Die Wiederholung hat einen schlechten Ruf. Immer wieder dasselbe ist geisttötend, heißt es, wer sich ständig wiederholt, hat nichts zu sagen, und repetitive Muster gehören wie Stanzblech zur Industrie, nicht zur Kunst, die doch für das Individuelle, Einzigartige und Unwiederbringliche zuständig ist. Der Medienwissenschaftler Tilman Baumgärtel, der vor ein paar Jahren ein immer noch sehr lesenswertes Buch über die „Geschichte und Ästhetik des Loops“ – also der Schleife, der Wiederholung – geschrieben hat, geht dabei von der natürlich gut begründeten Beobachtung aus, dass die Kunst und Philosophie der Moderne entschieden darauf zielten, den Kreislauf des Ewiggleichen, des sich Wiederholenden und daher Statischen zu durchbrechen. Die Geschichte sollte nicht Wiederholung, sondern Fortschritt und Entwicklung auf ein Ziel hin sein, zum Beispiel die „Freiheit“ oder die „Emanzipation“ aller Menschen – und zwar bei liberalen Denkern ebenso wie bei Hegel oder Marx. Dazu gehört demnach auch die zutiefst moderne Vorstellung, dass der technische Fortschritt das Gegenteil der Wiederholung sei, das heißt kein sich repetierender, sondern ein nach ‚vorne’ offener Prozess.
Ähnliches gilt für die Musik der westlichen Klassik, deren Kompositionen zwar einen klaren „Aufbau“ und eine „Entwicklung“ bis hin zu einem „Höhepunkt“ kennen und sich dadurch fundamental von den repetitiven Mustern in vielen asiatischen oder afrikanischen Musikstilen unterscheiden. Dennoch war die Wiederholung natürlich immer auch Teil der abendländischen Kunst, die seit der Antike sich wiederholende Muster kannte; in der antiken Rhetorik spielte die Figuren der Wiederholung gar eine zentrale Rolle. Für die Musik gilt daher grundsätzlich, so Baumgärtel, dass „der Reiz von Musik in dem Spiel zwischen Repetition und Variation besteht“. Die Moderne, die, wenn man so will, mit dem Sound ratternder Spinn- und Webmaschinen um 1780 ein neues Zeitalter eröffnete, empfand aber genau solchen sich ständig wiederholenden maschinellen Tönen gegenüber nur Abscheu. Die Philosophen der Frankfurter Schule und vor allem Theodor W. Adorno glaubten sogar in den Rhythmen und Mustern des Jazz das regressive Grinsen der maschinellen Rhythmen in der kapitalistischen Industrie zu erkennen. Doch genau das: die Rhythmen und Töne, wie sie von Maschinen erzeugt werden, sind es, die Baumgärtel interessieren. Adorno spielt daher für ihn so etwas wie die Rolle des Antagonisten, das heißt jenes Vertreters der Moderne, gegen den sich seine Geschichte einer postmodernen Musikkultur, die vom Reiz der Wiederholung lebt, entwickelt.
„musique concrète“
Diese Geschichte beginnt damit, dass sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Bereich der westlichen Gesellschaften einige Avantgarde-Musiker:innen und -Künstler:innen den ästhetischen Möglichkeiten der Wiederholung zuwandten, und sie führt bis an den Punkt unserer eigenen Gegenwart, in der in vielen Formen der populären Musik nicht mehr die musikalische „Entwicklung“ und die von Blues adaptierte Songstruktur dominieren, sondern die Muster und Loops aus elektronischen Maschinen. Techno, House, Dub oder Hip-Hop wären ohne Wiederholung undenkbar.
Dabei ist die, wie Baumgärtel sagt, „kulturelle Form“ des Loops deutlich älter als die Maschinen, die ihn heute in allen Varianten und Frequenzen nach Belieben produzieren. Er entstand im größeren experimentellen Feld von elektronischer Musik, und speziell ab den späten 1940er Jahren zum Beispiel in den an Radio-Stationen angeschlossenen Tonlaboratorien von Pierre Schaeffer in Paris und etwas später von Karlheinz Stockhausen in Köln. Die beiden Pioniere verfolgten allerdings ganz verschiedene Ziele und Stile.

Pierre Schaeffer an einer Tonbandmaschine, 1963; Quelle: cdm.link
Pierre Schaeffer zeichnete Alltagsgeräusche auf – Satzfetzen, ein metallisches Klappern, ein Krachen, ein Schleifen, ein Husten…: Es war „der Lärm der Moderne“, wie Schaeffer sagte, aus dem er im Tonstudio repetitive Muster formte., wie etwa in den „Études de bruits“ von 1948. Sein Credo lautete: „Wenn man dasselbe Ding wiederholt, wird es Musik.“ Das war, könnte man fast sagen, auch schon die Pointe. Denn „die Wiederholungen“, so Baumgärtel, „geben dem tönenden Chaos Ordnung, stiften im Unzusammenhängenden einen Zusammenhang“. Das Muster kann erkannt, nachvollzogen, gefühlt (oder getanzt) werden, es ist eine bewusst gestaltete Ordnung jenseits von bloßem Lärm. Diese Deutung stammt ursprünglich auch von keinem Geringeren als von Schaeffers Schüler und späterem Kritiker Karlheinz Stockhausen: „Was im Leben nichts miteinander zu tun zu haben scheint“, so zitiert Baumgärtel Stockhausen, „wird hier durch einfache musikalische Mittel – zum Beispiel das eines monotonen Rhythmus’ – miteinander in Beziehung gebracht“.
Anfänglich, bevor es Tonbandmaschinen gab, nahm Pierre Schaeffer die Töne direkt auf Grammophonplatten auf, ließ mehrere dieser Platten dann gleichzeitig in Endlosrillen laufen – im Loop also, damit sie sich repetierten und zu Mustern formen –, und nahm den Mix wiederum auf einer Vinylplatte auf. Bald allerdings konnte Schaeffer auf Magnettonbänder als Aufzeichnungsmedium wechseln. Hier entstand nun buchstäblich die „Schleife“: das an den beiden Enden zusammengeklebte Band, das, zur Verlängerung und Komplexitätssteigerung über mehrere Umlenkrollen (oder auch Besenstiele oder Biergläser) gelegt, in endloser Wiederholung immer dasselbe abspielte. Wenn mehrere solcher Bänder gleichzeitig liefen, man sie schneller oder langsamer oder gar rückwärts laufen ließ, wurde es interessant.

Karlheinz Stockhausen im Studio, in der Hand eine Tonbandspule, 1960er Jahre; Quelle: karlheinzstockhausen.org
Die so entstandene musique concrète, wie Schaeffer sie nannte, beeinflusste nicht nur amerikanische Komponisten der 1950er und 60er Jahre, sondern vor allem auch Karlheinz Stockhausen, der allerdings nicht von Alltagsgeräuschen ausging, sondern zum Beispiel von einem einzigen Klavierton, den er isoliert auf Tonband aufzeichnete, dann mit einer Schleife zu einem Loop formte und – nach vielem weiterem Schnipseln und Kleben von ‚geloopten’ Tonbandstücken – zu einem „seriellen“ Musikstück wie „Gesang der Jünglinge“ (1958) zusammenbaute. Die Differenz zwischen Schaeffer und Stockhausen bestand mithin darin, dass Schaeffers Töne noch ihren Ursprung in Alltagsgeräuschen verrieten, während Stockhausen „referenzlose“, „abstrakte“ Klänge erzeugen wollte, die vollständig synthetisch produziert und auch vollkommen „beherrscht“, das heißt ohne Rest unter die Herrschaft der kompositorischen Vernunft gebracht werden konnten. Ihr Ausgangspunkt waren zuerst die relativ reinen Klaviertöne, bald aber Sinustöne aus elektronischen Tongeneratoren.
Presleys Nachhall
Baumgärtel weiß aber noch ganz andere Geschichten aus der Frühzeit der Tonbandschleifen zu erzählen. Dazu gehört besonders jene der ersten Studioaufnahmen von Elvis Presley: Der Toningenieur Sam Philips hatte 1953 das Band der ‚endgültigen’ Aufnahme nochmals durch zwei Ampex-Tonbandmaschinen laufen lassen, mit einer minimen Verzögerung zwischen den beiden Bändern und dem Effekt, dass Presleys Rock’n’Roll dank diesem Slapback– oder Tape-Delay-Effekt einen so noch nie gehörten schwingenden, hallenden Klang erhielt. Allerdings waren das, folgt man Baumgärtel, noch alles „Vorgeschichten“ zu dem, was ab den späten 1960er Jahren geschah, weil einerseits jetzt die elektronischen Geräte in die Tonstudios Einzug zu nehmen begannen, die auch das popkulturelle Experimentieren mit elektronischen Klängen und Loops möglich machten, und andererseits die Loops und die mit ihnen erzielbaren Echoeffekte ab den 1970er Jahren zu einem eigentlichen Rhythmus montiert bzw. als besonders rhythmische, gar tanzbare Musik verstanden wurden.

Brian Eno, 1983; Quelle: twitter.com
1966 hatten die Beatles begonnen, mit Tonbandtechniken zu experimentieren und Verzögerungs- und Loop-Effekte in ihre Songs einzubauen, besonders deutlich in „Tomorrow never knows“ oder „Revolution 9“. Seit den späten 1960er Jahren schufen zudem neuartige Musikmaschinen wie der Moog-Synthesizer, Echogeräte, erste Drum-Computer und Sequenzer rasch expandierende Möglichkeiten, auch im Feld des Pop mit vollständig elektronisch erzeugten Tönen, Rhythmen, Melodien und Soundmustern zu experimentieren. Darauf setzten, nach dem Vorbild der Beatles, ab etwa 1972 „Progressive-Rock“-Gruppen wie Pink Floyd, Emerson, Lake and Palmer, Yes oder Tangerine Dream wie auch, stilistisch in alle Richtungen neugierig, der Roxy Music-Keyboarder Brian Eno, der 1977 mit David Bowie in Berlin die beiden Synthpop-Albem Low und „Heroes“ und produzierte.
Tanzbare Loops
Doch niemand war 1977 so erfolgreich, innovativ und radikal wie die afroamerikanische Sängerin Donna Summer mit „I Feel Love“ und die Düsseldorfer Band Kraftwerk mit „Trans Europa Express“. Kraftwerk produzierte mit Drum-Loops und einem Sequenzer metallisch klingende Rhythmen, die – ebenfalls mit einer deutlichen Referenz an Pierre Schaeffers musique concrète – an rollende Räder eines TEE-Zuges erinnern, während eine monotone, mechanisch klingende Stimme und sphärische Klänge aus dem Minimoog-Synthesizer sich wie Flächen über den Rhythmus legen.

Giorgio Moroder in seinem Münchner Studio bei der Produktion von „I feel love“, Quelle: indeepmusicarchive.net
Donna Summers Dance-Hit „I Feel Love“, mit dem Baumgärtel die Reihe seiner Analysen zur Geschichte des Loops beschließt, wirkt bis heute innovativ. Produziert von Giorgio Moroder und einem ganzen Team von Tontechnikern, wurde der Track bis auf den Gesang und die Basstrommel vollständig elektronisch generiert. Er wird getragen von einem Muster aus wenigen Noten, die der Sequenzer in schnellem Rhythmus ständig wiederholt, zuweilen transponiert in eine etwas höhere oder tiefere Tonlage. Baumgärtel betont, dass das Stück aber „mit Hilfe von weiteren Loops ein Feld von Differenzen, Abweichungen und Verschiebungen aufspannt“; damit würden „aus dem stumpfen, mechanischen Klopfen einer Maschine komplexe polyrhythmische Beats, aus strikter Regel verwirrende Vielfalt, ein Organismus aus Wiederholungen.“
Dieser Rhythmus lebt daher, so Baumgärtel, von der kleinen Differenz, den unmerklichen Abweichungen in der Wiederholung. Mit Blick auf „I Feel Love“ schreibt er: „Gilles Deleuzes Hoffnung, dass den ‚mechanischen’ und ‚stereotypen’ Wiederholungen unaufhörlich ‚kleine Differenzen, Varianten und Modifikationen’ abgerungen werden können, hat hier ihren künstlerischen Ausdruck gefunden.“ Und es ist die postmoderne Ironie von „I Feel Love“, dass das „Organische“, „Körperliche“ dieses Rhythmus’ von Maschinen erzeugt wird, die Giorgio Moroder durch Überlagerungen und verzerrte Loops zu, so Baumgärtel, „schlampigen“ und damit gewissermaßen menschenähnlichen Maschinen gemacht hat.
It’s so good

Donna Summer, „I feel love“, 1977; Quelle: marca.com
Für Baumgärtel war „I Feel Love“ „die ultimative Paarung von Organismus und Maschine.“ Bei Live-Auftritten wechselte Donna Summer daher von lasziven, weichen Bewegungen ihrer Arme zu maschinengleichen, ‚eckigen’ – ohne dass das auch nur im Entferntesten als eine Kritik am Maschinellen gedeutet werden könnte. Die weibliche Menschmaschine, die Summer performte, genoss vielmehr ihr eigenes, vom Puls der Beats getriebenes und ihm doch enthobenes Fühlen, ihr cyborg-artiges, von den modernen Gegensätzen zwischen Körper und Maschine, Kultur und Natur befreites Sein. Das übertrug sich auch auf die Tanzenden, die in die Muster dieses Stücks – und auch aller anderen elektronischen Dance-Tracks seither – das Muster ihrer eigenen Bewegungen einfügten. Es sei, so Baumgärtel, genau diese Erfahrung des eigenen, aber von der „Maschine“ ermöglichten und mit ihr synchronisierten Rhythmus’ der Loops, die Donna Summer in jenen schwebenden, schwingenden Worten kondensierte, denen nichts hinzuzufügen war: Ooh, it’s so good, it’s so good, it’s so good, it’s so good, it’s soo good…
Tilman Baumgärtel: Schleifen. Zur Geschichte und Ästhetik des Loops. Berlin: Kadmos 2015