Kritikfeindlichkeit, Anti-Intellektualität, Cancel Culture, snowflake– und loony-left-Gehabe: Dies sind die Stichwörter, mit denen Safe Spaces in feuilletonistischen Kommentaren und rechtspopulistischen Rhetoriken in der Regel assoziiert werden. Besonders explosiv wurden die Debatten mit dem Aufkommen von Safe-Space-Forderungen an US-amerikanischen Universitäten. Damit würden, so die verbreitete These, Seminare oder gar ganze Hochschulen zu diskussionsbereinigten Orten gemacht, an denen Denk- und Sprechverbote um sich griffen. Abseits von diesen Klagen durchlief das Konzept des Safe Space eine Entwicklung, die meiner Ansicht nach besorgniserregender, aber weniger skandalisierungsfähig ist. Entgegen den Debatten um eine mögliche Safe-Space-Werdung von akademischen Räumen ist dieses Konzept an zahlreichen US-amerikanischen Hochschulen bereits etabliert. Mit dem Segen der Universitäten soll es für eine Integration von Queers in ein universitätsweites, sicherheitsbedachtes „Wir“ sorgen, das aber zugleich knallharte rassifizierende Herrschaftsstrukturen mit sich bringt.
Safe Spaces zwischen diversity und Sicherheitsregime
Konkret handelt es sich bei dieser teilweise schon jahrelang existierenden Form von universitären „sicheren Räumen“ um sogenannte Safe-Space-Programme – diversity-Trainings im Bereich LGBTQ-Politik, die entweder von einzelnen Aktivist:innen, von der Hochschule selbst oder von externen NGOs wie The Safe Zone Project und Campus Pride angeboten werden. Die Workshops entstanden unter anderem als Reaktion auf die Suizide junger queerer Erwachsener, die insbesondere 2010 in die öffentliche Aufmerksamkeit gerieten. Die Inhalte dieser Workshops sind etwa queere Identifizierungs- und Begehrensweisen, queerer Slang und weitere „queerfreundliche“ Ressourcen an der jeweiligen Hochschule. Ihr Hauptziel ist es, allies zu schaffen, das heißt Personen, die als „sichere“ Ansprechpartner:innen für Queers auf dem Campus fungieren sollen.
Dazu arbeiten die Programme oftmals mit Selbstmarkierungspraktiken: Nach den Trainings erhalten die Teilnehmenden Sticker und Buttons in Regenbogenfarben mit dem Wort „Safe Space“, die an Büro- und Wohnheimtüren, Kleidung und Taschen befestigt werden können. Nicht selten beinhaltet das Design ebenfalls das Logo der Hochschule. Wie für diversity-Maßnahmen üblich, werden diese Programme zudem in wirtschaftlichen Dimensionen bemessen. So veröffentlicht die NGO Campus Pride, die selbst Safe-Space-Workshops anbietet, ein landesweites Hochschulranking zum Thema Queerfreundlichkeit. Die Existenz eines Trainings für allies stellt einen der entscheidenden Parameter dar. Zuletzt tragen diese Programme zur Außendarstellung der Universitäten bei, indem sie ein bestimmtes Selbstverständnis transportieren: Wir sind eine werteorientierte Gemeinschaft, die sich um Queers kümmert und für Toleranz und Vielfalt eintritt.
An den Safe-Space-Programmen wurde bereits mehrfach Kritik geübt. Dies betrifft zum einen die inhaltliche Verflachung, die mittels der Sticker und Bottons betrieben wird, zum anderen das teilweise autoritäre Auftreten der Hochschulen, die ursprünglich aktivistische Safe-Space-Initiativen an sich reißen. Vor allem aber stehen die Workshops nicht nur im Zusammenhang mit „weicher“, „freundlicher“ diversity-Arbeit. Das zugrundeliegende Bestreben, den Campus sicher zu machen, verweist auch auf technisierte Sicherheitsregime, wie sie Universitäten in den USA unterhalten. Dazu zählen Überwachungskameras an Gebäuden, eine universitätseigene Polizei sowie, in den Worten des Historikers Kwame Holmes, „campus emergency notification systems“. Dies sind Warnsysteme der einzelnen Universitäten, über die aktuelle Meldungen zu möglichen Gefahren per SMS oder Mail verschickt werden können.
Wie Holmes ausführt, erfolgt die Einschreibung in diese Nachrichtenverteiler in der Regel bereits mit dem Erhalt einer universitätseigenen Mailadresse. Dabei arbeiten diese Warnungen ebenso auf der emotionalen wie auf der technischen Ebene. Das intime, aufmerksamkeitserheischende Verwachsen der User mit ihrem Smartphone trifft auf ein campusweit kommuniziertes Bedrohungsgefühl, das die Universitätsangehörigen anweisungsbereit macht und sie zu einem policing ihrer Umgebung anhält, so Holmes. Oder anders formuliert: Die Empfänger:innen der Nachrichten werden implizit aufgerufen, nach verdächtigen, „fremden“ Personen Ausschau zu halten und somit quasi-polizeiliche Zugehörigkeitschecks durchzuführen.
Vom Schauen und Töten
Entscheidend ist: Ein solches policing findet nicht in luftleerem Raum statt, sondern inmitten einer rassistischen Gesellschaft.
Als ein Mann mit einer Machete im Frühling 2016 von der Polizei der University of Colorado Boulder erschossen wurde, brachte mich die Notfallwarnung dazu, um meine Sicherheit zu fürchten. Ich wusste, dass ich jetzt von tausenden Campusangehörigen umgeben war, die in ihrer Bedrohungsreaktion angesprochen wurden, und zwar durch das Umlegen eines Schalters. […] Es ist klar, dass ein Campus voller hochaktivierter und angsterfüllter weißer Menschen keinen Safe Space für People of Color darstellt und dies auch nicht darstellen kann.
In dem Zitat von Holmes klingt ein Verweis auf die permanente Verdachtshaltung an, die People of Color insbesondere an Institutionen wie der Universität entgegengebracht wird. Wie Sara Ahmed herausarbeitet, wird ihnen mittels Blicken und Ansprechhaltungen oftmals die Rolle eines geduldeten Neuankömmlings zugeschrieben – oder die eines potenziellen Eindringlings. So berichtet der damalige Student Cameron Okeke in einem Beitrag aus dem Jahr 2016 von der „campus police who stop me on the street for not looking ‚UChicago enough‘“.
Dass das entsprechende gesellschaftliche Narrativ bisweilen tödliche Folgen hat, zeigen die Gewalttaten von weißen Zivilist:innen und Polizist:innen gegen Schwarze Menschen, insbesondere gegen Männer. Es ist mehr als gängig, diese öffentlich als „Selbstverteidigung“ gegen einen vermeintlichen Aggressor auszugeben. Im Hinblick auf Safe Spaces ist festzuhalten: Die landesweite Struktur der Safe-Space-Trainings existiert allein in Bezug auf Queerness. Ein entsprechendes antirassistisches Bildungs- und Solidarisierungsprogramm gibt bislang es nicht – obwohl sich seit der Ermordung George Floyds Bewegungen in diese Richtung zeigen. Queers of Color sind demnach einerseits in den universitären Workshops „mitgemeint“ und vielfach erfolgt auf Safe-Space-Websites ein Hinweis auf Intersektionalität. Andererseits bleibt das universitätseigene Sicherheitsregime ein rassifizierendes und der Campus oftmals eine, mit Ahmed gesprochen, „sea of whiteness“.
Queering policing?
Die Forderung, dass der Campus allgemein safe sein sollte – auch für Queers – spielt sich vor einem macht- und gewaltdurchtränkten Hintergrund ab. Sicherheit, so zeigt sich, ist keine harmlose Minimalforderung. In dieser Welt mit ihren spezifischen Sicherheitstechniken und -praktiken herrscht eine Ökonomie der Schutzverteilung: Während sich Institutionen wie die Hochschulen zunehmend den Sicherheitsbelangen weißer Queers zuwenden, bleiben Schwarze Menschen (queere und nicht-queere) weiterhin exponiert und gefährdet. Die Protektion durch die Institution ist nicht umsonst zu haben. Sie geht mit unartikulierten Auflagen einher: Das institutionalisierte diversity-Bemühen fordert einen „Institutionspatriotismus“ ein, um einen weiteren Begriff Ahmeds aufzunehmen, eine befürwortende, pflicht- und schuldbewusste Haltung gegenüber der Hochschule, mit der ebendieses Bemühen honoriert wird. Dazu passt, dass die Safe-Space-Programme Queers in der Regel als uniform schutzbedürftig imaginieren, nicht jedoch als aufbegehrend und kritisch. Im Geflecht aus diversity– und Sicherheitsmaßnahmen wird weißen Queers eine handzahme, aber immerhin zugehörige Subjektivität zugestanden. Zugehörigkeit wiederum übersetzt sich in diesem Kontext als eine Einladung zu einer universellen Polizeiwerdung, bei der alle Hochschulangehörige „mit vereinten Kräften“ Verantwortung tragen sollen für die Campussicherheit – womit das veränderte, vermeintlich queerfreundliche „Wir“ der Gemeinschaft altbekannten, rassifizierenden Abgrenzungsdynamiken Auftrieb verleiht.
Zur Geschichte von Safe Spaces
Ein ähnliches Bild zeigt sich mit Blick auf die Geschichte von Safe Spaces in den USA. Wie die Historikerin Moira Rachel Kenney zeigt, besitzen diese Räume eine lange Tradition in queeren und feministischen Kontexten. Laut Kenney führt ihre Geschichte von den schwul-lesbischen Bars der 1940er bis 1960er bis zu den lokalen Frauen- und Queer-Kollektiven der Women’s Liberation und der Gay Liberation der 1970er Jahre; und zu den lesbisch-separatistischen Cafés, Buchläden und Festivals der 1980er und 1990er, in denen erstmals der Begriff des Safe Space aufkam.
In allen diesen Spielarten wurden Safe Spaces von rassistischen Ausschlüssen begleitet. So berichtet Audre Lorde in ihrer semi-autobiografischen Erzählung Zami von rassistischen Türpolitiken in einer New Yorker Lesbenkneipe und von der Ausgrenzung, die sie durch ein mehrheitlich weißes Publikum erfuhr. Ihr Fazit lautet: „Black lesbians in the [bar] faced a world only slightly less hostile than the outer world which we had to deal with every day on the outside […] – that world which raised our blood pressures and shaped our furies and our nightmares.“ An den bewegungspolitischen, mehrheitlich weißen all-women-Gruppen übten Schwarze Feministinnen bereits in den 1970er Jahren Kritik. Die Akademikerinnen Beverley und Barbara Smith etwa adressierten den Mittelklassehabitus der Bewegung und ihre alleinige inhaltliche Fixierung auf ein cis-Frausein. Demgegenüber setzte das berühmte Combahee River Collective, zu dem auch die Smith-Schwestern gehörten, race, Klasse und Gender als gleichberechtigte Themen und betonte seine Solidarität mit Schwarzen Männern. In den 1980er und 1990er Jahren wurde die Forderung nach einem Safe Space wiederum genutzt, um trans Personen aus feministischen Räumen zu verbannen. Das damals größte „Frauen-Musikfestival“, das Michigan Womyn’s Music Festival, beschloss 1991 eine „womyn-born-womyn“-Politik. Laut Emi Koyama schloss diese Regelung insbesondere Schwarze trans Frauen ohne große finanzielle Mittel aus, die sich keine Operationen leisten konnten.
Sicher sein vor der Sicherheit
Neben diesen fortwährenden Ausschlüssen markieren die universitären Safe-Space-Programme dennoch einen – negativen – Wendepunkt: Erstmals sind Safe Spaces nicht mehr im sozialen Leben und in Aktivismen verortet, sondern an Hochschulen. Oder, in den Worten des Kommentators Okeke: An einer „gentrifying, police-protected institution“. An dieser Stelle zeigt sich eine einsetzende herrschaftskonforme Glättung des Safe-Space-Konzepts, die auch über den Campus hinaus reicht. So setzte Mercedes-Benz USA 2021 anlässlich des Pride Month einen bemerkenswerten Tweet ab: Hier wird ein panzerartiger, sicherheitsversprechender SUV als Safe Space für Queers beworben.
Bedeutet dies, dass Safe Spaces endgültig verworfen werden müssen? Stichhaltig beibt Okekes Kommentar, in dem er von der Bedeutung schreibt, die ein universitätseigenes Zentrum exklusiv für Schwarze Studierende – in seinen Worten: ein Safe Space – für ihn hatte: „I needed a space where I, a biology major, was not expected to give free race theory classes“, und wo Ruhe herrschte vor der Campuspolizei. Hier klingt an, was Safe Spaces unter Umständen auch bereithalten können: Temporäre Sicherheit vor dieser Art von Sicherheit.