1999 veröffentlichte der kürzlich verstorbene Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann seine umfangreiche Studie »Postdramatisches Theater«. Sie eröffnete einen Zugang zum Theater der Gegenwart, der bis heute nachwirkt.

Geschichte der Gegenwart
Geschichte der Gegenwart 
Theater ohne Hand­lung. Erin­ne­rungen an Hans-Thies Lehmann und sein Buch »Post­dra­ma­ti­sches Theater«
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Man denke sich ein Theater, das nicht auf dem Prinzip drama­tisch orga­ni­sierter Hand­lung und nicht auf dem Prinzip ihrer in Dramen­texten vorfor­mu­lierten Nach­ah­mung beruht. Der Thea­ter­wis­sen­schaftler Hans-Thies Lehmann, vor wenigen Wochen am 16. Juli 2022 in Athen verstorben, hat diesen Gedanken ein Forscher­leben lang verfolgt. Er tat dies aus einer großen Affi­nität zu einer konkreten Thea­ter­praxis heraus, die er selbst als ›post­dra­ma­ti­sches Theater‹ bezeich­nete und die er mit dieser Bezeich­nung auch auf einen inzwi­schen viel­fach rezi­pierten Begriff gebracht hat.

Ich erin­nere mich daran, wie ich Hans-Thies Lehmann kurz vor dem Erscheinen des Buches Post­dra­ma­ti­sches Theater (1999) kennen­ge­lernt habe. Damals war noch keines­wegs absehbar, dass das gerade auf den Weg gebrachte Buch später in über fünf­und­zwanzig Spra­chen über­setzt und welt­weit rezi­piert werden würde: in der Wissen­schaft ebenso wie im Theater.

Aus der Praxis heraus

Lehmann war zusammen mit dem Literatur- und Medi­en­wis­sen­schaftler Burk­hardt Lindner der Erfinder und Leiter eines damals frisch einge­rich­teten Dokto­rats­pro­gramms (dem DFG-Graduiertenkolleg »Zeit­er­fah­rung und ästhe­ti­sche Wahr­neh­mung«) an der Goethe-Universität Frank­furt am Main. Ein Gremium aus weiteren mehr oder weniger illus­tren Persön­lich­keiten mit unter­schied­li­chen fach­li­chen Hinter­gründen gesellte sich hinzu. Was in und neben diesem Programm geschah, umfasste eine weite Palette an inter­dis­zi­pli­nären Unter­neh­mungen: viel Lektüre, viel Theater, viel Kino, viel Diskus­sion, viel Zuhören auch, Wein und Verpfle­gung meis­tens in Maßen, Höhe­punkte wie die ›Bege­hung‹ (die Evalua­tion durch die Förder­insti­tu­tion) kamen hinzu. Werner Hama­cher etwa, Philo­loge radi­kaler Art, drehte bei dieser ›Bege­hung‹ im Anschluss an eine ›Poster­prä­sen­ta­tion‹ kurzer­hand den Spieß um und forderte die externen Evaluator:innen unum­wunden dazu auf, ihre eigenen Beur­tei­lungs­kom­pe­tenzen zu über­prüfen. Viel also auch, was selbst thea­trale Züge trug und dabei auch Anek­doten beförderte.

So berich­tete Lehmann etwa in der Art eines verhal­tenen Witzes einmal vor einer Gruppe, wahr­schein­lich auf dem Weg zu einem der gesel­li­geren Anlässe, wie er in (ich glaube) Japan von einem der dort Anwe­senden aus der Wissen­schaft oder dem Theater als ›Papst des post­dra­ma­ti­schen Thea­ters‹ bezeichnet worden sei. Das fand er selbst so komisch, dass er lachen musste. Wir lachten mit, weil wir ihn als ›Prof‹ zwar neben seiner heiteren und lako­ni­schen Seite schon auch als bedäch­tigen Menschen, aber sicher­lich nicht als ›Papst‹ kennen­ge­lernt hatten.

Gesti­sches Denken

Die Szene wiederum, in der Lehmann sich selbst wieder­fand, als er uns die Papst-Szene verge­gen­wär­tigte, war selbst beispiel­haft. Sie erin­nert an die Brecht’sche »Stra­ßen­szene« (Bertolt Brecht begriff die »Stra­ßen­szene« 1938 als »Grund­mo­dell für episches Theater«): Ein zufäl­liger Zeuge berichtet am Rand einer Straße von einem Auto­un­fall, den er – unge­schickt viel­leicht, aber ohne Illu­si­ons­an­spruch – gestisch nach­spielt und allen­falls noch mit ein paar szeni­schen Kommen­taren versieht. So trat auch Lehmann auf. Eher hinwei­send als ausdeu­tend, nie besserwisserisch.

Die Geste des Zeigens verdient Beach­tung. Nicht weil mit ihr ein Werk (ein Buch) durch ein Leben erklärt werden könnte. Sondern um zu zeigen, dass sowohl das eine als auch das andere durch solche Gesten eben bestimmt sein kann. Auf Verwandt­schaften oder Berüh­rungs­punkte dieser Art kommt es auch und gerade dann an, wenn mensch­liche Körper – mit ihrem Leben wiederum – ins Theater geraten. Was kann da alles passieren? Was kann da alles geschehen, wenn Körper, Dinge, Sprach­formen und Gesten aufeinandertreffen?

Offen­heit und Zurückhaltung

Wenn ich Lehmanns Post­dra­ma­ti­sches Theater heute wieder lese, erkenne ich das ganze Buch als eine Geste in dem soeben beschrie­benen Sinn. Der Witz dieser Geste besteht womög­lich in der Art, wie sich ihr Auffor­de­rungs­cha­rakter nur verhalten arti­ku­liert: Schaut doch mal hin! Bewegt Euch doch an die Orte, wo das Theater spielt! Nehmt bitte wahr, was da passiert! Verlernt bitte, dass das Theater Euch sagt, was Ihr zu tun habt! Macht die Augen auf, hört zu und begreift Euch als Teil des Prozesses, um den es im Theater jeweils geht! Lasst Euch doch bitte darauf ein, bevor Ihr mit einem selbst­ge­fäl­ligen Urteil darüber kommt, wie Theater sein soll!

Buch­cover „Post­dra­ma­ti­sches Theater“ (1999)

Vergesst die Dramatik der Hand­lung, sofern das Theater, an dem ihr im Moment teil­nehmt, selbst darauf gepfiffen hat! Gebt Euch doch wenigs­tens die Mühe, das, was ihr als gesi­cherten Bestand Eures Wissens glaubt ausgeben zu können, durch die im Theater verbrachte Zeit als revi­si­ons­offen zu begreifen! Und vergesst bitte auch nicht, dass es ein Theater gab, bevor es Euch und all die nach­kom­menden Theo­rien gab! Und: Wenn schon zurück zu den Grie­chen (Sopho­kles) oder in die fran­zö­si­sche Klassik (Racine), dann bitte richtig, nah an dem, was doku­men­tiert ist, was seine oft nur fragilen Spuren hinter­lassen hat und was sich mit frag­wür­digen idea­lis­ti­schen Rück­pro­jek­tionen nicht begreifen lässt!

Lehmann hätte – getreu seinem Gestus – solche Auffor­de­rungen nie explizit formu­liert. Was er in Sätze packte, ist nüch­terner, indi­rekter formu­liert, aber nicht minder dezi­diert. So etwa an dieser Stelle im Buch zum post­dra­ma­ti­schen Theater (83):

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Bei aller berech­tigten Abnei­gung gegen mittel­mä­ßige Köpfe im Theater, die bedeu­tende Texte in ihrem doch vergleichs­weise beschränk­teren Erfahrungs- und Kunst­ho­ri­zont einschließen, ist zu betonen, dass das Gezeter über regie­liche Willkür in den meisten Fällen dem tradi­tio­nellen Verständnis von Text­theater im Sinne des 19. Jahr­hun­derts und/oder dem Unwillen entspringt, sich auf unge­wohnte Thea­ter­er­fah­rungen über­haupt einzulassen.

Es erstaunt nicht, dass der hier durch­klin­gende Anspruch, sich auf »unge­wohnte Thea­ter­er­fah­rungen über­haupt einzu­lassen«, viel Wirbel bei denen ausge­löst hat, deren gesetztes Thea­ter­ver­ständnis nicht nur durch die Praxis, sondern mit Lehmann nun auch noch durch eine avan­cierte Theo­rie­bil­dung infrage gestellt wurde. Worauf kann man sich denn noch verlassen…

Auf die Thea­ter­praxis eben. So Lehmann. Spätes­tens seit den 1960er Jahren geht es darin – und hier setzt das Buch Post­dra­ma­ti­sches Theater an – vermehrt und oftmals von jenseits der etablierten Insti­tu­tionen herkom­mend schlicht um Ereig­nisse, Vorfüh­rungen, Aktionen, Zita­tionen, perfor­ma­tive Herbei­füh­rungen von Situa­tionen an konkreten, oftmals medial verviel­fachten und so gebro­chenen Orten. Dabei sind sie nicht so konzi­piert, dass sie sich dem nach wie vor weit verbrei­teten Wunsch nach Hand­lung, Dramatik, Nach­ah­mung, span­nenden Geschichten und derglei­chen gefügig machen.

Sie sind viel­mehr selbst Arti­ku­la­tionen einer Ausein­an­der­set­zung. Die Zuschauer:innen mitten­drin. Und das Ritual viel­leicht, in Schwund­formen, immer noch als Modell im Hinter­grund: uralt (archa­isch) und post­dra­ma­tisch zugleich. Das Zusam­men­kommen von Menschen und Dingen an einem Ort zu einer bestimmten Zeit und das Spiel in und mit dieser Situa­tion, begleitet besten­falls von einer spezi­fisch thea­tralen Erkenntnis, dass derar­tige Zusam­men­künfte geladen sind, das ist Theater im Kern.

Das Poli­ti­sche des Theaters

›Geladen‹ oder in diesem Sinne ›span­nend‹ ist ein so konzi­piertes Theater nicht nach dem Muster einer drama­ti­schen Hand­lung mit Expo­si­tion, Peri­petie (Höhe­punkt), Verzö­ge­rungen hier und da, und schließ­lich mit einer Kata­strophe, einer Wendung zum Guten oder zum Schlechten (Drama!). Sondern span­nend ist ein solches Theater, weil alle Akteure (auch ding­liche und mediale), die sich da versam­meln, ihre Prägungen ohnehin mit sich herum­tragen. Das Poten­zial zum Konflikt gehört dazu, wobei die Politik des Thea­ters demnach orien­tierbar an dem ist, was diese Konflikte – nicht vorschnelle Lösungen – besagen können oder sollen. Das Theater dann als Ort der Aushand­lung solcher Konflikte.

Was daraus dann jeweils im oder aus dem Theater heraus folgt, muss seiner­seits keinem bereits vorlie­genden Skript folgen. Dabei bewegt ›post­dra­ma­ti­sches Theater‹ sich keines­wegs jenseits der Schrift, wohl aber in einem freieren (oder keinem) Bezug zu jenen schrift­lich über­lie­ferten Texten, die – klas­sisch – als Dramen­texte extra formu­liert worden sind, um auf eine bestimmte Weise aufge­führt zu werden (mit all den Zwängen, die darauf beruhen). Weg damit! – könnte man aus post­dra­ma­tisch geschulter Perspek­tive sagen. Aber nicht weg mit dem, was insge­samt schrift­lich oder anders über­lie­fert ist. Sondern weg mit den Vorstel­lungen, die das Theater auf ein histo­risch zu situ­ie­rendes Modell redu­zieren wollen, ein Modell, das Dramen­text­theater genannt werden könnte: Typi­sierte Indi­vi­duen ahmen auf einer Bühne vor einem Publikum Hand­lungen nach, die einem schrift­lich fixierten Muster folgen. Weg auch mit den Vorstel­lungen, die das Theater darauf verpflichten wollen, die angeb­li­chen oder vermeint­li­chen Stützen einer Gesell­schaft, in der es selbst oft genug einen prekären Ort hat, abzufeiern.

Die Politik des Thea­ters – oder wie Lehmann zu sagen vorzog: ›das Poli­ti­sche‹ des Thea­ters – zeigt sich nicht primär in seinen Themen. Viel­mehr zeigt es sich in der Art, wie – mit welchen Körper­ein­sätzen, Sprach­formen, Medien, Macht­an­sprü­chen, Gemein­schafts­vor­stel­lungen – etwas zur Darstel­lung gelangt und damit im Hinblick auf ein gesell­schaft­li­ches Verän­de­rungs­po­ten­zial auch reflek­tiert werden kann (Brecht, entfernt schil­lernd, im Hinter­grund). Das Poli­ti­sche insbe­son­dere des post­dra­ma­ti­schen Thea­ters besteht vor allem darin, dass es – wie Lehmann mit dem Philo­so­phen Jacques Rancière im Lektü­re­ge­päck ausführt – die Sinne heraus­for­dert: Die Auftei­lung des Sinn­li­chen, was wo wie wahr­nehmbar werden kann, eine Stimme, ein Gesicht und einen Körper bekommen kann, wird im Theater durch­ge­ar­beitet, aufge­führt, befragt und zur Kennt­lich­keit entstellt.

Theo­rie­ge­schichte

Das Theater blieb für Lehmann auch und gerade durch die zahl­rei­chen Auffüh­rungen, die er regel­mäßig besuchte und seit seiner Zeit in Gießen – wo Andrzej Wirth in den frühen 1980er Jahren mit ihm und anderen die dortige Ange­wandte Thea­ter­wis­sen­schaft aufbaute – auch prak­tisch mit anregte und beglei­tete, ein Ort der Über­ra­schung, der Konfron­ta­tion, des Uner­klärten, schließ­lich (oder besser anfäng­lich) auch des Poli­ti­schen in dem ange­deu­teten Sinne: Im Theater treffen Menschen, Dinge und Medien aufein­ander. Und unter­schied­liche Modelle von Gemein­schaft, Zusam­men­kunft, Bezie­hung, Aushand­lung, Sprache und Kritik können darin erprobt oder hinter­fragt werden – beim post­dra­ma­ti­schen Theater oft mit offenem Ausgang.

In seinen jungen Jahren studierte Lehmann bei Peter Szondi an der Freien Univer­sität Berlin am damals neu gegrün­deten Institut für Allge­meine und Verglei­chende Lite­ra­tur­wis­sen­schaft. Er hat diese Zeit immer dankbar in Erin­ne­rung gehalten. Szondi selbst war es ja, der in seiner bahn­bre­chenden, 1956 bei Suhr­kamp erschie­nenen Theorie des modernen Dramas (seiner Zürcher Disser­ta­tion bei Emil Staiger) für das Theater des ausge­henden 19. und frühen 20. Jahr­hun­derts (Ibsen, Tschechow, Strind­berg Maeter­linck, Haupt­mann) bereits eine »Krise des Dramas« diagnos­ti­zierte. Hand­lungsarmut zumin­dest war in den entspre­chenden ›Thea­ter­stü­cken‹ schon greifbar, und die folgenden »Lösungs­ver­suche« der »Krise« (so Szondi) insbe­son­dere bei Bertolt Brecht durch dessen Episie­rung des Thea­ters oder bei Eugene O’Neill durch eine Mono­lo­gi­sie­rung legten bereits einige der Fährten, die Lehmann in seinem Buch zum post­dra­ma­ti­schen Theater aufnimmt.

Lehmann macht aber auch deut­lich, dass die Thea­ter­praxis, die sich im Anschluss an den von Szondi unter­suchten Zeit­raum, dann eben ab den 1960er Jahren und deut­lich verstärkt ab den 1980er Jahren formiert hat, ganz neue Beschrei­bungs­kri­te­rien verlangt. Dazu hält Lehmann stich­wort­artig und in entspre­chenden Teil­ka­pi­teln fest: Entzug der Synthesis, Traum­bilder, Synäs­thesie. Und unter dem Schlag­wort der Perfor­mance (als Text) steht: Parataxis/Non-Hierarchie, Simul­taneität, Spiel mit der Dichte der Zeichen, Über­fülle, Musi­ka­li­sie­rung, Szenographie/virtuelle Drama­turgie, Wärme und Kälte, Körper­lich­keit, Konkre­tion, Einbruch des Realen, Ereignis/Situation.

Da diese Beschrei­bungs­kri­te­rien immer aus konkreten Beispielen heraus entwi­ckelt werden, bleiben sie bei Lehmann nie abstrakt. Zu den Gewährs­leuten einer entspre­chen Thea­ter­praxis gehören unter anderem: Robert Wilson, Heiner Müller, Jan Fabre, Heiner Goeb­bels, Chris­toph Marthaler, Einar Schleef, René Pollesch. Von den immer noch aktiven Thea­ter­gruppen im deutsch­spra­chigem Raum nannte Lehmann selbst immer wieder die mehr oder weniger stark mit ihm auch verbun­denen Gruppen She She Pop, Rimini Proto­koll oder andcompany&Co. Von den Autorinnen, die sich mit ihren Texten in einem offenen Dialog zu post­dra­ma­ti­schen Auffüh­rungs­prak­tiken beweg(t)en, nehmen vor allem Elfriede Jelinek und Sarah Kane eine promi­nente Stel­lung ein.

Dagegen fällt auf, dass Formen des Thea­ters oder der Perfor­mance, die kein bestimmtes Publikum adres­sieren, die einen als ›Theater‹ markierten Ort gar nicht erst aufsu­chen oder die sich wie einige der Aktionen von Chris­toph Schlin­gen­sief von ihren mögli­chen Begriffen selbst ständig lossagen, auch in Lehmanns Auffas­sung des ›post­dra­ma­ti­schen Thea­ters‹ vergleichs­weise wenig bedacht werden.

Kritik

Auf Kritik am Konzept des post­dra­ma­ti­schen Thea­ters im Sinne einer poli­ti­schen Kritik, wie sie etwa vom Drama­turgen Bernd Stege­mann (z.B. hier) formu­liert wurde, reagierte Lehmann (mir gegen­über vor wenigen Jahren) mit einem etwas befrem­deten Erstaunen. Das hatte vor allem damit zu tun, dass Lehmann seinen Begriff des Poli­ti­schen grund­sätz­li­cher ange­legt sah. Ein Verständnis von Politik, das sich vorrangig auf Ökonomie und Macht­ver­hält­nisse (auch im Theater), ja auf ihr Drama, wenn man so sagen kann, konzen­triert, dürfte, ja sollte in einem funda­men­ta­leren Verständnis des Poli­ti­schen doch mitent­halten sein. Das ganze Buch zum post­dra­ma­ti­schen Theater verfolgt den Ansatz, dass in der Thea­ter­praxis selbst die Thesen, ja Stacheln für eine spätere Theo­rie­bil­dung und Kritik (auch und gerade des Poli­ti­schen) schon ange­legt und demnach aufzu­finden sind. In Lehmanns Worten (140): »das Theater arti­ku­liert durch die Art seiner Semiose eine die Wahr­neh­mung betref­fende These

Lehmann ist hier nah an Peter Szondi, nur dass das, was bei Letz­terem dann doch vor allem die Dramen­texte waren, nun die Arti­ku­la­tionen der Auffüh­rung selbst sind. Denkt man an die Insze­nie­rungen etwa von René Pollesch, dann wird man merken, dass eine Kritik der Ökonomie und der daran gekop­pelten Macht­ver­hält­nisse inner­halb einer Gesell­schaft gerade im post­dra­ma­ti­schen Theater längst auch mit Blick auf die Zustände im Theater selbst formu­liert worden ist. An einem solchen Zutrauen in die Möglich­keiten des Thea­ters kann man sich, Lehmanns Buch im Gedächtnis, immer noch orientieren.