Mit der Herausforderung einer Stabilisierung des globalen Temperaturanstiegs erlangen historische urbanistische Projektideen zu einer aktiven Transformation des Klimas eine neue Bedeutung – jenseits des bloß Utopischen. „Terraforming“ erscheint dabei als eine ökologische Kategorie des 21. Jahrhunderts.

  • Sascha Roesler

    Sascha Roesler ist Professor für Architekturtheorie an der Accademia di architettura in Mendrisio (Schweiz). Davor war er als Dozent an der ETH Zürich sowie am Future Cities Laboratory der ETH in Singapur tätig.
Geschichte der Gegenwart
Geschichte der Gegenwart 
Terra(re)forming. Urba­nis­ti­sche Deutungs­ver­suche eines zukunfts­träch­tigen Begriffs
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Im Licht einer Umge­stal­tung der „ecology of the planet“ (David Abram) verliert der Begriff des Terra­forming zuneh­mend seine techno-futuristische Pointe, die sich seit Jack William­sons Kurz­ge­schichte Colli­sion Orbit (1942) auf die mensch­liche Urbar­ma­chung fremder Planeten bezog. Viel­mehr muss Terra­forming heute, wie Donna Haraway betont hat, als eine grund­le­gende Kate­gorie einer mensch­li­chen und nicht-menschlichen Reform der Erde verstanden werden, die immer schon und erst recht in Zukunft zahl­reiche Akteur:innen bei der aktiven Umge­stal­tung des Planeten Erde zusam­men­führt. Nicht zufällig bezeichnet Haraway Bakte­rien als „the grea­test plane­tary terra­for­mers (and refor­mers) of all“, welche „in inter/intra-action of myriad kinds (inclu­ding with people and their prac­tices, tech­no­lo­gical and other­wise)“ stehen.

Ein solcher Begriff von Terra­forming, der die Bedeu­tung weg vom Extra­ter­res­tri­schen hin zum Terres­tri­schen verschiebt, grenzt sich jedoch auch gegen­über anthro­po­zen­tri­schen Verkür­zungen ab – einem einsei­tigen Tech­nik­glauben, der heute in Form des Geo- oder Climate-Engineering neu auflebt. So soll etwa durch neuar­tige Infra­struk­turen oder Holz­plan­tagen CO2 aus der Atmo­sphäre gebunden werden. Ange­sichts der gleich­zei­tigen Heraus­for­de­rung der Klima­wan­del­an­pas­sung und der Ener­gie­wende kann ökolo­gi­sche Praxis jedoch nicht länger auf rein mensch­liche Akti­vi­täten des Engi­nee­ring oder Designs redu­ziert werden; viel­mehr müsste ein koha­bi­ta­tives Terra-Reforming an deren Stelle treten, um neue Ener­gie­land­schaften und klima­an­ge­passte urbane Terri­to­rien denkbar werden zu lassen. Wie wir heute wissen, bilden extrak­tive Rohstoff­ge­win­nung und inten­sive Plan­ta­gen­wirt­schaft ein längst in Gang befind­li­ches Terra­forming, das die Ökologie mit der Ökonomie kurz­schließt und dessen Wirkungs­feld Haraway im Drei­ge­spann von „Anthro­po­cene, Capi­talo­cene, Plan­ta­ti­o­no­cene” zusam­men­fasst. Dieser empi­ri­schen Realität muss ein neues norma­tives Verständnis entge­gen­ge­stellt werden, wie Timothy Morton ange­deutet hat: „We have always been terra­forming, so let’s do it consciously from now on.”

Eine Wissens­geo­gra­phie des Terraforming

Intel­lek­tu­elle Reser­voirs von Terra­forming, die glei­cher­maßen zur Begriffs­schär­fung und zur Anschauung einer zukünf­tigen bewussten Praxis dienen, finden sich im urba­nis­ti­schen Denken des 20. und 21.  Jahr­hun­derts. Für den russi­schen Inge­nieur und Schrift­steller Andrej Platonov, den deut­schen Archi­tekten Hermann Sörgel und den US-amerikanischen Künstler-Architekten Peter Fend bezeichnet Terra­forming inte­grierte Tech­niken der Klima­trans­for­ma­tion und Ener­gie­ge­win­nung. Indem die Ideen­welten dieser Autoren, deren Refe­renz­ter­ri­to­rien sich von der Meer­enge von Gibraltar bis in den äußersten Osten Sibi­riens erstre­cken, hier zusammen vorge­stellt werden, soll eine „Wissens­geo­gra­phie” des Terra­forming skiz­ziert werden, die im Anschluss an Ananya Roy auch als eine „new geograph[y] of theory” bezeichnet werden kann.

Beispiel 1: Andrej Plato­novs Dshan

Beginnen möchte ich mit dem intel­lek­tuell wohl anspruchs­vollsten Theo­re­tiker des (erdbe­zo­genen) Terra­forming. Der russi­sche Schrift­steller und Inge­nieur Andrej Platonov (1899–1951) ist ein exem­pla­ri­scher Vertreter eines Terraforming-Utopismus unter sowje­ti­schen Vorzei­chen, dessen visio­näre Schriften in einer heutigen Lesart zahl­reiche Schnitt­mengen mit ökolo­gi­schen Diskursen aufweisen. Was im proto-ökologischen Roman Dshan (1935) kulmi­nierte, wurde von Platonov bereits in den 1920er Jahren in Form von mehreren tech­ni­schen Aufsätzen theo­re­tisch vorweg­ge­nommen. In Über die Verbes­se­rung des Klimas (1923) etwa denkt der Bewäs­se­rungs­in­ge­nieur Platonov über die Anpas­sung von Ökosys­temen in konti­nen­talen Ausmaßen nach. Im Zentrum steht die These von der grund­sätz­li­chen Trans­for­mier­bar­keit geokli­ma­ti­scher Bedin­gungen (die Natur als das Vorge­ge­bene). Dabei nimmt er Bezug auf Fach­dis­kus­sionen unter nord­ame­ri­ka­ni­schen und sowje­ti­schen Inge­nieuren seiner Zeit. Platonov verweist etwa auf die Idee der „Erhö­hung der mitt­leren Jahres­tem­pe­ratur“ auf der Labrador-Halbinsel oder der „Verbes­se­rung des Klimas“ in Ostsi­bi­rien. In Neufund­land, so Platonov, lief das Projekt „im Wesent­li­chen darauf hinaus, durch die Errich­tung eines gewal­tigen Stau­damms in der Meer­enge zwischen der Labrador-Halbinsel und Neufund­land eine bestimmte kalte Meeres­strö­mung zu unter­bre­chen und gleich­zeitig eine warme Strö­mung in die gewünschte Rich­tung zu lenken“. Die Beschrei­bung der dafür nötigen Mecha­nismen erin­nert auf frap­pie­rende Weise an heutige empi­ri­sche Beschrei­bungen des globalen Klima­wan­dels, mit dem Unter­schied aller­dings, dass die verän­derten Meeres­strö­mungen plane­rischindu­ziert wären.

Josef Stalin, Großer Plan zur Umge­stal­tung der Natur, 1948.
© Lopez, Fanny. 2014. Le rêve d’une décon­ne­xion. De la maison auto­nome à la cité auto-énergétique. Paris: Editions de la Villette.

Platonov hebt drei wesent­liche Inter­ven­ti­ons­ebenen für eine Klima­ver­bes­se­rung hervor: die „Hydro­sphäre“, die „Atmo­sphäre“ sowie das „Relief der Erdober­fläche“. Alle drei Ebenen sind hoch­kom­plex, dyna­misch und inter­agie­rend; Platonov erachtet sie als zentrale Hebel, um das Klima bewusst zu verän­dern. Zu konzi­pieren wäre ein neues Profil „der gesamten Erde“, indem neue Gebirgs­sys­teme durch die „Verwen­dung von Spreng­stoff“ in die gewünschte Form gebracht werden. Wie das Wasser lassen sich auch die Luft­ströme „stauen, kana­li­sieren (…) begra­digen usw.“ Das Relief der Erdober­fläche stellt einen „Wider­stand gegen die atmo­sphä­ri­schen Strö­mungen“ dar, der maßgeb­lich das Klima beein­flusst. So könnte etwa die Wüste Gobi durch Terraforming-Maßnahmen in Sibi­rien wieder fruchtbar gemacht werden.

Bemer­kens­wert sind solche Über­le­gungen zum Terra­forming, wie sie in der frühen Sowjet­union ange­stellt wurden, weil sie die Vorge­ge­ben­heit der Ressourcen hinter­fragen und einen engen Konnex zwischen Geologie und Infra­struktur postu­lieren. Im Licht der zu schaf­fenden neuen Gesell­schaft muss auch die Geografie (und die damit zusam­men­hän­genden Ökolo­gien) des Sowjet-Reiches neu kompo­niert werden. Terra­forming erscheint hierfür, neben dem Infra­struk­turbau, als probates Mittel. Noch 1948 präsen­tierte Stalin seinen großen Plan zur „Trans­for­ma­tion der Natur“; ein gigan­ti­sches Netz­werk von Ener­gie­infra­struk­turen, das Asien über­ziehen und mit Europa verbinden sollte. Im Unter­schied zur staat­li­chen Politik der Ausbeu­tung der Natur, mit ihrer Fixie­rung auf groß­maß­stäb­liche Infra­struk­turen, war sich Platonov der ökolo­gi­schen Verhee­rungen sehr wohl bewusst. Chan­gie­rend zwischen Mach­bar­keits­glauben und radi­kaler ökolo­gi­scher Kritik zielte er auf die Schaf­fung neuer Ökosys­teme, die den Infra­struk­turbau konzep­tio­nell ergänzen sollten.

Beispiel 2: Hermann Sörgels Atlan­tropa

Der deut­sche Archi­tekt Herman Sörgel (1885–1952) hat mit seinem alle Maßstäbe spren­genden Projekt Atlan­tropa eine neue Geografie, mit neuen Land­massen und neuen Ökolo­gien, anvi­siert. Über drei Jahr­zehnte hinweg hat Sörgel an diesem Projekt unter Beizug zahl­rei­cher Experten gear­beitet. Atlan­tropa beruhte auf der Idee einer geolo­gi­schen Trans­for­ma­tion des medi­ter­ranen Meer­be­ckens. Würde dem Mittel­meer der Zufluss aus dem Atlantik (und dem Schwarzen Meer) entzogen, so Sörgels zentrale Idee, so würde es zu einer fort­lau­fenden Verduns­tung und in der Folge zu einer konti­nu­ier­li­chen Absen­kung des Wasser­spie­gels und zu neuen Land­brü­cken, etwa zwischen Sizi­lien und Kala­brien, kommen. Durch die Errich­tung eines neuen Damms zwischen Sizi­lien und Tune­sien würden schließ­lich zwei vonein­ander getrennte Wasser­be­cken entstehen. Durch die Absen­kung des west­li­chen Meeres­spie­gels um 100 Meter und des östli­chen um 200 Meter würden riesige neue Land­flä­chen gewonnen werden. Für die trocken gelegten Terri­to­rien entwarf die Elite des Neuen Bauens futu­ris­tisch anmu­tende Bauten, Infra­struk­turen und Neustädte. Im Kontext der Welt­wirt­schafts­krise erschien Atlan­tropa als ein reali­sier­bares Unter­fangen, das Arbeit in einem bis dahin unbe­kanntem Ausmaß für alle gesell­schaft­li­chen Schichten versprach.

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Hermann Sörgel, Atlantropa-Übersichtskarte, die das Ener­gie­netz und die Land­ge­win­nung zeigt, 1932.
© Deut­sches Museum, München.

Als „Paneu­ro­päer“, der von der Über­le­gen­heit Europas (und nicht etwa Deutsch­lands) über­zeugt war, verfolgte Sörgel mit rassis­tisch moti­viertem Eifer die Trans­for­ma­tion des Klimas des Konti­nents Afrika. Die riesigen Binnen­ge­wässer, die aus dem Stauen der Meer­enge von Gibraltar und der Darda­nellen resul­tieren würden, sollten die klima­ti­schen und ökolo­gi­schen Verhält­nisse des Mittel­meeres einschnei­dend verän­dern und zur Wolken­bil­dung über den hoch­ariden Gebieten Afrikas anregen. Zudem zielte Sörgel darauf, die tiefer gele­genen Gebiete der Sahara-Wüste mit dem Wasser der beiden Binnen­ge­wässer fruchtbar zu machen. Kanäle sollten die Wüsten­ge­biete bewäs­sern und inter­kon­ti­nen­tale Handels­routen die neuen frucht­baren Ökolo­gien mit Europa verbinden. Atlan­tropa reihte sich inso­fern nahtlos in das kolo­niale Poli­tik­ver­ständnis der dama­ligen Zeit ein.

Infra­struk­turen an den Rändern Europas sollten schließ­lich dessen Ener­gie­be­darf decken. Zusammen mit dem Schweizer Elek­tro­in­ge­nieur Bruno Sieg­wart, Direktor von Siemens & Halske, plante Sörgel bis in alle Details den Gibraltar-Staudamm, welcher 35 Kilo­meter lang, 2,5 Kilo­meter breit und über 300 Meter hoch werden sollte. Sörgel ging davon aus, dass für die Errich­tung des Stau­damms nicht mehr als 15 Jahre benö­tigt würden – unter Einbezug von einer Million Arbeiter:innen. Mit der veran­schlagten Leis­tung aus den Mittel­meer­werken war, wie der Archi­tek­tur­his­to­riker Wolf­gang Voigt ange­merkt hat, „der Strom­be­darf Europas für alle Zeiten gedeckt“ und der Konti­nent „gewappnet für den Tag, an dem die fossilen Ener­gie­träger endgültig erschöpft sein würden.“ Im Kontext heutiger Diskus­sionen zu einem gesamt­eu­ro­päi­schen Netz von erneu­er­baren Ener­gien – mit imagi­nierten Solar­farmen in der Sahara und Wind­farmen in der Nordsee – erscheinen die Plan­spiele Sörgels in einem neuen, das Zukünf­tige anti­zi­pie­renden Licht.

Beispiel 3: Peter Fends Ocean Earth

Der zeit­ge­nös­si­sche ameri­ka­ni­sche Künstler Peter Fend (*1950) ist ein Pionier des envi­ron­mental art move­ment. Terra­forming erscheint in seinem Fall als logi­sche Weiter­ent­wick­lung der Land Art, die sich mit begrenzten Inter­ven­tionen in der Land­schaft begnügt hatte. Im Unter­schied zu den fort­schritts­ge­sät­tigten Über­le­gungen von Sörgel und Platonov kreisen die ökolo­gi­schen Projekte von Fend um die nega­tiven Auswir­kungen von Stau­dämmen, Plan­tagen, Abhol­zung etc. auf die lokalen Ökosys­teme sowie die Möglich­keiten, wissen­schaft­lich infor­miert, ein neues Terra-Reforming zur Rege­ne­ra­tion zerstörter Umwelten zu entwi­ckeln. Wie zwei jüngere Ausstel­lungen im Migros­mu­seum in Zürich andeu­teten, führen Fends Über­le­gungen Eco-Fiction, Eco-Facts und Eco-Action zusammen, damit Ansätzen von Donna Haraway folgend.

Peter Fend, Ökolo­gi­sche Wieder­her­stel­lung des Kaspi­schen Meeres.
© Peter Fend (Ocean Earth Deve­lo­p­ment Corporation).

Ging es in der Früh­phase von Fends Arbeiten noch zentral um urbane Fragen – etwa neue Ener­gie­res­sourcen und ihre faire Vertei­lung in New York, so wurden später immer größere Ökosys­teme unter­sucht, die mit ihren geo-hydrologischen Themen­set­zungen über expli­zite Bezüge zu Terra­forming verfügen. Fends jüngere Arbeiten kreisen etwa um das Kaspi­sche Meer, dessen Wasser immer stärker Verduns­tungs­pro­zessen unter­liegt. Die Frisch­was­ser­zu­fuhr wie sie früher bestand ist unter­bro­chen und ganze Fisch­arten sterben aus. Die Wolga ist kein eigent­li­cher Fluss mehr, sondern bloß eine Reihe von Seen, die jene Nähr­stoffe zurück­halten, die das kaspi­sche Meer so drin­gend benö­tigt. Fend hat verschie­dene Recher­chen unter­nommen und Projekte vorge­schlagen, wie diese Prozesse rück­gängig gemacht werden können. Durch inter­dis­zi­pli­näre Kolla­bo­ra­tionen entwi­ckelt seine Firma Ocean Earth Cons­truc­tion and Deve­lo­p­ment Corpo­ra­tion neue umwelt­be­zo­gene Stra­te­gien. Wich­tiger Bestand­teil seiner Bemü­hungen bildet eine künst­le­ri­sche Karto­grafie, die auf die Sicht­bar­ma­chung des bisher Über­se­henen und das geogra­fi­sche Rear­ran­gieren von Terri­to­rien zielt. Satel­li­ten­auf­nahmen für seine Recher­chen nutzend, nahm Fend foren­si­sche Ansätze in der Kunst vorweg, die heute auch promi­nent durch Forensic Archi­tec­ture vertreten werden. Es kann von einer “Kunst im Welt­mass­stab” oder von einer “Klima­kunst­for­schung” gespro­chen werden, die Projekte und Ideen mit Inter­ven­tionen verbindet.

Der schiere Mach­bar­keits­glaube Sörgels, unter Miss­ach­tung unkal­ku­lier­barer ökolo­gi­scher Effekte, erscheint im Licht von Fends Arbeiten überaus proble­ma­tisch. Die Absen­kung des medi­ter­ranen Meeres­spie­gels würde die Ökologie und damit auch das Klima der ganzen Groß­re­gion in nicht vorher­seh­bare Rich­tungen verän­dern. Gerade solche mögli­chen nega­tiven Effekte waren außer­halb von Sörgels Vorstel­lungs­ver­mögen, während Platonov, als skep­ti­scher kommu­nis­ti­scher Inge­nieur, eine mitt­lere Posi­tion einnimmt. Er schwankte zwischen dem Glauben an die Trans­for­mier­bar­keit vorge­ge­bener Ökolo­gien und den Einsichten in die Unzu­läng­lich­keit groß­tech­ni­scher Systeme. Mehr noch als Platonov zielt Fend in seinen Projekten auf die Repa­ratur des von Menschen verur­sachten ökolo­gi­schen Scha­dens. Künst­le­ri­sche Imagi­na­ti­ons­kraft scheint hierfür unerlässlich.

Die Ener­gie­land­schaft als Palimpsest

Das intel­lek­tu­elle Erbe der genannten Autoren gilt es heute im Kontext der aus dem Klima­wandel erwach­senden Heraus­for­de­rungen neu zu deuten. Beden­kens­wert sind die Ideen Plato­novs, Sörgels und Fends heute insbe­son­dere deshalb, weil sie die Ener­gie­ver­sor­gung nicht bloß zu einem Infrastruktur-, sondern darüber hinaus zu einem ökolo­gi­schen Problem von konti­nen­talen Ausmaßen gemacht haben. Die Terraforming-Fantasien der drei Autoren eröffnen Einblicke in die über-menschlichen Heraus­for­de­rungen bei der Etablie­rung zeit­ge­nös­si­scher post­kar­bo­ni­scher Ener­gie­land­schaften. Das Terri­to­rium bildet nicht länger neutrale Hinter­grund­fo­lien für Ener­gie­infra­struk­turen; viel­mehr treten neuar­tige, der Klima­trans­for­ma­tion geschul­dete Infra-Ökologien in den Austausch mit den Infra­struk­turen. Dabei erscheint Terra­forming als letzt­lich poli­tisch grun­dierte urba­nis­ti­sche Praxis, bei der die Erhö­hung der post­kar­bo­ni­schen Strom­pro­duk­tion mit jener der Biodi­ver­sität einher­zu­gehen hätte.

In Anleh­nung an zwei Schlüs­sel­be­griffe der jüngeren Urba­nis­mus­theorie kann von Amal­gamen aus Mega­formen und Mega­struk­turen gespro­chen werden, welche Ener­gie­land­schaften in Zukunft darstellen werden. Während der Begriff der Mega­struktur insbe­son­dere aus der tech­no­philen japa­ni­schen Archi­tektur der 1950er und 60er Jahre hervor­ge­gangen ist, war der Begriff der Mega­form Resultat euro­päi­scher Debatten zum Regio­na­lismus in den 1980er und 90er Jahren. Im Gegen­satz zur infra­struk­tu­rell gedachten Mega­struktur, entwi­ckelt sich die Mega­form aus topo­gra­fi­schen Gege­ben­heiten, die zu Archi­tek­turen geformt werden.

So verstanden ist das primäre Charak­te­ris­tikum jedweder Ener­gie­land­schaft ihre palim­pses­ti­sche Verfasst­heit, welche Mega­struk­turen mit Mega­formen verknüpft. Der Begriff des „Palim­psests“, wie ihn der Genfer Urba­nis­mus­theo­re­tiker und ETH-Professor André Corboz 1983 in seinem Aufsatz Das Terri­to­rium als Palim­psest geprägt hat, kann helfen, den raum-zeitlichen Charakter von Ener­gie­land­schaften zu erfassen. Das Terri­to­rium erscheint bei Corboz als „Ergebnis einer sehr lang­wie­rigen und sehr lang­samen Schich­ten­bil­dung, die man kennen sollte, bevor man in sie eingreift.“ Corboz betont den frag­men­ta­ri­schen Charakter und die Vulnerabi­lität der Schichten: „Die meisten dieser Schichten sind sehr dünn und zugleich voller Lücken. Vor allem fügt man ihnen nicht nur etwas hinzu, man löscht viel­mehr etwas aus.“ Solche Beschrei­bungen schärfen den Sinn beim ökolo­gi­schen Refor­mieren der Erde. Das Terri­to­rium stellt nicht nur im räum­li­chen, sondern auch im zeit­li­chen Sinn eine komplexe Über­la­ge­rung dar; jeder neue Eingriff ist, folgt man Corboz, ein „Lektüreversuch“ des Terri­to­riums, der das Palim­psest (durchaus gewaltsam) erneut hervor­bringt: „Das ganz mit Spuren und gewaltsam durchgeführten Lektüreversuchen überladene Terri­to­rium ähnelt […] einem Palim­psest.“ Die Ener­gie­wende so verstanden ist keine tech­no­lo­gi­sche Substi­tu­tion, sondern eine Über­la­ge­rung von unter­schied­li­chen Tech­no­lo­gien und terri­to­rialen Forma­tionen. Post­kar­bo­ni­sche Ener­gie­land­schaften können nur dann zu einer wünschens­werten Raum­ent­wick­lung beitragen, wenn diese aus dem histo­ri­schen Erbe des Urba­nismus und des damit zusam­men­hän­genden techno-utopischen Denkens des Terra­forming schöpft und lernt.