Die gegenwärtige Diskussion über ein Fortwirken des Nationalsozialismus in politischen Redeweisen zeigt: Sprache ist politisch. Sie formt Weltbilder. Manchmal stellen Wörter auch dann ein Problem der offenen Gesellschaft dar, wenn sie älter sind als der Nationalsozialismus oder rasseideologische Vorstellungen.

  • Inka Sauter

    Inka Sauter ist Historikerin und derzeit Fellow am Franz Rosenzweig Minerva Research Center an der Hebrew University of Jerusalem. Sie hat in Leipzig Philosophie, mittlere und neuere Geschichte sowie Mathematik studiert und ihre Dissertation am Leibniz Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow geschrieben

Vergleiche der gegen­wär­tigen poli­ti­schen Lage mit der Zeit der Entste­hung des Natio­nal­so­zia­lismus sind wieder verstärkt auf der öffent­li­chen Tages­ord­nung. Es wird auf das Ende der Weimarer Repu­blik geschaut, um die Bedin­gungen und Mecha­nismen zu verstehen, die eine Demo­kratie zusam­men­bre­chen lassen. Die histo­ri­sche Folie ist aller­dings trüge­risch. Durch den direkten Vergleich geraten nicht nur Unter­schiede der histo­ri­schen Konstel­la­tion aus dem Blick, insbe­son­dere werden auch weit hinter das 20. Jahr­hun­dert zurück­ge­hende Tradi­ti­ons­li­nien poli­ti­scher Semantik verdeckt. Denn einige der Wörter, die das völki­sche Welt­bild konsti­tu­ieren, sind älter als rasseideo­lo­gi­sche Vorstel­lungen – und auch nach dem Natio­nal­so­zia­lismus nie ganz aus der deut­schen Alltags­sprache verschwunden.

So kam zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts eine Wort­gruppe auf, die sich als „natür­lich“ ausgab, tatsäch­lich aber eine dezi­dierte poli­ti­sche Stoß­rich­tung besaß: „Volkstum“, „volks­tüm­lich“ und „Volks­tüm­lich­keit“. „Volkstum“ bedeutet laut aktu­ellem Duden „Wesen, Eigenart des Volkes, wie es sich in seinem Leben, seiner Kultur ausprägt“, „volks­tüm­lich“ wird mit „in seiner Art dem Denken und Fühlen des Volkes entspre­chend, entge­gen­kom­mend (und allge­mein beliebt)“, „populär, gemein­ver­ständ­lich“ sowie „dem Volk eigen, dem Volkstum entspre­chend“ erklärt und „Volks­tüm­lich­keit“ schlicht als „volks­tüm­liche Art“ beschrieben. Mit Bildern „volks­tüm­li­cher“ Musik oder dem entspre­chenden Theater im Hinter­kopf wird in der Alltags­sprache ein Voka­bular verwendet, das einen Kollek­tiv­be­griff aufruft, durch den unter der Hand bestimmt wird, wer dazu gehört – und wer nicht. Wenn diese Abgren­zung der Zuge­hö­rig­keit und die Kate­gorie des „Volks­tüm­li­chen“ kriti­siert wird, dann wird zu Recht an die Zeit des Natio­nal­so­zia­lismus erin­nert, aber oft nicht über diesen hinaus­ge­blickt. Das vermeint­liche Alter und „Wesen­hafte“ der Wörter wird nicht weiter hinter­fragt, dabei ist das „Volkstum“ eine Erfin­dung des frühen 19. Jahrhunderts.

Das neue Volk

Um 1800 kamen in der deut­schen Sprache neue Beschrei­bungen für ein zukünf­tiges Gemein­wesen auf; das Wort „Volk“ erhielt eine neue Bedeu­tung. Meinte es zuvor ganz allge­mein Menschen­an­samm­lungen, aber auch den „Pöbel“, das „Gottes­volk“ oder das „Kriegs­volk“, wurde es nun zum poli­ti­schen Grund­be­griff des prospek­tiven natio­nalen Kollek­tivs. In dessen sich ausfor­mendem Bedeu­tungs­feld wurden zuerst die Vorstel­lungen der Fran­zö­si­schen Revo­lu­tion von „Frei­heit, Gleich­heit und Brüder­lich­keit“ adap­tiert. Mit den Napo­leo­ni­schen Kriegen wurde das Volk aber auch verstärkt von einem als fran­zö­sisch begrif­fenen Denken abge­grenzt. Das eini­gende Band sollte die deut­sche Sprache sein. Die Geister schieden sich aber bald in der Ausdeu­tung. Die einen suchten „das Volk“ mit einem Werte- und Normen­ge­füge zu verbinden, die anderen wollten es durch eine vermeint­liche gemein­same Bluts­linie begründen. Diese Diffe­renz spie­gelte sich wiederum in der Sprache.

Insbe­son­dere Joachim Hein­rich Campe versuchte den Sprach­wandel aktiv voran­zu­treiben. 1801 veröf­fent­lichte er ein zwei­bän­diges Wörter­buch mit dem bezeich­nenden Titel­zu­satz zur Erklä­rung und Verdeut­schung der unserer Sprache aufge­drun­genen fremden Ausdrücke. Campes Anspruch bestand in einer Verdeut­schung der deut­schen Sprache selbst. Er ging, den Vorstel­lungen der Fran­zö­si­schen Revo­lu­tion tief verbunden, gegen die „fremden Ausdrücke“ als Zeichen der Stan­des­un­ter­schiede an. Seiner­zeit war die Sprache des euro­päi­schen Adels Fran­zö­sisch und so rich­tete er sich vor allem auch gegen fran­zö­si­sche Ausdrücke. Für seine Wort­vor­schläge wählte er mit Vorliebe Wörter mit dem Suffix „-tum“, für das es im Fran­zö­si­schen keine Entspre­chung gab oder gibt. So ersetzte er „Antike“ und „antik“ durch „Alter­thum“ und „altert­hüm­lich“ – womit er recht erfolg­reich war. Im Schatten Napo­leons fanden seine Verdeut­schungen in jenen Kreisen Anklang, die den mit der Fran­zö­si­schen Revo­lu­tion verbun­denen poli­ti­schen Begriffen ableh­nend gegen­über­standen. In diesem Radius wurden zuneh­mend neue Sammel­be­zeich­nungen, soge­nannte Kollek­tiva mit dem Suffix „-tum“ gebildet, die sich als uralt gaben und bald auch so gelesen wurden. Anstatt bestehende Gemein­sam­keiten nur zu benennen, wurden durch die Sprache – meist nur im Zirkel­schluss beschreib­bare – Gemein­sam­keiten gestiftet, wie sie eben das Wort „Volkstum“ ausdrü­cken sollte.

Gibt es eine deut­sche Humanität?

Campe wollte um 1800 ein aufklä­re­ri­sches Werte- und Normen­ge­füge in und mit der deut­schen Sprache zum Ausdruck bringen. Dabei berei­tete ihm insbe­son­dere das Fremd­wort „Huma­nität“ Probleme. Campe nahm Johann Gott­fried Herders Briefe zu Beför­de­rung der Huma­nität (1793–1797) zum Ausgangs­punkt und über­legte, welches deut­sche Wort für „Human­tität“ passen könne. Herder bestimmte die „Huma­nität“ als „Charakter unseres Geschlechts“, der „nur in Anlagen ange­bohren“ sei und „ange­bildet“ werden müsse – sie war also eine alle Menschen glei­cher­maßen betref­fende, auf die Zukunft gerich­tete Aufgabe. Wie schon Herder, so über­legte auch Campe, dass „Mensch­heit“, „Mensch­lich­keit“, „Menschen­würde“, „Menschen­rechte“ oder „Menschen­liebe“ nicht so recht das gesamte Bedeu­tungs­feld der Huma­nität treffen wollten. Das eine Mal etwa waren zwar alle Menschen gemeint, aber die Aufgabe war nicht inbe­griffen, das andere Mal verhielt es sich umge­kehrt. Als mögli­chen Ersatz führte er das auf den Barock­dichter Logau zurück­ge­hende Wort „Menschenthum“ an. Campe meinte, eine Ähnlich­keit zum „Chris­tentum“ oder auch zum „Königtum“ ausma­chen zu können. Bei der Probe aufs Exempel – „Briefe zu Beför­de­rung des Menschenthums“ – wollte das Wort aller­dings nicht richtig passen. Aufgrund eines Gefühls, dass etwas nicht stimme, bildete Campe das Wort „Menschent­hüm­lich­keit“. Dieses erschien ihm plau­sibel, bringe es doch auch gleich eine Verdeut­schung von „human“ mit sich, nämlich „menschent­hüm­lich“. Campe schlug also um 1800, ohne dass er dies benannte, eine analoge Wort­mor­pho­logie zu „Eigentum“, „eigen­tüm­lich“ und „Eigen­tüm­lich­keit“ vor.

Diese Wörter verän­derten bald selbst ihre Bedeu­tungen; zuneh­mend wurden sie zur Bestim­mung des Gemein­we­sens heran­ge­zogen. So prokla­mierte Johann Gott­lieb Fichte in seinen 1808 veröf­fent­lichten Reden an die deut­sche Nation die „Eigent­hüm­lich­keit des deut­schen Volkes“. Vermit­tels einer „Ursprache“ meinte er das „Urvolk“ ausma­chen zu können. An diesen Gedanken knüpfte der soge­nannte Turn­vater Fried­rich Ludwig Jahn an. Im Jahr 1810 erschien sein Buch Deut­sches Volks­thum, mit dem er die Wörter „Volks­thum“, „volks­t­hüm­lich“ und „Volks­t­hüm­lich­keit“ ins Deut­sche einführte. Trotz der Wort­bil­dung, die frap­pie­rende Ähnlich­keit zu Campes Vorschlägen für Huma­nität hatte, folgte Jahn keines­wegs dessen aufklä­re­ri­schem Anspruch, sondern über­nahm das Wort­ge­füge von „Urvolk“ und „Ursprache“ von Fichte und trieb es über sich hinaus. So defi­nierte Jahn das „Volks­thum“, jenes wesen­hafte Voka­bular vorbe­rei­tend, das im 20. Jahr­hun­dert gera­dezu selbst­ver­ständ­lich geworden war: „Es ist das Gemein­same des Volkes, sein inne­woh­nendes Wesen, sein Regen und Leben, seine Wieder­erzeu­gungs­kraft, seine Fort­pflan­zungs­fä­hig­keit.“ Der Unter­schied zwischen den Erfin­dungen von Campe und Jahn verweist auf die unter­schied­liche Grund­lage des prospek­tiven Gemein­we­sens: Campe berief sich auf ein Werte- und Normen­ge­füge, Jahn konstru­ierte ein ursprüng­li­ches Kollektiv. Gemein­samer Ausgangs­punkt war die deut­sche Sprache mit ihrem Suffix „-tum“.

Kampf um die Endsilben

Nicht mehr ganz am Anfang des 19. Jahr­hun­derts, aber thema­tisch auf das Engste verbunden mit der Aushand­lung von Kollek­tiv­be­griffen liest sich eine Schrift Carl Gustav Joch­manns, die in den 1930er Jahren von Werner Kraft wieder­ent­deckt und von Walter Benjamin aus dem fran­zö­si­schen Exil heraus publik gemacht wurde. Joch­mann, 1789 geboren, war Rechts­an­walt, er lebte vor allem in Riga und den deut­schen Ländern. Sein Buch Über die Sprache erschien 1828 in Heidel­berg ohne Angabe eines Verfas­sers. Ein gut 150 Seiten umfas­sender Beitrag trägt den bezeich­nenden Titel Die Sprach­rei­niger. Darin machte Joch­mann die Frage der Verdeut­schungen zu seinem Thema, die mit Campe Verbrei­tung gefunden hatte. Die Sprache wurde durch die Erfin­dung verschie­denster Wörter erwei­tert, gerade auch solcher Wörter, die bald nicht mehr als Konstruk­tionen verstanden wurden. Genau darauf rich­tete Joch­mann seinen Blick: Manchmal ironisch, mitunter pole­misch argu­men­tierte er aus, dass die Sprache im Gebrauch ihre Wirkung entfalte, nicht durch bloße Erfin­dungen in den Wörterbüchern.

Auch wenn Joch­mann die poli­ti­schen Fort­set­zungen der „Sprach­rei­ni­gung“ kannte, als er sein Buch Über die Sprache schrieb, benannte er „vater­län­di­sche“ Denker wie Jahn zumeist nicht im Text selbst, sondern nur in den Fußnoten. Statt mit Jahns „Volks­thum“ setzte er sich mit Campes Über­le­gungen zu „Menschenthum“ und „Menschent­hüm­lich­keit“ ausein­ander. Er gestand Campe zu, das Wort „Huma­nität“ mit Recht proble­ma­ti­siert zu haben, sah dessen Vorschläge aber kritisch. Dagegen hoffte er, dass das Wort „Mensch­heit“ viel­leicht in der Lage wäre, an deren Stelle gesetzt zu werden. Joch­manns Kritik entzün­dete sich an der Endsilbe „-tum“. Diese deutete er als Ausdruck für „die Gesammt­heit gewisser, […] von Menschen zusam­men­ge­fügter und zusam­men­ge­dachter Meinungen, Lehren, Einrich­tungen oder Erschei­nungen“ – und das hieß gerade auch der nega­tiven. Einzige Ausnahme war für den protes­tan­ti­schen Joch­mann das Chris­tentum. Gegen die seiner­zeit noch vergleichs­weise neuen Kollek­tiva mit der Endsilbe „-tum“ pole­mi­sierte er, dass ihre „auch Schlech­teres umfas­sende Bedeu­tung“ dazu geführt habe, dass die bis „vor kurzem bis zum Ekel beliebte und verviel­fäl­tigte Form“ immer wieder auch eine andere, ja, eine entge­gen­ge­setzte Wirkung als die beab­sich­tigte hervor­ge­rufen habe. „Begriffe, die mit Hülfe“ der Endsilbe „sich in einem vort­heil­haften Licht darstellen sollten,“ erschienen „in einem lächer­li­chen, oder gar gehäs­sigen“. Beispiel dafür war ihm unter anderem gerade das „Volks­thum“ und er setzte hinzu, dass die Wort­schöp­fungen „Thum­heiten“ seien, „die man eben so füglich mit einem D hätte schreiben können“.

Gemacht oder gegeben?

Im Hori­zont der Verdeut­schung von „Huma­nität“ ist Joch­manns kurze Polemik gegen das „Volkstum“ und andere „Thum­heiten“ nicht zu unter­schätzen. Sie rich­tete sich gegen Sammel­be­zeich­nungen, die Gemein­sam­keiten durch diverse Abgren­zungen schufen und sie zugleich in einer Vorver­gan­gen­heit zu begründen meinten. In der Hoff­nung, dass diese merk­würdig alter­tü­melnden Wörter bald verschwänden, ordnete Joch­mann sie der Vergan­gen­heit zu. Auch wenn sich seine Hoff­nung nicht erfüllte, verwies er damit auf deren Konstrukt­cha­rakter. Joch­manns Polemik deutet so auf die poli­ti­sche Konstel­la­tion im frühen 19. Jahr­hun­dert, in der zur Dispo­si­tion gestellt war, ob ein auf die Zukunft gerich­tetes, verhan­del­bares und wandel­bares Werte- und Normen­ge­füge oder eine in die Vergan­gen­heit weisende, verpflich­tende Ahnen­reihe die Grund­lage des Gemein­we­sens sein solle.

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Im Sprach­ge­brauch waren es Jahns Wörter und Wort­be­deu­tungen, die sich durch­setzten. Einmal abge­sehen von einer äußerst frag­wür­digen, anti­se­mi­ti­schen Wieder­auf­nahme von „Menschen­tüm­lich­keit“ in Martin Heid­eg­gers Schwarzen Heften, sind Campes Vorschläge der Verges­sen­heit anheim­ge­fallen. Für die „Huma­nität“ hatte er keinen passenden Ersatz finden können.

Auch heute bedarf es in der deut­schen Sprache noch der – mitunter unaus­ge­spro­chenen – Kompo­si­tion um das Wort „Huma­nität“ zu ersetzen: ein auch auf die Zukunft gerich­teter Begriff der Mensch-heit, der eine univer­selle Gesamt­heit beschreibt, verbindet sich mit dem der Mensch-lich-keit, der dessen norma­tiven Gehalt im Einzelnen reprä­sen­tiert. Die Wort­gruppe „Volkstum“, „volks­tüm­lich“ und „Volks­tüm­lich­keit“ steht hingegen für die Erfin­dung von „ursprüng­li­cher“ Kollek­ti­vität, die gegen­wärtig wieder so mancher poli­ti­schen Rede­weise vor allem des rechten Spek­trums einge­schrieben ist. Der Ausdruck weist zurück ins frühe 19. Jahr­hun­dert, dorthin, wo die Funda­mente des natio­nalen Gemein­we­sens verhan­delt wurden – und wohin eine Kritik der Kollek­tiv­vor­stel­lungen und ihrer Sprache zurück­gehen muss.