Im Netz zirkulierende Memes artikulieren einfache Vergleiche in politischer Absicht, etwa als Analogie zwischen den USA heute und „Weimar“ damals, oder zwischen deutscher und amerikanischer Vergangenheitsbewältigung. Doch so eingängig solche Analogien sind, so viel Kontexte blenden sie auch aus.

  • Johanna Schuster-Craig

    Johanna Schuster-Craig ist Assistenzprofessorin für Deutsch und Global Studies an der Michigan State University. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Geschichte der "Integration" in Deutschland im Spannungsfeld von Medienrhetorik und Sozialer Arbeit.
  • Johannes von Moltke

    Johannes von Moltke lehrt als Professor für Film, Fernsehen und Medien sowie für German Studies an der University of Michigan, wo er zu Filmgeschichte, kritischer Theorie und neuen Medien forscht. Von 2019-2021 war er Präsident der German Studies Association.

Analo­gien sind in. Memes, Podcasts, Pres­se­kom­men­tare und wissen­schaft­liche Debatten verglei­chen Trump mit Hitler oder Musso­lini. Trump wiederum handelt mit falschen mora­li­schen Äqui­va­lenzen und sieht bei der Demons­tra­tion „Unite the Right“ in Char­lot­tes­ville „sehr gute Leute auf beiden Seiten“. Poli­tiker beziehen sich auf die Konzen­tra­ti­ons­lager der Nazis, um die Haft­an­stalten der Immigrations- und Zoll­be­hörde ICE an der Südgrenze der USA zu beschreiben. Dem wider­spricht das United States Holo­caust Memo­rial Museum ener­gisch mit der Begrün­dung, der Holo­caust sei einzig­artig und unver­gleichbar, während die ICE selbst in ihren Versu­chen, die Analogie zum Faschismus zurück­zu­weisen („Wir sind keine Nazis. Wir befolgen nur Befehle“), unwil­lent­lich genau diesen Punkt beweist.

Protest gegen Trump vor der Ameri­ka­ni­schen Botschaft in London, 2017; Quelle: independent.co.uk

Das alles ist nicht neu, vor allem nicht im Internet, wo das Godwin-Gesetz die reductio ad hitlerum längst als ein zentrales rheto­ri­sches Muster der Online-Debatten defi­niert hat. Analo­gien bilden oft die Grund­lage poli­ti­scher Argu­mente und laden sie affektiv auf. Sie bauen konzep­tu­elle Brücken zwischen ansonsten unver­bun­denen Struk­turen und Ereig­nissen. Zwar können Analo­gien auch kriti­sches Denken beför­dern und uns vorzu­stellen helfen, was sich in der Zukunft ändern könnte. Sie können Geis­tes­blitze zünden und sie können bedeu­tende diskur­sive Ener­gien für alle mögli­chen poli­ti­schen Zwecke, seien sie heilsam oder destruktiv, bündeln und umlenken. Gleich­zeitig haben zumal histo­ri­sche Vergleiche ihre Grenzen, neigt doch das Denken in Analo­gien dazu, zu dekon­tex­tua­li­sieren. Indem sie komplexe histo­ri­sche Prozesse auf hand­liche Symme­trien redu­zieren, negiert die Analogie das jeweils Spezi­fi­sche und verwischt Unter­schiede. Schnelle Nach­rich­ten­zy­klen und die Sozialen Medien begüns­tigen die Repli­ka­tion ebenso schneller Analo­gien. Diese scheinen zwar unseren gegen­wär­tigen Moment zu defi­nieren, aber sie erklären nur sehr wenig über die Ereig­nisse eines bestimmten Tages, einer Woche oder eines Monats, wenn wir nicht gleich­zeitig deren Mehr­deu­tig­keiten und Wider­sprüche wiederherstellen.

Deutschland-Vergleiche

Was uns – zwei weißen Germa­nisten, die während der Trump-Präsidentschaft und nach fast einem Jahr­zehnt Black Lives Matter-Aktivismus in den Verei­nigten Staaten tätig sind – , heute auffällt, ist der zuneh­mende „Analogien-Verkehr“ über den Atlantik hinweg, und zwar in beide Rich­tungen. Dabei geht es nicht mehr nur um die Frage, ob Hitler für Trump ein Vorbild sei oder ob die Situa­tion in Amerika im Jahr 2020 analog zu der in Weimar-Deutschland in den 1920er Jahren wäre. Kommen­ta­toren oder Persön­lich­keiten des öffent­li­chen Lebens verstärken die bereits allge­gen­wär­tigen Nazi-Analogien zusätz­lich noch durch verglei­chende Hinweise auf die in den USA und in Deutsch­land verschie­denen Formen der Vergan­gen­heits­be­wäl­ti­gung, aber auch der Kolo­ni­sie­rung, Verskla­vung, Wieder­gut­ma­chung und Versöh­nung, und schließ­lich auch der Poli­zei­ar­beit in Deutsch­land nach dem Holo­caust einer­seits und nach Aufhe­bung der rassis­ti­schen „Jim Crow“-Gesetze in den Südstaaten der USA andererseits.

In den letzten Monaten gab es zuneh­mend Memes in sozialen Medien, in denen deut­sche und US-amerikanische Erin­ne­rungs­kul­turen mitein­ander vergli­chen wurden und in denen erklärt wurde, dass die Aufar­bei­tung des Holo­causts durch die Deut­schen der Art und Weise, wie Amerika mit seinem Erbe der Skla­verei umgeht, weit über­legen sei. Diese Memes, die Deutsch­land als Modell für das Denken über ameri­ka­ni­sche Konflikte anbieten, sind grund­sätz­lich darauf ange­wiesen, die beiden Länder, ihre Geschichte, ihre Erin­ne­rungs­kul­turen und ihre Iden­ti­täts­po­litik als analog darzu­stellen. Als ausge­bil­dete Wissen­schaft­lerin wird Merkel zum Vorbild für alles, was Trump nicht ist; Drosten ist der effek­ti­vere Fauci; deut­sche Gedenk­stätten geben vor, wie an Völker­mord und Skla­verei glei­cher­maßen zu erin­nern sei. Die Suche nach Gemein­sam­keiten hat (wenn auch selektiv) die Erin­ne­rungs­kul­turen der beiden Länder erfasst und die Debatten über Politik und Iden­tität auf beiden Seiten des Atlan­tiks geprägt.

Aber um welchen Preis setzen wir poli­ti­sche Analo­gien ein, und was bedeuten solche Analo­gien für das Verhältnis zwischen Deutsch­land und den Verei­nigten Staaten? Wir haben gelernt, Gräuel nicht im Rahmen eines „kompa­ra­tiven Bösen“ gegen­ein­ander aufzu­rechnen. Dürfen wir aber vom Para­digma der „kompa­ra­tiven Erret­tung,“ das die Philo­so­phin Susan Neiman vorschlägt, unver­fäng­li­chere Einsichten erwarten? Wenn Deutsch­land in der Erin­ne­rungs­po­litik eine Vorrei­ter­rolle spielt, können wir dann seine kolo­niale Vergan­gen­heit vergessen? Wenn die deut­sche Vergan­gen­heits­be­wäl­ti­gung jetzt eine Vorlage für die anti­ras­sis­ti­sche Arbeit in den Verei­nigten Staaten liefern soll, wo bleibt dann die Geschichte der ameri­ka­ni­schen Bürger­rechts­be­we­gung? Welchen Stel­len­wert hat im gegen­wär­tigen Diskurs über Analo­gien zwischen Trumps Amerika und Nazi­deutsch­land der expli­zite Bezug auf Paral­lelen zu Faschismus und Genozid durch namhafte anti-rassistische Akti­visten wie Paul Robeson in den 40er Jahren? Was wird, mit anderen Worten, in der Analogie und im Vergleich gewonnen – und was geht verloren?

Neiman hatte diese ganze Diskus­sion mit ihrem provo­kant beti­telten Buch Lear­ning from the Germans (Von den Deut­schen lernen) ange­stossen, um zu zeigen, wie die USA mit ihrer rassis­ti­schen Vergan­gen­heit umgehen könnten. Indem sie ihr Projekt Von den Deut­schen lernen nannte, drehte sie den Begriff der reedu­ca­tion, der „Umer­zie­hung“ der Nach­kriegs­deut­schen durch die Alli­ierten, bewusst um. In jüngster Zeit hat Isabel Wilkerson in ihrem viel disku­tierten Buch Caste: The Lies That Divide Us den Vergleich sogar noch auf das Beispiel Indien ausge­weitet: Das ameri­ka­ni­sche Konzept von „race“, so argu­men­tiert sie, trennt die Afro­ame­ri­kaner ebenso von der Mehr­heits­ge­sell­schaft wie die Dalit im indi­schen Kasten­system oder eben auch wie die Juden in Nazideutschland.

Diese beiden provo­ka­tiven Inter­ven­tionen von Neiman und Wilkerson haben produk­tive Debatten entfacht. Aber sie haben auch Kritik für ihr analoges Denken auf sich gezogen, das unwei­ger­lich histo­ri­sche Diskre­panzen beschö­nigt und trans­his­to­ri­sche Vergleiche allzu leicht auf ahis­to­ri­sche Glei­chungen redu­ziert. Was jedoch weder Neiman noch Wilkinson hätten vorher­sehen können, ist, wie ihre Vergleichs­rahmen aufge­griffen werden, während die größte Protest­be­we­gung in der Geschichte der Verei­nigten Staaten gleich­zeitig inter­na­tio­nale Aufmerk­sam­keit erregt. Während Graf­fiti die Statue von Robert E. Lee in Rich­mond, Virginia, bede­cken und der umlie­gende Park zum Schau­platz anti­ras­sis­ti­scher Proteste wird, sind die trans­at­lan­ti­schen Paral­lelen, die Wilkerson und Neiman zwischen Rassismus und Erin­ne­rungs­po­litik in Deutsch­land und den USA ziehen, zu einem akzep­tierten Inter­pre­ta­ti­ons­rahmen der Unruhen geworden – und zwar nirgendwo mehr als in den Sozialen Medien.

Beschleu­ni­gung der Analo­gien in digi­talen Medien

Ein Groß­teil des „Analogien-Verkehrs“ findet auf Face­book und Twitter statt, in Videos, Memes oder persön­li­chen Beiträgen, die algo­rith­misch durch Retweets und Likes verstärkt werden. Verfasser legen es darauf an, dass ihre Beiträge affek­tives Gewicht haben und eine emotio­nale Reak­tion hervor­rufen. Im Zuge des globalen Rechts­rucks hat die Geschwin­dig­keit der Kommu­ni­ka­ti­ons­tech­no­logie einen Stil analogen Denkens verstärkt, der auf einer meme-basierten Syntax beruht: Eine Nazi-Flagge erscheint neben einer Flagge der Südstaaten-Konföderation unter der Über­schrift „Flaggen für Verlierer“. In ähnlich einfa­cher Weise impli­ziert ein Foto von der Befreiung der Lager im Jahr 1945 eine Analogie zu den Statuen der Konfö­de­rierten, indem es die Betrachter:innen bzw. Leser:innen ermahnt, „sich an die Geschichte zu erin­nern[:] Das jüdi­sche Volk wollte, dass die Welt sich an den Holo­caust erin­nert. Dafür bauten sie keine Statuen Hitlers und seiner Gefolgs­leute“. Ein viraler Tweet schließ­lich zeichnet dieses Bild: „Stell dir vor, du bist Jude und gehst durch Deutsch­land & siehst eine Hitler-Statue. Du bist verär­gert und willst, dass sie nieder­ge­rissen wird. Und schon sagt jemand: ‚Wie kannst du es wagen? Mein Vorfahre war ein Nazi. Das ist mein Erbe‘ Verrückt, oder? Nun, das ist eine Realität für Schwarze in Amerika, Tag für Tag.“

Quelle: facebook.com

Die meme­ti­schen Analo­gien, denen zufolge Statuen, die konfö­de­rierte Soldaten verherr­li­chen, „schlechte“ Gedenk­stätten darstellen, die feier­liche Bewah­rung von Konzen­tra­ti­ons­la­gern wie Ausch­witz hingegen eine „gute“ Art des Geden­kens, sind nur eine Form der Anrei­che­rung histo­ri­scher Vergleiche mit starken Emotionen. Eines der Memes, die diesen Sommer im Umlauf sind, stellte der englisch­spra­chigen Gedenk­tafel in Auschwitz-Birkenau, die an den Ort als „Schrei der Verzweif­lung und Warnung an die Mensch­heit“ erin­nert, die Inschrift gegen­über, die auf dem Fame Confe­de­rate Monu­ment in Salis­bury, NC (1909 einge­weiht, 1991 restau­riert, im Juli 2020 entfernt) sich an die Soldaten der Konfö­de­ra­tion richtet: „Der Ruhm hat euch / eine unver­gäng­liche Krone gegeben / Die Geschichte wird berichten / euren kühnen Mut / edle Leiden und / unver­gleich­liche Errun­gen­schaften / zur Ehre und / zum Ruhm unseres Landes.“ Die offen­kun­dige visu­elle Paral­lele unter­streicht den Unter­schied zwischen Gedenk­stätten, die sich kritisch mit der Vergan­gen­heit ausein­an­der­setzen, und solchen, die unkri­tisch vergan­gene Gewalt feiern.

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Um das Funk­tio­nieren solcher digi­taler Bilder zu verstehen, muss man daran erin­nern, dass white supre­macy dazu geführt hat, dass Weiße chro­nisch verleugnen, worum es im ameri­ka­ni­schen Bürger­krieg eigent­lich ging. Als ich (Schuster-Craig) in den 1990er Jahren in Fayet­te­ville, Georgia, ins Gymna­sium ging, lernte ich, der wesent­liche Konflikt des Bürger­kriegs sei jener um Souve­rä­ni­täts­rechte der Staaten gewesen. Ich erin­nere mich hingegen nicht, dass dem Leiden der versklavten Menschen je Aufmerk­sam­keit geschenkt worden wäre. Aber es gibt unzäh­lige Lehr­pläne und Kinder­bü­cher über den Holo­caust in ameri­ka­ni­schen Schulen, die die Entmensch­li­chung jüdi­scher Menschen einfühlsam darstellen. Haben Weiße Schwie­rig­keiten, sich in den Schmerz der Schwarzen und Braunen einzu­fühlen, so fällt ihnen der Rekurs auf Holocaust-Analogien wesent­lich leichter – beziehen sich diese doch auf das Leid von Menschen, die im US-Kontext in der Regel als weiß gelten. (Doch sogar noch dieser häufige Rück­griff auf den Holo­caust kann erodieren. Douglas Macgregor, Trumps desi­gnierter Botschafter in Deutsch­land, hat die deut­sche Vergan­gen­heits­be­wäl­ti­gung als „kranke Menta­lität“ ange­pran­gert, ganz im Sinne des Angriffs der Trump-Administration auf Geschichte und Zeitlichkeit.)

Analo­gien sind formbar. Memes verglei­chen Ausch­witz nicht nur mit Denk­mä­lern der Konfö­de­rierten, sondern auch mit deren Sturz. Das folgende Meme ist eine Vari­ante einer Gegen­über­stel­lung, die Mitte Juni und Anfang Juli 2020 auf Face­book üblich war. Auf der linken Seite ist ein virales Bild der Eisen­bahn­gleise zu sehen, die nach Ausch­witz führen – es ist ein Bild, das in Hunderten von Facebook-Postings zu finden ist und die Über­schrift trägt: „Über 1,1 Millionen Menschen wurden in Ausch­witz ermordet und es steht nach 72 Jahren immer noch“. Auf der rechten Seite sieht man eine zerstörte, nieder­ge­ris­sene Statue der Konfö­de­rierten. Auf beiden Fotos sind im Vorder­grund keine Menschen zu sehen.

Quelle: facebook.com

Von Schwarzen ange­führte Protest­be­we­gungen haben in den USA jahr­zehn­te­lang aktiv Gedenk­stätten aus Wider­stand gegen Unge­rech­tig­keit iden­ti­fi­ziert und nieder­ge­rissen. In diesem Meme jedoch wird ausge­rechnet Ausch­witz als Warnung vor einem solchen Akti­vismus ange­führt. Memes, die Analo­gien zwischen konfö­de­rierten Statuen und Holocaust-Gedenkstätten ziehen – insbe­son­dere solche wie dieses, das impli­ziert, dass konfö­de­rierte Statuen nicht abge­rissen werden sollten – machen das Leiden der Schwarzen ebenso unsichtbar wie Jahr­zehnte einer von Schwarzen ange­führten Erin­ne­rungs­kultur. Die Zerstö­rung kann eine aktive Form der Erin­ne­rung sein, die die Ausein­an­der­set­zung mit und die Kenntnis der Geschichte erfor­dert: Wer hat was, wo und wann getan? Können wir diese Person und ihre Taten als erin­ne­rungs­würdig erachten? Wollen wir sie immer noch in Erin­ne­rung behalten? Insbe­son­dere im US-amerikanischen Kontext rückt die visu­elle Stra­tegie des obigen Meme offen­kundig ein weißes Subjekt – deutsch, jüdisch oder white American – als denje­nigen in den Mittel­punkt, der entscheidet, was und wie man sich erin­nert. Ein derar­tiges Konstrukt igno­riert zudem die von schwarzen Europäer:innen geprägten, aus diaspo­ri­schen und trans­na­tio­nalen Netz­werken hervor­ge­brachten counter-memory discourses, in denen sich Fatima El-Tayeb zufolge mannig­fal­tige Erin­ne­rungen kreuzen und überlagern.

Gedächt­nis­kon­kur­renz über den Atlantik

Wie in anderen Ländern der Welt haben die Deut­schen die ameri­ka­ni­schen Stra­ßen­pro­teste unter­stützt, die ein Ende der von der Polizei began­genen Morde und ein nach­hal­tiges und breites Enga­ge­ment für Gerech­tig­keit zwischen den „Rassen“ (racial justice) forderten. Als Ausdruck trans­at­lan­ti­scher Soli­da­rität hatten die deut­schen Proteste im eigenen Land aller­dings ambi­va­lente Auswir­kungen. Obwohl es den Protesten in mancher Hinsicht gelang, die Unter­stüt­zung für BLM mit einer erhöhten Sicht­bar­keit für Schwarze Deut­sche und Orga­ni­sa­tionen wie der Initia­tive Schwarze Menschen in Deutsch­land (ISD) zu verbinden und Aufrufe zum Umdenken über „Rasse“ und das kolo­niale Erbe im heutigen Deutsch­land zu unter­stützen, befürchten wir, dass sie doch einen gegen­tei­ligen Effekt haben könnten: Denn statt neuer, multi­di­rek­tio­naler Enga­ge­ments scheinen die Proteste die Gele­gen­heit geboten zu haben, das falsche Über­le­gen­heits­ge­fühl vieler Euro­päer in Bezug auf Rassismus gegen­über den USA zu erneuern. Verfolgt von den „Gespens­tern des Vergleichs“ kehren die weißen Deut­schen zu leicht zu einem konkur­rie­renden Denken zurück, in dem eine Erin­ne­rung die andere auslöscht – ein Para­digma, das insbe­son­dere der Holocaust-Historiker Michael Roth­berg in umsich­tigen Beiträgen kriti­siert und neu gedacht hat.

Der deut­sche Rechts­rahmen, der das öffent­liche Zeigen von Nazi-Insignien verbietet, soll nun Vorbild für den Umgang mit der Konföderierten-Flagge sein. Denk­mäler, Stra­ßen­namen oder Stol­per­steine in Deutsch­land dienen als Refe­renz für den Abriss von Statuen und die Errich­tung von Gedenk­stätten im ameri­ka­ni­schen Süden; die Schu­lung gegen Vorur­teile bei der Ausbil­dung ameri­ka­ni­scher Poli­zisten soll sich am Geschichts­un­ter­richt orien­tieren, den deut­sche Poli­zei­an­wärter erhalten. Aber diese und andere Paral­lelen verde­cken die spezi­fi­schen Geschichten auf beiden Seiten des Atlan­tiks. Die Konzen­tra­tion auf deut­sche Vorbilder lässt allzu leicht die Geschichte der Bürger­rechts­be­we­gung, die Errun­gen­schaften der kriti­schen race-Forschung und die lange Geschichte anti­ras­sis­ti­scher Arbeit in den Verei­nigten Staaten vergessen, die alle­samt den Boden dafür bereitet haben, dass BLM eine breite Schicht der US-Bevölkerung gegen die ende­mi­sche white supre­macy-Ideo­logie mobi­li­sieren konnte. Es ist noch zu früh, um schon abschätzen zu können, wie BLM die deut­sche Kultur und die öffent­liche Wahr­neh­mung der jahre­langen Bemü­hungen Schwarzer Deut­scher um die Deko­lo­ni­sie­rung der deut­schen Räume beein­flussen wird. Aber auch zum Beispiel die jüngste Ableh­nung der deut­schen Repa­ra­tionen für den Völker­mord an den Nama und Herero durch Namibia zeigt die Grenzen einer deut­schen Erin­ne­rungs­po­litik auf.

Analo­gien über­treiben; sie kodieren Ängste. Aber diese Ängste haben auch eine Geschichte, denn die Morde durch die Polizei gehen weiter, und die Düssel­dorfer Polizei wurde auf Video erwischt, wie sie scheinbar die Taktik der Mörder von George Floyd nach­ahmte, mögli­cher­weise sogar zum Spaß. Poli­ti­sierte Analo­gien – oft in visu­eller Form durch Memes darge­stellt – sind von Natur aus wider­sprüch­lich und absicht­lich redu­zie­rend. Als konzep­tu­elles Werk­zeug ist die Analogie statisch. Sie läuft Gefahr, einen gera­dezu einge­fro­renen Inter­pre­ta­ti­ons­rahmen gegen­über der inhä­renten Mobi­lität und Multi­di­rek­tio­na­lität verfloch­tener Geschichten und Erin­ne­rungen zu privi­le­gieren. Um diese Beweg­lich­keit wieder­her­zu­stellen, bedarf es einer Diffe­ren­zie­rung und einer uner­müd­li­chen Aufmerk­sam­keit für die Prozesse, die die Analogie verdichtet, aber auch verdeckt. Die Analogie funk­tio­niert, um unsere Aufmerk­sam­keit zu erregen und zu bündeln – aber nur, wenn wir unseren Inter­pre­ta­ti­ons­rahmen wieder für Kontexte öffnen.

Über­set­zung: phs.