Noch nie war das Universum so erfüllt von positivem Denken wie heute. Der organisierte Optimismus erreicht uns nicht nur am Kiosk, wo neue Lifestyle-Magazine wie „Happinez“ oder „Flow“ sich für mehr Dankbarkeit und weniger Jammern aussprechen. Auch die Wirtschaft interessiert sich für das Glück. Während die Firmenbelegschaft Coaching- und Motivationskurse besucht, muss das Management in „Positive Leadership“-Seminaren lernen wollen, die Unternehmenskultur auf markttaugliche Selbstbehauptung umzustellen. Im gleichen Mass, wie Stellenabbau, Lohnsenkungen und prekäre Arbeitsverhältnisse um sich greifen, forciert die Unternehmenswelt eine Kultur des Lächelns. Veränderungen bis hin zur Entlassung werden als Chance dargestellt, an der man „wachsen“ kann. „Smile or Die“ nennt die amerikanische Historikerin Barbara Ehrenreich das inoffizielle Motto der neuen Glückskultur. Auch in Europa greift der Happiness-Trend um sich. Wie ist es so weit gekommen? Und was geht hier eigentlich vor?
„Tschakka! Du schaffst es!“ Das Geschäft mit der Motivation

Emile Ratelband: Der Feuerläufer; Quelle: ruschverlag.de
In den 90er Jahren ist die Verbreitung des positiven Denkens zu einem einträglichen Geschäft geworden. Zuoberst auf der Welle von Motivations- und Persönlichkeitstrainern, die den deutschen Sprachraum damals überschwemmte, standen selbsternannte Erfolgscoachs und Unternehmer wie Jürgen Höller, Bodo Schäfer oder Martin Betschart. Mit Pathos und Händeklatschen verkündeten sie, dass Menschen alles erreichen könnten, was immer sie sich vorstellten: Reichtum, Karriere, Gesundheit, Leidenschaft – alles. „Tschakka! Du schaffst es!“ war das Motto des niederländischen Motivationstrainers Emile Ratelband, das dieser während seiner Feuerlauf-Seminare immer wieder ausrief und vom Publikum wiederholen liess. Es steht für die Quintessenz des positiven Denkens, nämlich dass Erfolg eine Frage des Bewusstseins sei und dieses sich durch Autosuggestion oder Umprogrammierung in die gewünschte Richtung schubsen lasse.
In der Welt des Optimismus stellen sich Herausforderungen nur an der inneren Front und lassen sich durch Willensanstrengung leicht überwinden. Der Feind ist bekannt: Wir sind es selbst oder zumindest unsere negativen Gedanken. Praktische Probleme wie ein niedriger Lohn, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Rassismus oder Sexismus kommen im Horizont der Motivationsbranche nur als mögliche Ausreden vor. Jammern, Klagen oder Opfersein gelten hier als Kennzeichen „negativer Menschen“, von denen wir uns besser trennen sollten.
Auch gegenüber aktuellen politischen Nachrichten empfiehlt sich Distanz, besteht doch auch hier die Gefahr, dass schlechte Stimmung auf uns abfärbt und uns in die „Abwärtsspirale“ reisst. Denn wie die amerikanische Psychologieprofessorin Barbara Fredrickson herausgefunden hat, hängt Erfolg genau vom Gegenteil ab: davon nämlich, dass wir uns aktiv in die „Aufwärtsspirale“ des Glücks begeben. Zum Mantra, dass positives Auftreten zum Erfolg führe, gehört auch der Rat, sich zumindest den Anschein von Positivität zu geben. „Täusche ein Lächeln vor, bis dir nach Lächeln zumute ist“ empfiehlt die Verkaufs- und Motivationstrainerin Sandra Schubert im Schweizer Branchenmagazin für Coaching und Weiterbildung „seminar.inside“. Bringe man ein Lächeln selbst nicht zu Stande, so führe auch ein Bleistift, den man sich der Länge nach in den Mund stecken kann, zum gewünschten Effekt. „Fake it, till you make it“ rät sie ihrer Kundschaft. Erst Lächeln, dann Glück – und damit automatisch Erfolg.
„Think success, and you’ll have success“: Geschichte des positiven Denkens
Die Geschichte des positiven Denkens hat mehrere Stränge. Zu diesen gehört der Hypnotismus des 19. Jahrhunderts ebenso wie die kalifornische New-Age-Bewegung. Ein dritter Strang führt ins Umfeld der christlichen amerikanischen Rechten und zum New Yorker Pastor Norman Vincent Peale, der den Begriff des „positiven Denkens“ in der Nachkriegszeit populär gemacht hat. Seit den 30er Jahren gehörte Peale zu den vehementesten Kritikern von Roosevelts New-Deal-Politik. Seiner Ansicht nach verfügte der Mensch über weit mehr – gottgegebene – Potentiale als die Sozialprogramme des New Deal glauben machen wollten. Und genau diese individuellen Ressourcen wollte sein Christentum stärken. Peale, der den weltlichen Reichtum zum Zeichen göttlicher Segnung hochstilisierte, machte Arme und Unterprivilegierte für ihr Schicksal nicht nur selber verantwortlich, sondern rückte sie im Umkehrschluss gar in den Bereich des Sündigen. Wie der Historiker Christopher Lane in seiner Peale-Biografie zeigt, war sein „Prosperity Gospel“ eingebunden in die Phalanx des Kalten Krieges, welche die Nation vor dem gottlosen Kommunismus, den unamerikanischen Gewerkschaften und den Feinden des Liberalismus schützen wollte. In konzentrierter Form präsentierte Peale seinen rechtskonservativen Normenkatalog 1952 im Buch The Power of Positive Thinking, das bis heute zu den erfolgreichsten Selbsthilferatgebern gehört. „Think big, and you’ll achieve big results. Think success, and you’ll have success“ lautete eines seiner berühmten Mottos.
Peales politische Mission machte ihn zum Freund von Richard Nixon und Ronald Reagan, aber auch von Bill Clinton und Donald Trump. Trump, der als Kind mit seiner Familie regelmässig an den Gottesdiensten von Peale teilnahm und sich 1978 (mit seiner ersten Frau Ivana) von diesem trauen liess, hat seine Prägung durch Peale stets hervorgehoben und sich auch jüngst wieder als „firm believer in the power of being positive“ bezeichnet. Wie Carl Cederström im Guardian schreibt, ist Trumps Begriff von Wahrheit und alternativen Fakten direkt auf Peales Glaube an die Macht des positiven Denkens zurückzuführen. Ein Denken, das darauf hinausläuft, sich eine eigene Wirklichkeit zu konstruieren, über die man die vollständige Verfügungsgewalt hat. Bei Trump ist das absichtliche Ausblenden der äusseren Umstände zur politischen Kerntugend geworden. Daran knüpft eine Moral an, die von den Einzelnen verlangt, die Verantwortung für ihr Handeln auch dort zu übernehmen, wo die Rahmenbedingungen längst zu ihren Ungunsten festgelegt sind.

Phalanx des positiven Denkens: Fest zum 90. Geburtstag von Norman Vincent Peale im Waldorf Hotel, New York City 1988. Von links: Donald Trump mit seiner ersten Frau Ivana Trump, das Ehepaar Ruth und Norman Vincent Peale sowie Phyllis George mit Ehemann Governor John Brown; Quelle: npr.org
Positive Psychology: Verwissenschaftlichung des positiven Denkens
In der Akademie galten die Verkünder des positiven Denkens lange als Gurus. Das änderte sich um die Jahrtausendwende, als der amerikanische Depressionsforscher Martin Seligman die Positive Psychologie ins Leben rief. In seiner Antrittsrede als neu gewählter Präsident der American Psychological Association forderte er 1998 eine Umorientierung der defizitorientierten „negativen Psychologie“ hin zur ressourcenorientierten „positiven Psychologie“. Dieser Perspektivenwechsel war eine Antwort auf Probleme, mit denen die Psychologenzunft damals zu kämpfen hatte. Als Ende der 80er Jahre neue Antidepressiva (wie Prozac) auf den Markt kamen, die weitaus billiger waren als die herkömmlichen Psychotherapien und von den Krankenversicherungen daher bevorzugt wurden, verloren praktizierende PsychologInnen einen erheblichen Teil ihrer Existenzgrundlage.
Auf der Suche nach neuen Tätigkeitsfeldern wechselten viele in das neue Berufsfeld von Coaching und Beratung. Dort standen sie nicht mehr vor allem Kranken gegenüber, die zu therapieren waren, sondern Gesunden, deren Leistung es zu optimieren und deren Arbeitszufriedenheit es zu erhöhen galt. Das Mittel, mit dem dies gelingen sollte, war die von Seligman aus der Taufe gehobene Positive Psychologie. Seit gut 10 Jahren hat sich diese als Drehscheibe zwischen Motivationsgewerbe und Unternehmenswelt etabliert. Auch in der Schweiz besteht mit der 2014 gegründeten SWIPPA (Swiss Positive Psychology Association) eine nationale Plattform, die vom Zürcher Psychologieprofessor Willibald Ruch – dem Wegbereiter der Positiven Psychologie in der Schweiz – präsidiert wird. Ruch hat an der Universität Zürich vor zwei Jahren einen CAS-Studiengang in Positiver Psychologie ins Leben gerufen. Zudem bietet das Zürcher „Institut für Selbstmanagement und Motivation“ Motivationsseminare für Unternehmen an, welche die Belegschaft darin schulen, „firmeninterne Ergebnisziele mit Motivationskraft zu unterfüttern“ und die zumeist negativen Gefühle der Beteiligten in eine „positive Haltung zum Change“ umzuwandeln.
Neoliberalismus und Neooptimismus: Der Umbau der Arbeitsanthropologie
Seit Unternehmen immer mehr zu blossen Aggregaten von Finanzkapital degenerieren, die man nach Belieben filetieren, zerlegen oder fusionieren kann, erodiert die Loyalität gegenüber den Beschäftigten. Die Positive Psychologie hat am Umbau der Unternehmensstrukturen zwar nichts geändert. Aber sie hat dazu beigetragen, diesen Umbau zu legitimieren, indem sie die Anthropologie des arbeitenden Menschen umbaute. Denn sie stellt genau jene Grundannahmen über das Subjekt in Abrede, die in der Industriegesellschaft dominant gewesen waren: zuerst und vor allem die Idee, dass der Mensch ein tiefes inneres Bedürfnis nach Arbeitsplatzsicherheit habe. Nach Abraham Maslow, der den Fordismus mit seiner „Bedürfnispyramide“ in den 50er Jahren anthropologisch verankert hatte, konnte der Mensch seinem höchsten und edelsten Bedürfnis nach Selbstentfaltung nur nachkommen, wenn seine „basic needs“ nach Sicherheit, Freundschaft und Anerkennung (sprich: Arbeitsplatzsicherheit, Human Relations und Karrieremöglichkeiten) gestillt waren.
Aus unternehmerischer Sicht erwies sich dieses Verständnis spätestens in den 90er Jahren als dringend revisionsbedürftig. In neoliberaler Perspektive erscheint der fordistische Betrieb nicht als Grundlage von Selbstentfaltung, sondern ganz im Gegenteil als eine feudale Struktur, die zu erlernter Hilflosigkeit und Unproduktivität führe, weil sie die Einzelnen an der Realisierung ihrer Potentiale hindere. Damit übereinstimmend geht die Positive Psychologie von erfüllten (resourceful) Beschäftigten aus, die ihre Talente jenseits der traditionellen Routinen und Sicherheitsstrukturen (wenn nicht auf der Grundlage der Zertrümmerung derselben) zu entfalten suchen. So gesehen sind Flexibilisierung und Deregulierung denn auch keine äusseren Anforderungen, denen die Subjekte sich zu unterwerfen hätten, sondern Möglichkeiten zur Befreiung der in den Individuen schlummernden Potentiale.
Im Unterschied zur Bedürfnispyramide, in der Glück zuoberst rangierte und erst zu erreichen war, wenn Beschäftigungssicherheit vorlag, ist Glück in der Aufwärtsspirale nicht das Resultat, sondern die Vorbedingung von Employability und einer gesicherten Anstellung. Wie die Soziologin Eva Illouz und der Psychologe Edgar Cabanas jüngst bemerkten, hat die Glücksspirale die Bedürfnispyramide nicht abgeschafft, sondern von den Füssen auf den Kopf gestellt. Heute ist sie das Schlüsselkonzept im nunmehr wissenschaftlich gesalbten Skript der neuen GlücksingenieurInnen, die äussere Zwänge in ein inneres Befreiungsprojekt umzumünzen suchen.
Für wen ist das positive Denken positiv?

Der dänische Psychologe Svend Brinkmann, Autor des Anti-Ratgeber „Stand Firm. Resisting the Self-Improvement Craze“ von 2017, rät zu einem entschiedenen Nein („Nej“) zur Positiven Psychologie; Quelle: thetimes.co.uk
Der gegenwärtige Kult des positiven Denkens mag Vorgesetzten und Arbeitgebern entgegenkommen, denen vorgetäuschter Frohsinn lieber ist als Klagen und Kritik. Für die Betroffenen aber ist er alles andere als leicht. Anstatt die Menschen ernst zu nehmen und ihnen zu einer realistischen Sicht zu verhelfen, übt die Glückspsychologie das Schönreden des Status quo ein. Ihre Techniken zielen darauf, Gefühle wie Angst und Auflehnung zu verleugnen und hinter einer kosmetischen Schicht von Munterkeit zu verbergen. Wie der dänische Psychologe Svend Brinkmann in seinem Anti-Ratgeber Stand Firm. Resisting the Self-Improvement Craze von 2017 betont, ist der aktuelle Kult des Optimismus für viele Menschen zu einer Belastung geworden. Wer Unsicherheit, Angst oder Enttäuschung zeigt, steht im positiven Unternehmen schnell einmal als Losertyp da, von dem sich auch KollegInnen fernhalten, um nicht in den Strudel der „Abwärtsspirale“ zu geraten. Wie der Organisationspsychologe B. Cade Massey gezeigt hat, schätzen viele Menschen ihre Situation im Arbeits- und Alltagsleben wider besseren Wissens als zu optimistisch ein, um nicht zu den Miesepetern zu gehören.
Die Folgen der neuen Happiness-Kultur sind nicht nur Egozentrik und Verblödung, sondern auch ein Verlust an Empathie, Toleranz und Solidarität. Die Gefahren des Self-Made-Man wie auch der Self-Made-Nation liegen darin, dass durch die positive Selbstmanipulation der Sinn für die Realität verloren geht. Denn offensichtlich ist die neue Glückspsychologie kein Mittel, das auf die Erhöhung des allgemeinen Wohlstands oder des individuellen Glücks zielt. Viel eher ist sie ein Schmiermittel für den Umbau der Subjekte nach Massgabe der globalen Marktwirtschaft und eine Ideologie, die soziale Ungleichheiten zu legitimieren und zu verschleiern hilft.