Drohnen haben eine lange Geschichte. Zwar haben sie als Angriffsflugwaffen seit den 1990er Jahren zweifelhafte Berühmtheit erlangt und sind heute über den Elektronikmarkt bis ins Kinderzimmer vorgedrungen. Der Blick von oben aber, den sie ermöglichen, ist so alt wie die Kombination von Fotografie und Fliegerei.

  • Hannes Mangold

    Hannes Mangold ist Kulturwissenschaftler und -vermittler. Er ist Mitherausgeber von Max Frischs "Ignoranz als Staatsschutz?" und "Das Personal der Postmoderne" sowie Kurator der Ausstellung "Von oben. Spelterinis Ballon und die Drohne". Sie ist vom 28.2. bis am 28.6.2019 in der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern zu sehen.

Als Erstes hört man ihr nervöses Surren. Köpfe werden in den Nacken gelegt, Himmel abge­sucht, Fäuste gereckt oder Hände geschwenkt. Fliegt eine Drohne über unsere Köpfe hinweg, sind die Reak­tionen einge­spielt. Das Auftau­chen der kleinen, unbe­mannten Flug­ob­jekte gehört inzwi­schen zum Alltag, sie sind eine Massen­ware geworden. Für wenige hundert Euro lässt sich eine ansehn­lich ausge­stat­tete Drohne im Elek­tronik­markt erwerben und ohne zeit­in­ten­sive Vorbe­rei­tung bedienen. Sie kommt in aller Regel inklu­sive Kamera und mit vorpro­gram­mierten Flug- und Aufzeich­nungs­rou­tinen. Atem­be­rau­bende Luft­auf­nahmen und -film­se­quenzen sind damit selbst für foto­gra­fi­sche und flie­ge­ri­sche Laien kein Problem. Aber auch die Profis setzen auf Drohnen. Bei Hochzeits-, Landschafts- oder Archi­tek­tur­auf­nahmen gehören sie zur Stan­dard­aus­rüs­tung, bei Film­auf­nahmen sorgen sie für beein­dru­ckende Perspek­tiven. Aber trotzdem: Das Surren der kleinen Flug­ro­boter löst nicht nur Begeis­te­rung aus. Die Geräusch­ku­lisse der elek­tro­nisch betrie­benen Rotoren sorgt regel­mässig für Ärger. Die Drohnen, die den mili­tä­ri­schen Kontext längst verlassen haben, sind in immer weitere zivile Bereiche vorgedrungen.

Wirbeln

Als Gebrauchs­ob­jekt sind Drohnen verhält­nis­mässig neu. Seit etwas mehr als einem Jahr­zehnt wirbeln sie einge­spielte sozio­tech­ni­sche Dispo­si­tive durch­ein­ander. Je einfa­cher sie zu bedienen und je güns­tiger sie zu kaufen sind, desto drän­gender stellen sie unseren Zugriff auf den Luft­raum in Frage. Was dürfen die da oben tun? Was haben sie zu unter­lassen? Auf diese Fragen gibt es grob zwei Antworten. Etwas zuge­spitzt besteht die erste der Antworten aus einem kultur­pes­si­mis­ti­schen Lamento. Drohnen werden dabei als düstere Engel des Über­wa­chungs­staats entlarvt. Wenn sie in Schlaf­zimmer und hinter Hecken blicken, sind sie die Toten­gräber von Scham und Privat­sphäre. Darüber hinaus stehen sie für die Barba­ri­sie­rung der Flie­gerei. Es scheint ein Ding der Unmög­lich­keit, dass die Frei­zeit­flie­ge­rinnen und -flieger je in der Lage wären, sich der etablierten und zivi­li­sierten Etikette des Luft­ver­kehrs adäquat zu bedienen. Pilo­tinnen und Piloten, die selbst am Boden verharren, müssen offenbar Prole­tinnen und Proleten bleiben.

Luis Eusébio, Drohne, Quelle: nb.admin.ch

Ganz anders klingt das auf der Gegen­seite. Hier ertönt ein tech­no­philes Loblied. Es feiert die Ermäch­ti­gung von Hobby­fo­to­gra­finnen und -foto­grafen. Demnach bringen Drohnen die ehemals elitäre Ästhetik der Vogel­per­spek­tive in jedes Foto­album. Aufsicht bedeutet Macht. Drohnen demo­kra­ti­sieren diese. Dabei, so das Argu­ment, profi­tieren alle von den Dienst­leis­tungen der Drohnen. Ob es um die Bergung von Verschüt­teten in Lawinen, das Zustellen von Labor­proben hoch über dem Stadt­ver­kehr oder das Vermessen von verzweigten Kana­li­sa­ti­ons­sys­temen geht: Stets lösen Drohnen Probleme der Sicht­bar­keit und der Zugäng­lich­keit – und dies auch noch auf inno­va­tive Art und Weise. Kein Wunder, dass auch Venture-Kapital-Investorinnen und -Inves­toren in das Hohe Lied der Drohne einstimmen und nur zu gerne bereit sind, das Wirbeln der Start Ups und Spin Offs im Drohnen­sektor nach Kräften anzukurbeln.

Es ist banal: Drohnen sorgen für Ent- und für Begeis­te­rung. Dazwi­schen exis­tieren jedoch unzäh­lige diffe­ren­zierte Perspek­tiven. Insge­samt scheint die Situa­tion so über­sicht­lich wie die Schal­ter­halle im Flug­hafen Zürich am ersten Samstag im Juli. Aber wie lässt sich in diesem pola­ri­sierten und ambi­va­lenten Feld etwas Orien­tie­rung gewinnen? Natür­lich von oben herab.

Staunen

Zivile Drohnen sind in der Regel Tief­flieger. Höher fliegen Satel­liten, Flug­zeuge, Heli­ko­pter oder Heiss­luft­bal­lone. All diesen Flug­ge­räten ist gemein, dass ihr Aufkommen mit Staunen verbunden war. Und mit Ärger. Das zeigt ein Blick zurück auf die Anfänge der Luft­auf­nahme. In der Schweiz war es der Aben­teurer und Ballon­fahrer Eduard Spel­te­rini, der die Vogel­per­spek­tive zum ersten Mal zugäng­lich gemacht hat. Um Spel­te­rini ranken sich bis heute zahl­reiche Legenden, für die Spel­te­rini mit seiner Lust zum Fabu­lieren selbst auch gesorgt hat. Spel­te­rini wurde jeden­falls 1852 im Toggen­burg als Eduard Schweizer geboren. 25 Jahre später liess er sich in Paris zum Luft­schiffer ausbilden. Ab den 1880er Jahren befuhr er im eigenen Gasballon die Himmel Europas und seit den 1890er Jahren führte er Kameras mit. Wenig später präsen­tierte er seine Luft­auf­nahmen anek­do­ten­reich einem zahl­rei­chen und zahlenden Publikum. Um 1900 war Spel­te­rini ein Star.

Eduard Spel­te­rini, Matter­horn, Quelle: commons.wikimedia.org

Trotzdem war er vehe­menten Angriffen ausge­setzt. Es ist verbürgt, dass Spel­te­rini einen Mitbürger aus dem Schweizer Kanton Basel-Landschaft recht­lich belangte. Der Bauer hatte mit seinem Kara­biner auf den Luft­schiffer und dessen Gefährt geschossen. Offenbar hatte er sich vom Ballon gestört gefühlt.

Das Staunen und der Ärger über flie­gende Foto­grafen ist also alt. In der kultur­pes­si­mis­ti­schen Sicht auf Drohnen scheinen immer wieder argu­men­ta­tive Linien durch, die bis zu den Gas- und Heiss­luft­bal­lons des 19. Jahr­hun­derts oder noch weiter zurück reichen. Kritik am unan­stän­digen Vordringen in den Luft­raum, am unge­fragten Über­fliegen von Terri­to­rien oder am unauf­fäl­ligen Aufnehmen von oben reiht sich also in eine lange Tradi­ti­ons­linie der Luft­fahrt ein. Dasselbe gilt aller­dings für die Begeis­te­rung für Flugaufnahmen.

Sehen

Wer sich in die Lüfte wagt, wird mit ganz neuen Perspek­tiven belohnt. Beson­ders früh wusste das Militär davon zu profi­tieren. Im deutsch-französischen Krieg und im Ersten Welt­krieg wurden zahl­reiche Ballone, in der Regel an Seilen befes­tigt, hinter der Front in den Himmel gelassen, um für Aufklä­rung über die gegne­ri­schen Stel­lungen zu sorgen. In den ersten Jahr­zehnten des 20. Jahr­hun­derts über­nahm die moto­ri­sierte Flie­gerei die Kontrolle über den umkämpften Himmel. Ballon­ka­pi­täne wie Spel­te­rini wurden obsolet. Der ehema­lige Star und Bonvi­vant starb 1931 verarmt und vergessen in der öster­rei­chi­schen Provinz.

Vasilij Kamenskij, Konstan­ti­nopel (1913), Quelle: typejournal.ru/

Doch nicht nur das Militär nutze die Luft­fahrt zu Aufklä­rungs­zwe­cken, auch in den Künsten war die avia­ti­sche Perspek­tive ein Mittel des Neuen Sehens. Filippo Tommaso Mari­netti, Hans Arp, Vasilij Kamenskij, Blaise Cendrars, Le Corbu­sier oder László Moholy-Nagy feierten das Flug­zeug glei­cher­massen als künst­le­ri­sches Vehikel, einige von ihnen waren selbst auch Piloten.

Sie können uns unter­stützen, indem Sie diesen Artikel teilen: 

Die Vogel­per­spek­tive sorgte für einen radi­kalen kunst­ge­schicht­li­chen Wandel. Und sie sorgte für volle Auftrags­bü­cher bei den Flie­gern. Walter Mittel­holzer, Schweizer Flug­pio­nier und Swissair-Mitgründer, begann in seiner Dienst­zeit im Ersten Welt­krieg syste­ma­tisch das Land von oben zu foto­gra­fieren. Nach dem Krieg machte er die Luft­auf­nahme zu einem zentralen Stand­bein seiner privaten Flug­firma. Folge­richtig hiess sie Mittel­holzer und Co., Luft­bild­ver­lags­an­stalt und Passa­gier­flüge. Nach dem Zweiten Welt­krieg entwi­ckelte sich die Luft­auf­nahme schnell zu einem Massen­ge­schäft. Prak­tisch von jedem Bauernhof exis­tiert ein Bild von oben. Hier und da ist es bis heute in einer Wirts­stube oder einem Haus­flur zu sehen.

Töten

Das 20. Jahr­hun­dert machte das Luft­bild populär. Es liess es aber fest in Männer­hand. Männer flogen. Männer foto­gra­fierten aus der Luft. Es scheint, als habe das Aufkommen der Drohne daran wenig geän­dert. Diese verweist ja schon dem Namen nach auf das Männ­chen der Honig­biene, das einen etwas grös­serem Körper hat als das Weib­chen, aber keinen Stachel besitzt und sich über­wie­gend von den Arbeits­bienen füttern lässt. Folgt man der Drohnen-Definition des Duden weiter, erfährt man, dass die Drohe auch ganz allge­mein den faulen Nutz­niesser fremder Arbeit bezeichnet.

Vor diesem Hinter­grund erstaunt es wenig, dass sich mit ihrer Popu­la­ri­sie­rung im 21. Jahr­hun­dert zugleich die martia­li­sche Funk­tion der Luft­auf­nahme akzen­tu­ierte. Damit hob sie sich von Modell­flie­gern oder anderen Vorgän­gern der unbe­mannten Luft­fahrt ab. Es entspricht also auch der histo­risch korrekten Abfolge, wenn der Duden als dritte Bedeu­tung von „Drohne“ ein unbe­manntes mili­tä­ri­sches Aufklärungs- und Kampf­flug­zeug anführt. Als Droh­nen­auf­nahmen welt­weite Aufmerk­sam­keit erlangten, bestand ihre Funk­tion im Töten.

Protest­graf­fito gegen US-Drohnenangriffe im Jemen, Quelle: zeit.de

Das zeigten zuerst die körnigen Aufnahmen, die Ende 2001 über unsere Bild­schirme ruckelten. An Sand erin­nerte auch ihr markanter Gelb­stich. Mögli­cher­weise war dieser auch den staub­tro­ckenen Böden zuzu­schreiben, die zu sehen waren. Afgha­ni­stan war einmal mehr auf tragi­sche Weise in den Fokus einer globalen Öffent­lich­keit geraten. Anders als in früheren Konflikten bekam das Publikum den Krieg aber aus einer ganz neuen Perspek­tive vorge­führt: Die Zuschaue­rinnen und Zuschauer wurden in die Perspek­tive der Pilo­tinnen und Piloten versetzt – zunächst an den Compu­ter­mo­ni­toren und wenig später auf den Fern­seh­schirmen. Das war möglich, weil diese selbst nicht länger im Flug­zeug sassen. Viel­mehr lenkten sie ihre unbe­mannten Flug­ob­jekte aus tausenden Kilo­me­tern Entfer­nung. Die Fern­steue­rung bedingte eine Direkt­über­tra­gung der Flug­daten. Oft gehörten Film­auf­nahmen dazu. Ein kleines Kreuz in der Bild­mitte verdeut­lichte, dass die Pilo­tinnen und Piloten diese Bilder nicht nur zur Aufklä­rung, sondern auch für Abschüsse benutzten.

Diese Drohnen hiessen Predator, Reaper, Hermes oder nEUROn. Sie führten Hellfire- oder andere Raketen mit, die sich auf Knopf­druck am anderen Ende der Welt abfeuern liessen.

Es ist offen, ob es an der Span­nung zwischen der darge­stellten realen Szene und der Virtua­lität einer digital um den halben Globus trans­fe­rierten senso­ri­schen Infor­ma­tion lag: Auf jeden Fall wurden die in Deto­na­tionen von Menschen­gruppen oder Fahr­zeug­kon­vois endenden Bild­folgen auf trau­rige Weise berühmt. Mit dem Anbruch des 21. Jahr­hun­derts und dem so dekla­rierten Krieg gegen den Terror bekamen immer mehr Menschen Droh­nen­auf­nahmen zu sehen. Wenig später sollten die Drohnen auch den zivilen Blick auf die Dinge verändern.

Aneignen

Nach 2001 hat sich unser Himmel verän­dert. Dass eine Drohne es ermög­licht, von oben herab zu schauen, ohne selbst den Risiken des Flugs ausge­setzt zu sein, inter­es­sierte neben mili­tä­ri­schen bald auch zivile Nutzer. Etwa drei Jahre nach dem Einsetzen der Luft­an­griffe durch die ameri­ka­nisch geführte Mili­tär­ko­ali­tion in Afgha­ni­stan setzte ein Preis­ver­fall bei den senso­ri­schen und elek­tro­ni­schen Baukom­po­nenten ein. Drohnen wurden billig – und damit zivil. Sobald sie für Freizeit- und andere private Zwecke ange­eignet wurden, verwan­delten sie sich. Im Gegen­satz zu den flugzeug- oder rake­ten­ar­tigen Preda­tors und Reapers der Mili­tärs waren sie kleiner und leichter. Typi­scher­weise verfügten sie über vier Rotoren und flogen als soge­nannte Quadro­c­opter durch Kinder­zimmer, Berg­wiesen und Stras­sen­schluchten. Den meisten der bald ins Unzäh­lige sich ausbrei­tenden Modellen war gemein, dass sie über eine Kamera verfügten. Es leuchtet ein, dass auch die Experten – alle­samt männ­lich – unter den rele­van­testen Zukunfts­märkten für Drohnen nicht nur den Einsatz in der Land­wirt­schaft und die Über­wa­chung von Anlagen, sondern auch die Luft­auf­nahme sehen.

In der Schweiz versucht das Bundesamt für Zivil­luft­fahrt die resul­tie­renden Nutzungs­kon­flikte zu entschärfen. Auf seiner Webseite defi­niert es Regeln und allge­meine Fragen zu Drohnen. Dass es sich dabei um ein junges juris­ti­sches Feld handelt, lässt sich aus den ebenda verlinkten Rechts­quellen ablesen. Zugleich zeigt die behörd­liche Regel­suche, wie sowohl der Staat als auch Firmen daran sind, sich die Droh­nen­tech­no­logie anzueignen.

Drohnen mit Wärme­bild­ka­mera helfen nach Erdbeben Verschüt­tete zu finden, Quelle: nzz.ch

Diese Aneig­nung ist sehr unter­schied­lich. Mit Drohnen erobern Nutzer*innen den Luft­raum, machen sich die Vogel­per­spek­tive zu eigen, fliegen aber auch durch Lande­schneisen von Flug­häfen und bringen den Flug­ver­kehr zum Erliegen. Mit Drohnen werden Rennen geflogen, umge­kehrt werden unlieb­same Drohnen mit Laser­poin­tern und Spie­geln geblendet, mit Steinen beworfen und mit Stör­sen­dern irri­tiert. Drohnen sind nicht einfach gut oder schlecht. Wie bei jeder neuen Tech­no­logie ist ihre Nutzung ambi­va­lent. Wie kann man damit umgehen? Eine theo­re­ti­sche Antwort darauf hat Donna Haraway bereits in den 1980er Jahren formu­liert. Haraway empfahl, neue Tech­no­lo­gien nicht ihren Konstruk­teuren zu über­lassen. Viel­mehr sollten die Menschen sich diese kritisch und kreativ aneignen, sich mit ihnen zu Cyborgs verbinden und so unge­ahnte subver­sive Kräfte entfalten. Anstatt Drohnen zu verdammen oder zu verherr­li­chen, könnte man mit Haraway argu­men­tieren, sollten wir sie für unsere Zwecke umbauen und nutzen. Sie bieten viele Möglich­keiten zur Aufsicht.