Auf ihren Wahlplakaten forderte die AfD „Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild!“ Was verbindet die deutschen Rechtsextremen mit der Schweizer SVP?

Vor einem Jahr noch schien die Alter­na­tive für Deutsch­land (AfD) in die Bedeu­tungs­lo­sig­keit zu versinken, jetzt hat sie mit zwei­stel­ligen Wahl­re­sul­taten für Aufsehen gesorgt. Flugs bemühte sich die NZZ, mit böse stichelnden Sprach­spiel­chen ganz im Sinne der AfD die Politik Merkels nicht mehr „als alter­na­tivlos zu betrachten“, sondern nun von der Kanz­lerin „Alter­na­tiven und neue Antworten für bürger­liche Wähler“ zu fordern.

Die AfD wird das gerne hören, wie sie über­haupt gerne in die Schweiz schaut. Auf ihren Wahl­pla­katen forderte sie „Volks­ab­stim­mungen nach Schweizer Vorbild!“, und ihr Chef-Philosoph Marc Jongen liess dazu in einem Inter­view in der NZZ verlauten: „Die Schweiz ist in vieler Hinsicht ein Vorbild für die AfD, wir streben eine Art Verschwei­ze­rung Deutsch­lands an.“ Auch AfD-Parteichefin Frauke Petry hat schon bekannt, dass sie die SVP bewun­dere und mit ihr Kontakte pflege.

Wahlplakat AfD, 2016, Quelle: AfD

Wahl­plakat AfD, 2016, Quelle: AfD

„Nach Schweizer Vorbild“

Heisst also ‚von der Schweiz lernen, siegen lernen‘…? – „Von der Sowjet­union lernen, heißt siegen lernen!“ war die 1951 von der „Gesell­schaft für Deutsch-Sowjetische Freund­schaft“ ausge­ge­bene Losung für Sachsen und andere DDR-Bürger. Es ist zwar unwahr­schein­lich, dass sich die AfD-Wähler in Sachsen-Anhalt an diese alte Parole erin­nert und auf die Schweiz umge­münzt haben, als sie der neuen Rechts­partei den leider zu erwar­tenden deut­li­chen Sieg bescherten. Trotzdem steht die Frage im Raum, was die AfD und die SVP verbindet und was die AfD-Strategen am „Schweizer Vorbild“ so attraktiv finden.

„Volks­ab­stim­mung“ scheint das Zauber­wort zu sein, und wer könnte dabei Böses denken? Es gibt zwei­fellos gute Gründe, ausge­baute Volks­rechte, wie sie in der Schweiz exis­tieren, zu vertei­digen. Selbst erfolg­lose Initia­tiven sind oft Anreger für eine poli­ti­sche Debatte oder neue Gesetze im Sinne der Initi­anten, und schon nur die Drohung mit einem Refe­rendum kann im Parla­ment Lösungen erzwingen, welche Zustim­mung in allen poli­ti­schen Lagern finden. So gesehen, können die Volks­rechte Instru­mente zur Produk­tion breiter poli­ti­scher Legi­ti­ma­tion und zur Rück­kopp­lung poli­ti­scher Prozesse an basis­de­mo­kra­ti­sche Verfahren auch jenseits von Wahl­kämpfen sein.

Doch das ist nur die halbe Wahr­heit. Denn in den letzten zwei Jahr­zehnten wurde von den Volks­rechten oft ein so exten­siver und ideo­lo­gisch radi­ka­li­sierter Gebrauch gemacht, dass sich die Demo­kratie gleichsam gegen sich selbst zu wenden begann. Mit einer wach­senden Zahl von Initia­tiven und Refe­renden hat die SVP syste­ma­tisch und bewusst die Vorstel­lung verbreitet, in der Schweiz würde eine vom „Volk“ angeb­lich entfrem­dete „Elite“ in Hinter­zim­mern gegen dieses „Volk“, ja „gegen“ die Schweiz als solche regieren – die Durch­set­zungs­in­itia­tive war dafür nur das aktu­ellste Beispiel. Jüngst sprach Blocher gar von der „Diktatur“, die in der Schweiz herr­sche, und auch Frauke Petry sieht nun schon „Dikta­tur­ten­denzen“ in der Bundesrepublik.

Was also macht die Volks­rechte „nach Schweizer Art“ für die extreme Rechte so attraktiv? Mit ihnen kann sie im Rahmen formaler demo­kra­ti­scher Verfahren die „Elite“ gegen das „Volk“ ausspielen, um rechts­staat­li­chen Mecha­nismen und öffent­liche Insti­tu­tionen zu dele­gi­ti­mieren. Wie in der Schweiz zu beob­achten ist, verhüllt sie dabei ihre Verach­tung für das insti­tu­tio­nelle Gefüge einer modernen Demo­kratie als einem System von checks and balances nur noch mit Mühe. Wer vorgibt, allein vom und für das „Volk“ zu spre­chen, und den von den poli­ti­schen „Eliten“ angeb­lich Ausge­grenzten eine Stimme zu geben, verformt die „Volks­rechte“ zur Waffe. Diese wendet sich dann nicht etwa gegen die „Elite“, sondern sehr schnell gegen Menschen, die bereits ausge­grenzt sind oder werden sollen; die Geschichte bietet dafür hinrei­chend Beispiele.

Ein krie­ge­ri­scher Nationalismus

Politik „nach Schweizer Vorbild“ passt so gesehen ganz gut zu einer Partei, welche ebenso wie die SVP die Flüchtlings-Debatte zum Anlass nimmt, um noch ganz andere Forde­rungen poli­tisch salon­fähig zu machen. Weil viele Medien sich scheuen, Parteien, die mehr als 20% Wähler­stimmen gewinnen, „rechts­extrem“ zu nennen, ja sie sogar so offen hoffieren wie die NZZ, lohnt sich ein genauerer Blick auf das Beispiel AfD. Diese verlangt nicht nur – unter anderem – die Förde­rung „deut­scher“ Kultur; sie will auch die Straf­mün­dig­keit für Zwölf­jäh­rige einführen, die Polizei aufrüsten und an der Grenze Truppen bereit­stellen, um den Natio­nal­staat vor der „schran­ken­losen Über­schwem­mung mit Menschen“ zu schützen, die „einfach zu viele und zu fremd sind“, wie Partei-Philosoph Jongen sagt.

Dieser erklärt dazu unter dem Stich­wort „Thymos“ auch gleich die Hinter­gründe. Thymos heisse bei Platon die „Seelen­fa­kultät … des Muthaften, dem die Affekte Wut und Zorn ange­hören“; diese „thymo­ti­schen Tugenden“ seien „als die männ­li­chen bezeichnet“ worden. Es geht also um den Mut zum Krieg. Jongen hat „den Eindruck“, dass „unsere poli­ti­schen Eliten nach 1968 ganz elemen­tare Lektionen der Aussen­po­litik und der Geostra­tegie verlernt haben“, seit sie nicht mehr auf den Natio­nal­staat als „sozu­sagen letzte[m] thymo­tisch aufgeladene[n] soziale[n] Gross­körper“ ausge­richtet seien. Ganz anders waren da noch die „Vorväter“: Wenn die „Vorväter dieses Terri­to­rium nicht leiden­schaft­lich und wenn nötig auch mit Gewalt vertei­digt hätten, würden wir jetzt nicht hier sitzen und uns in unserer Sprache unterhalten“.

Man möchte lieber nicht wissen, welche „Vorväter“ Herr Jongen genau meint. So viel völkisch-kriegerischer Natio­na­lismus jeden­falls mag hier­zu­lande vielen als „unschwei­ze­risch“ erscheinen. Doch ob das von Jongen geprie­sene Ideal der „Mann­haf­tig­keit“ nun eher klas­si­zis­tisch oder mehr ländlich-alpin, eher germa­nisch stramm oder einfach nur am Sturm­ge­wehr verhaftet erscheint, ist nicht so wichtig. Entschei­dend ist, dass sie alle glauben, das „Abend­land“ sei in Gefahr, ja „der weisse Mann“ selbst bedroht, wie ein namhafter Zürcher SVP-Politiker zu Proto­koll gab. Und entschei­dend ist, welche Grenzen diese kämp­fe­ri­sche „Männ­lich­keit“ zu „sichern“ trachtet. Es ist die Grenze zwischen jenen, die zu ‚uns‘ gehören, und jenen, gegen die Nato-Stacheldraht ausge­rollt wird. 443 Flücht­linge sind allein seit Januar im Mittel­meer ertrunken. Die extreme Rechte, heisse sie nun AfD oder SVP, nimmt dies billi­gend in Kauf, angeb­lich, um ‚unser‘ Leben zu schützen. Sie macht aus dem Tod der Anderen ein poli­ti­sches Programm. Grenzüberschreitend.

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„Migrants wade across a river near the Greek-Macedonian border, west of the the village of Idomeni, Greece.“ Quelle: newsweek.com