Der aktuelle Zwist um geheime Regierungsdokumente in den Privathäusern von Trump, Biden und Pence ist nicht nur ein Lehrstück über Geheimhaltung, sondern auch über Transparenz. Und er berührt nicht zuletzt die Frage, auf Basis welcher Quellen Geschichte geschrieben wird.

  • Benedikt Neuroth

    Benedikt Neuroth ist Historiker und arbeitet freiberuflich als Autor und Lektor. Sein Buch „Das Private in der Sicherheitsgesellschaft“ ist 2023 bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienen.

Die USA haben mal wieder ein Geheim­hal­tungs­pro­blem. Doch diesmal schmug­gelten nicht Whist­le­b­lower geheime Doku­mente aus Regie­rungs­ge­bäuden, sondern Spitzen der Exeku­tive, die Geheim­pa­piere mit ins Home­of­fice genommen haben. Im Januar berich­teten Medien, dass als geheim einge­stuftes Mate­rial aus Joe Bidens Zeit als Vize­prä­si­dent an Orten aufge­taucht ist, wo es nicht hinge­hört. Anwälte des Präsi­denten fanden sowohl in einem privat genutzten Büro in Washington, DC, als auch in seinem Privat­haus in Wilm­ington, Dela­ware, mehrere Geheim­do­ku­mente. Dorthin waren sie laut Medi­en­be­richten im Zuge der Auszugs­wirren aus dem Weißen Haus im Januar 2017 geraten. Ein Sonder­be­rater wurde mit der Sache betraut. Das FBI fand nun bei einer Durch­su­chung des Privat­hauses weitere klas­si­fi­zierte Schriftstücke.

Suche nach Geheimdokumenten

Der Vergleich mit dem Verhalten von Bidens Amts­vor­gänger Donald Trump war für die Repu­bli­kaner zu verlo­ckend, um nicht medial ausge­schlachtet zu werden, aber er hinkt natür­lich. Trump hatte Medi­en­be­richten zufolge nach seiner Wahl­nie­der­lage gleich LKW-weise Kisten mit Regie­rungs­in­terna aus dem Weißen Haus auf seinen Privat­sitz Mar-a-Lago in Palm Beach, Florida, verbracht. Nachdem das Natio­nal­ar­chiv fehlende Doku­mente ange­for­dert hatte, begann Trump ein juris­ti­sches Tauziehen mit den Behörden. Irgend­wann hatte das Justiz­mi­nis­te­rium, das die Feder­füh­rung über­nommen hatte, genug.

In der Folge erwirkte das FBI einen Durch­su­chungs­be­schluss gegen Trump, um diese Regie­rungs­do­ku­mente zu sichern. Ein Gericht bestä­tigte den begrün­deten Verdacht, dass im Umgang mit Infor­ma­tionen Straf­taten begangen wurden. Im August letzten Jahres durch­suchten Ermittler Trumps Gemä­cher in Mar-a-Lago. Mit dieser und weiteren Aktionen konnten die Behörden mehrere Tausend Doku­mente sicher­stellen, darunter Hunderte klas­si­fi­zierter. Laut Medi­en­be­richten unter­liegen die Doku­mente teil­weise höchster Geheim­hal­tung und könnten etwa das Nukle­ar­pro­gramm behandeln.

Die Fälle von Trump einer­seits und Biden andrer­seits unter­scheiden sich durch das schiere Ausmaß, aber auch durch die persön­liche Haltung der Poli­tiker. Während Trump auf Konfron­ta­ti­ons­kurs mit den Behörden geht, setzt Biden auf Koope­ra­tion. Bidens Team wandte sich aus freien Stücken an die Behörden, um Doku­mente zu über­geben, infor­mierte jedoch nicht die Öffent­lich­keit darüber. Trump wurde von Behörden zur Heraus­gabe von Doku­menten aufge­for­dert, machte die Ermitt­lungen gegen ihn aber selbst publik. Zuletzt fand ein Anwalt des ehema­ligen Vize­prä­si­denten Mike Pence Geheim­do­ku­mente in dessen Privat­haus in Carmel, Indiana. Auch hier ging die Initia­tive von Pence selbst aus. So unter­schied­lich die Fälle gela­gert sind, müssen sich alle drei Poli­tiker mit dem Vorwurf eines laxen Umgangs mit klas­si­fi­ziertem Mate­rial ausein­an­der­setzen. Die poli­ti­sche Schlamm­schlacht hat längst begonnen.

Archi­vie­rung einer Amtszeit

Eine Seite dieser Geschichte dreht sich um Geheim­hal­tung, um die natio­nale Sicher­heit betref­fende Doku­mente, um Nukle­ar­waffen, den Stoff, aus dem Spio­na­ge­thriller gestrickt sind. Eine andere Seite jedoch betrifft die Trans­pa­renz, das heißt alle mögli­chen Doku­mente aus dem Weißen Haus, auf die sich spätere histo­ri­sche Studien stützen können. Die Frage lautet, auf welche Doku­mente Histo­ri­ke­rinnen und Histo­riker einmal werden zurück­greifen können und auf welchen Quellen Geschichts­schrei­bung folg­lich gründet.

Regie­rungs­do­ku­mente des US-Präsidenten, ob klas­si­fi­ziert oder nicht, gehören nach Ablauf einer Amts­zeit ins Natio­nal­ar­chiv. Nur so ergibt sich ein möglichst lücken­loses Bild der Vergan­gen­heit. Eine Ausnahme gilt für private persön­liche Schrift­stücke, die separat zu führen sind. Wie mit Doku­menten aus dem Weißen Haus nach dem Ende einer Präsi­dent­schaft verfahren wird, regelt der Presi­den­tial Records Act von 1978. Bis dahin galt der Nach­lass von Präsi­denten als Privat­sache. Franklin D. Roose­velt, Präsi­dent von 1933 bis 1945, begrün­dete zwar die Tradi­tion, diesen Nach­lass frei­willig der Öffent­lich­keit zu über­geben. Das änderte sich aller­dings nach Richard Nixons Rück­tritt in der Watergate-Affäre 1974, als der Gesetz­geber die Gefahr witterte, dass der Ex-Regierungschef Doku­mente oder Band­auf­nahmen verschwinden lassen könnte.

Nixon und die Watergate-Affäre

Schon zu Regie­rungs­zeiten gab sich Nixon eher zuge­knöpft, was die Heraus­gabe von Infor­ma­tionen betraf. Anfragen des Kongresses, wo Nixon nur über eine Minder­heit verfügte, galten als schlechter Stil und Eindringen in die „Familie von Mitar­bei­tern des Präsi­denten“, wie Berater John Ehrlichman im Mai 1969 schrieb. Gleich­wohl versi­cherte Nixon dem Kongress, Akten nur in Ausnah­me­fällen vorzu­ent­halten und persön­lich über dieses „execu­tive privi­lege“ zu entscheiden. So war es Usus. Nixon wollte die volle Kontrolle über Infor­ma­tionen und Kommu­ni­ka­tion bewahren. So ließ er etwa eine auto­ma­ti­sierte Band­an­lage instal­lieren, die sämt­liche Gespräche im Weißen Haus aufzeichnete.

Mitar­beiter im Weißen Haus griffen auch auf ille­gale Tech­niken zurück, um Infor­ma­tionen zu erlangen. Ein promi­nenter Fall betraf Daniel Ells­berg, der als Mitar­beiter des Thinktanks RAND das Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rium unter der Johnson-Regierung beraten hatte. Im Jahr 1971, bereits in der Regie­rungs­zeit Nixons, gab Ells­berg Auszüge aus einem Geheim­be­richt über den Viet­nam­krieg an die Presse weiter. Obwohl der Bericht das Handeln der Vorgän­ger­re­gie­rung betraf, kannte Nixon kein Pardon. Mitar­beiter aus dem Weißen Haus ließen in das Büro von Ells­bergs Psych­iater einbre­chen, um belas­tendes Mate­rial über Ells­berg zu finden.

Die zwei­fel­haften Prak­tiken des Weißen Hauses gerieten ins Schein­wer­fer­licht, als im September 1972 Einbre­cher in einem Büro der demo­kra­ti­schen Partei im Watergate-Gebäudekomplex in Washington ertappt wurden – bis heute sind diese Vorgänge deshalb als Auslöser der „Watergate-Affäre“ bekannt. Im selben Monat änderten Mitar­bei­tende im Weißen Haus die Akten­füh­rung und sonderten als heikel einge­stufte Doku­mente aus den „Central Files“ in soge­nannte „Special Files“ aus. Geheim­nis­krä­merei wurde zum Ordnungs­prinzip. Es ist unklar, wozu dieses Manöver dienen sollte. Wollte die Regie­rung bestimmte Akten vor der Einsicht durch Dritte, den Kongress oder Ermittler, schützen?

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Auf die Spuren dieser Zeit treffen Forschende noch heute. Bei Recher­chen im Nixon-Archiv habe ich zum Beispiel einige Doku­mente aus den „White House Special Files, Staff Member and Office Files, Egil Krogh“ gesichtet, darunter einen FBI-Bericht von J. Edgar Hoover über „Black Student Extre­mism“. Hoover, das sei am Rande erwähnt, setzte selbst stark auf Geheim­hal­tung und führte Akten unvoll­ständig, wenn es um zwei­fel­hafte Ermitt­lungs­tech­niken ging. Nach seinem Tod zerstörte seine Sekre­tärin sensible Doku­mente. Egil Krogh, in dessen Akten sich der genannte FBI-Bericht befand, führte eine Spezi­al­ein­heit, die soge­nannten Klempner, die unter anderem den Ellsberg-Einbruch begingen. Der Verdacht liegt nahe, dass diese Papiere mögli­cher­weise gar nicht sämt­lich zur Archi­vie­rung vorge­sehen waren. Doch es sollte anders kommen.

Nixons Tape Recorder aus dem Weissen Haus; Quelle: nixonlibrary.gov

Als Reporter begannen, die Auftrag­geber des Watergate-Einbruchs zurück­zu­ver­folgen, und Spuren ins Weiße Haus fanden, entfal­tete sich allmäh­lich ein Polit­skandal. Obwohl Kongress und Justiz etli­chen Mitar­bei­tern und Bera­tern krimi­nelle Hand­lungen nach­weisen konnten, blieb Nixons Rolle selbst in der Affäre lange unklar. Einen Wende­punkt brachten Tonband­auf­nahmen, von denen der Senat erfuhr. Nixon wehrte sich erbit­tert gegen deren Heraus­gabe und berief sich auf besagtes „execu­tive privi­lege“. Mit seiner Weige­rung schei­terte er vor dem Obersten Gerichtshof der USA im Fall United States v. Nixon. Eines der über­ge­benen Bänder – die soge­nannte smoking gun – legte nahe, dass Nixon zumin­dest von der Vertu­schung der Affäre in Kenntnis war. Im August 1974 trat er unter dem poli­ti­schen Druck eines drohenden Amts­ent­he­bungs­ver­fah­rens zurück.

Die nach­fol­gende Regie­rung unter Gerald Ford hatte Sorge, dass Nixon Infor­ma­tionen beisei­te­schaffen würde. Daher schloss der Ex-Präsident eine Verein­ba­rung mit der General Services Admi­nis­tra­tion, das Nixon-Sampson Agree­ment, das eine Über­gabe der Akten vorsah. Präsi­dent Ford begna­digte Nixon – unter anderem im Gegenzug zur Heraus­gabe der Akten – von allen Vorwürfen. Aller­dings sah die Verein­ba­rung unter anderem die Löschung von Bändern nach bestimmten Fristen vor, so dass der Kongress den Presi­den­tial Recor­dings and Mate­rials Preser­va­tion Act von 1974 verab­schie­dete, um den Regie­rungs­nach­lass Nixons zu bewahren.

Nixon unter­nahm juris­ti­sche Schritte gegen das Gesetz und argu­men­tierte unter anderem, dass seine Privat­sphäre verletzt würde. Die Richter am Obersten Gerichtshof erkannten diesen Anspruch im Fall Nixon v. General Services Admi­nis­tra­tion zwar an, glaubten aber, dass das Inter­esse der Öffent­lich­keit über­wiege. Das Gesetz war also verfas­sungs­kon­form; ein allge­mein­gül­tiges Gesetz folgte, wie gesagt, vier Jahre später. Nixon hatte so eine weitere Nieder­lage um Tonbänder und Doku­mente aus seiner Regie­rungs­zeit erlitten. Dennoch hatte das Ringen um Infor­ma­tionen erst begonnen, da sämt­liche Zeug­nisse genau geprüft werden mussten.

Geheim­nisse lüften

Zeug­nisse über die Regie­rungs­tä­tig­keit waren nicht mehr länger Privat­sache. Der Gesetz­geber hatte dafür gesorgt, dass Doku­mente nicht zum Besitz des Präsi­denten bzw. seiner Berater und Mitar­beiter gehören, sondern in öffent­li­cher Obhut liegen. Während Minis­te­rien und Behörden im laufenden Betrieb bestimmte Akten auf Dauer im offi­zi­ellen Gebrauch halten können, werden die präsi­den­ti­ellen Akten samt und sonders archi­viert und, sofern sie nicht klas­si­fi­ziert sind, nach bestimmten Fristen frei­ge­geben. Auch Tonbänder mit Aufzeich­nungen stehen im Besitz der Öffent­lich­keit und nicht des Staats­ober­haupts. Mit gutem Beispiel voran ging das Johnson-Archiv, das sämt­liche Aufnahmen von Tele­fo­naten, die der Präsi­dent geführt und aufge­zeichnet hatte, als Audio­da­teien ins Internet stellte.

Nun war Johnson zu Lebzeiten selbst kein Verfechter von Trans­pa­renz und pflegte seine eigenen Geheim­nisse über die Über­wa­chung poli­ti­scher Dissi­denten. Er erwog, ein Veto gegen das Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz FOIA (Freedom of Infor­maton Act) einzu­legen, unter­zeich­nete es aber schließ­lich im Juli 1966. Die anschlie­ßende Reform des Gesetzes war auch der Watergate-Affäre geschuldet. Gerichte sollten etwa unter Ausschluss der Öffent­lich­keit über die Heraus­gabe klas­si­fi­zierter Doku­mente entscheiden dürfen. Nixon dachte über ein Veto nach, sein Nach­folger Ford legte ein Veto ein, das der Kongress aber über­stimmte. Zu exzessiv betrieb die Exeku­tive Geheim­hal­tung, zu zahl­reich waren die Enthül­lungen von frag­wür­digen Geheim­pro­grammen. In kurzer Abfolge hatten Medien über poli­ti­sche Über­wa­chung von Dissi­denten berichtet: das CONUS-Programm der Armee, COIN­TEL­PROs des FBI und die CIA-Operation CHAOS. In dieser Atmo­sphäre der Watergate-Jahre von Spio­nage und Geheim­nissen forderte der Gesetz­geber trans­pa­rentes Regie­rungs­han­deln ein.

Geheim­do­ku­mente sind nicht unbe­dingt für alle Tage geheim. Das regelt eine entspre­chende Verfü­gung des Präsi­denten über Klas­si­fi­zie­rungen, zuletzt von Barack Obama. Etwa trug der oben erwähnte FBI-Bericht über Extre­mismus in der afro­ame­ri­ka­ni­schen Studie­ren­den­schaft  einmal den Stempel „geheim“. Die oben genannten „Pentagon-Paper“ von Ells­berg sind mitt­ler­weile auch frei zugäng­lich. Behörden können bei Revi­sionen der Archive Doku­mente frei­geben, und es bestehen Fristen zur Deklas­si­fi­zie­rung. Darüber hinaus können Jour­na­lis­tinnen oder Histo­riker eine FOIA-Anfrage stellen. Dies setzt aller­dings voraus, dass Doku­mente auffindbar sind und ihre Exis­tenz bekannt ist.

In die Obhut des Nationalarchivs

Das primäre Inter­esse der Justiz­be­hörden liegt jetzt natür­lich darin, Geheim­do­ku­mente zu sichern. Aller­dings gehören sämt­liche Regie­rungs­do­ku­mente von ehema­ligen Vize­prä­si­denten und Präsi­denten, ob klas­si­fi­ziert oder nicht, in die Obhut des Natio­nal­ar­chivs, wo sie der Geschichts­for­schung zugäng­lich sind. Viel­leicht sollten Mitar­bei­tende von Biden lieber nochmal in seiner Garage nach­schauen, ob sich dort noch rele­vante Doku­mente befinden, die zwar nicht klas­si­fi­ziert, aber auch nicht privat sind oder bereits zu Amts­zeiten ausge­son­dert wurden. Im Gegen­satz zu Biden und Pence wiederum testet Trump gerade die Grenzen seiner privaten Ansprüche auf bestimmte Schrift­stücke aus. Im September letzten Jahres vermel­dete ein Komitee im Reprä­sen­tan­ten­haus, dass das Natio­nal­ar­chiv immer noch nicht sicher ist, ob es mitt­ler­weile sämt­li­ches Mate­rial aus der Ära Trump erhalten hat. Es bleibt zu hoffen, dass die Geschichts­bü­cher von morgen ein ausge­wo­genes Bild der Vergan­gen­heit auf Grund­lage voll­stän­diger Akten zeichnen können.