Wer in den letzten Wochen die Berichterstattung zur deutschen Wissenschaftspolitik verfolgt hat, ist an einem Thema nicht vorbeigekommen: Das FDP-geführte Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat seine Reformpläne für das sogenannte Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) vorgelegt und musste dafür prompt die einhellige wie vernichtende Kritik der Betroffenen hinnehmen. Man zeigte sich „fassungslos angesichts der Realitätsferne“ der Vorhaben, wie die spontan gegründete Initiative #ProfsfürHanna (bzw. #ProfsfürReyhan) in ihrer Stellungnahme kommentierte. Die Selbsttitulierung #ProfsfürHanna verweist dabei auf den Twitter-Hashtag #IchbinHanna (bzw. #IchbinReyhan), mit dem junge Wissenschaftler:innen seit zwei Jahren auf ihre schon bisher schwer zu ertragenden Arbeitsbedingungen aufmerksam machen. Sie berichten von scheinbar selbstverständlicher unentlohnter Mehrarbeit, einem Übermaß an Administrationsaufgaben, das die eigene Forschung behindert, oder mangelnden Zukunftsaussichten. Mit der angekündigten Novellierung des WissZeitVG würden sich die Zustände weiter verschlechtern.
2007 erlassen, erlaubt das WissZeitVG eine Sonderregelung für wissenschaftliches Personal, die in den allermeisten Fächern (die Medizin ist eine Ausnahme) eine Befristung von je sechs Jahren Anstellung vor und nach der Promotion vorsieht. Der Gesetzgeber argumentiert die Befristung gerne damit, dass es sich um Qualifikationsstellen handelt. Er schafft aber für den wissenschaftlichen Mittelbau eine Arbeitsrealität, die von einer Serie kurzer Verträge geprägt ist und nach zwölf Jahren nur noch eine von zwei Alternativen erlaubt: Entweder man gehört zu den Glücklichen, die auf eine Professur berufen werden, oder man darf nicht mehr weiter in der Wissenschaft arbeiten – es sei denn, man umgeht das effektive Berufsverbot, indem man wiederum immerzu begrenzte Drittelmittelprojekte einwirbt. Dem nicht genug, hat das BMBF nun unter anderem vorgeschlagen, die Phase nach der Promotion von maximal sechs auf drei Jahre zu halbieren. Zwar soll die strengere Befristung von Post-Doc-Stellen im Gegenzug die Ausschreibung von mehr unbefristeten Jobs befördern, doch angesichts der Unterfinanzierung vieler Universitäten ist unklar, woher die Mittel für zusätzliche Dauerstellen kommen sollen.
Der lautstarke Protest scheint insofern bereits erfolgreich gewesen zu sein, als dass die neue Regelung für Post-Docs wohl vorerst vom Tisch ist. Nach einer eilig einberufenen Konferenz vom 30. März, bei der Wissenschafts-Vertreter:innen ihren Unmut und ihre Verbesserungsvorschläge kundtun durften, soll der wissenschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Stephan Seiter kapitulierend festgestellt haben, dass die maximal drei Jahre nach der Promotion „nicht mehr zu halten“ sind (siehe Jan-Martin Wiardas diesbezüglicher Blogeintrag). Zugleich aber ist die Debatte in Wissenschaft und Medien, die den Protest wesentlich begleitet, bis dato in einer Hinsicht gescheitert, und zwar wie darin „das Ausland“ als Vergleichsgröße für den deutschen Wissenschaftsbetrieb herangezogen wird. Die Kritik der WissZeitVG-Pläne wird mehrfach im Namen der „internationalen Wettbewerbsfähigkeit“ vorgebracht und steht damit jener transnationalen Solidarität im Weg, die angesichts verwandter politischer Kämpfe im In- und Ausland gefragt wäre. Denn vielerorts ist man ähnlichen neoliberalen Regulierungsbemühungen ausgesetzt, das heißt Formen von neoliberaler governance und Gouvernementalität, die darauf abzielen, kritische Wissenschaft zu verunmöglichen.
Das Argument des internationalen Wettbewerbs
Zuletzt war es Max-Planck-Präsident Martin Stratmann, der bei der besagten Konferenz vom 30. März warnte, dass die wissenschaftspolitische Reform nicht mit dem Resultat enden dürfe, „dass wir international nicht wettbewerbsfähig sind.“ In der FAZ sorgten sich Christian Lessmann, Tim Krieger und Jan Schnellenbach zuvor, „dass die sehr guten Promovierten ihre Karriere im Ausland fortsetzen. Die Wissenschaft ist in vielen Fächern vollständig globalisiert. Wenn die Vereinigten Staaten, Großbritannien oder Australien sehr viel bessere Karriereperspektiven bieten, dann werden die Talente dorthin abwandern.“ Auch #ProfsfürHanna hielt fest: „Viele gehen ins Ausland, der brain drain ist immens.“
Das Ausland – vorzugsweise Staaten aus dem Globalen Norden, mit anderen will man sich anscheinend nicht vergleichen (#ProfsfürHanna listet „die USA, die Niederlande, Frankreich, Dänemark oder UK“) – wird in solchen Aussagen vor allem als Vorbild und Konkurrent im Kampf um die sogenannten besten Köpfe angeführt. Weil es „das“ Ausland angeblich besser kann, das heißt, weil es dort einen breiter aufgestellten Mittelbau und für professorable Anwärter:innen vielfach Positionen mit tenure track gibt, gerade deshalb muss man es dem Ausland nachmachen, um Studierende und Forscher:innen ins Inland zurückzuholen.
Diese Argumentationslogik ist leider doppelt absurd. Erstens scheint zwar ein Bewusstsein dafür vorhanden, dass noch kürzere Post-Doc-Zeiten und mehr unbefristete Stellen nur die Konkurrenz innerhalb des deutschen Unibetriebs erhöhen, wenn die finanziellen Bedingungen ansonsten gleichbleiben. Schließlich müssen die unbefristeten Posten mangels Zusatzfinanzierung auf Kosten von anderen Posten gehen, und diejenigen, die keine Entfristung ergattern, müssen umso mehr um Drittmittel buhlen. Auf der Strecke dabei blieben wohl zuerst jene, die wegen struktureller Benachteiligung aufgrund von gender, race, oder class oder auch zum Beispiel wegen psychischen Erkrankungen dem Druck nicht standhalten. Insgesamt fürchten die zitierten Lessmann und Kollegen „erhebliche interne Verteilungskämpfe“, genauso wie #ProfsfürHanna daran erinnert, dass die vielen kurzen Befristungen schon jetzt „unverhältnismäßig hohe Arbeitsressourcen“ von Verwaltung und Professor:innen binden. Wenn es um die innerdeutsche Verteilung des Kuchens geht, zeigt man sich demnach solidarisch und lehnt den Konkurrenzgedanken ab. Dennoch appelliert man gegenüber dem Ministerium, den Wissenschaftsstandort im Vergleich zum Ausland attraktiver zu machen, befeuert also an dieser Front die Rivalitätsrhetorik. Dass die Forschung von internationaler Kooperation, nicht von einem nationalistischen Gegeneinander lebt, lässt man unerwähnt.
Zweitens verstrickt sich die Kritik an der geplanten Reform in einen neoliberalen Diskurs des Wettbewerbs – was man jedoch hinzunehmen scheint, so selbstverständlich wie das Adjektiv „wettbewerbsfähig“ im Mund geführt wird (neben Stratmann auch #ProfsfürHanna). Auch sieht man sich bemüßigt, den Wettbewerb als allgemeines, vermeintlich von den aktuellen politischen Verhältnissen abstrahierbares Prinzip zu loben, denn: „Wettbewerb ist ja an sich etwas Gutes“ (Paula-Irene Villa Braslavsky in der taz). Man unterwirft sich damit jenem Prinzip der Konkurrenzsteigerung, das Ideen wie die einer noch schnelleren Post-Doc-Laufbahn erst ermöglicht. Zugegeben, mit dem Wettbewerbsvokabular mag die Wissenschaft eine Sprache sprechen, die FDP-Politiker:innen verstehen, was die Wortwahl strategisch rechtfertigt. Man tut das aber um den Preis, im Kampf um die Diskurshoheit ein dezidiert nicht neoliberales Verständnis von Wissenschaft und Politik anmelden zu können, das in Punkto Ausland von internationaler beziehungsweise transnationaler Solidarität geprägt sein könnte. Ein Berufsstand, der viele seiner Fächer als „vollständig globalisiert“ begreift, weiß nicht zu artikulieren, dass der nationale Disput um Anstellungssicherheit Teil eines Staatsgrenzen übergreifenden Arbeitskampfs in der Wissenschaft ist. Auch Lisa Janotta und Álvaro Morcillo Laiz kritisieren zwar die bestehende deutsche „Wettbewerbsordnung mit ihrer Doppelhelix aus Drittmittelfinanzierung und Befristung“, rufen aber das Ausland nur als Inspiration für bessere Strukturen auf, anstatt dortige Verwerfungen zu erwähnen.
Realitätscheck zum Ausland
In welchem Zustand befinden sich Universitäten in Ländern wie den USA oder den UK tatsächlich? Es mag stimmen, dass man dort über Jahrzehnte gewachsene Arbeitsstrukturen mit mehr entfristeten Stellen vorfindet, doch diese Strukturen sehen sich seit Jahren politischen Kampagnen ausgesetzt. Besonders seit der COVID-19-Pandemie und der jüngsten Teuerungswelle, die sich in den USA und den UK auch für prekär angestellte Wissenschaftler:innen zu einer cost of living crisis ausgewachsen hat, sieht man in beiden Ländern eine harte Auseinandersetzung zwischen Universitätsmanagement und Gewerkschaft.
In Großbritannien hat die University and College Union im vergangenen November die größten Streiks ihrer Geschichte organisiert, mit mehr als 70.000 Streikenden von 150 Universitäten, und das nachdem man schon davor jahrelang gestreikt hatte. Es geht um Lohnerhöhungen, höhere Pensionszahlungen, geringere Arbeitsbelastung – und um den Kampf gegen casualisation, also gegen strukturell verankerte befristete Verträge. Das Mitte März von Arbeitgebern vorgelegte Angebot entspricht keiner vollen Abgeltung der Inflation, geschweige denn einer vollen Revision jener Politik der Verarmung, die auf über ein Jahrzehnt neoliberaler Austeritätspolitik der Tories zurückgeht und durch welche die Arbeiter:innen aus der Wissenschaft mehr als 20 Prozent ihrer Kaufkraft verloren. Abgesehen davon haben manche Unis in den UK ohnehin schon einen massiven Stellenabbau hinter sich. An der University of Roehampton in London nutzte der Vize-Kanzler die Corona-Pandemie als Vorwand, um im Zuge eines restructuring mehr als zweihundert Wissenschaftler:innen aus den arts and humanities zu kündigen, ganz so, als hätte er Naomi Kleins Kritik der Schock-Doktrin zur Handlungsanweisung verkehrt.
In den USA hat unterdessen die Gewerkschaft an der University of California bewiesen, wie man das eigene Universitätsmanagement tatsächlich in die Knie zwingen kann. Neben großen Mobilisierungsanstrengungen setzte man auf eine entscheidende, minutiös geplante direkte Aktion: Mitte Dezember 2022 infiltrierten die Streikenden unter Umgehung des Sicherheitsapparats das Treffen des honorigen Board of Regents und legten es stundenlang komplett lahm. Der Unipräsidenten geriet derart in die Bredouille, dass er ad hoc bis dahin unvorstellbare Zugeständnisse machte, nicht zuletzt in Sachen Entlohnung der graduierten Studierenden, deren Lehrtätigkeit besonders schlecht entlohnt wird.
Gegen die neoliberale Politik der Verunmöglichung
In welchen Wettbewerb mit dem Ausland will man also treten? Welche ausländischen Praktiken will man dem BMBF zur Nachahmung empfehlen? Was der freilich hochselektive Verweis auf die USA und das UK vorschlagen soll ist, dass man der Rhetorik des internationalen Wettbewerbs eher die Vorstellung einer transnationalen Kooperation unter Wissenschafts-Arbeiter:innen vorziehen sollte. Mit einem Grenzen überschreitenden Zusammenhalt sollte man gegen jene neoliberalen Bestrebungen auftreten, welche die Konkurrenz zwischen Institutionen und Wissenschaftler:innen im In- und Ausland erst schüren.
Sicherlich, jede lokale Begebenheit hat ihre Besonderheiten, jede sogenannte Reform versucht an anderen Stellschrauben zu drehen, und jeder Kampf verlangt nach eigenen Formen der kollektiven Aktion. Dennoch ist unübersehbar, dass im Namen von Restrukturierungen und besserer Planbarkeit vielerorts eine ähnliche Form neoliberaler Gouvernementalität installiert wird. Es geht darum zu erkennen, dass alleine die Notwendigkeit zum Widerstand gegen immer neue Angriffe aus Politik und Management dazu führt, dass man die eigene wissenschaftliche Arbeit nicht mehr entsprechend ausüben kann und stattdessen in aufreibende Verteidigungskämpfe gedrängt wird. Egal ob in London oder Berlin, besonders betroffen sind wiederum jene, bei denen sich diese Taktik der Zermürbung mit vielfältigen Formen der Diskriminierung paart oder zu ohnehin schon beschwerlicher Sorgearbeit hinzutritt. Genauso ist es offensichtlich, dass die von #ProfsfürHanna ins Feld geführten „unverhältnismäßig hohe[n] Arbeitsressourcen“, die zur Verwaltung des wissenschaftspolitischen Missmanagements auf der operativen Ebene nötig sind, von ebendiesem Missmanagement strategisch provoziert sind. Mit anarchistischer und politischer Theorie (vgl. Dario Gentili oder Das Unsichtbare Komitee) kann man von der Regierungsform der Krise sprechen, wobei der kafkaeske Wissenschaftsapparat dafür besonders geeignet ist. Das Spiel mit Befristungen wie jetzt in Deutschland bietet sich genauso als Subjektivierungsinstrument an wie die Lähmung durch eine überforderte Verwaltung oder jahrelange Gewerkschaftskämpfe wie im UK. Und so ist auch das aktuelle Vorgehen der FDP-Leitung im BMBF, von der Ankündigung der Novellierung des WissZeitVG über die überhastete Reparaturverlautbarung bis zur kurzfristig angesetzten Konferenz, als Inszenierung von politischem Unvermögen zu begreifen, mit der wir regiert werden.
Der Effekt ist die Verunmöglichung der kritischen wissenschaftlichen Tätigkeit in Forschung und Lehre durch die Wissenschaftspolitik selbst. Wenn Marabel Riesmeier, die in Deutschland studiert hat und derzeit in Cambridge promoviert, in der FAZ zu den geplanten drei Jahren Post-Doc-Zeit festhält: „In so kurzer Zeit kann ich kein ausgereiftes, breites Forschungsprofil aufbauen, niemand kann das“; und wenn sich, wie eingangs zitiert, arrivierte Professor:innen von #ProfsfürHanna „fassungslos angesichts der Realitätsferne“ im Ministerium zeigen, dann wird damit messerscharf die Dimension von Unmöglichkeit und Irrealität angesprochen, die diese Politik systematisch verfolgt. Ob Massenentlassungen oder das reformtechnische Behindern derjenigen, die noch eine Stelle haben – das Resultat ist, dass Wissenschaft in einem emphatischen und vielfach politischen Sinn kaum noch stattfinden kann.
Diese Art des Regierens lässt sich zuletzt mit einem Begriff benennen, den Stefano Harney und Fred Moten in ihren „last words“ zur Universität hervorgehoben haben. Sie haben eingemahnt, dass die Regulierung in den institutionellen Einschließungsmilieus, zu denen die Universität gehört, ultimativ zur Eliminierung tendiert. In diesem Sinn: Zeit für transnationale Solidarität angesichts der Unzeit der Eliminierung.
Es scheint doch so, dass der Wissenschaftsbetrieb immer mehr unter die Regularien des internationalen ökonomischen Wettbewerbs gerät. Das ist eine politische, gesellschaftliche Fragestellung. Und kann nur dort korrigiert werden..