Safe Spaces, also Räume, die Marginalisierten Sicherheit verschaffen sollen, werden heiß diskutiert. Und tatsächlich sollte dieses Konzept beunruhigen, aber aus anderen Gründen als vielfach angenommen. Denn an US-Hochschulen sind Safe Spaces gegenwärtig Teil eines Sicherheitsdispositivs, das rassifiziert, bedrängt und ausschließt.

  • Janna Mareike Hilger

    Janna Mareike Hilger ist Philosophin und arbeitet zu Sozialphilosophie, kritischer Phänomenologie und (queer)feministischer Theorie. Im März 2023 erscheint ihre Dissertation „Safe Space. Sorge und Kritik nach Michel Foucault und Eve Sedgwick“ im Campus Verlag.

Kritik­feind­lich­keit, Anti-Intellektualität, Cancel Culture, snow­flake– und loony-left-Gehabe: Dies sind die Stich­wörter, mit denen Safe Spaces in feuil­le­to­nis­ti­schen Kommen­taren und rechts­po­pu­lis­ti­schen Rheto­riken in der Regel asso­zi­iert werden. Beson­ders explosiv wurden die Debatten mit dem Aufkommen von Safe-Space-Forderungen an US-amerikanischen Univer­si­täten. Damit würden, so die verbrei­tete These, Semi­nare oder gar ganze Hoch­schulen zu diskus­si­ons­be­rei­nigten Orten gemacht, an denen Denk- und Sprech­ver­bote um sich griffen. Abseits von diesen Klagen durch­lief das Konzept des Safe Space eine Entwick­lung, die meiner Ansicht nach besorg­nis­er­re­gender, aber weniger skan­da­li­sie­rungs­fähig ist. Entgegen den Debatten um eine mögliche Safe-Space-Werdung von akade­mi­schen Räumen ist dieses Konzept an zahl­rei­chen US-amerikanischen Hoch­schulen bereits etabliert. Mit dem Segen der Univer­si­täten soll es für eine Inte­gra­tion von Queers in ein univer­si­täts­weites, sicher­heits­be­dachtes „Wir“ sorgen, das aber zugleich knall­harte rassi­fi­zie­rende Herr­schafts­struk­turen mit sich bringt.

Safe Spaces zwischen diver­sity und Sicherheitsregime

Konkret handelt es sich bei dieser teil­weise schon jahre­lang exis­tie­renden Form von univer­si­tären „sicheren Räumen“ um soge­nannte Safe-Space-Programme – diver­sity-Trai­nings im Bereich LGBTQ-Politik, die entweder von einzelnen Aktivist:innen, von der Hoch­schule selbst oder von externen NGOs wie The Safe Zone Project und Campus Pride ange­boten werden. Die Work­shops entstanden unter anderem als Reak­tion auf die Suizide junger queerer Erwach­sener, die insbe­son­dere 2010 in die öffent­liche Aufmerk­sam­keit gerieten. Die Inhalte dieser Work­shops sind etwa queere Identifizierungs-  und Begeh­rens­weisen, queerer Slang und weitere „queer­freund­liche“ Ressourcen an der jewei­ligen Hoch­schule. Ihr Haupt­ziel ist es, allies zu schaffen, das heißt Personen, die als „sichere“ Ansprechpartner:innen für Queers auf dem Campus fungieren sollen. 

Dazu arbeiten die Programme oftmals mit Selbst­mar­kie­rungs­prak­tiken: Nach den Trai­nings erhalten die Teil­neh­menden Sticker und Buttons in Regen­bo­gen­farben mit dem Wort „Safe Space“, die an Büro- und Wohn­heim­türen, Klei­dung und Taschen befes­tigt werden können. Nicht selten beinhaltet das Design eben­falls das Logo der Hoch­schule. Wie für diver­sity-Maßnahmen üblich, werden diese Programme zudem in wirt­schaft­li­chen Dimen­sionen bemessen. So veröf­fent­licht die NGO Campus Pride, die selbst Safe-Space-Workshops anbietet, ein landes­weites Hoch­schul­ran­king zum Thema Queer­freund­lich­keit. Die Exis­tenz eines Trai­nings für allies stellt einen der entschei­denden Para­meter dar. Zuletzt tragen diese Programme zur Außen­dar­stel­lung der Univer­si­täten bei, indem sie ein bestimmtes Selbst­ver­ständnis trans­por­tieren: Wir sind eine werte­ori­en­tierte Gemein­schaft, die sich um Queers kümmert und für Tole­ranz und Viel­falt eintritt.

An den Safe-Space-Programmen wurde bereits mehr­fach Kritik geübt. Dies betrifft zum einen die inhalt­liche Verfla­chung, die mittels der Sticker und Bottons betrieben wird, zum anderen das teil­weise auto­ri­täre Auftreten der Hoch­schulen, die ursprüng­lich akti­vis­ti­sche Safe-Space-Initiativen an sich reißen. Vor allem aber stehen die Work­shops nicht nur im Zusam­men­hang mit „weicher“, „freund­li­cher“ diver­sity-Arbeit. Das zugrun­de­lie­gende Bestreben, den Campus sicher zu machen, verweist auch auf tech­ni­sierte Sicher­heits­re­gime, wie sie Univer­si­täten in den USA unter­halten. Dazu zählen Über­wa­chungs­ka­meras an Gebäuden, eine univer­si­täts­ei­gene Polizei sowie, in den Worten des Histo­ri­kers Kwame Holmes, „campus emer­gency noti­fi­ca­tion systems“. Dies sind Warn­sys­teme der einzelnen Univer­si­täten, über die aktu­elle Meldungen zu mögli­chen Gefahren per SMS oder Mail verschickt werden können.

Wie Holmes ausführt, erfolgt die Einschrei­bung in diese Nach­rich­ten­ver­teiler in der Regel bereits mit dem Erhalt einer univer­si­täts­ei­genen Mail­adresse. Dabei arbeiten diese Warnungen ebenso auf der emotio­nalen wie auf der tech­ni­schen Ebene. Das intime, aufmerk­sam­keits­er­hei­schende Verwachsen der User mit ihrem Smart­phone trifft auf ein campus­weit kommu­ni­ziertes Bedro­hungs­ge­fühl, das die Univer­si­täts­an­ge­hö­rigen anwei­sungs­be­reit macht und sie zu einem poli­cing ihrer Umge­bung anhält, so Holmes. Oder anders formu­liert: Die Empfänger:innen der Nach­richten werden implizit aufge­rufen, nach verdäch­tigen, „fremden“ Personen Ausschau zu halten und somit quasi-polizeiliche Zuge­hö­rig­keits­checks durchzuführen.

Vom Schauen und Töten

Entschei­dend ist: Ein solches poli­cing findet nicht in luft­leerem Raum statt, sondern inmitten einer rassis­ti­schen Gesellschaft.

Als ein Mann mit einer Machete im Früh­ling 2016 von der Polizei der Univer­sity of Colo­rado Boulder erschossen wurde, brachte mich die Notfall­war­nung dazu, um meine Sicher­heit zu fürchten. Ich wusste, dass ich jetzt von tausenden Campus­an­ge­hö­rigen umgeben war, die in ihrer Bedro­hungs­re­ak­tion ange­spro­chen wurden, und zwar durch das Umlegen eines Schal­ters. […] Es ist klar, dass ein Campus voller hoch­ak­ti­vierter und angst­er­füllter weißer Menschen keinen Safe Space für People of Color darstellt und dies auch nicht darstellen kann.

In dem Zitat von Holmes klingt ein Verweis auf die perma­nente Verdachts­hal­tung an, die People of Color insbe­son­dere an Insti­tu­tionen wie der Univer­sität entge­gen­ge­bracht wird. Wie Sara Ahmed heraus­ar­beitet, wird ihnen mittels Blicken und Ansprech­hal­tungen oftmals die Rolle eines gedul­deten Neuan­kömm­lings zuge­schrieben – oder die eines poten­zi­ellen Eindring­lings. So berichtet der dama­lige Student Cameron Okeke in einem Beitrag aus dem Jahr 2016 von der „campus police who stop me on the street for not looking ‚UChi­cago enough‘“. 

Dass das entspre­chende gesell­schaft­liche Narrativ bisweilen tödliche Folgen hat, zeigen die Gewalt­taten von weißen Zivilist:innen und Polizist:innen gegen Schwarze Menschen, insbe­son­dere gegen Männer. Es ist mehr als gängig, diese öffent­lich als „Selbst­ver­tei­di­gung“ gegen einen vermeint­li­chen Aggressor auszu­geben. Im Hinblick auf Safe Spaces ist fest­zu­halten: Die landes­weite Struktur der Safe-Space-Trainings exis­tiert allein in Bezug auf Queer­ness. Ein entspre­chendes anti­ras­sis­ti­sches Bildungs- und Soli­da­ri­sie­rungs­pro­gramm gibt bislang es nicht – obwohl sich seit der Ermor­dung George Floyds Bewe­gungen in diese Rich­tung zeigen. Queers of Color sind demnach einer­seits in den univer­si­tären Work­shops „mitge­meint“ und viel­fach erfolgt auf Safe-Space-Websites ein Hinweis auf Inter­sek­tio­na­lität. Ande­rer­seits bleibt das univer­si­täts­ei­gene Sicher­heits­re­gime ein rassi­fi­zie­rendes und der Campus oftmals eine, mit Ahmed gespro­chen, „sea of whiteness“.

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Quee­ring policing?

Die Forde­rung, dass der Campus allge­mein safe sein sollte – auch für Queers – spielt sich vor einem macht- und gewalt­durch­tränkten Hinter­grund ab. Sicher­heit, so zeigt sich, ist keine harm­lose Mini­mal­for­de­rung. In dieser Welt mit ihren spezi­fi­schen Sicher­heits­tech­niken und -prak­tiken herrscht eine Ökonomie der Schutz­ver­tei­lung: Während sich Insti­tu­tionen wie die Hoch­schulen zuneh­mend den Sicher­heits­be­langen weißer Queers zuwenden, bleiben Schwarze Menschen (queere und nicht-queere) weiterhin expo­niert und gefährdet. Die Protek­tion durch die Insti­tu­tion ist nicht umsonst zu haben. Sie geht mit unar­ti­ku­lierten Auflagen einher: Das insti­tu­tio­na­li­sierte diver­sity-Bemühen fordert einen „Insti­tu­ti­ons­pa­trio­tismus“ ein, um einen weiteren Begriff Ahmeds aufzu­nehmen, eine befür­wor­tende, pflicht- und schuld­be­wusste Haltung gegen­über der Hoch­schule, mit der eben­dieses Bemühen hono­riert wird. Dazu passt, dass die Safe-Space-Programme Queers in der Regel als uniform schutz­be­dürftig imagi­nieren, nicht jedoch als aufbe­geh­rend und kritisch. Im Geflecht aus diver­sity– und Sicher­heits­maß­nahmen wird weißen Queers eine hand­zahme, aber immerhin zuge­hö­rige Subjek­ti­vität zuge­standen. Zuge­hö­rig­keit wiederum über­setzt sich in diesem Kontext als eine Einla­dung zu einer univer­sellen Poli­zei­wer­dung, bei der alle Hoch­schul­an­ge­hö­rige „mit vereinten Kräften“ Verant­wor­tung tragen sollen für die Campus­si­cher­heit – womit das verän­derte, vermeint­lich queer­freund­liche „Wir“ der Gemein­schaft altbe­kannten, rassi­fi­zie­renden Abgren­zungs­dy­na­miken Auftrieb verleiht.

Zur Geschichte von Safe Spaces

Ein ähnli­ches Bild zeigt sich mit Blick auf die Geschichte von Safe Spaces in den USA. Wie die Histo­ri­kerin Moira Rachel Kenney zeigt, besitzen diese Räume eine lange Tradi­tion in queeren und femi­nis­ti­schen Kontexten. Laut Kenney führt ihre Geschichte von den schwul-lesbischen Bars der 1940er bis 1960er bis zu den lokalen Frauen- und Queer-Kollektiven der Women’s Libe­ra­tion und der Gay Libe­ra­tion der 1970er Jahre; und zu den lesbisch-separatistischen Cafés, Buch­läden und Festi­vals der 1980er und 1990er, in denen erst­mals der Begriff des Safe Space aufkam. 

In allen diesen Spiel­arten wurden Safe Spaces von rassis­ti­schen Ausschlüssen begleitet. So berichtet Audre Lorde in ihrer semi-autobiografischen Erzäh­lung Zami von rassis­ti­schen Türpo­li­tiken in einer New Yorker Lesben­kneipe und von der Ausgren­zung, die sie durch ein mehr­heit­lich weißes Publikum erfuhr. Ihr Fazit lautet: „Black lesbians in the [bar] faced a world only slightly less hostile than the outer world which we had to deal with every day on the outside […] – that world which raised our blood pres­sures and shaped our furies and our night­mares.“ An den bewe­gungs­po­li­ti­schen, mehr­heit­lich weißen all-women-Gruppen übten Schwarze Femi­nis­tinnen bereits in den 1970er Jahren Kritik. Die Akade­mi­ke­rinnen Beverley und Barbara Smith etwa adres­sierten den Mittel­klas­se­ha­bitus der Bewe­gung und ihre allei­nige inhalt­liche Fixie­rung auf ein cis-Frausein. Demge­gen­über setzte das berühmte Combahee River Coll­ec­tive, zu dem auch die Smith-Schwestern gehörten, race, Klasse und Gender als gleich­be­rech­tigte Themen und betonte seine Soli­da­rität mit Schwarzen Männern. In den 1980er und 1990er Jahren wurde die Forde­rung nach einem Safe Space wiederum genutzt, um trans Personen aus femi­nis­ti­schen Räumen zu verbannen. Das damals größte „Frauen-Musikfestival“, das Michigan Womyn’s Music Festival, beschloss 1991 eine „womyn-born-womyn“-Politik. Laut Emi Koyama schloss diese Rege­lung insbe­son­dere Schwarze trans Frauen ohne große finan­zi­elle Mittel aus, die sich keine Opera­tionen leisten konnten.

Sicher sein vor der Sicherheit

Neben diesen fort­wäh­renden Ausschlüssen markieren die univer­si­tären Safe-Space-Programme dennoch einen – nega­tiven – Wende­punkt: Erst­mals sind Safe Spaces nicht mehr im sozialen Leben und in Akti­vismen verortet, sondern an Hoch­schulen. Oder, in den Worten des Kommen­ta­tors Okeke: An einer „gentri­fying, police-protected insti­tu­tion“. An dieser Stelle zeigt sich eine einset­zende herr­schafts­kon­forme Glät­tung des Safe-Space-Konzepts, die auch über den Campus hinaus reicht. So setzte Mercedes-Benz USA 2021 anläss­lich des Pride Month einen bemer­kens­werten Tweet ab: Hier wird ein panzer­ar­tiger, sicher­heits­ver­spre­chender SUV als Safe Space für Queers beworben. 

Bedeutet dies, dass Safe Spaces endgültig verworfen werden müssen? Stich­haltig beibt Okekes Kommentar, in dem er von der Bedeu­tung schreibt, die ein univer­si­täts­ei­genes Zentrum exklusiv für Schwarze Studie­rende – in seinen Worten: ein Safe Space – für ihn hatte: „I needed a space where I, a biology major, was not expected to give free race theory classes“, und wo Ruhe herrschte vor der Campus­po­lizei. Hier klingt an, was Safe Spaces unter Umständen auch bereit­halten können: Tempo­räre Sicher­heit vor dieser Art von Sicherheit.