE) wirft der Gedenk­stät­ten­lei­tung Falsch­in­for­ma­tion, Intrans­pa­renz und Unpro­fes­sio­na­lität vor. So wurde z.B. ein Foto in der am 22. April 2023 eröff­neten Ausstel­lung der Gedenk­stätte als Photoshop-Bearbeitung entlarvt. Statt einer Foto­grafie eines histo­ri­schen Gaswa­gens der Marke „Saurer“ wurde hier die Abbil­dung eines neueren Last­wa­gens so bear­beitet, dass er einem Origi­nal­wagen gleicht. Neben solchen Bana­li­täten kriti­siert das unab­hän­gige Holocaust-Zentrum zudem in einer Peti­tion die Abtra­gung des origi­nalen Zentral­turms für die Instal­la­tion eines „Panorama-Aufzugs“ mit Blick auf die Festung von Belgrad, den Burg­park (Kalemegdan) und die Belgrader Water­front, ein höchst umstrit­tenes Mega-Investitionsprojekt der serbi­schen Regie­rung. Soll man statt in die Vergan­gen­heit nun in die natio­na­lis­ti­sche und kapi­ta­lis­ti­sche Zukunft blicken, die der Präsi­dent Alek­sander Vučić für Serbien plant? 

Noch umstrit­tener ist der Abriss des 1939 gebauten soge­nannten Deut­schen Pavil­lons, der vor der Errich­tung eines deut­schen Konzen­tra­ti­ons­la­gers ab 1941 zum Messe­ge­lände gehörte. Auch wenn nicht nach­ge­wiesen werden kann, dass auch am Ort des Deut­schen Pavil­lons Massen­ver­bre­chen verübt worden sind, so sind doch Verbre­chen gegen die Mensch­lich­keit und Folte­rungen im zwanzig Meter entfernten soge­nannten Sowje­ti­schen Pavillon histo­risch belegt – so argu­men­tiert das Holo­caust­zen­trum unter Beru­fung auf Zeitzeug:innenaussagen und Aussagen von dort ehemals inhaf­tierten Über­le­benden. Foren­si­sche Unter­su­chungen wären demnach nötig gewesen, so das Holo­caust­zen­trum. Der Deut­sche Pavillon wurde dennoch am 9. Juni diesen Jahres komplett abge­tragen, da an dessen Stelle eine Straße gebaut werden soll. Es exis­tieren noch weitere Gebäude auf oder neben dem Lager­ge­lände, für die histo­risch nach­weisbar ist, dass hier Zwangs­ar­beit und Folter statt­fanden und die künftig der profi­ta­blen Moder­ni­sie­rung des Geländes weichen sollen. Einige dieser Gebäude gehören zum Block 18 (Stadt­viertel), der an das Gelände (Block 17) unmit­telbar angrenzt und mit der umstrit­tenen „Belgrade Water­front“ auf der gegen­über­lie­genden Seite des Flusses eine städ­te­bau­liche Einheit bilden soll. So wird nicht nur das eine Fluss­ufer, bekannt für die früher dort ansäs­sigen Künstler:innen, milli­ar­den­schweren Inves­ti­tionen Platz machen, sondern es soll auch der an das Lager angren­zende Block 18 dem schi­cken Neubau­viertel für Wohl­ha­bende weichen. Diesen Bauplänen stehen die alten und unat­trak­tiven Gebäude aus der Lager­zeit im Wege. Sie müssten ohnehin aufwendig saniert und foren­sisch auf Massen­gräber unter­sucht werden.

Es bleibt frag­lich, ob ange­sichts der Belgrader Politik des Neubauens statt des Erhal­tens über­haupt zu erwarten ist, dass alle Orte ehema­liger Verbre­chen gekenn­zeichnet und adäquat restau­riert werden. Dass bis heute die ehema­lige Leichen­halle des KZs als Restau­rant mit dem Namen „Salz und Pfeffer“ und dem Unter­titel „Der Ort, an dem wahrer Hedo­nismus herrscht“ genutzt wird, ist der Höhe­punkt der Geschmacklosigkeit.

Ethni­sche Zuschrei­bungen und igno­rierte Kollaboration

Der Blick von der Brücke auf die Sava, rechts das ehema­lige Lager­ge­lände, links das milli­ar­den­schwere Inves­ti­ti­ons­pro­jekt. Der grüne Gedenk­park (rechts) wird nach den veröf­fent­li­chen Bauplänen (Stand Juni 2023) teil­weise bebaut. Foto: Philine Bickhardt

Staats­prä­si­dent Alek­sandar Vučić erwähnt in seiner Eröff­nungs­rede der Gedenk­stätte im Juli 2022 weder die Rolle der deut­schen Wehr­macht für die Einrich­tung dieses Lagers – denn das Lager wurde im Unter­schied zu kroa­ti­schen Konzen­tra­ti­ons­la­gern nicht von der kroa­ti­schen Usta­scha betrieben, einem von Ante Pavelić 1930 in Italien gegrün­deten ultranationalistisch-terroristischen Geheim­bund. Noch kam die Sprache auf die Kolla­bo­ra­tion auf serbi­scher Seite, so wurde beispiels­weise der ehema­lige Chef der Polizei Milo­voje Jova­nović, zuvor verant­wort­lich für die persön­liche Sicher­heit des jugo­sla­wi­schen Prinzen Pavle Karađorđević, zum Chef der deut­schen Spezi­al­po­lizei, die Unter­drü­ckungs­maß­nahmen gegen die jüdi­sche Bevöl­ke­rung in Belgrad durch­setzte. Statt­dessen betonte Vučić die Rolle der kroa­ti­schen Usta­scha und des „Unab­hän­gigen Staates Kroa­tien“, eines Vasal­len­staates der Nazis, im Genozid an den Serb:innen, indem er zwei Mal „die Kroaten“ als Refe­renzen für Unter­drü­ckung erwähnte und zugleich das Dritte Reich gänz­lich ausließ. Über­dies zählt er nicht alle Opfer­gruppen auf, sondern sprach statt­dessen von „fried­li­chen Menschen“, die hier gefol­tert und ermordet worden sind. Man gewinnt aus der präsi­dialen Rede den Eindruck, dass sich ein kroa­ti­scher Genozid an den Serb:innen ereignet habe. Und er schloss mit den Worten „Es lebe Serbien, es leben seine Bürger, es lebe das serbi­sche Volk“. Jüdi­sche und Roma-Opfer werden somit unter dem serbi­schen Leid subsu­miert, auch wenn sie zu Anfang der Rede erwähnt wurden. Aber das ist der ‚Trick‘: es wird gesagt, die Natio­na­li­täten spielen keine Rolle, während doch alles unter serbi­schem Opfer­my­thos abge­han­delt wird. Die eigent­liche Dicho­tomie, um die es gehen sollte, nämlich zwischen dem Wider­stand der Partisan:innen und Kolla­bo­ra­tionen mit dem Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Regime (z.B. durch Četniki oder die Mario­net­ten­re­gie­rung von Milan Nedić), weicht natio­na­lis­ti­schen Zuschrei­bungen – ein Trend, der sich bereits Ende der 1980er Jahre anbahnte und unter Milošević in Serbien und Franjo Tuđman in Kroa­tien seither in mehr oder weniger dras­ti­scher Form ideo­lo­gisch zur Stär­kung des jewei­ligen Natio­na­lismus aufge­laden wird. 

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Das ‚Spiel‘ mit den Zahlen: Das kroa­ti­sche Lager Jasenovac

Wie so oft, wenn es um Geschichts­auf­ar­bei­tung und Erin­ne­rungs­po­litik auf dem Balkan geht, ist es schwierig, bei einer Seite Geschichts­re­vi­sio­nismus zu kriti­sieren, ohne dessen Pendent im Nach­bar­land zu erwähnen. Im Falle Serbiens ist das vor allem Kroa­tien. Die serbi­sche Regie­rung hat letztes Jahr eine neue Gedenk­tafel am Ort des Lagers ange­bracht, auf der behauptet wird, Staro Sajmište sei seit dem Sommer 1942 Teil des Jasenovac-Lagerkomplexes, betrieben von der kroa­ti­schen Usta­scha, gewesen. Diese Aussage ist laut des Leiters des Holocaust-Zentrums Nikola Radić nicht richtig bzw. ungenau: „Die Gedenk­tafel ist den Opfern von Jasen­ovac und nicht denen in Sajmište gewidmet. Die Behaup­tung, das Lager Staro Sajmište sei ein Außen­lager von Jasen­ovac gewesen, ist unwahr. Die deut­lich kürzere Zeit, in der das deut­sche Lager der kroa­ti­schen Verwal­tung zuge­spro­chen wurde, dauerte von Mitte Mai bis Mitte Juli 1944. Die wenigen verblie­benen Häft­linge des bereits umge­sie­delten Lagers waren noch offi­ziell deut­sche Häft­linge und wurden dem Unab­hän­gigen Staat Kroa­tien zur Über­wa­chung über­geben.“ Es sind auf den ersten Blick Details, die aller­dings folgen­reich sind. Denn für die aktu­elle serbi­sche Erin­ne­rungs­po­litik scheint das Betonen des serbi­schen Leids, hier anhand des kroa­ti­schen Lager Jasen­ovac, zentral zu sein. Dieses Bestreben verfolgt u.a. das Buch „Jasen­ovac – Das Ausch­witz des Balkans“ des bekannten und umstrit­tenen israe­li­schen Holocaust-Forschers Gideon Greif, der über­dies für seine Leug­nung des Geno­zids von Srebre­nica öffent­lich verur­teilt wird, aller­dings in Serbien gern gese­hener Gast ist (sein Buch ist titel­ge­bend für die gleich­na­mige Konfe­renz im Serbi­schen Natio­nal­par­la­ment im April 2023). Nicht zuletzt zog Frank Walter Stein­meier eine ange­ord­nete Verlei­hung des Bundes­ver­dienst­kreuzes an ihn wegen dieser skan­da­lösen Genozid-Leugnung zurück.

Gideon Greif war Leiter einer vom serbisch-nationalistischen Präsi­denten der Entität „Repu­blika srpska“ in Bosnien, Milorad Dodik, initi­ierten Kommis­sion zur Unter­su­chung des Völker­mords an den Bosniaken in Srebre­nica, die behaup­tete, dass die Mehr­zahl der Opfer (8.000) in und um Srebre­nica nicht von serbi­schen Milizen erschossen worden seien, weswegen die von Ratko Mladić und anderen bosnisch-serbischen Kriegs­ver­bre­chern began­genen Massaker nicht als Völker­mord einzu­stufen seien. Dies steht in ekla­tantem Wider­spruch zu bereits durch­ge­führten Analysen des Inter­na­tio­nalen Gerichts­hofes für das frühere Jugoslawien.

In seinen Reden spricht Gideon Greif von 700.000 Opfern in Jasen­ovac (siehe Link ab min. 13), was eine offen­kun­dige Lüge ist. Seriöse Schät­zungen gehen indes von ca. 83.000 Ermor­deten aus. Die Jasenovac-Gedenkstätte führt eine Liste der Ermor­deten, deren Zahl über die Jahre steigt, von 83.145 nament­lich bekannten Opfern, die sich nach ethni­scher Zuge­hö­rig­keit wie folgt aufteilen: 47.627 Serb:innen, 16.173 Rom:nja, 13.116 Jüd:innen, 4.255 Kroat:innen, 1.974 Andere.

Obgleich Greif geschichts­re­vi­sio­nis­tisch ist, agiert er in kritisch-aufgeklärter Atti­tüde als offi­zi­eller Leiter der Gruppe „GH7 Stop Revi­ziji“ („Stop Revi­sion“). Während es also Versuche auf serbi­scher Seite und sich in ihren Dienst stel­lenden Wissenschaftler:innen gibt, die Bedeu­tung des Vernich­tungs­la­gers zu über­höhen, gibt es auf Seite kroa­ti­scher Natio­na­listen die Tendenz, das Arbeits­lager ‚klein­zu­reden‘ – das Buch „Das Arbeits­lager Jasen­ovac“ des kroa­ti­schen Autors Igor Vukic ist ein Beleg für heutige pseu­do­wis­sen­schaft­liche Bemü­hungen, das syste­ma­ti­sche Morden der Usta­scha zu leugnen. So ist auch für den kroa­ti­schen natio­na­lis­ti­schen Diskurs der Film „Jasen­ovac – Die Wahr­heit“ des kroa­ti­schen Regis­seurs Jakov Sedlar bekannt, der die Opfer­zahlen des Konzen­tra­ti­ons­la­gers Jasen­ovac mit 20.000 bis 40 000 angibt, den Charakter des im Lager verbro­chenen Geno­zids an Juden, Roma, christ­lich ortho­doxen Serben und poli­ti­schen Oppo­si­tio­nellen (unter ihnen auch Kommunist:innen) leugnet. Dieses Narrativ hatte anfangs unter der jetzigen Regie­rung von Andrej Plenković in Kroa­tien Unter­stüt­zung gefunden, wobei serbi­sche und jüdi­sche Verbände die alljähr­li­chen Shoah-Gedenkfeierlichkeiten seit 2016 in Jasen­ovac boykot­tieren und erst­mals 2023 wieder eine gemein­same Gedenk­feier aller Verbände möglich wurde. 

Daher ist es in diesem Kontext von hoher symbo­li­scher Kraft, dass die serbi­sche Gedenk­stätte dieses Jahr ausge­rechnet am 22. April (und nicht am inter­na­tio­nalen Gedenktag an die Opfer der Shoah am 27. Januar) den Turm mit der bereits bespro­chenen Ausstel­lung einge­weiht hat. Denn an diesem Tag 1944 fand ein Häft­lings­auf­stand und die folgende Befreiung des Jasenovac-Lagers statt. 

Jasen­ovac kommt das Allein­stel­lungs­merkmal zu, dass es das einzige Vernich­tungs­lager in Europa war, in dem syste­ma­tisch und zugleich ohne die Betei­li­gung deut­scher Truppen oder der SS die Häft­linge umge­bracht wurden, wie die Poli­tik­wis­sen­schaft­lerin Ljil­jana Radonić schreibt. Im Gegen­satz zu Jasen­ovac, als größtes Konzentrations- und Vernich­tungs­lager auf dem Balkan bekannt, wurde Staro Sajmište von SS-Offizieren und der deut­schen Reichs­ad­mi­nis­tra­tion und nicht vom „Unab­hän­gigen Kroa­ti­schen Staat“ und dem Ustascha-Regime betrieben. Das dezente Auslassen des Deut­schen Reiches und das Betonen des „Unab­hän­gigen Kroa­ti­schen Staats“ in Vučićs Eröff­nungs­rede, die neue Gedenk­tafel, die zwischen dem SS-Lager in Belgrad und dem kroa­ti­schen Ustascha-Lager Jasen­ovac eine struk­tu­relle Zuge­hö­rig­keit sugge­riert, und die Wahl des 22. Aprils als Ausstel­lungs­er­öff­nung sind kleine Anzei­chen für die allum­fas­sende Instru­men­ta­li­sie­rung von Erin­ne­rungs­kultur – in einem großen und komplexen Feld aus Zahlen und Akteuren.

Der Umgang mit diesem ehema­ligen Konzen­tra­ti­ons­lager im Ganzen führt die Grund­an­nahme der heutigen serbi­schen Geschichts­schrei­bung vor: An die Stelle einer die poli­ti­schen Lager im Zweiten Welt­krieg bestim­menden Dicho­tomie zwischen Wider­stand einer­seits und Faschismus/Nationalsozialismus/Kollaboration ande­rer­seits rückt die Unter­schei­dung in serbi­sche Opfer und kroa­ti­sche Täter. Noch immer dürfen die Opfer an der Gedenk­stätte des ehema­ligen Lagers Staro Sajmište nicht ruhen.