
„Eine Bombe ist auf dem Weg zum Krankenhaus. Ihr solltet besser alle evakuieren, ihr kranken Schweine.” Das war die Nachricht, die ein Anrufer am 30. August 2022 dem Boston Children’s Hospital hinterließ. Es war eine von zahlreichen Drohungen, die das Krankenhaus und seine Mitarbeiter*innen erhalten haben, seit es zur Zielscheibe einer rechten Kampagne geworden ist. Die Ärzt*innen und das Pflegepersonal des Boston Children’s Hospital sind nicht die einzigen Health Care-Arbeitenden, die Morddrohungen erhalten. Immer wieder hetzen rechte Medienstars wie Tucker Carlson, aber auch Republikanische Politiker*innen und rechte Troll-Accounts wie „Libs of TikTok“ ihre Anhängerschaft auf einzelne Ärzt*innen, die gender affirming Gesundheitsversorgung für trans Kinder, Jugendliche und Erwachsene anbieten.
Transfeindlichkeit ist zu einem der bestimmenden Themen der US-amerikanischen Rechten geworden. In den USA verabschieden Republikanische Bundesstaaten gerade immer extremere transfeindliche Gesetze.
„Toiletten-Gesetze“
Noch vor zehn Jahren sprach die US-amerikanische Rechte nicht über Transgeschlechtlichkeit, sondern wetterte gegen Homosexualität. Doch mit der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, die in der Bevölkerung Zustimmung auf einem Rekordniveau findet, hat die Religiöse und Politische Rechte entschieden, sich einer anderen marginalisierten Gruppe zuzuwenden: trans Menschen. Das bedeutet nicht, dass die Rechte ihre Ansichten zu Gay Rights geändert hätte – keineswegs. Man ist jedoch pragmatisch genug, um auf ein anderes Pferd zu setzen, wenn das aktuelle aussichtslos erscheint.
Tatsächlich eignen sich trans Menschen perfider Weise viel besser als Sündenbock als Homosexuelle: Die Gruppe ist viel kleiner – sprich, viel weniger Menschen haben trans Menschen in ihrem persönlichen Umfeld – und das Unwissen zu trans Rights in der Bevölkerung ist viel höher. Die US-amerikanische Rechte hatte schon einmal versucht, mit Transfeindlichkeit zu punkten. Damals ging es um sogenannte „Bathroom-Bills“ – „Toiletten-Gesetze“ also, die trans Menschen z.B. den Zugang zu Schultoiletten, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen, verbieten sollten.
Diese Gesetze waren allerdings unbeliebt, denn selbst jemand, der sich nicht mit trans Themen auskennt, bemerkt schnell, dass diese Regelungen diskriminierend sind und keinerlei Sinn ergeben, selbst wenn man der Argumentation der Transfeind*innen folgt: In den meisten Fällen ist nicht zu erkennen, wer trans ist und wer nicht. Solche Toiletten-Gesetze hätten zur Folge, dass z.B. trans Männer – in den meisten Fällen optisch deutlich männlich gelesen – eine Damentoilette benutzen, was ja genau das Szenario darstellt, vor dem Transfeind*innen warnen: dass Männer Frauentoiletten benutzen. Die Strategien verleumdet am meisten trans Frauen, denn die Agitation bedient sich zweier Muster: Erstens spricht man trans Frauen ab, weiblich zu sein, so dass man ihnen die Toilettenbenutzung verwehren will. Zweitens führt dieses Absprechen von Weiblichkeit dazu, dass sie völlig falsch und diffamierend dargestellt werden, als verkleidete Triebtäter. Dieses groteske Bedrohungsszenario suggeriert, cis Männer würden sich als Frauen verkleiden, um in öffentlichen Toiletten Gewalttaten zu begehen. Dieses Angstbild geht absurderweise davon aus, dass ein cis Mann den schmerzhaften, mit massiven Diskriminierungen und Kosten verbundenen Weg einschlägt, eine trans Frau zu werden, weil er in einer Toilette Frauen belästigen will. Gewalttätige cis Männer lassen sich für gewöhnlich nicht von einem Toilettenschild abhalten.
Rechtliche Ausschlüsse und soziale Angriffe
Doch jetzt hat die Rechte zwei Narrative gefunden, die zu zünden scheinen – und zwar nicht nur bei den eigenen Anhängern, sondern auch in Milieus, die sie sonst schwer erreicht: in liberalen, feministisch orientierten Teilen der Gesellschaft und in der „bürgerlichen Mitte“.
Im ersten Narrativ betont sie, dass es lediglich um „Fairness“ im Mädchensport gehe. Wenn es trans Mädchen und jungen Frauen erlaubt werde, am Schul- oder Collegesport teilzunehmen, würden cis Mädchen und Frauen keinerlei Chance mehr haben. Abgesehen davon, wie unglaubwürdig es ist, dass die Rechte plötzlich ihre Begeisterung für den Mädchen- und Frauensport entdeckt hat, zeigt die Präsenz von trans Menschen im Sport, dass es sinnvoll sein könnte, ganz ohne moral panic darüber nachzudenken, ob die binäre Geschlechtertrennung nicht durch andere Kriterien wie Gewichtsklassen ergänzt oder ersetzt werden müsste.
Das zweite Narrativ, das von rechts gesponnen wird, ist das vom „Schutz der Kinder“. Es gehe nicht um Transfeindlichkeit, behaupten ihre Vertreter*innen, sondern darum, unschuldige und wehrlose Kinder zu schützen. Damit verbunden ist die Lüge von Transgeschlechtlichkeit als „sozialer Ansteckung“. Es ist ein Echo der alten Mär, dass Homosexualität „ansteckend“ und dementsprechend „heilbar“ sei. Transgeschlechtliche und homosexuelle Menschen, so die Rechte, könnten sich nicht selbst fortpflanzen, deshalb müssten sie Kinder in ihren „Gender-Kult“ oder ihre „trans-Ideologie“ rekrutieren. Alles, was auch nur annähernd mit LGBTQ-Themen zu tun hat, wird als sexuell degeneriert dargestellt und mit Pädophilie assoziiert. So hat sich im letzten halben Jahr im US-amerikanischen politischen Diskurs die Bezeichnung „Groomer” für LGBTQ-Menschen etabliert, gemeint sind Erwachsene, die Kinder manipulieren, um ihnen gegenüber sexuell übergriffig zu werden. Diese Verleumdung ist nicht auf die siffigsten rechten Ecken des Internets beschränkt, sondern wird von führenden Republikaner*innen, wie zum Beispiel von der Nummer drei im Repräsentantenhaus, Elise Stefanik, verbreitet.
Es ist eine perfide Taktik, LGBTQ-Menschen in die Nähe von Pädophilen zu rücken oder sie gar mit ihnen gleichzusetzen. Es ist eine Taktik, die als sogenannter „stochastischer“ Terrorismus bezeichnet wird. Stochastischer Terrorismus erklärt das Phänomen von gewalt-induzierender Rhetorik durch bekannte Persönlichkeiten aus Medien und Politik, die die Zielgruppe immer weiter radikalisiert, bis Einzelne – aufgehetzt von der Stimmungsmache gegen eine marginalisierte Gruppe – zur Gewalttat schreiten. Das „Schützt die Kinder“-Narrativ wird auf Ebene der US-Bundesstaaten benutzt, um vor allem anti-trans, aber auch anti-LGBTQ-Gesetze zu verabschieden. Die Zahlen sind erschreckend: Allein in den ersten vier Monaten des Jahres 2022 wurde mit 300 anti-LGBTQ Gesetzen der Rekord an eingereichter Gesetzgebung gebrochen – 2018 waren es noch 41.
Gegen Gleichberechtigung: queerfeindliche Gesetze
Die LGBTQ-feindlichen Gesetze lassen sich in drei Kategorien einteilen: Erstens Verbote für trans Mädchen und Frauen am Universitäts- oder Schulsport für Mädchen und Frauen teilzunehmen. Während der Vorwand genannt wird, den Mädchen- und Frauensport „schützen“ zu wollen, leiden unter einem solchen Verbot trans und cis Mädchen. Sie wären gezwungen, sich einer Genitaluntersuchung zu unterziehen, sollte jemand behaupten, dass sie trans- oder intergeschlechtlich seien. Das träfe besonders sportliche Mädchen, solche, die nicht „mädchenhaft“ genug erscheinen – von breiten Schultern bis zu Cargohosen könnte alles eine womöglich traumatisierende Genitaluntersuchung zur Folge haben. Erst diese Realisierung sorgte dafür, dass die invasive Genitaluntersuchung aus dem Gesetz gestrichen wurde. Ein DNA-Test wird jedoch immer noch verlangt – was zudem dazu auch führen würde, dass intergeschlechtliche Menschen unfreiwillig geoutet würden.
Den zweiten Block bilden Gesetze, die die Gesundheitsversorgung von trans Kindern und Jugendlichen mit der ärztlich empfohlenen Gesundheitsversorgung einschränken oder kriminalisieren. Das trans würde Kinder und Jugendliche in eine plötzliche Detransition zwingen, mitten in der Pubertät – mit möglicherweise tödlichen Folgen, da der Einsatz von Hormonblockern mit einem niedrigeren Suizidrisiko einhergeht. Die psychischen und körperlichen Folgen einer erzwungenen Detransition bei Heranwachsenden wären katastrophal.
Die dritte Gruppe von Gesetzen verbietet es Lehrer*innen und Betreuer*innen in Schulen, LGBTQ-Themen anzusprechen oder überhaupt anzuerkennen, dass es queere Menschen gibt. Damit sollen queere Menschen unsichtbar gemacht werden. Jetzt zeichnet sich eine vierte Kategorie ab: die versuchte Einschränkung der medizinischen Versorgung von trans Erwachsenen. Lange sind die Warnungen von trans Menschen ungehört geblieben, was dies betrifft. Republikaner haben jetzt zudem auf Bundesebene Gesetzesvorschläge eingereicht, die eine nationale Version von Floridas „Don’t Say Gay“-Gesetz sind. Zudem verbieten sie Institutionen, die öffentliche Gelder erhalten, über LGBTQ-Themen aufzuklären und trans Menschen in Sportteams antreten zu lassen. Solche Gesetze würden es zudem Eltern erlauben, Lehrer*innen und Dozent*innen zu verklagen, sollte ihr Kind mit LGBTQ-Themen in Kontakt treten. Noch haben Republikaner keine Chance, diese Gesetze zu verabschieden – sollten sie jedoch in den Midterms beide Kammern des Kongresses zurückgewinnen, wäre der Weg frei. Das Ziel dieses Gesetzes ist klar: LGBTQ-Menschen aus der Gesellschaft zu verdrängen, sie unsichtbar zu machen und schlimmstenfalls ihren Tod in Kauf zu nehmen.
Offene Gewaltaufrufe
Vertreter*innen der Republikaner verlangen zudem, man müsse Kinder nicht nur vor LGBTQ-Menschen „schützen“, sondern auch vor Ärzt*innen, die die für trans Kinder und Jugendliche überlebenswichtige gender affirming Gesundheitsversorgung bereitstellen. Rechte Politiker*innen und Kommentator*innen behaupten, man wolle „die Kinder“ vor den gierigen Händen von Ärzten „schützen“, die sie „verstümmeln“ wollten. Matt Walsh, der jüngst von der WELT als „konservativer Michael Moore“ bezeichnet wurde, hat Ärzt*innen, die gender affirming care anbieten, als „böse“ bezeichnet – „so böse wie Nazi-Wissenschaftler“.
Tucker Carlson ist in seinen Aufrufen zur Gewalt noch expliziter. Er sagte über LGBTQ- Lehrer*innen, die gegenüber ihren Schüler*innen zugeben, eine gleichgeschlechtliche Ehe zu führen: „Bis vor Kurzem war die Regel noch: Wenn du mit meinen minderjährigen Kindern über ihr Sexleben redest, dann wird dir wehgetan. Und ich glaube, das sollte weiterhin die Regel sein. Ich glaube, dass das wirklich so bedrohlich ist.“
Die Gewalt- und Morddrohungen gegenüber Ärzt*innen, die trans Kinder und Jugendliche behandeln, folgt derselben perfiden „Logik“ wie die Anschläge auf Abtreibungskliniken. In beiden wird unter dem Motto „Schutz der Kinder“ Gewalt angedroht und auch verübt. Abtreibungskliniken wurden Zielscheibe von Brandanschlägen, Ärzt*innen wurden ermordet.
In der internationalen Rechten sind die Erfolge der anti-trans-Bewegung in den USA nicht unbemerkt geblieben: Vor allem Großbritannien hat sich in Europa als Zentrum der Transfeindlichkeit herausgebildet, doch sie ist längst auch in anderen europäischen Ländern angekommen. In den letzten Jahren sind Millionen von Dollar in die allgemein als „anti-gender“-Themen bezeichneten Unterfangen geflossen, bei denen ähnliche Narrative verbreitet werden. Sie stammen aus den Taschen rechter und fundamentalistische Christ*innen, die ein globales Netzwerk aufgebaut haben, wie der Bericht The Tip of the Iceberg des European Parliamentary Forum for Sexual & Reproductive Rights zeigt.
Die Radikalisierungs-Pipeline
Besonders besorgniserregend ist der Zusammenschluss einiger trans-feindlicher Feminist*innen mit der Politischen und Religiösen Rechten. Weshalb machen Frauen, die sich als feministisch verstehen, gemeinsame Sache mit einer dezidiert frauenfeindlichen, anti-feministischen und queerfeindlichen Bewegung? Wer in die Geschichte schaut, sieht jedoch, dass es nicht das erste Mal ist, dass „radikale Feministinnen“ und die Religiöse Rechte sich zusammentun. Die auf den ersten Blick paradoxe Koalition findet ihren gemeinsamen Nenner über ihr rein biologistisches Geschlechterverständnis. Schon früher haben beide Gruppen gemeinsame Sache gemacht, wenn man sich über das Ziel einig war: wie beispielsweise, Sexarbeit oder Pornographie abzuschaffen. So lässt sich erklären, dass transfeindliche Feministinnen auf Panels der rechtsreligiösen Heritage Foundation auftreten, und dass J.K. Rowling den transfeindlichen Film des selbsternannten „theokratischen Faschisten“ Matt Walsh lobt. Transfeindlichkeit ist eine Radikalisierungs-Pipeline: Der biologistische Ansatz bietet potenziellen Nährboden für andere, offen rechte Ideologien. So ist es nicht verwunderlich, dass Transfeindlichkeit oft einhergeht mit anti-muslimischem Rassismus und einer Bewerbung „traditioneller“ Geschlechterrollen. Biologistische Geschlechtskontrollen im Profisport führen beispielsweise in der Praxis vor allem zum Ausschluss Schwarzer Athletinnen.
Der Philosoph und Faschismus-Experte der Universität Yale, Jason Stanley, erklärt: „Die Kernerzählung des Faschismus ist der ‚Große Austausch’, die Angst, dass eine dominante Gruppe kulturell oder physisch durch eine marginalisierte Gruppe ersetzt werden soll, die als Sündenbock benutzt wird. Der Angriff auf trans Frauen folgt dieser Logik; er schürt die Angst, dass Frauen als Klasse ,ersetzt‘ werden sollen.“
In den USA ist die Situation für viele trans Menschen unerträglich geworden. Ich habe Jolene Jones, eine trans Frau aus evangelikalem Elternhaus in Austin, Texas, getroffen. Sie erzählte vom sich verschlimmernden Klima der Angst für trans Menschen im Land, vor allem in republikanisch regierten Bundesstaaten, in denen trans-feindliche Gesetze verabschiedet wurden. „Am liebsten würden wir das Land verlassen,“ sagt sie über sich und ihre Familie. „Aber das ist leider finanziell nicht möglich.“ Mittlerweile haben sie immerhin Texas verlassen – wie auch andere Familien, die ihre trans Mitglieder, Kinder und Jugendliche schützen wollen. Schützen vor Übergriffen auf der Straße, vor erzwungener Detransition, vor einer transfeindlichen Umgebung in der Schule und dem Sozialleben, vor Strafverfolgung, Geldbußen oder gar Gefängnisstrafe für die Eltern.
Roxanne Werner, Communications Director für den Staatsanwalt des Harris County District, Christian Menefee, der sich für den Schutz von trans Rights einsetzt, erzählte bei einem Treffen in Austin, dass sie vor kurzem eine befreundete Familie verabschieden musste, die aus Angst um ihr trans Kind den Staat verlassen hat: „Es war furchtbar traurig.“
Die Ängste, die Eltern von trans Kindern ausstehen müssen, sind enorm: In Texas hat die Aufforderung des Gouverneurs und Generalstaatsanwalts, Familien beim Jugendamt zu melden, falls der Verdacht besteht, dass ein Kind trans sei, Familien mit trans Kindern in eine Art Belagerungsmentalität gezwungen. Die Aufforderung war zwar rechtlich nicht bindend, doch trotzdem ging bei den Familien die Angst um, dass das Jugendamt anklopfen könnte. Durch das generelle Misstrauen gegenüber trans Kindern und ihren Familien, das durch die Anordnung generiert wurde, können auch trans Kinder, oder cis Kinder, die optisch nicht ihrem bei der Geburt eingetragenen Geschlecht entsprechen, zur Zielscheibe werden.
Für kurze Zeit konnten die Familien von trans Kindern aufatmen, weil ein Bundesrichter die Anordnung des Gouverneurs und Generalstaatsanwalts blockiert hatte. Doch der Texas Supreme Court urteilte anschließend, dass die Blockade aufgehoben werden müsse – aber auch, dass der Gouverneur zwar die Leitung des Jugendamts besetzen, dieser gegenüber aber nicht weisungsbefugt sei.
Die, die bleiben können, kämpfen für trans Rights, auch wenn sie das potenziell selbst in Gefahr bringt. Remington Johnson, Seelsorgerin und selbst trans Frau, die im konservativen Oklahoma aufwuchs und jetzt für die Rechte von trans Kindern und Jugendlichen kämpft, spricht eine eindringliche Warnung aus: „Wir verlieren. Wir, die trans Community, wird diese nächste Legislaturperiode nicht überstehen, wenn es so weitergeht. Die Community wird irgendwie überleben – vielleicht im Untergrund. Einige werden den Staat verlassen oder tun es schon. Aber der Preis, den wir zahlen müssen, wird enorm sein.“