Am 15. April kündigte Donald Trump die Aussetzung der Beitragszahlungen der Vereinigten Staaten zum WHO-Haushalt an. Dies gelte so lange, bis die Regierung der Vereinigten Staaten eine Untersuchung über die Haltung der Organisation gegenüber China durchgeführt habe. In einer Tweet-Version war die Botschaft unverblümt: Hätte die WHO das Schweigen und Leugnen Chinas nicht vertuscht, stünde die Trump-Regierung nicht vor einer gleichermaßen gesundheitlichen wie wirtschaftlichen Katastrophe und einer großen Krise politischer Führung. Die meisten europäischen Kommentatoren haben diese Episode als das eingeordnet, was sie ist: die Suche nach einem Sündenbock sowie die Fortsetzung einer langfristigen Offensive gegen internationale Organisationen und gegen den Multilateralismus im Allgemeinen.
Europäische Medien und diplomatische Kreise bekräftigen zwar ihre Distanz zu Trumps Auftreten und Botschaft, erinnern aber dennoch gerne an die Instrumentalisierung der WHO durch China. In der Tat: Von den Vorbehalten bezüglich einer gesicherten zwischenmenschlichen Übertragung des Virus bis zur verspäteten Entsendung einer Mission nach China und schließlich der Veröffentlichung des ersten Fortschrittsberichts erst am 21. Januar wirft die Abfolge der Ereignisse von Ende Dezember 2019 bis Ende Januar 2020 berechtigte Fragen auf. Für erfahrene Beobachter der WHO ist dies jedoch weit entfernt von den Bankrotterklärungen, die auf die Ebola-Epidemie folgten und die auch die interne Kritik an der WHO befeuerten.
Traditionen des Missvergnügens
Es geht in der aktuellen Debatte um mehr als um eine einfache Bewertung der von der WHO in den letzten vier Monaten empfohlenen oder nicht empfohlenen Maßnahmen. Um zu verstehen, was auf dem Spiel steht, lohnt sich ein Abstecher in die Geschichte. Nicht in dem Sinne, dass man aus dem Vergleich mit vergangenen Epidemien und anderen Gesundheitskrisen ohne weiteres Lehren ziehen könnte. Allerdings entwickelte sich das Handeln der WHO, genau wie das Trumps, entlang von Pfaden, die in der Geschichte der internationalen öffentlichen Gesundheit seit dem Zweiten Weltkrieg angelegt sind.
Trump spielt auf der Klaviatur einer langen Tradition amerikanischer Feindseligkeit gegenüber UN-Institutionen seit ihrer Gründung. Selbst als die Vereinigten Staaten glaubten, dass ihre Dominanz des UN-Systems für die erfolgreiche Bewältigung des Kalten Krieges unerlässlich sei, haben sie die WHO – mehr als jede andere UN-Organisation – stets als eine bürokratische und geradezu nutzlose Institution betrachtet. Unter Berufung auf zufriedenstellende Erfahrungen mit der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation plädierten die Vereinigten Staaten 1946 nicht etwa für die Schaffung einer UN-Agentur, sondern für regionale Koordination und die Ausweitung bilateraler Hilfsprogramme. Sie unterstützten die entstehende WHO nur zögerlich, und die internationale Gesundheitspolitik Washingtons von den 1950er bis in die 1970er Jahre begünstigte stattdessen den Aufbau von Ad-hoc-Allianzen mit UNICEF, WHO, der Weltbank und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen.

World Health Organisation Malaria conference in Lagos, 1955; Quelle: wikimedia.org
Die Dekolonisierung, der Beitritt der neuen Nationalstaaten nach erfolgreichen Unabhängigkeitskämpfen und schließlich die daraus resultierenden Veränderungen der WHO durch eine stark erweiterte Mitgliedsbasis verstärkten diese Vorbehalte nur noch. Die Demokratie der Mitgliedsstaaten, die die Norm eines politischen Gremiums wie der World Health Assembly, des höchsten Entscheidungsgremiums der WHO, ist, erfordert es, dass strategischen Fragen und Haushaltsinvestitionen der Organisation nach dem Prinzip „ein Land, eine Stimme“ entschieden werden. Im Gegensatz dazu werden Beiträge zur Finanzierung der Organisation im Verhältnis zum BIP geleistet. Die Vereinigten Staaten, die bei weitem der größte Beitragszahler sind, waren schon immer der Ansicht, dass ihr Einfluss nicht im Verhältnis zu ihrem Beitrag steht.
Schlimmer noch, in den 1970er Jahren wurde die WHO unter der Führung des Dänen Halfdan Mahler zur Stimme der blockfreien Länder, von denen viele der sogenannten Dritten Welt angehörten. Die Organisation setzte sich 1978 eine Politik unter dem Namen „Health for All by the Year 2000“ zum Ziel. Ihre Strategie konzentrierte sich auf die Förderung der primären Gesundheitsversorgung. Gleichzeitig strebte die WHO eine bedeutende Rolle bei der Forderung nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung und bei einer Revision der Bedingungen und Ziele von Entwicklungshilfe an. Da sich viele der im globalen Norden konzipierten Großprogramme als unzureichend und unwirksam erwiesen – wegen ihrer operativen Grenzen (wie die Resistenz von Mücken gegen DDT im Falle der Malariaprogramme) oder wegen ihrer sozialen Unzulänglichkeit (wie die Sterilisationspolitik als Mittel der Geburtenkontrolle) –, setzte die WHO auf eine eher soziale als technologische Medizin.
Dieser Ansatz sollte als eine horizontale Strategie betrachtet werden, denn er beinhaltete: (a) die Inanspruchnahme eines Rechts auf Gesundheit im Allgemeinen; (b) die Verknüpfung von Gesundheitsintervention und Entwicklung; (c) die Rolle des Transfers fortschrittlicher Technologie aus dem Norden im Hinblick auf lokale Ressourcen zu reduzieren und stattdessen erschwingliche, einfache Lösungen zu bevorzugen; und schließlich (d) der ländlichen Bevölkerung durch gemeinschaftliche Gesundheitszentren und die Einbeziehung lokaler Gemeinschaften Vorrang einzuräumen. In einem gewissen Widerspruch zum offiziellen WHO-Slogan „Health for All by the Year 2000“ wurde die Agenda also durch eine strikte Bevorzugung der sogenannten Grundbedürfnisse vorangetrieben. Konkret bedeutete das, dem Kampf gegen Infektionskrankheiten sowie der Gesundheit von Müttern und Kindern Vorrang einzuräumen.
Eine Krise und eine Strategie
Der Amtsantritt Ronald Reagans als US-Präsident im Jahr 1981 markierte den Beginn einer umfassenden Offensive gegen diese Strategie, was Mitte der 1980er Jahre in der Aussetzung des US-Haushaltsbeitrags gipfelte. Dies geschah als Vergeltung dafür, dass die WHO Generika unterstützte, die in den und für die Länder des Südens hergestellt wurden, Listen mit unentbehrlichen Medikamenten (essential medicines) verabschiedete und lokale Hersteller förderte. Für die Vereinigten Staaten (im Verbund mit großen Pharmakonzernen) war schon der Begriff der essential medicines selbst ein Problem, implizierte er doch, dass der Nutzen der neuesten und teuersten patentgeschützten Medikamente aus der Sicht der öffentlichen Gesundheit zu relativieren sei.
Die Krise hinterließ tiefe Spuren: Die Vereinigten Staaten, unterstützt von einigen europäischen Staaten, erreichten im Gegenzug für die Wiederaufnahme der Finanzierung eine Überarbeitung des Aufbaus der WHO und ihrer Politik. Diese begünstigte nun zweckgebundene, außerbudgetäre Finanzierungsmechanismen, die außerhalb der Kontrolle der World Health Assembly lagen. Die daraus resultierende Infrastruktur „vertikaler“ Programme, die auf ein einziges Ziel ausgerichtet sind (wie Immunisierung oder Müttergesundheit), die auf einer begrenzten Auswahl technologischer Interventionen basieren und die durch Sponsor-Partnerschaften, die sie finanzieren, gesteuert werden, macht heute den Großteil der Ressourcen der WHO aus.
Globale Gesundheit
Es wäre zu einfach, die Spannungen mit den Vereinigten Staaten als die Quelle aller Übel und Misserfolge der WHO zu sehen. Dass die Strategie der primären Gesundheitsversorgung in den achtziger und neunziger Jahren immer schwieriger aufrechtzuerhalten war, lag nicht an der US-Offensive allein, sondern auch an ihrem Zusammentreffen mit der HIV/Aids-Epidemie und dem wirtschaftlichen Zusammenbruch von Ländern mit niedrigem und mittlerem Nationaleinkommen, die sich nun in einer Spirale von Schuldenkrisen und Strukturanpassungsprogrammen gefangen sahen. Die Lektion über die Schwächen der WHO aber wurde Allgemeingut: Die neuen Akteure im Bereich der so genannten globalen Gesundheit – von der „Global Alliance for the Vaccination of Infants“ über die World Bank, den „Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria“ bis schließlich zur Bill & Melinda Gates Foundation – haben sich die Kritik am schlechten Funktionieren der WHO und nationaler Gesundheitsbürokratien weitgehend zu eigen gemacht. Indem sie vertikale Programme zu ihrem bevorzugten Instrument machten, wurde die globale Gesundheit nun durch ökonomische Steuerungsmittel wie Rechnungsprüfung und Leistungsbewertung, idealerweise beruhend auf Kosteneffizienzanalysen des Gesundheitswesens, geprägt.
Die WHO passte sich diesem neuen Konzept globaler Gesundheit unter dem Generaldirektorat von Go Harlem Brundtland ab 1998 an, versuchte aber, einen Teil ihrer früheren Agenda zu sichern. Ihr Mandat und ihre Struktur wurden nie das einer operativen Agentur, sondern blieben das eines repräsentativen politischen Gremiums, dessen Akteure die Mitgliedsstaaten sind. Ohnehin war ihre Rolle seit der Gründung eher die einer Organisation, die Fachwissen produziert und die als Repositorium für gemeinsam vereinbarte Standards, Vorschriften und Empfehlungen zum Nutzen der Mitgliedstaaten dient, als die eines Akteurs, der Programme organisiert, geschweige denn materielle und finanzielle Mittel bereitstellt.
Im Wesentlichen eine politische Körperschaft zu sein, ist eine Stärke, sofern es ein gewisses Maß an Konsens gibt. Es erleichtert, Interventionen ins Auge zu nehmen, man denke an Impfkampagnen. Es ist jedoch eine große Schwäche, wenn es darum geht, die Programmatik und Ziele der Gesundheitspolitik zu beeinflussen. Während einzelne Staaten oder große NGOs solche Agenden strategisch besetzten können, wird die WHO leicht durch Meinungsverschiedenheiten zwischen ihren Mitgliedern gelähmt. Dies hat sich in den letzten zwanzig Jahren beispielsweise in der Unfähigkeit gezeigt, die riesigen Datenmengen und die intensiven Debatten über das neue epidemiologische Phänomen, das als „Double Burden“ bekannt ist, in operative Programme umzusetzen, d.h. eine strategische Antwort auf die dramatischen Auswirkungen der Verbindung von Fehlernährung und chronischen Erkrankungen (von Adipositas und Diabetes bis hin zu psychischen Pathologien) in Afrika, Asien und Lateinamerika zu finden.
Covid-19 und die Geopolitik der Gesundheit

Tedros Adhanom Ghebreyesus, Director general der World Health Organization, erklärt den Coronavirus-Ausbruch zur Pandemie, Genf, 11.3.2020; Quelle: latimes.com
Es ist daher nicht überraschend, dass die gleiche Kombination aus Unzulänglichkeit und Notwendigkeit das Management der Covid-19-Pandemie durch die WHO kennzeichnet. Seit Beginn der Krise ist die WHO die einzige globale Gesundheitsagentur, die eine wichtige Rolle gespielt hat. Die Akteure der Globalen Gesundheit hingegen schwiegen zunächst und vertraten dann ab März von der Gates-Stiftung bis zur Weltbank die Auffassung, dass die Prioritäten die gleichen geblieben seien: Afrika als Hauptrisikozone und biotechnologische Innovation von Therapie und Prävention als Horizont.
Allerdings widerlegt der gegenwärtige Kampf gegen Covid-19 viele der scheinbar unumstößlichen Wahrheiten der globalen Gesundheitspolitik, wie sie sich in der letzten Generation entwickelt haben: Das Fachwissen über die beste Vorgehensweise ist nicht mehr vorzugsweise in Europa und Nordamerika zu Hause, sondern es sind ostasiatische Staaten wie Südkorea oder Taiwan, die inspirieren; Strategien zur Eindämmung der Pandemie beruhen auf der groß angelegten Anwendung medizinisch-sozialer Interventionen, unterstützt durch die Qualität von Infrastruktur (Personal und Krankenhäuser), die außerhalb der Reichweite vertikaler Programme liegt; schließlich basieren Interventionen fast ausschließlich auf Initiativen von Staaten und ihren öffentlichen Gesundheitsverwaltungen.
Ende Januar haben die von der WHO ausgearbeiteten technischen und politischen Empfehlungen diese drei Elemente aufgenommen. Darüber hinaus hat die Organisation durch die Betonung der Strategie „testen, verfolgen, isolieren“ als wichtigstem Standbein zur Vermeidung weitreichender Eindämmungsmaßnahmen durchaus Autonomie gegenüber den chinesischen Erfahrungen demonstriert, die angesichts ihres diplomatischen Eiertanzes im Winter anerkannt werden sollte. Die Tatsache, dass westliche Staaten, von Europa bis zu den USA, diese Empfehlungen der WHO lange Zeit ignoriert haben, so dass schließlich überall Lockdowns unausweichlich wurden, weist sicherlich auch auf die Schwäche der WHO hin, liegt aber in erster Linie in der Verantwortung dieser Staaten, die sich von der Überzeugung der Überlegenheit von westlicher Kultur und Technologie leiten ließen.
Unzureichend, aber unentbehrlich
Diese zweifache Beobachtung – die WHO erfüllt ihre Funktionen nicht so, wie man es sich wünschen würde, während eine gesundheitspolitische Weltorganisation als solche unverzichtbar ist – sollte zu einer Reformagenda führen, die sowohl die Finanzierung (z. B. weniger Partnerschaften mit kurzfristigen, zweckgebundenen Mitteln und stattdessen mehr Beiträge zum Gesamthaushalt), die Ziele (gemeinsame Gesundheitsnotlagen beschränken sich nicht auf Epidemien und Probleme der biologischen Sicherheit) als auch Struktur und Führung (Erweiterung auf andere Akteure und Repräsentationsformen als die einer Demokratie der Nationalstaaten) betrifft. Kurz gesagt trifft die postkoloniale Kritik, wie sie für westliche Erzählungen von Fortschritt und Modernität formuliert wurde und diese als „gleichzeitig unverzichtbar und unzulänglich“ (D. Chakrabarty) analysiert, auch auf die WHO, ihre Mängel und ihre Notwendigkeit, zu.
Während wir die Pandemie erleben und darauf warten, dass die wirtschaftliche Situation eine Neuerfindung der globalen Gesundheit ermöglicht, dürfen wir zumindest hoffen, dass die Mitglieder der Europäischen Union aus ihren eigenen Unzulänglichkeiten sowie aus ihrer mangelnden Koordination den Schluss ziehen, in ebendiese WHO zu investieren. Andernfalls sollten wir besser aufhören, uns darüber zu beklagen, dass China, die führende Wirtschaftsmacht der Welt und der zweitgrößte Beitragszahler der WHO, seine Rolle in der WHO als Solist spielt.
Claire Beaudevin, Jean-Paul Gaudillière, Christoph Gradmann, Anne Lovel, and Laurent Pordie, eds. Global health and the new world order: historical and anthropological approaches to a changing regime of governance. Manchester: Manchester University Press 2020.