Seit einigen Jahren kommt es zur Ausbreitung einer neuartigen Form des Konsums von Lysergsäurediethylamid, besser bekannt als LSD. Nachdem „Acid“, wie LSD im Jargon der gegenkulturellen Milieus bezeichnet wurde, in den frühen 1970er Jahren nach einigen Jahren des Hypes wieder aus dem Blickwinkel vieler Menschen geriet, erfährt die Substanz ungefähr fünfzig Jahre nach der gescheiterten „psychedelischen Revolution“ in Form des Microdosing gegenwärtig einen erneuten Aufmerksamkeitsschub. Zeitungen berichten von „LSD-Fans, die ihren Alltag im Microdosing-Rausch verbringen“, im Silicon Valley schwärmen IT-Spezialist_innen und Software-Entwickler_innen von den produktivitäts- und kreativitätssteigernden Wirkungen des Microdosing, und Coaches geben Online-Tutorials und vermitteln dabei Neueinsteiger_innen Wissen über die ‚richtige‘ und ‚produktive‘ Anwendung niedrig dosierten LSDs.
Den Auslöser dieses revitalisierten Interesses an LSD bildet das 2011 publizierte Buch The Psychedelic Explorer’s Guide. Safe, Therapeutic, and Sacred Journeys von James Fadiman. Fadiman, der bereits in den 1960er Jahren zu einer kleinen Gruppe von Forscher_innen gehörte, die nach Wegen suchten, LSD zur Produktivitätssteigerung einzusetzen, ist heute ein Star der wachsenden Szene des Microdosing und hält mitunter Vorträge vor hunderten Zuhörer_innen. Weitere bedeutende Akteure in der weitgehend dezentralen Microdosing-Community sind die britische Beckley Foundation und die Webside Third Wave, deren Gründer Paul Austin bereits Kapitalgeber für ein „microdosing psychedelic startup“ sucht.
Beim Microdosing nehmen die Konsumierenden in regelmäßigen Abständen (häufig in einem Rhythmus von drei bis vier Tagen) äußerst geringe Mengen psychoaktiver Substanzen wie LSD oder Psilocybin ein. Dabei werden die Dosen derart niedrig gehalten, dass sie keinerlei halluzinogene Rauschwirkungen entfalten, die Effekte also unterhalb der Wahrnehmungsgrenze verbleiben. Trotz dieser „subperzeptualen“ Wirkung der eingenommenen Substanzen koppeln die Befürworter_innen große Erwartungen an das Microdosing. Sie erhoffen sich zum einen eine Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit und Produktivität, zum anderen die Heilung psychischer Probleme wie Angstzustände oder Depressionen.
Eine Geschichte der Gegenkultur
Die Vorstellung, dass LSD zur positiven Veränderung des Selbst beitragen könne, begleitet die Substanz seit ihren Anfängen. 1943 vom Sandoz-Chemiker Albert Hofmann in Basel entdeckt, experimentierten Pharmakolog_innen und Psychiater_innen bereits in den 1950er Jahren mit LSD. Von den 1960er bis in die frühen 1970er Jahre erfuhr LSD dann seine bisherige Hochzeit und wurde für einige Jahre zu einem signifikanten Bestandteil westlicher Gegen- und Popkulturen.

The Velvet Illusions: Acid Head; Quelle: spotify.com
In den 1960er Jahren kam es ausgehend von den USA in westlichen Ländern zur Ausbreitung gegenkultureller Milieus und Bewegungen. Diese wollten die gesellschaftlichen Verhältnisse durch eine „kulturelle Revolution“ umgestalten. Dabei waren die aus unterschiedlichsten Akteur_innen bestehenden Gegenkulturen in differierende, sich zum Teil überlappende Strömungen aufgefächert. Einige strebten nach der Aufhebung westlich-kapitalistischer Formen der Vergesellschaftung, andere wiederum zielten primär auf die Überwindung eines angeblich in westlichen Ländern vorherrschenden „spirituellen Vakuums“ und suchten ihr Heil häufig in religiösen Lehren aus Fernost.
Die Vision einer internationalen „kulturellen Revolution“ ging in gegenkulturellen Milieus mit mannigfaltigen Politiken des Selbst einher, in denen wiederum Körper(-praktiken) eine zentrale Stellung einnahmen. Körper erfuhren eine immense Politisierung und wurden als Territorien gesellschaftlicher Konflikte und Machtkämpfe verstanden. Für den Konsum psychedelischer Drogen bedeutete dies, dass die unter Einfluss der Substanzen gemachten Körpererfahrungen zu einer Veränderung des Selbst und darüber vermittelt zur Umformung der Gesellschaft beitragen sollten. In seiner breit rezipierten Schrift Bewusstseinserweiternde Drogen. Eine Aufforderung zur Diskussion von 1969 beschrieb Ronald Steckel Psychedelika „als Hilfsmittel im Bemühen um die Verwirklichung der Gegenkultur: Instrumente, die zur Entfaltung der eigenen Sinnes- und Denktätigkeit benutzt werden.“
Die Politisierung von LSD
So unterschiedlich die Ausrichtungen der gegenkulturellen Milieus, so verschieden waren auch die Vorstellungen von Gesellschaft, zu der der Konsum psychedelischer Substanzen den Weg bahnen helfen sollte. In den mehr spirituell ausgerichteten gegenkulturellen Milieus galten psychedelische Drogen primär als ein Mittel, um die in westlichen Gesellschaften angeblich verkümmerte Spiritualität wiederzubeleben. Timothy Leary, das bis heute sicherlich bekannteste Gesicht der „psychedelischen Revolution“, nannte LSD im Buch Politics of Ecstasy ein Sakrament, das dazu beitrage, sich mit „Lao-Tse, Christus, Blake“ zu verbinden. Er empfahl den Anhänger_innen der psychedelischen Bewegung religiöse „clans“ zu gründen, um aus den materialistischen westlichen Gesellschaften auszusteigen. Anarchistisch inspirierte Personen und Gruppen wiederum stellten ein enges Verhältnis zwischen Drogenkonsum und der Aufhebung kapitalistischer Formen der Vergesellschaftung her. Für John Sinclair zum Beispiel, der in den USA 1968 die linksradikale White Panther Party mitgegründet hatte, war LSD ein Mittel, um die Entfremdung junger Menschen zu überwinden und die Jugend zu einer politisch radikalen Kraft zu formen. Andere, wie der Literaturkritiker Leslie Fiedler, verstanden den Konsum psychedelischer Drogen als eine Strategie im „Krieg gegen Arbeit und Zeit“ und damit gegen zwei der elementaren Säulen kapitalistischer Vergesellschaftung.
Teile der Linken kritisierten den Drogenkonsum jedoch als Verschleierung des revolutionären Bewusstseins sowie als Anpassung an die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, und auch einige Anhänger_innen der psychedelischen Bewegung erkannten die Gefahr, dass Drogenkonsum zur Stabilisierung des Bestehenden beitragen könne. Da der bloße Konsum psychoaktiver Substanzen nicht von sich aus gesellschaftsverändernde Effekte hervorbringe, bedürfe der Drogenkonsum, um die gewünschten Potenziale entfalten zu können, der Einbettung in gegenkulturelle Umwelten und der Anbindung an Lebensstile, die gegen die Mehrheitsgesellschaft gerichtet waren. Trotz solcher Postulate warnten einige Gegenkulturelle bereits in den 1970er Jahren vor der vermeintlichen Entpolitisierung der berauschenden Substanzen. Zugleich setzte ein deutlicher Bedeutungsverlust der Psychedelika (auch) in alternativkulturellen Milieus ein, wozu Heroin und Diskurse um Drogensucht maßgeblich beitrugen.
Optimierung, Flexibilisierung und (Selbst-)Verwertung

LSD-microdosing; Quelle: rollingstone.com
Heute haben sich die Implikationen und die Stoßrichtung des LSD-Konsums um 180 Grad gedreht. Zwar gibt es auch im Kontext des Microdosing noch vereinzelt Versuche, die durch die Einnahme psychedelischer Substanzen vermeintlich erzielten Veränderungen des Selbst zur Überwindung gesellschaftlicher Herrschaftsstrukturen fruchtbar zu machen, allerdings weist die substanzinduzierte Arbeit am Selbst im überwiegenden Teil der Fälle eine völlig andere Richtung auf als während der 1960er und 1970er Jahre. Nicht mehr die – wie auch immer geartete – Transformation der Gesellschaft soll durch einen Wandel der Subjektivität realisiert werden. Vielmehr geht es um eine immer bessere Ausrichtung der Konsument_innen auf die Anforderungen der permanenten Optimierung, Flexibilisierung und (Selbst-)Verwertung, die in der Gegenwart an das Selbst herangetragen werden. Diese Verschiebung kommt in den Worten zum Ausdruck, mit denen auf der Webseite Third Wave für ein Zeitalter des Microdosing geworben wird: „It is an era of psychedelic use defined by practical, measured use for specific purposes. It is an era, not for ‚dropping out‘ and rebelling against society, but for integrating psychedelics into our mainstream culture.”
Dieser Konnex zwischen Drogenkonsum und Selbstoptimierung stellt allerdings keineswegs eine Erfindung der letzten Jahre dar. Bereits in den 1980er Jahren wurde Kokain als leistungssteigerndes Mittel eingenommen. In den 1990er Jahren wurden dann, wie Robert Feustel gezeigt hat, der Konsum von Drogen wie Ecstasy und damit verbundene Rauschzustände in den Dienst der Optimierung gestellt: zum einen indem sie als Mittel zur Steigerung der Produktivkraft Kreativität eingesetzt wurden, zum anderen, weil sie durch das Gewähren kurzer Momente der intensivierten Freizeit und des Aussteigens aus dem Alltag zur Reproduktion und Optimierung der Arbeitskraft beitragen sollten.
Sukzessive verändert das Microdosing nun aber diese Form der substanzinduzierten Selbstoptimierung. In diesem Zusammenhang spielt das grundlegend andere Verhältnis zum Rausch eine bedeutende Rolle. An die Stelle des ökonomisch produktiv gemachten Drogenrausches der 1990er Jahre tritt dabei ein Körperzustand, der nicht durch Berauschtsein, sondern durch optimale Geistesschärfe und äußerste Leistungsfähigkeit gekennzeichnet ist und für den der Psychologe Mihály Csíkszentmihályi den Begriff flow state geprägt hat. Die Entkopplung psychedelischer Substanzen von Rauschzuständen geht mit einer Entgrenzung dieser Stoffe einher. Sie sind nicht mehr auf Phasen der Erholung und der Reproduktion der Arbeitskraft sowie auf einige Branchen der Kreativwirtschaft beschränkt, sondern könnten zunehmend zu einem Bestandteil der verschiedensten Bereiche der Alltags- und Arbeitswelt werden.

LSD at work; Quelle: menshealth.com
Davon versprechen sich die Befürworter_innen des Microdosing nicht bloß eine qualitative Aufwertung der Arbeitskraft, indem diese bessere und kreativere Lösungen für Probleme bei der Arbeit findet und mit mehr Energie an die Erledigung der Aufgaben geht. Sie erhoffen auch eine quantitative Produktivitätssteigerung. So soll Microdosing zum Beispiel dazu beitragen, das Prokrastinieren – also die nicht produktive Zeit – zu reduzieren. Neben diesen vermeintlichen positiven Auswirkungen des Microdosing auf die Arbeitsleistung werden den mikrodosierten psychedelischen Substanzen auch positive Auswirkungen auf die emotionale Intelligenz, eine weitere wichtige Qualifikation auf dem heutigen Arbeitsmarkt, zugeschrieben. So steigere Microdosing die sozialen Fähigkeiten und verbessere die Führungsqualitäten der Konsumierenden.
Während in den 1960ern LSD als ein Instrument in den Kämpfen gegen Arbeit und Zeit oder als ein Stoff zur Respiritualisierung westlicher Gesellschaften vorgestellt war, sind psychedelische Drogen in den letzten Jahren in Form des Microdosing zu Mitteln der gesteigerten Verwertung von Zeit und Arbeit geworden (was natürlich nicht heißt, dass psychedelische Drogen nicht nach wie vor auch im Kontext von Freizeitaktivitäten Verwendung finden). Das Primat der vollständigen Ökonomisierung und Verwertung hat dabei nicht nur die Welt der berauschenden Substanzen durchdrungen und sie für sich nutzbar gemacht, wie bereits in den 1980er und 1990er Jahren. Vielmehr hat diese Ökonomisierung das Verhältnis zwischen psychedelischen Substanzen und Rausch grundlegend verändert – und damit auch die Wechselbeziehungen zwischen diesen Stoffen, ihren Subjekten und unseren Gesellschaften.