Der Bau von Denkmälern in Erinnerung an die Konföderierten im Amerikanischen Bürgerkrieg geschah in den USA im Kontext der zunehmenden Rassentrennung und auf dem Höhepunkt der Lynchmorde. Das zeigt eine vom Southern Poverty Law Center im Jahr 2017 veröffentlichte Grafik, die nach der Ermordung von George Floyd im März 2020 wieder auftauchte und dazu beitrug, den öffentlichen Unmut über die Denkmäler anzuheizen. Bis Oktober 2020 waren mehr als hundert Denkmäler gestürzt worden – dennoch, mehr als 700 stehen nach wie vor.
Warum sollte man diese Denkmäler erhalten? Schließlich war die Sezession des Südens, wie sich unschwer zeigen lässt, ein Akt von Hochverrat, und die konföderierten Soldaten wussten, dass sie für den Erhalt der Sklaverei kämpften. Mehr noch: Obwohl der Norden den Krieg gewonnen hatte, ging der Süden gewissermassen als Sieger aus dem Kampf um die Erinnerung hervor. Das ist die andere Geschichte, die die erwähnte Grafik des Southern Poverty Law Center erzählt. Denn die weitaus meisten Denkmäler für die Konföderation wurden in den Jahren zwischen 1900 und 1920 errichtet, also in der Ära der Wiedervereinigung von Nord und Süd, die auf Kosten der Schwarzen Bevölkerung ging. Denn ausgehend von der „white supremacy“ wurde die Wiedervereinigung mit dem Vergessen der Tatsache erkauft, dass im Bürgerkrieg um die Abschaffung der Sklaverei gekämpft wurde. Nur wenige Jahrzehnte nach dem Ende des Kriegs signalisierten die fast allgegenwärtigen Konföderierten-Denkmäler daher das Verblassen von Amerikas Bekenntnis zu einer gesellschaftlichen Neuordnung nach der Überwindung der Sklaverei – einer Neuordnung, die auf der Gleichheit aller Menschen basierte und der Abraham Lincoln in seiner berühmten Gettysburg Address ein „letztes volles Maß der Hingabe“ gelobt hatte.
Wie, so die Frage, sollen Gesellschaften mit Denkmälern umgehen, die in erinnerungspolitisch belasteten Zeiten errichtet wurden? Wie, wenn das Erinnern an die Opfer der einen Gruppe bedeutet, einen Mantel des Vergessens über die Leiden einer anderen zu breiten? Wie, wenn die Statuen nur von erlittener Gewalt sprechen, aber stumm sind, wenn es um die ausgeübte Gewalt geht?
Deutschlands umstrittene Denkmäler
Diese Fragen und Probleme sind ebenfalls Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte, wenn auch auf etwas verstecktere Art und Weise. Während es in Deutschland praktisch keine Denkmäler gibt, welche die Soldaten des Zweiten Weltkriegs ehren (abgesehen von einer Anzahl von Kasernen, die noch immer nach Nazi-Generälen benannt sind), gibt es jedoch Zehntausende von Gefallenendenkmälern, Mahnmale für die im Krieg gefallenen Soldaten in nahezu jedem Dorf und jeder Stadt in Westdeutschland. Anders als in Frankreich, wo solche Denkmäler prominent auf dem Marktplatz, vor dem Rathaus oder an anderen wichtigen öffentlichen Orten stehen, befinden sich in Deutschland fast alle Gefallenendenkmäler des Zweiten Weltkriegs in einem sakralen Raum – nämlich auf Kirchhöfen oder Friedhöfen.
Es wird immer wieder behauptet, dass sich in den 1950er Jahren in der Bundesrepublik Schweigen über die Vergangenheit breitete. Ehemalige Nazis kehrten in einflussreiche Machtpositionen zurück, und die Leichen aus der Nazizeit wurden sprichwörtlich in den Keller verbannt. Die Erinnerung wurde im Flüsterton gesprochen, wenn überhaupt, und Trauer wurde kaum durchgearbeitet.
Eine Gruppe jedoch setzte dezidiert öffentliche Zeichen der Trauer. Es waren die „Vertriebenen“, jene etwa zwölf Millionen Menschen, die zunächst völlig überstürzt und dann geordneter aus dem Osten Richtung Westen flohen. Im Vergleich zu den meisten deutschen Zivilisten hatten sie überproportional gelitten: unter der Brutalität des Krieges, ethnischer Gewalt und grossen materiellen Entbehrungen, unter dem Verlust der Heimat – und Frauen und Mädchen unter Vergewaltigungen. Auch waren die Flüchtlinge häufig nicht willkommen, als sie im Westen ankamen. Lebensmittel, Brennmaterial und Wohnraum waren nach dem Krieg knapp, so dass die Großzügigkeit der Deutschen in den Westsektoren und der frühen Bundesrepublik rasch aufgebraucht war. Es kam zu Spannungen und Konflikten. Dennoch, wo immer die Vertriebenen sich niederließen, errichteten sie irgendwann Denkmäler für das verlorene Land und für die rund zwei Millionen Menschen, die im Krieg und auf der Flucht umgekommen waren. Rund 1500 Vertriebenendenkmäler sind heute über das ganze Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verteilt.

Vertriebenendenkmal auf dem Alten Friedhof Bergedorf, Quelle: wikipedia
Die erste Welle der Errichtung von Vertriebenendenkmälern fällt in die 1950er Jahren. Etwa ein Drittel der Denkmäler wurde an sakralen Orten, Kirch- und Friedhöfen errichtet, während die Mehrheit auf säkularen Plätzen wie Marktplätze oder am Stadtrand erbaut wurde. Einige wenige Denkmäler hatten nationalistische Anklänge, typischerweise in der Sprache universeller Rechte, wenn sie beispielsweise proklamierten, dass das „ Selbstbestimmungsrecht [der Völker] auch für Deutsche gilt“. Etwa zwei Drittel aller Vertriebenendenkmäler trauern um die Toten, die auf der Flucht ihr Leben verloren haben. Ein anderer verbreiteter Topos war die „unvergessene Heimat“, dargestellt als Hinweisschild aus Metall oder Holz, das in Richtung Osten zeigte und in Kilometern die Entfernung zu Orten wie „Königsberg“, „Danzig“ und „Breslau“ angab. Vereinzelt finden sich auch in Bronze gegossene Karten des dreigeteilten Deutschlands in seinen Grenzen von 1937.
Zweifellos trugen diese Denkmäler dazu bei, eine mentale Landkarte Deutschlands aus der Zeit vor dem Krieg aufrechtzuerhalten. Aber schon vor der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags durch Bundeskanzler Willy Brandt im Jahr 1970 konnte man nur mutmassen, ob die Mehrheit der Vertriebenen tatsächlich mit einer Rückkehr in ihre Heimat oder sogar mit dem Anschluss ihrer Heimat an die Bundesrepublik rechneten. Die Vertriebenen waren vor allem ältere Menschen, Frauen, die ihre Männer verloren hatten, und Kinder. Politische Ziele verfolgten eher die männlichen Sprecher der Vertriebenenverbände – Lehrer, Pastoren, lokale Amtsträger. Und als das erste Nachkriegsjahrzehnt in das zweite überging, wurde spürbar, dass die Bevölkerung Westdeutschlands, einschließlich der Kinder der Vertriebenen, trotz aller Denkmäler, Gedenktafeln, Bücher und Erinnerungen auf Friedhöfen begonnen hatte, die dort genannten Namen in die hintersten Winkel ihres Bewusstseins zu schieben. So wurden diese Orte und Menschen zu Namen, die keiner mehr nennt, wie Marion Gräfin Dönhoff, Redakteurin der Wochenzeitung Die Zeit, ihre 1962 erschienene Klage betitelte. Und heute, fast sechs Jahrzehnte später sind diese Namen noch tiefer im Abgrund kollektiven Vergessens verschwunden.
Auch Denkmäler (ver)schweigen
Trotz ihrer problematischen Politik adressierten die Denkmäler für die Vertriebenen durchaus legitime Fragen. Wie kann man öffentlich um den Tod der Menschen trauern, die in der Ferne gestorben sind? Wie kann man die Verbindung zwischen denen, die geflohen sind und überlebt haben, und denen, die ihr Leben verloren haben, aufrechterhalten? Und wie bringt man die Toten symbolisch nach Hause, in ein neues Heim?
Wie die Denkmäler der Konföderation in den USA waren die deutschen Denkmäler für die Vertriebenen nicht unproblematisch, denn sie erzählten von der erlittenen und nicht von der zugefügten Gewalt. Und sie wichen der Frage aus, was überhaupt die Ursache des Krieges war. Ebenso wie die Konföderierten-Denkmäler verdrängten, dass die Sklaverei der Grund für den Bürgerkrieg war, schwiegen die Denkmäler der Vertriebenen über die Verfolgung der slawischen Nationalitäten in den ehemaligen sogenannten deutschen Ostgebieten. In der Tat stellten sie oft die Legitimität der polnischen oder russischen Souveränität über Gebiete in Frage, die von den Vertriebenenverbänden immer noch als „verloren“ bezeichnet wurden. Bis 1968 hatte man circa 500 Denkmäler für die Vertriebenen errichtet. Dagegen hatten zur gleichen Zeit von den etwa 1300 Synagogen, die während des Novemberpogroms 1938 zerstört oder geschändet worden waren, weniger als hundert auch nur eine karge Gedenktafel erhalten, die den Anschlag dokumentierte.
Denkmäler für die Vertriebenen sind schon seit längerem in politische Ungnade gefallen – vor allem bei den Linken. Bereits 1964 führte der Plan, in Tübingen sogenannte Ost-Wegweiser aufzustellen, zu dem satirischen Gegenantrag, sie durch einen Wegweiser nach Auschwitz zu ergänzen. Das hartnäckige Festhalten des Bundes der Vertriebenen an seiner revisionistischen Politik war der Situation auch nicht gerade förderlich. Ebenso wenig die falschen Gleichsetzungen, etwa der deutschen mit der jüdischen Diaspora, oder die Behauptung, die „Vertreibung“ der Juden und der Deutschen entspringe demselben Nationalhass.
Gegengeschichten erzählen
Und dennoch, bei aller Betonung von Verlust und Trauer repräsentieren die Denkmäler auch frühe Versuche, eine der dramatischsten Verschiebungen in der sozialen Verteilung des Todes im 20. Jahrhundert öffentlich zu markieren: nämlich den drastischen Anstieg des Anteils der zivilen Toten. Im Ersten Weltkrieg, so eine Berechnung, entfielen etwa 20 % aller Toten auf Zivilist:innen, im Zweiten Weltkrieg dagegen etwa 50 %. Seit 1945 machen zivile Tote global den überwiegenden Teil aller Kriegstoten aus – etwa 90 %. Zudem verweisen diese horrenden zivilen Opferzahlen nicht nur auf die Bomben, die aus dem Himmel fielen und unterschiedslos Städte und Schlachtfelder trafen. Die hohe Inzidenz der Vergewaltigung von Frauen und Mädchen durch Soldaten der Roten Armee in Gebieten, aus denen die Vertriebenen fliehen mussten, zeugt ebenfalls von einer Auflösung der Grenze zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten.
Was für die Vertriebenendenkmäler gilt, trifft ebenso auf die heroischen Konföderierten-Denkmäler zu: Sie rufen, wenn auch ungewollt, eine verborgene Seite der Geschichte ins Gedächtnis, selbst wenn sich diese weder in ihrer Intention noch in ihrer Ikonografie spiegelt. Wir sind deshalb ausgefordert, uns eigenständig mit diesen Denkmälern auseinandersetzen und uns zum Beispiel daran erinnern, dass die Soldaten, die auf Seiten der Konföderation kämpften, oft aus armen weißen Familien stammten und im Grunde für die reichen Landbesitzer in den Krieg zogen und starben. Wir müssen uns daran erinnern, dass der Bürgerkrieg in der Tat eine amerikanische Tragödie war, aber für niemanden so schmerzlich wie für die armen Familien des Südens. Denn es war generell der Süden, der überproportional Söhne, Brüder und Väter verlor, und stärker als im Norden fanden die Südstaatler:innen ihr Land verwüstet, ihre Farmen ruiniert, ihre Lebensgrundlagen zerstört.

Robert E. Lee Monument in Richmond, Quelle: www.medium.com
Letztlich aber sind die frühen Versuche, sich mit dem Erbe der sozialen Verteilung des Todes in der modernen Kriegsführung auseinanderzusetzen, selbst historische Artefakte – sie sind, mit anderen Worten, als Formen des Erinnerns ebenso ein Stück Geschichte, wie überhaupt die Geschichte der Erinnerung heute generell Teil der Geschichte ist. Das ist es, was die Vertriebenendenkmäler und die Denkmäler der Konföderation wirklich miteinander verbindet. Ihre schiere Existenz, Geschichtlichkeit und physische Präsenz lädt zu unserer fortgesetzten Auseinandersetzung mit ihnen ein, ja erfordert sie geradezu. Die Denkmäler können und sollen kommentiert und historisiert werden, und zwar nicht nur im Hinblick auf das, woran sie erinnern, sondern vor allem auch mit Blick auf das, was sie verschweigen. Das heisst nicht nur in Bezug auf ihre manifeste Aussage, sondern auch hinsichtlich ihrer Auslassungen. Die Komplexität der kollektiven Erinnerung an den Bürgerkrieg, einschließlich seiner Verbindungen zu Rassismus und zu white supremacy ist nunmehr Teil der amerikanischen Geschichte. Denn nicht zuletzt mit den Denkmälern hat sie ein steinernes Archiv hinterlassen, das mit dazu beiträgt zu erklären, warum Amerikaner 170 Jahre nach dem Krieg immer noch so darüber sprechen, als hätte er vor ein paar Jahrzehnten stattgefunden.
Nicht die Zerstörung des materiellen Erbes, sondern seine Kommentierung von Ort zu Ort ist die eindringlichere Entgegnung im Umgang mit ungeliebten Denkmälern. Das erfordert jedoch lokales Engagement, langfristiges Handeln und politische Beharrlichkeit. Auch die Vertriebenendenkmäler zeugen von einer Periode in der deutschen Nachkriegsgeschichte, in welcher der Empathie mit der Not der Anderen enge Grenzen gesteckt waren, in der es in der Trauer immer noch um ein ethnisch gedachtes „Wir“ ging, in der Leid aufgerechnet und verglichen wurde, und in der man sich eher an erlittene als an zugefügte Gewalt erinnerte. In beiden Fällen lassen sich die daraus resultierenden Markierungen, die Denkmäler der Konföderierten und die der Vertriebenen, als Ausgangspunkt einer Gegenerzählung „durcharbeiten“, mit dem Ziel, sich der schwierigen Vergangenheit zu stellen, um die Geschichte der Erinnerung und des Erinnerns zum integralen Bestandteil einer neuen Art historischer „Landschaft“ zu machen.