
Drei Geschwister treffen sich in ihrem Elternhaus – eine schicke Midcentury-Villa an bevorzugter Lage in Pacific Palisades in Los Angeles. Die Eltern sind längst geschieden und wohnen woanders, aus den Kindern sind Erwachsene mit eigenen Beziehungen und teilweise eigener Familie geworden. Anstatt zu reden, baden die drei Geschwister im Pool und verabreden ein Spiel, das sie offenbar als Kinder immer gespielt haben: eine Unterwasser-Tee-Zeremonie. Als Zuschauende sehen wir während etwa einer Minute, wie die Pfefferman-Geschwister – Sarah, Josh und Ali – im bläulichen Poolwasser die Luft anhalten, im Schneidersitz imaginäre kleine Teetässchen zum Mund führen, sich pantomimisch unterhalten und so wortwörtlich in ihre Kindheit eintauchen.

Transparent, Staffel 2, 2015
Gaby Hoffman, Judith Leight, Jay Duplass, Jeffrey Tambor. Amy Landecker (v.l.n.r.). Quelle: Amazon
Die Szene zeigt das Verhältnis der Geschwister zu ihrer Vergangenheit. Einerseits spielen sie ihre Kindheit dauernd nach, bewusst oder unbewusst, so als wären sie ihr verhaftet. Andererseits lassen sie sich kaum auf Erinnerungen ein. Ihr Gedächtnis bleibt gleichsam unter Wasser und wird bis zum Schluss der Serie nie in fest umrissenen Konturen erzählt. Das Wasser ist zwar durchsichtig, transparent, aber bildet einen gespenstischen Filter, der den Blick diffus werden lässt.
Die traumartige Szene ist in der zehnten und letzten Episode der zweiten Staffel von Transparent enthalten. Sie kann stellvertretend für die anspielungsreiche Erzählweise der Serie stehen, führt aber auch zu einem ihrer inhaltlichen Kernanliegen, nämlich der Problematik von familiären und kulturellen Herkünften und sexueller und religiöser Identitäten. Was bedeutet Transgenerationalität? Was bedeutet es, als Teil einer Familie immer auch Kind von Eltern und damit in einer Abfolge von Generationen verortet zu sein? Was heißt es umgekehrt, sich selbst zu sein oder sich selbst zu werden? Diese Fragen stellt die Serie vor dem Hintergrund der Auflösung fester Geschlechterrollen sowie eines sich verschiebenden Bildes (US-amerikanisch-)jüdischer Identität in den 2010er Jahren.
Identitätskrisen
Transparent startete 2014 nach einem Script von Joey Soloway (Jill) auf der Plattform Amazon Prime Video, sie umfasst vierzig etwa halbstündige Episoden sowie ein 105-minütiges Musical Finale von 2019. Das Magazin Forward bemerkte, dass die Serie die „Jewiest Television Show ever“ sei, zudem „a unique media event in the history of queer representation“. Diese Kongruenz von Repräsentation von Jüdischem und der Darstellung von Queerness hat in den Kulturwissenschaften Aufmerksamkeit erregt. Ebenso interessant ist die poetische Erzählweise, mit der die Serie die Beziehung der Figuren zu ihrer Familie, die Funktion des transgenerationellen Gedächtnisses und die verschiedenen Traumata in Szene setzt.

Transparent, Schabatt-Dinner in Staffel 1: Jeffrey Tambor und Amy Landecker als Maura und Amy Pfefferman; Quelle: Amazon
Epizentrum von Transparent ist das Coming Out von Maura, die bislang das Leben eines pensionierten Politikprofessors Morton Pfefferman (Jeffrey Tambor) gelebt hatte und nun im Familienkreis ihre Transition bekannt gibt. Zunächst macht es den Anschein, als ob dies plötzlich passiert, jedoch macht die Serie mit Dialogen und Rückblenden deutlich, dass Maura schon immer ihre wahre Identität überspielt hat. Um Maura herum gruppieren sich TV-Serien-typisch die Geschichten der ehemaligen Ehefrau Shelley (Judith Leight) und der gemeinsamen Kinder Sarah (Amy Landecker), Josh (Jay Duplass) und Ali/Ari (Gaby Hoffman) sowie weiterer Figuren. Mauras Transition löst bei allen Protagonist:innen Identitätskrisen aus, denn sie macht deutlich, dass auch vermeintlich feste (Geschlechts-)Identitäten prekär sind. Sarah lebt zu Beginn in einer traditionellen Ehe und hat zwei kleine Kinder, sie trennt sich von ihrem Mann und beginnt eine lesbische Beziehung; Josh möchte eine Rabbinerin heiraten, dabei steht sein beruflicher Erfolg als Manager in der Musikindustrie im Gegensatz zu seiner hilflosen und infantilen Erscheinung; Ali wird an der Universität in Gender Studies abschließen und unterrichten, als Doktorandin führt sie zeitweise eine Beziehung mit einer lesbischen Professorin und Dichterin.
Das Hadern mit Sexualität, Sexsucht als Chiffre für etwas, was in Staffel drei einmal als „Loch im Herz“ bezeichnet wird, der Umgang mit jüdischen Traditionsbeständen als Egotrip – all dies verweist alles wiederholt auf den Narzissmus der Figuren und zeigt ihre mannigfachen Unsicherheiten. Zum Schluss der Serie wird deutlich, dass die Familie Pfefferman von verschiedenen verketteten Traumata beherrscht wird, die erst durch ihre Benennung möglicherweise ihre Macht verlieren.
Geheimnisse
In vielen Szenen von Transparent scheinen wir klassische jüdische Neurotikerfiguren vor uns zu haben. Beispielsweise wird in der ersten Staffel Josh wegen seinem Fehlverhalten gegenüber einer Sängerin gefeuert; aus Wut greift er im Konferenzraum nach einem Stuhl und schmettert ihn mit unkontrollierter Wut gegen ein Fenster, das – hier schimmert ein komisches, Woody-Allen-haftes Moment durch – ganz bleibt.
Die Neurosen der Familie Pfefferman wurzeln in Geheimnissen, die sich nur über Umwege äußern dürfen und das neurotische Verhalten ist oft eng mit dem Judentum der Familie verbunden. Zum Beispiel: In der letzten Folge von Staffel 1 erfährt die jüngste Tochter Ali, dass ihr Vater ihr mit dreizehn nur erlaubt hat, ihre Bat Mizwa abzusagen, weil er selbst an einem just zu diesem Zeitpunkt stattfindenden Cross-Dressing-Wochenende in einem abgelegenen Hotel teilnehmen wollte. Dies ist einerseits komisch für uns, löst bei Ali aber einen Wutanfall aus: „Because that’s our family religion, right? Secrecy.“ Aggressiv beklagt Ali ihre spirituelle Orientierungslosigkeit, doch die Wut gegenüber dem unväterlichen Vater gilt in Wirklichkeit ihren eigenen widerstrebenden Bedürfnissen.
In der Familie Pfefferman gibt es weitere Geheimnisse rund um die Sexualität der Figuren, von denen drei handlungsleitend sind und zu offenbarungsähnlichen Auflösungen führen. Erstens hatte Josh als Fünfzehnjähriger eine Affäre mit dem fünf Jahre älteren Kindermädchen Rita. Oder war es eher ein Missbrauch? Die Eltern verheimlichen Josh – bis er als Erwachsener selbst davon erfährt –, dass Rita damals schwanger wurde und ein Kind bekam.
Als die Pfeffermans in Staffel 4 mit einem Bus durch die israelische Wüste fahren, bricht ein krasser Streit aus und Josh zielt in einer Verkettung von Umständen mit einer Pistole auf seine Mutter Shelly. Dieses Ereignis löst zweitens bei Shelly aus, dass sie von ihrem Geheimnis erzählt, nämlich dass sie als Kind von einem Lehrer sexuell missbraucht wurde. In einer Rückblende sehen wir sie als etwa elf- oder zwölfjähriges Mädchen mit ihren Eltern beim Psychologen, offenbar weil sie das Essen verweigert. Auf die bedrängenden Fragen der Eltern und des Psychologen schweigt sie. Die Mutter meint, dass sie nach all dem, was sie durchgemacht hätten, essen müsse, worauf Shelly antwortet: „It’s not the Holocaust.“
Dies verweist darauf, dass der Holocaust als Hintergrund der Familie präsent ist. Auch dies wird mittels intradiegetischer Rückblenden transparent gemacht. So erfahren wir drittens, dass Mauras/Morts Mutter Rose 1933 aus Berlin in die USA geflüchtet ist. Zurückgelassen hat sie ihren Bruder Gershon, der sich Gittel nennt und zum Opfer der Nazis wird. Dies ereignet sich im weichzeichnermäßig stilisierten und romantisierten Umfeld des Berliner Instituts für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld, der in der Serie auch einen kurzen Auftritt hat. (Der jüdische Arzt Hirschfeld mit seiner Theorie „sexueller Zwischenstufen“ und eines „dritten Geschlechts“ steht für den liberalen Aufbruch in der Weimarer Republik, der von den Nazis abgewürgt wurde.) Die von seinen Eltern geheim gehaltene Identität von Tante Gitel mit Gershon wird Maura erst in Staffel 4 klar. Maura realisiert, dass sie in ihrer Familie als trans Frau nicht allein ist, sondern sich ebenfalls innerhalb einer Genealogie befindet.
Diese alternative Genealogie hat nun zunächst eine psychologisch-historische Ebene, nämlich eine behauptete Transgenerationalität von Queerness und trans Identität. Sie hat aber auch eine jüdische Komponente. Denn Maura erfährt von der trans Identität der Tante erst durch ihren lange verschollenen (totgeglaubten) Vater Moshe, den die Familie in Israel aufspüren, wo dieser noch eine weitere Familie gegründet hat. Der Name Moshe (=Moses) des 90-jährigen Anti-Patriarchen ist bezeichnend: Denn von ihm bekommt Maura ihr ersehntes Gesetz, die Legitimation ihrer Identität.
Identitätsmarker
Transparent führt immer wieder verschiedene Dinge oder Handlungen vor, die Identität garantieren und darstellen sollen. So wandert ein Ring mit einer Perle durch die verschiedenen Erzählstränge, der für die Verbundenheit wie für die missratenen Beziehungen der Familie steht. Zum ersten Mal taucht der Ring in der zweiten Folge der ersten Staffel auf, als Josh einer Freundin einen Heiratsantrag macht, diese jedoch ablehnt, weil sie keinen „ring from the Holocaust“ möchte. In der zweiten Staffel sehen wir, dass der Ring Gittel gehört hat und über Rose in die USA gelangt. Rose gibt ihn Mort, dieser wiederum möchte ihn als jungen Mann Shelly zur Verlobung geben – die ihn allerdings ebenfalls ablehnt: „I want a pretty ring, not that farkakhte ring! “ Wie Anna M. Dempsey festhält, transformiert sich der Ring in zwei Generationen von einem Symbol der Identität zu einem „floating signifier“ der US-amerikanisch-jüdischen Geschichte, in der der Holocaust universalisiert und abgelöst von seinen spezifischen Umständen erinnert wird. Ein Ring als Verbindung der Zeiten, Generationen und geografischen Orte ist als Signifikant einer verdrängten Identität nicht besonders originell. Aber gerade deswegen ist der Einsatz in der Serie effektvoll, auch weil das Pathos des Rings öfter ironisiert wird.
Der Ring wird in Schokolade eingeschmolzen von Europa auf dem Schiff in die Vereinigten Staaten transportiert. So zählt zu den vielen Obsessionen der Pfeffermans – der Name ist sprechend – auch das Essen. Es ist in der ersten Staffel bei einem Dinner mit chinesischem Take-away, dass Maura seinen Kindern eröffnet, von nun an offen als Frau zu leben. Sie sitzen mit saucenverschmierten Gesichtern am Tisch. Maura erklärt: „We come from shtetl people“. Ernährung, Essen und Geschmack haben viele psychologische und kulturelle Dimensionen, sei es die mnemonische oder die gemeinschaftsstiftende, aber auch die Funktion einer neurotischen Ersatzhandlung.

Transparent, Staffel 2, Epidode 7: Familie Pfefferman und Freunde beim Fastenbrechen nach Jom Kippur; Quelle: Amazon
Natürlich kommen in der Serie auch Schabatt-Essen oder ein Seder vor. Die siebte Episode der zweiten Staffel spielt an Jom Kippur. Bei Sonnenuntergang sitzt Josh (Jay Duplass) zum Fastenbrechen mit seiner Familie zusammen und eröffnet allen, dass er und seine Verlobte – die Rabbinerin Raquel – sich getrennt haben. Zum zweiten Mal in der Serie hat sich die Möglichkeit eines Babys und eines Familienlebens für ihn zerschlagen. Nach dem Abendessen geht er in den Supermarkt, wo er eine Packung Aufschnitt öffnet und zu essen beginnt; wie besessen stürzt er sich auf Pudding, Hamburgerbrötchen, Schnitzel und stopft sich wahllos mitten im Laden Essen in den Mund. Der einsame Fressanfall ist eine Art Selbstbestrafung und zugleich ein sichtbares Zeichen von Einsamkeit. Der Esstisch dagegen als Ort gemeinsamen Essens ist der Schauplatz traditioneller und transgenerationeller Verbundenheit.
Imaginäre und reale Orte
Neben dem Esstisch gibt es weitere spezifische Orte, über die Transgenerationalität hergestellt und sichtbar wird. Dies ist zunächst der Schauplatz Südkalifornien, dem eine gewisse utopische Qualität zukommt und geschichtlich als Ort der Emigration deutscher Jüdinnen und Juden im Gedächtnis bleibt. Auf der historisch anderen Seite steht das Berlin der 1930er Jahre, von dem Ali bei ihrem Unterricht an der Universität einmal klischiert behauptet, es sei ein viel freierer Ort als die USA der Gegenwart gewesen, vor allem für queere Personen.

Transparent, Staffel 2: Hari Nef als Gittel/Gershon, Berlin 1933; Quelle: Amazon
Als Ali und Sarah mit Maura ein feministisches Musikfestival in Kalifornien besuchen, stellt sich heraus, dass das Festival eine Woman-born-woman-Policy hat, also keine Transfrauen erlaubt. Maura verlässt mitten in der Nacht das Festivalgelände, eine Szene, die zusammengeschnitten wird mit dem Einfall der Nazis im Institut für Sexualwissenschaft in Berlin 1933 und der Festnahme Gittels durch die Gestapo. Hochstilisierte und befremdlich wirkende filmische Verfahren wie Überblendung und double casting können als Bildgebung für eine jüdische-queere, transatlantische Kulturgeschichte verstanden werden. Wir sehen die Geschichte gedeutet als Abfolge von Vertreibungen aus dem Paradies, Vertreibungen aus imaginären Orten an tatsächliche Orte, an denen Identitäten kontrovers und von Konflikten beherrscht sind.
Eine signifikante Reise in dieser Hinsicht ist auch die Reise nach Israel in Staffel 4, das als eine Spiegelung Kaliforniens angelegt ist. Ali und Maura stellen fest, dass Tel Aviv an Los Angeles erinnert. So lebt der sonnengebräunte Moshe in einer Villa in Cäsarea mit einem riesigen Pool, die sicher nicht zufällig dem Anwesen in Pacific Palisades gleicht. Zudem geht es in den letzten Folgen der vierten Staffel zunehmend um Grenzen und Trennlinien: Im übertragenen Sinn (etwa zwischen Sohn und Mutter, ein sehr jüdisches Thema), aber auch reale geografische Grenzen und Mauern. Neben Tel Aviv und Jerusalem spielt die Serie kurz in der Westbank und in einem utopisch angelegten Camp von palästinensischen und internationalen Protestierenden, in einer jüdischen Siedlung innerhalb der besetzten Gebiete sowie am Checkpoint Qalandyia, den Ali einmal passieren muss. Dabei wird deutlich, dass Israel zwar als mythischer Identitätsort des US-amerikanischen Judentums fungiert, sich die realen politischen Loyalitäten aber längst verschoben haben und die dritte Generation nach der Shoah ihre jüdische Identität nicht unkritisch mit der israelischen Politik verknüpft. Nicht alle gehen dabei so weit wie Ali, als sie eine zentrale Botschaft der Serie äußert: „Arabs and Jews… blacks and whites, men and women, a fucking binary everywhere you look, screwing things up.“
Ihre Konsequenz zieht sie, indem sie an der Westmauer in Jerusalem die Abgrenzung überquert und aus dem Frauen- in den Männerbereich wechselt. Für das Publikum stellt sich anschließend die Frage, ob es eine feste, schon immer dagewesene (sei es kulturelle oder sexuelle) Identität an sich überhaupt geben kann, oder ob man sich Identitäten nicht erst in einer autonomen Bewegung der Verneinung oder der Kritik von Genealogien immer wieder neu erschaffen muss. Transparent dekonstruiert die Idee natürlicher Genealogien, mit denen sich Gemeinschaften konsolidieren und abgrenzen, dabei lässt die Serie uns in eine Welt jenseits binärer Strukturen blicken – eine immer vorläufige Aussicht.