Als Erstes hört man ihr nervöses Surren. Köpfe werden in den Nacken gelegt, Himmel abgesucht, Fäuste gereckt oder Hände geschwenkt. Fliegt eine Drohne über unsere Köpfe hinweg, sind die Reaktionen eingespielt. Das Auftauchen der kleinen, unbemannten Flugobjekte gehört inzwischen zum Alltag, sie sind eine Massenware geworden. Für wenige hundert Euro lässt sich eine ansehnlich ausgestattete Drohne im Elektronikmarkt erwerben und ohne zeitintensive Vorbereitung bedienen. Sie kommt in aller Regel inklusive Kamera und mit vorprogrammierten Flug- und Aufzeichnungsroutinen. Atemberaubende Luftaufnahmen und -filmsequenzen sind damit selbst für fotografische und fliegerische Laien kein Problem. Aber auch die Profis setzen auf Drohnen. Bei Hochzeits-, Landschafts- oder Architekturaufnahmen gehören sie zur Standardausrüstung, bei Filmaufnahmen sorgen sie für beeindruckende Perspektiven. Aber trotzdem: Das Surren der kleinen Flugroboter löst nicht nur Begeisterung aus. Die Geräuschkulisse der elektronisch betriebenen Rotoren sorgt regelmässig für Ärger. Die Drohnen, die den militärischen Kontext längst verlassen haben, sind in immer weitere zivile Bereiche vorgedrungen.
Wirbeln
Als Gebrauchsobjekt sind Drohnen verhältnismässig neu. Seit etwas mehr als einem Jahrzehnt wirbeln sie eingespielte soziotechnische Dispositive durcheinander. Je einfacher sie zu bedienen und je günstiger sie zu kaufen sind, desto drängender stellen sie unseren Zugriff auf den Luftraum in Frage. Was dürfen die da oben tun? Was haben sie zu unterlassen? Auf diese Fragen gibt es grob zwei Antworten. Etwas zugespitzt besteht die erste der Antworten aus einem kulturpessimistischen Lamento. Drohnen werden dabei als düstere Engel des Überwachungsstaats entlarvt. Wenn sie in Schlafzimmer und hinter Hecken blicken, sind sie die Totengräber von Scham und Privatsphäre. Darüber hinaus stehen sie für die Barbarisierung der Fliegerei. Es scheint ein Ding der Unmöglichkeit, dass die Freizeitfliegerinnen und -flieger je in der Lage wären, sich der etablierten und zivilisierten Etikette des Luftverkehrs adäquat zu bedienen. Pilotinnen und Piloten, die selbst am Boden verharren, müssen offenbar Proletinnen und Proleten bleiben.

Luis Eusébio, Drohne, Quelle: nb.admin.ch
Ganz anders klingt das auf der Gegenseite. Hier ertönt ein technophiles Loblied. Es feiert die Ermächtigung von Hobbyfotografinnen und -fotografen. Demnach bringen Drohnen die ehemals elitäre Ästhetik der Vogelperspektive in jedes Fotoalbum. Aufsicht bedeutet Macht. Drohnen demokratisieren diese. Dabei, so das Argument, profitieren alle von den Dienstleistungen der Drohnen. Ob es um die Bergung von Verschütteten in Lawinen, das Zustellen von Laborproben hoch über dem Stadtverkehr oder das Vermessen von verzweigten Kanalisationssystemen geht: Stets lösen Drohnen Probleme der Sichtbarkeit und der Zugänglichkeit – und dies auch noch auf innovative Art und Weise. Kein Wunder, dass auch Venture-Kapital-Investorinnen und -Investoren in das Hohe Lied der Drohne einstimmen und nur zu gerne bereit sind, das Wirbeln der Start Ups und Spin Offs im Drohnensektor nach Kräften anzukurbeln.
Es ist banal: Drohnen sorgen für Ent- und für Begeisterung. Dazwischen existieren jedoch unzählige differenzierte Perspektiven. Insgesamt scheint die Situation so übersichtlich wie die Schalterhalle im Flughafen Zürich am ersten Samstag im Juli. Aber wie lässt sich in diesem polarisierten und ambivalenten Feld etwas Orientierung gewinnen? Natürlich von oben herab.
Staunen
Zivile Drohnen sind in der Regel Tiefflieger. Höher fliegen Satelliten, Flugzeuge, Helikopter oder Heissluftballone. All diesen Fluggeräten ist gemein, dass ihr Aufkommen mit Staunen verbunden war. Und mit Ärger. Das zeigt ein Blick zurück auf die Anfänge der Luftaufnahme. In der Schweiz war es der Abenteurer und Ballonfahrer Eduard Spelterini, der die Vogelperspektive zum ersten Mal zugänglich gemacht hat. Um Spelterini ranken sich bis heute zahlreiche Legenden, für die Spelterini mit seiner Lust zum Fabulieren selbst auch gesorgt hat. Spelterini wurde jedenfalls 1852 im Toggenburg als Eduard Schweizer geboren. 25 Jahre später liess er sich in Paris zum Luftschiffer ausbilden. Ab den 1880er Jahren befuhr er im eigenen Gasballon die Himmel Europas und seit den 1890er Jahren führte er Kameras mit. Wenig später präsentierte er seine Luftaufnahmen anekdotenreich einem zahlreichen und zahlenden Publikum. Um 1900 war Spelterini ein Star.

Eduard Spelterini, Matterhorn, Quelle: commons.wikimedia.org
Trotzdem war er vehementen Angriffen ausgesetzt. Es ist verbürgt, dass Spelterini einen Mitbürger aus dem Schweizer Kanton Basel-Landschaft rechtlich belangte. Der Bauer hatte mit seinem Karabiner auf den Luftschiffer und dessen Gefährt geschossen. Offenbar hatte er sich vom Ballon gestört gefühlt.
Das Staunen und der Ärger über fliegende Fotografen ist also alt. In der kulturpessimistischen Sicht auf Drohnen scheinen immer wieder argumentative Linien durch, die bis zu den Gas- und Heissluftballons des 19. Jahrhunderts oder noch weiter zurück reichen. Kritik am unanständigen Vordringen in den Luftraum, am ungefragten Überfliegen von Territorien oder am unauffälligen Aufnehmen von oben reiht sich also in eine lange Traditionslinie der Luftfahrt ein. Dasselbe gilt allerdings für die Begeisterung für Flugaufnahmen.
Sehen
Wer sich in die Lüfte wagt, wird mit ganz neuen Perspektiven belohnt. Besonders früh wusste das Militär davon zu profitieren. Im deutsch-französischen Krieg und im Ersten Weltkrieg wurden zahlreiche Ballone, in der Regel an Seilen befestigt, hinter der Front in den Himmel gelassen, um für Aufklärung über die gegnerischen Stellungen zu sorgen. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts übernahm die motorisierte Fliegerei die Kontrolle über den umkämpften Himmel. Ballonkapitäne wie Spelterini wurden obsolet. Der ehemalige Star und Bonvivant starb 1931 verarmt und vergessen in der österreichischen Provinz.

Vasilij Kamenskij, Konstantinopel (1913), Quelle: typejournal.ru/
Doch nicht nur das Militär nutze die Luftfahrt zu Aufklärungszwecken, auch in den Künsten war die aviatische Perspektive ein Mittel des „Neuen Sehens“. Filippo Tommaso Marinetti, Hans Arp, Vasilij Kamenskij, Blaise Cendrars, Le Corbusier oder László Moholy-Nagy feierten das Flugzeug gleichermassen als künstlerisches Vehikel, einige von ihnen waren selbst auch Piloten.
Die Vogelperspektive sorgte für einen radikalen kunstgeschichtlichen Wandel. Und sie sorgte für volle Auftragsbücher bei den Fliegern. Walter Mittelholzer, Schweizer Flugpionier und Swissair-Mitgründer, begann in seiner Dienstzeit im Ersten Weltkrieg systematisch das Land von oben zu fotografieren. Nach dem Krieg machte er die Luftaufnahme zu einem zentralen Standbein seiner privaten Flugfirma. Folgerichtig hiess sie Mittelholzer und Co., Luftbildverlagsanstalt und Passagierflüge. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Luftaufnahme schnell zu einem Massengeschäft. Praktisch von jedem Bauernhof existiert ein Bild von oben. Hier und da ist es bis heute in einer Wirtsstube oder einem Hausflur zu sehen.
Töten
Das 20. Jahrhundert machte das Luftbild populär. Es liess es aber fest in Männerhand. Männer flogen. Männer fotografierten aus der Luft. Es scheint, als habe das Aufkommen der Drohne daran wenig geändert. Diese verweist ja schon dem Namen nach auf das Männchen der Honigbiene, das einen etwas grösserem Körper hat als das Weibchen, aber keinen Stachel besitzt und sich überwiegend von den Arbeitsbienen füttern lässt. Folgt man der Drohnen-Definition des Duden weiter, erfährt man, dass die „Drohe“ auch ganz allgemein den faulen Nutzniesser fremder Arbeit bezeichnet.
Vor diesem Hintergrund erstaunt es wenig, dass sich mit ihrer Popularisierung im 21. Jahrhundert zugleich die martialische Funktion der Luftaufnahme akzentuierte. Damit hob sie sich von Modellfliegern oder anderen Vorgängern der unbemannten Luftfahrt ab. Es entspricht also auch der historisch korrekten Abfolge, wenn der Duden als dritte Bedeutung von „Drohne“ ein unbemanntes militärisches Aufklärungs- und Kampfflugzeug anführt. Als Drohnenaufnahmen weltweite Aufmerksamkeit erlangten, bestand ihre Funktion im Töten.

Protestgraffito gegen US-Drohnenangriffe im Jemen, Quelle: zeit.de
Das zeigten zuerst die körnigen Aufnahmen, die Ende 2001 über unsere Bildschirme ruckelten. An Sand erinnerte auch ihr markanter Gelbstich. Möglicherweise war dieser auch den staubtrockenen Böden zuzuschreiben, die zu sehen waren. Afghanistan war einmal mehr auf tragische Weise in den Fokus einer globalen Öffentlichkeit geraten. Anders als in früheren Konflikten bekam das Publikum den Krieg aber aus einer ganz neuen Perspektive vorgeführt: Die Zuschauerinnen und Zuschauer wurden in die Perspektive der Pilotinnen und Piloten versetzt – zunächst an den Computermonitoren und wenig später auf den Fernsehschirmen. Das war möglich, weil diese selbst nicht länger im Flugzeug sassen. Vielmehr lenkten sie ihre unbemannten Flugobjekte aus tausenden Kilometern Entfernung. Die Fernsteuerung bedingte eine Direktübertragung der Flugdaten. Oft gehörten Filmaufnahmen dazu. Ein kleines Kreuz in der Bildmitte verdeutlichte, dass die Pilotinnen und Piloten diese Bilder nicht nur zur Aufklärung, sondern auch für Abschüsse benutzten.
Diese Drohnen hiessen Predator, Reaper, Hermes oder nEUROn. Sie führten Hellfire- oder andere Raketen mit, die sich auf Knopfdruck am anderen Ende der Welt abfeuern liessen.
Es ist offen, ob es an der Spannung zwischen der dargestellten realen Szene und der Virtualität einer digital um den halben Globus transferierten sensorischen Information lag: Auf jeden Fall wurden die in Detonationen von Menschengruppen oder Fahrzeugkonvois endenden Bildfolgen auf traurige Weise berühmt. Mit dem Anbruch des 21. Jahrhunderts und dem so deklarierten „Krieg gegen den Terror“ bekamen immer mehr Menschen Drohnenaufnahmen zu sehen. Wenig später sollten die Drohnen auch den zivilen Blick auf die Dinge verändern.
Aneignen
Nach 2001 hat sich unser Himmel verändert. Dass eine Drohne es ermöglicht, von oben herab zu schauen, ohne selbst den Risiken des Flugs ausgesetzt zu sein, interessierte neben militärischen bald auch zivile Nutzer. Etwa drei Jahre nach dem Einsetzen der Luftangriffe durch die amerikanisch geführte Militärkoalition in Afghanistan setzte ein Preisverfall bei den sensorischen und elektronischen Baukomponenten ein. Drohnen wurden billig – und damit zivil. Sobald sie für Freizeit- und andere private Zwecke angeeignet wurden, verwandelten sie sich. Im Gegensatz zu den flugzeug- oder raketenartigen Predators und Reapers der Militärs waren sie kleiner und leichter. Typischerweise verfügten sie über vier Rotoren und flogen als sogenannte Quadrocopter durch Kinderzimmer, Bergwiesen und Strassenschluchten. Den meisten der bald ins Unzählige sich ausbreitenden Modellen war gemein, dass sie über eine Kamera verfügten. Es leuchtet ein, dass auch die Experten – allesamt männlich – unter den relevantesten Zukunftsmärkten für Drohnen nicht nur den Einsatz in der Landwirtschaft und die Überwachung von Anlagen, sondern auch die Luftaufnahme sehen.
In der Schweiz versucht das Bundesamt für Zivilluftfahrt die resultierenden Nutzungskonflikte zu entschärfen. Auf seiner Webseite definiert es „Regeln und allgemeine Fragen zu Drohnen“. Dass es sich dabei um ein junges juristisches Feld handelt, lässt sich aus den ebenda verlinkten Rechtsquellen ablesen. Zugleich zeigt die behördliche Regelsuche, wie sowohl der Staat als auch Firmen daran sind, sich die Drohnentechnologie anzueignen.

Drohnen mit Wärmebildkamera helfen nach Erdbeben Verschüttete zu finden, Quelle: nzz.ch
Diese Aneignung ist sehr unterschiedlich. Mit Drohnen erobern Nutzer*innen den Luftraum, machen sich die Vogelperspektive zu eigen, fliegen aber auch durch Landeschneisen von Flughäfen und bringen den Flugverkehr zum Erliegen. Mit Drohnen werden Rennen geflogen, umgekehrt werden unliebsame Drohnen mit Laserpointern und Spiegeln geblendet, mit Steinen beworfen und mit Störsendern irritiert. Drohnen sind nicht einfach gut oder schlecht. Wie bei jeder neuen Technologie ist ihre Nutzung ambivalent. Wie kann man damit umgehen? Eine theoretische Antwort darauf hat Donna Haraway bereits in den 1980er Jahren formuliert. Haraway empfahl, neue Technologien nicht ihren Konstrukteuren zu überlassen. Vielmehr sollten die Menschen sich diese kritisch und kreativ aneignen, sich mit ihnen zu Cyborgs verbinden und so ungeahnte subversive Kräfte entfalten. Anstatt Drohnen zu verdammen oder zu verherrlichen, könnte man mit Haraway argumentieren, sollten wir sie für unsere Zwecke umbauen und nutzen. Sie bieten viele Möglichkeiten zur Aufsicht.