Geschichtsserien boomen und fesseln ein Massenpublikum. Wie erzählen sie von der Geschichte? Und wie könnten sie es tun? Eine Serie über Prostitution, Pornografie und das alltägliche Leben am Times Square der 1970er Jahre führt vor, was modernes Geschichtsfernsehen heute sein könnte.

Wenn die anspruchs­vollen Fern­seh­se­rien unserer Zeit, wie oft gesagt worden ist, Wieder­gänger der großen Romane des 19. Jahr­hun­derts sind, was bedeutet dies für ihre Fähig­keit, von der Vergan­gen­heit zu erzählen? Die Frage ist weniger abwegig als sie auf den ersten Blick viel­leicht scheint. Denn die realis­ti­sche Lite­ratur des 19. Jahr­hun­derts brachte ja nicht nur jene großen Gesell­schafts­ro­mane hervor, die vor allem seit dem Erfolg der HBO-Produktion The Wire (2002-2008) immer wieder als Refe­renz des (vor allem ameri­ka­ni­schen) Quality TV heran­ge­zogen worden sind. Mit ihnen entstand auch das Genre des histo­ri­schen Romans, der jenes unge­si­cherte Terrain der Geschichte für sich rekla­mierte, in dem es der sich zeit­gleich etablie­renden Geschichts­wis­sen­schaft an Quellen mangelte. Wo sich mit der neuen „histo­ri­schen Methode“ nicht klären ließ, wie es eigent­lich gewesen war, waren begrün­dete Speku­la­tion darüber umso reiz­voller, wie es wohl­mög­lich hatte gewesen sein können. Histo­ri­scher Roman und histo­rio­gra­phi­sche Darstel­lung entwarfen sich so im späten 19. Jahr­hun­dert als konkur­rie­rende, aber ebenso als komple­men­täre Formen der Geschichts­schrei­bung, die vor allem eine gemein­same Geschichts­vor­stel­lung einte: Indem histo­ri­sche Romane ihre fiktiven Geschichts­er­zäh­lungen auf den Tatsa­chen der Geschichts­wis­sen­schaft aufbauten, folgten sie dem grund­sätz­li­chen Geschichts­bild der Zeit, das Geschichte vor allem als Abfolge poli­ti­scher Ereig­nisse begriff, in denen „histo­ri­sche Persön­lich­keiten“ Geschichte machten, und „einfa­chen Leute“ sie durch­leben und durch­leiden mussten.

Von dieser Vorstel­lung hat sich die Geschichts­wis­sen­schaft natür­lich schon lange eman­zi­piert. Inso­fern ist durchaus erstaun­lich, dass die aller­meisten, der seit einigen Jahren boomenden Geschichts­se­rien sich weiterhin recht gut in mehr als 100 Jahre zuvor entstan­dene Modell der lite­ra­ri­schen Perso­na­li­sie­rung oder Perso­ni­fi­zie­rung der poli­ti­schen Ereig­nis­ge­schichte fügen: Noch immer stehen gerade in den beson­ders popu­lären Seri­en­for­maten mit histo­ri­schen Stoffen die große Männer und (heute auch) Frauen im Mittel­punkt, die Geschichte machten, oder erdachten „gewöhn­liche Leute“, deren Schicksal die Zuschauer:innen epochale Wendungen der Vergan­gen­heit  mehr oder weniger exem­pla­risch miter­leben lassen soll. Abseits dieser Publi­kums­lieb­linge, die mit dem Verspre­chen locken, ihre Zuschauer:innen „zurück in die Vergan­gen­heit zu streamen“, lassen sich aber auch histo­ri­sche Serien finden, die Geschichte bemer­kens­wert anderes zu erzählen vermögen. Eine von ihnen ist The Deuce, auch eine Produk­tion des ameri­ka­ni­schen Pay-TV-Senders HBO, der mit ihr 2017 den Erfolg von The Wire zu wieder­holen suchte.  Auch sie stammt von dem The Wire-Macher David Simon, die für dieses Projekt viele Personen aus der dama­ligen Crew vor und hinter der Kamera wieder zusam­men­brachte. Ein ähnli­cher Erfolg blieb der Serie zwar verwehrt. Doch ihre in drei Staf­feln gedrehten 25 Folgen führen ebenso leicht­gängig wie eindrucks­voll vor, was seri­elles Geschichts­fern­se­hens im 21. Jahr­hun­dert auch sein kann.

New York, 42nd Street: 1971-1984

Quelle: allesoverfilm.nl

The Deuce erzählt für die 1970er und frühen 1980er Jahre von einer Nach­bar­schaft im Herzen Manhat­tans, wo in den Straßen um die 42nd Street (Fourty Deuce) zwischen Stun­den­ho­tels, grellen Licht­spiel­häu­sern, Striptease-Bars, Schnell­re­stau­rants und Bars vor allem nachts der Teufel los ist. Wo heute – ein Epilog führt dies am Ende der Serie vor – die Glas­fas­saden der Hoch­häuser großer ameri­ka­ni­scher Firmen das Stra­ßen­bild bestimmen (auch HBO hat dort seinen Sitz), bevöl­kern damals Prosti­tu­ierte und ihrer Zuhälter, Barmänner, Sexshop-Besitzer, Porno-Regisseure, Krimi­nelle und zahl­lose Passanten, Touristen, Thea­ter­gänger und Freier das New Yorker Vergnü­gungs­viertel. Die Leucht­re­klamen der Kinos und Theater lenken dabei nur mäßig vom Müll und Dreck auf der Straße ab. Die Krimi­na­lität ist hoch, die Mafia allge­gen­wärtig. Sie sucht ihren Anteil am Geschäft mit dem käuf­li­chen Sex, dessen Ökonomie das Leben der Bewohner:innen dieser Straßen antreibt und das die ersten Folgen der Serie detail­liert sezieren.

Quelle: rollingstone.com

Im Mittel­punkt stehen dabei vor allem die dandy­haften Zuhälter, die ihre „Mädchen“ ebenso zu Arbeit antreiben, wie sie sie dabei beschützen; die Trost und Anteil­nahme, Kost und Logis spenden, wie Zwang und Gewalt ausüben. An der Bruta­lität ihres Regimes lässt die Serie keine Zweifel, zeigt es aber auch in seiner inneren Tausch­logik von Arbeits- und Repro­duk­ti­ons­leis­tungen: Der jungen Lori, die in der ersten Folge aus der Provinz nach New York kommt, eröffnet es Möglich­keiten, einen Platz in der Groß­stadt zu finden. Wer hingegen wie die Sex-Arbeiterin Candy die bestän­digen Ange­bote der Zuhälter ausschlägt, kann auch alleine an der Deuce stehen. Zugleich schafft die Sexar­beit Verdienst­mög­lich­keiten und Frei­räume für andere Menschen: Für die Studentin Abby etwa, die hier den Barkeeper Vince kennen lernt und zu ihm zieht, um Studium und Eltern­haus hinter sich zu lassen. Vince selbst steigt mit Mafia­geld zum Besitzer mehrerer gut laufender Bars auf, in denen sich das umfang­reiche Personal der Serie immer wieder begegnet. Auch Homo­se­xu­elle wie der Barbe­sitzer Paul finden im Schatten der Deuce Frei­räume und indi­vi­du­elle Möglich­keiten. Und dann sind da noch sozi­al­kri­ti­sche Jour­na­lis­tinnen, femi­nis­ti­sche Akti­vis­tinnen und eine nur wenig präsente Polizei.

Quelle: costumebynatalie.com

Die eröff­nenden Folgen der ersten, 1971 einset­zenden Staffel zeigen das Mit- und Gegen­ein­ander dieser Menschen dabei als einge­spieltes Sozi­al­ge­füge. Man kennt sich in der Deuce, läuft sich nachts auf der Straße über den Weg, begegnet sich in Bars und Schnell­re­stau­rants. Manchmal hilft man sich, hört einander zu. Manchmal schaut man weg. Beständig gibt es Konflikte und Streit, die nicht selten in Gewalt münden. Doch selbst die Polizei, die jede Nacht ein paar Sex-Arbeiterinnen von der Straße sammeln, ist Teil des routi­nierten Mit- und Neben­ein­an­ders. Auch hier kennt man sich, bestellt auf dem Poli­zei­re­vier gemeinsam Essen. In der nächsten Nacht beginnt das Spiel von vorne: „Neuer Tag, neues Glück“.

Doch wie es ist, bleibt es nicht. Mit der sich zuneh­menden Libe­ra­li­sie­rung der Porno­gra­fie­re­gu­lie­rung gerät das ökono­mi­sche und soziale Gefüge des Quar­tiers ins Rutschen. Vor allem die sich am Rand der Lega­lität entwi­ckelnde Sexfilm-Produktion eröffnet manchen Bewohner:innen neue Chancen und bedroht Einfluss und Einkommen Anderer – eine schlei­chende Entwick­lung, die mit der Frei­gabe der Porno­grafie durch ein Urteil des Obersten Gerichts­hofes Mitte der ersten Staffel unauf­haltsam wird und das bestehende System der Stra­ßen­pro­sti­tu­tion in kurzer Zeit zu einer neuen Sex-Industrie trans­for­miert. Sie folgt anderen wirt­schaft­li­chen Logiken, bringt neue Akteure und Profi­teure in Spiel, stellt bishe­rige Rollen und Lebens­mo­delle in Frage  und produ­ziert damit glei­cher­maßen Unsi­cher­heiten, Risiken und neue Gewalt wie sie indi­vi­du­elle Chancen eröffnet.

Blick­punkt­be­stim­mung mit der Kamera

Bemer­kens­wert ist an alle dem nicht nur, dass The Deuce so schon damit die gut erprobten Erzähl­weisen popu­lärer Geschichts­se­rien verlässt, indem sie sich einen histo­ri­schen Moment vornimmt, der gerade nicht durch seine Ereig­nis­haf­tig­keit bestimmt ist. Die Verän­de­rungen voll­ziehen sich schlei­chend und unge­lenk. Als histo­ri­scher Prozess, als der sie im Rück­blick zu erkennen sind, bleiben sie den Prot­ago­nisten der Serie verborgen. Vor allem beein­druckt The Deuce aber damit, was ihre Macher aus diesem Stoff nicht gemacht haben: kein Sozi­al­drama über miss­han­delte Frauen, auch wenn die mit der Sexar­beit einher­ge­hende Gewalt in der Serie alle Verän­de­rungen des Sex-Geschäftes über­dauert; keine aufre­gende Mafia-Geschichte; keine Geschichte sozialer Aufsteiger, die die Gunst des Augen­blicks zu nutzen wissen, um sich aus der Gosse heraus­zu­kämpfen; keinen verkappten Sex-Film; keinen Wirt­schafts­krimi, in dem Mafia, Porno-Studios, Banken, Inves­toren und korrupte Poli­zisten um ihren Stück vom Kuchen ringen; und auch keine nost­al­gi­sche Schnulze über ein unter­ge­gan­genes, noch aufre­gendes New York, die den Verlust von Frei­räumen und die Verdrän­gung der kleinen Leute betrauert. Von alle dem – und mehr – finden sich in den 25 Folgen der Serie viele Momente, die aber in eine Weise inein­ander montiert werden, die gerade nicht darauf zielt, die Zuschauer:innen mit einem bestimmten Hand­lungs­bogen die tief­grei­fende Trans­for­ma­tion der Deuce miter­leben zu lassen. Die Serie erhebt sie viel­mehr zu Beobachter:innen eines unüber­sicht­li­chen histo­ri­schen Geschehens.

Quelle: dissentmagazine.org

Statt den histo­ri­schen Romanen des 19. Jahr­hun­derts gleicht die Spiel­film­serie The Deuce damit in Vielem eher heutigen histo­ri­schen Sach- und Fach­bü­chern, die ja längst das Erzählen für sich entdeckt haben, aber eben ohne die Fiktion auskommen, Geschichte unmit­telbar erlebbar machen zu können. Sie halten ihren gegen­wär­tigen Blick­punkt in der eigenen Darstel­lung ebenso bewusst wie sie ihn zu reflek­tieren vermögen – und The Deuce gelingt mit spiel­fil­me­ri­schen Mitteln durchaus Ähnli­ches. Hierfür ist insbe­son­dere ihre Kame­ra­ar­beit entschei­dend, die gerade keinem doku­men­ta­ri­schen Stil folgt. Viel­mehr imitiert die Serie gekonnt die Ästhetik des New Hollywood-Kino, was ihre Folgen in das Bild­ge­dächtnis der Zuschauer:innen aus Taxi Driver und anderen New York-Filmen der Zeit einfügt. Dies weist die Serie nicht nur offen als Fiktion aus; ein Umstand, an den auch das immer wieder promi­nent ins Bild gerückte Filme­qui­ment der Porno-Industrie erin­nert. Es hat vor allem den Effekt, dass die Serie einem filmi­schen Stil folgt, dessen Entste­hung sie in der Deuce zugleich selbst verfolgt. In den Thea­tern des Off-Broadway in den Straßen um die 42nd Street hatten ja viele Regis­seure des neuen ameri­ka­ni­schen Films der 1970er Jahre ihre Schauspieler:innen gefunden. Nicht nur diese Expe­ri­men­tal­bühnen haben ihren Auftritt in der Serie. Ebenso zeigt sie, wie flie­ßend die Grenzen zwischen porno­gra­fi­schem Film und Autoren­kino in den 1970er Jahren noch waren: Larry, einer der Zuhälter, den die Trans­for­ma­tion der Sex-Industrie seine Exis­tenz raubt, gelangt über ein eigenes Enga­ge­ment als Porno­dar­steller schließ­lich an rich­tigen Schau­spiel­rollen. Und beson­ders intensiv verfolgt die Serie die Bemü­hungen der ehema­ligen Prosti­tu­ierten Candy, sich als Regis­seurin von femi­nis­ti­schen Porno­filmen durch­zu­setzen, die Lust auch mit Hand­lung und Dialogen zu erzeugen suchen. Am Ende streicht Candy die Sexsenen aus ihrem zweiten Film, der, wie der Epilog bemerkt, zwar erfolglos blieb, in der fiktiven Gegen­wart des Seri­en­endes aber unter Film­lieb­ha­bern zu einem femi­nis­ti­scher Kult­klas­siker geworden ist.

Sexbe­trach­tungen

Quelle: costumebynatalie.com

Beson­ders deut­lich wir die mit der Kamera geleis­tete Refle­xion des eigenen Erzähl­stand­punkt in den Sexszenen, die die Serie notge­drungen enthält. Bis zur ersten dauert es eine halbe Stunde, dann sieht man die junge Studentin Abby, die mit einem ihrer Dozenten schläft und ins Lachen kommt, weil er beim Orgasmus ein selt­sames Gesicht macht. „Wenn die Leute mal sehen könnten, wie sie beim Sex aussehen“, kommen­tiert Abby, „wäre es sofort vorbei. Wenn es nicht so geil wäre, wäre es lächer­lich“. Kommentar und Szene formu­lieren dabei einen Anspruch, den sich die Serie setzt, und mit einer ausge­spro­chen nuan­cierten Sex-Darstellung tatsäch­lich bis zum Ende einzu­lösen vermag: (auch) eine Serie über Porno­grafie zu sein, aber den mit der Sex-Industrie entste­henden porno­gra­fi­schen Blick mit der eigenen Kamera nicht zu wieder­holen. Porno­gra­fi­sche Aufnahmen finden sich in der Serie inso­fern tatsäch­lich nur als jene Produkte, die ihre Prot­ago­nisten herstellen. In ihrer eigenen Kame­ra­ar­beit stelle die Serie diesen stereo­typen Bildern zahl­lose andere Blick­winkel und Aufnahmen gegen­über, die insbe­son­dere im Fall der vielen gezeigten Porno­drehs immer wieder neue Perspek­tiven finden. Sie zeigen Sex als intime Begeg­nung von Liebenden, als brutale Gewalt, als nüch­ternes Tausch­ge­schäft, als Form der Demü­ti­gung, als Notwen­dig­keit, als Pein­lich­keit, als Schau­spiel – und führen damit vor, dass es, als der Sex mit dem Siegeszug der Porno­grafie plötz­lich für alle zu sehen war, nur deshalb nicht „vorbei“ war, weil er in ihren Bildern gar nicht sichtbar wurde.

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Span­nung und Kontingenz

Neben der Kame­ra­ar­beit ist es vor allem die spezi­elle Erzähl­weise der Serie, die die Zuschauer:innen in die Posi­tion histo­ri­scher Beobachter:innen drängt. Denn sie kommt ohne Haupt- und Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­guren aus. Viel­mehr verfolgt The Deuce eine auch für seri­elles Erzählen außer­ge­wöhn­lich große Anzahl an Figuren. Manche erhalten dabei mehr Aufmerk­sam­keit als andere. Aber ein erzäh­le­ri­sches Zentrum lässt sich unter ihnen dennoch nicht ausma­chen. The Deuce erzählt so zwar wie alle fiktive Geschichts­schrei­bung mit erfun­denen Figuren von der Vergan­gen­heit. Aber sie betreibt gerade keine Perso­ni­fi­zie­rung von Geschichte, die sie im Schicksal einer Haupt­figur exem­pla­risch verdichtet hätte. Dies hat den Effekt, dass sich für die Serie kein rich­tiger Plot umreißen lässt. Natür­lich haben alle Figuren ihre Hand­lungs­stränge: Sie machen Pläne, erleiden Schick­sals­schläge, verlieben sich, suchen ihren Vorteil in der sich wandelnden Situa­tion, geraten in Konflikte, werden geschlagen und gede­mü­tigt. Aber eine über­grei­fende Story setzt sich daraus nicht zusammen. Wer sich etwa in der engli­schen Wiki­pedia entlang des Episo­den­guides über The Deuce zu infor­mieren sucht, sieht sich einem Wust unter­schied­li­cher Entschei­dungen und Konflikte des breiten Seri­en­per­so­nals gegen­über, dem ein erzäh­le­ri­scher Zusam­men­hang zu fehlen scheint.

Quelle: costumebynatalie.com

Er findet sich beim Schauen tatsäch­lich nicht in einer über­grei­fenden Story, sondern im histo­ri­schen Prozess selbst, auf den die persön­li­chen Geschichten des Seri­en­per­so­nals in unter­schied­li­cher Weise bezogen sind. In dieser Weise gelingt es The Deuce auch ohne klas­siver Mittel wie Cliff­hänger oder drama­ti­sche Hand­lungs­wen­dungen ihre Zuschauer:innen zum Weiter­schauen zu moti­vieren, indem sie ihren Blick auf die Geschichte selbst lenkt. Den Lebens­wegen des Seri­en­per­so­nals folgt man dabei nur mit distan­zierter Anteil­nahme. Die Menschen in der Deuce verlieben sich, gewinnen oder verlieren, manche sterben, ohne das Seri­en­pu­blikum mit ihren Schick­salen in einen Bann zu ziehen. Was in der Serie Span­nung erzeugt ist viel mehr das, was Historiker:innen Kontin­genz nennen: die Unab­seh­bar­keit der ange­sto­ßenen Verän­de­rungen. Denn gerade weil The Deuce sich den erwart­baren Ausle­gungen ihres Sujets verwei­gert, bleiben für ihre Zuschauer:innen Aus- und Fort­gang der begon­nenen Trans­for­ma­tion ebenso unab­sehbar wie für die Prot­ago­nisten der Serie.

Wenn die Serie am Ende der dritten Staffel im Jahr 1984 ange­kommen ist, blickt man als Zuschauer zurück auf eine verschlun­gene Entwick­lung, die am Beginn der Serie nicht absehbar war, aber schließ­lich nicht nur das Leben der Menschen in der Deuce grund­le­gend verän­dert hat, sondern auch das Quar­tier selbst: Die Prosti­tu­tion hat neue Orte gefunden, Sex mit der Verbrei­tung der Porno­grafie ebenso sehr neue Sicht­bar­keit gewonnen, wie es aus dem Stadt­bild Manhat­tans verschwunden ist. Viele frühere Bewohner:innen haben das Quar­tier verlassen, manche ein neues Glück gefunden, andere nur ein anderes, nicht weniger leid­volles Leben. Ein gemein­sames Ende findet sich nicht. Geschichte ist kein Roman.