Trotz brutaler Repression halten die Proteste im Iran weiterhin an. Der herrschende Klerus kann die „Massen“ nicht mehr hinter sich sammeln, wie er das seit dem 18. Jahrhundert immer wieder erfolgreich getan hat. Doch was sind die Perspektiven und die Gefahren der gegenwärtigen Revolution?

  • Hamid R. Ekbia

    Hamid R. Ekbia ist Professor an der Maxwell School of Citizenship and Public Affairs der Syracuse University (NY). Außerdem ist er Direktor des Center for Research on Mediated Interaction (CROMI) an der Indiana University. Ekbias Forschungsschwerpunkte sind die politische Ökonomie der Computertechnik, die Zukunft der Arbeit und die Art und Weise, wie Technologien die sozioökonomischen, kulturellen und geopolitischen Beziehungen moderner Gesellschaften vermitteln.

Seit mehr als 150 Jahren kämpft das irani­sche Volk für seine Rechte und Frei­heiten. Obwohl gewisse Fort­schritte erzielt wurden, stiessen diese Kämpfe auf schwer­wie­gende Hinder­nisse, insbe­son­dere nach dem Zusam­men­bruch der Monar­chie und der Grün­dung der Isla­mi­schen Repu­blik im Jahr 1979. Dieser Umschwung wurde zwar durch eine Volks­re­vo­lu­tion herbei­ge­führt, ist aber grund­le­gend geschei­tert und kehrte den Verlauf der Geschichte gewis­ser­massen um.

Dieser Essay versucht, diese merk­wür­dige Wendung der Ereig­nisse mit einer Reihe von „Koop­tie­rungen“ zu erklären, die das irani­sche Streben nach Frieden, Frei­heit und Wohl­stand unter­graben haben. Hierzu müssen wir einen Schritt zurück­treten und einen kurzen Abste­cher in die Geschichte machen.

Monar­chen und Mullahs

Inspi­riert von der fran­zö­si­schen Revo­lu­tion von 1789 und Schrift­stel­lern der Aufklä­rung wie Voltaire und Montes­quieu vertraten irani­sche Intel­lek­tu­elle am Beginn des 19. Jahr­hun­derts eine säku­lare Welt­an­schauung und setzten sich für Frei­heit, Rechts­staat­lich­keit und ein Ende der Macht abso­luter Monar­chen ein. Diesen Zielen standen zwei Gruppen entgegen: die Vertei­diger des Ancien Régime einer­seits und reak­tio­näre schii­ti­sche Geist­liche andrer­seits. Während der Wider­stand der Monar­chisten gegen den Wandel auf der Hand liegt und über den Iran hinaus bekannt ist, ist der Wider­stand des Klerus weniger bekannt, da er komplexer und verwi­ckelter ist.

Diese Komple­xität ergibt sich daraus, dass sich der schii­ti­sche Klerus histo­risch in der Oppo­si­tion zur Monar­chie posi­tio­niert hatte, er aber gleich­zeitig von deren Gross­zü­gig­keit profi­tierte. Dieser ambi­va­lente Bezug zur Macht hatte es den Mullahs in der Vergan­gen­heit ermög­licht, bestimmte poli­ti­sche Situa­tionen zu ihren Gunsten zu wenden, indem sie sich als Vertei­diger des Volkes darstellten und das Volk gegen die Monar­chie mobi­li­sierten, wann immer ihre Agenda dies erfor­derte. Tatsäch­lich bestimmte jedoch zumeist der Kampf mit den Monar­chen um die Macht das Handeln der Geist­li­chen, und nicht ihr Enga­ge­ment für das Volk. Die poli­ti­sche Geschichte Irans, insbe­son­dere der letzten drei­hun­dert Jahre, sollte aus dieser Perspek­tive betrachtet werden.

Im 18. Jahr­hun­dert brachte die Einfüh­rung west­li­cher libe­raler Ideen einen neuen Para­meter in dieses tradi­tio­nelle Macht­gleich­ge­wicht ein, und mit der Figur des öffent­li­chen Intel­lek­tu­ellen betrat eine neue Kraft die poli­ti­sche Bühne. Der Klerus sah in dieser Kraft zu Recht eine Bedro­hung für seine Macht und ging mehr­heit­lich entschieden in Oppo­si­tion zu den Intel­lek­tu­ellen, die er als Vertreter eines verderb­li­chen west­li­chen – und das heisst auch christ­li­chen – Einflusses auf die irani­sche Gesell­schaft sah. Insbe­son­dere die von diesen Intel­lek­tu­ellen propa­gierte säku­lare Rechts­staat­lich­keit wurde als direkte Bedro­hung für die auf den Gesetzen der Scharia beru­hende rich­ter­liche Gewalt des Klerus ange­sehen. Umge­kehrt verlei­tete die oppo­si­tio­nelle Rolle des Klerus einige Intel­lek­tu­elle dazu, ihre säku­laren Ansichten „anzu­passen“ und sie der Öffent­lich­keit in einem reli­giösen Gewand zu präsen­tieren, in der Hoff­nung, so den Wider­stand des Klerus gegen sie zu mildern und zugleich das Vertrauen der Bevöl­ke­rung zu gewinnen.

Diese kompro­miss­be­reite Haltung nahm bisweilen selt­same Formen an. Dies ging so weit, dass einige Schrift­steller und Kommen­ta­toren des 19. Jahr­hun­derts „Frei­heit“ als das Recht inter­pre­tierten, das Verhalten der Menschen religiös-moralisch zu über­wa­chen (amr-e be maroof). Im 20. Jahr­hun­dert nahm dieser Kompro­miss eine andere Form an, insbe­son­dere in den Schriften und Provo­ka­tionen reli­giöser Intel­lek­tu­eller wie Ali Shariati – einem an der Sorbonne ausge­bil­deten Sozi­al­theo­re­tiker, der marxis­ti­sche Ideen des Klas­sen­kampfes aufgriff, sie mit Jean-Paul Sartres exis­ten­zia­lis­ti­schen Ideen kombi­nierte und in die escha­to­lo­gi­sche Sprache des schii­ti­schen Märty­rer­tums goss. Daraus entstand eine eklek­ti­sche Mischung, die weder marxis­tisch noch exis­ten­zia­lis­tisch war, doch auf die irani­sche Jugend der 1960er und 1970er Jahre die mobi­li­sie­rende Kraft eines intel­lek­tu­ellen Erdbe­bens ausübte. Schlau wie immer witterten die Kleriker in diesen Ideen einen poten­zi­ellen Konkur­renten, aber auch eine Quelle der sozialen Mobi­li­sie­rung, die zu gege­bener Zeit auf Linie gebracht werden könnten. So kam es zu einer doppelten Koop­tie­rung, in der west­liche libe­rale Ideen von Intel­lek­tu­ellen aufge­griffen und in eine reli­giöse Sprache über­setzt wurden – um wiederum von gewieften Geist­li­chen zu deren eigenem Vorteil über­nommen zu werden.

Juristen und Imperialisten

Während der Verfas­sungs­re­vo­lu­tion zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts erreichten diese Span­nungen ihren Höhe­punkt, als promi­nente Mitglieder des Klerus sich vehe­ment gegen die Abschaf­fung der abso­luten Monar­chie zur Wehr setzten. Doch ihre Versuche schei­terten und 1906 wurde ein Dekret über die Einfüh­rung einer neuen Verfas­sung erlassen, die eine gewählte Körper­schaft, die Einrich­tung eines säku­laren Justiz­sys­tems und Reformen zugunsten der Rechte und Frei­heiten des Einzelnen vorsah. Dabei entwi­ckelten jedoch einige Persön­lich­keiten aus dem Klerus die alter­na­tive Konzep­tion, dass der Faqih, der isla­mi­sche Rechts­ge­lehrte, die Auto­rität über die poli­ti­schen Ange­le­gen­heiten haben sollte; die Idee der Juris­ten­herr­schaft (velayat-e faqih), die heute das poli­ti­sche Funda­ment der Isla­mi­schen Repu­blik bildet, ist direkt davon abge­leitet. Vor diesem Hinter­grund wider­setzten sich die Kleriker in den 1920er Jahren den zaghaften Plänen des aufstre­benden Reza Khan, die Monar­chie abzu­schaffen und im Iran ein repu­bli­ka­ni­sches System nach dem Vorbild der Türkei einzu­führen. Jahr­zehnte später jedoch wurde, wie gesagt, die Idee der Juris­ten­herr­schaft von Khomeini über­nommen, und es entstand die Isla­mi­sche Republik.

Die breite Oppo­si­tion, die Khomeini 1979 an die Macht brachte, umfasste Gruppen aus dem gesamten poli­ti­schen Spek­trum – von west­lich orien­tierten Libe­ralen bis zu sowje­tisch orien­tierten Marxisten und von radi­kalen Gueril­la­kämp­fern bis zu reform­freu­digen Juristen. Dabei gewannen die von Khomeini ange­führten Kleriker die Ober­hand, einer­seits dank der Moscheen, durch die sie die Basis mobi­li­sieren konnten und ande­rer­seits aufgrund der finan­zi­ellen Unter­stüt­zung durch tradi­tio­na­lis­ti­sche Basar­händler. Das Gleich­ge­wicht kippte schliess­lich zugunsten von Khomeini, nicht zuletzt auch auf Grund seiner impli­ziten Unter­stüt­zung durch west­liche Mächte im Rahmen der soge­nannten Brzezinski-Doktrin der Errich­tung eines musli­mi­schen „Grünen Gürtels“ gegen die Sowjet­union, was Khomeini einen Zufluchtsort und ein öffent­li­ches Forum in den Vororten von Paris verschaffte. Als er an die Macht kam, brach er mit seinen früheren Verbün­deten, unter­drückte Forde­rungen nach Frau­en­rechten, Pres­se­frei­heit und libe­ralen Frei­heiten und steckte seine Gegner ins Gefängnis oder stellte sie vor ein Erschies­sungs­kom­mando. Die Inva­sion Irans durch Saddam Hussein – wiederum mit still­schwei­gender Unter­stüt­zung west­li­cher Mächte, die Khomeinis anti­is­rae­li­sche Rhetorik und seine regio­nalen Ambi­tionen mit Argwohn sahen – goss Öl ins Feuer der Unter­drü­ckung, das das neue Regime gelegt hatte.

Die Entste­hung des isla­mi­schen Regimes im Iran und sein extremer Rechts­ruck können daher in gewisser Weise als Ergebnis des Aufein­an­der­tref­fens dreier histo­ri­scher Tendenzen gesehen werden: (1.) auf einer innen­po­li­ti­schen Ebene führten interne Span­nungen zwischen poli­ti­schen Grup­pie­rungen dazu, dass das neue Regime gewaltsam gegen seine früheren Verbün­deten vorging, unter anderem auch gegen isla­mi­sche Gruppen; (2.) regio­nale Riva­li­täten und alte Feind­se­lig­keiten, die durch die aggres­sive Politik Saddam Huss­eins aufflammten; und (3.) das globale Umfeld des Kalten Krieges, insbe­son­dere die anti­so­wje­ti­sche Politik der USA, die den Feind ihres Feindes als Freund ansahen, selbst wenn es sich um ein funda­men­ta­lis­ti­sches Regime wie die Isla­mi­sche Repu­blik handelte. Die kumu­la­tive Wirkung dieser Entwick­lungen resul­tierte in der völligen Vernich­tung der revo­lu­tio­nären Ideale von Frei­heit, Gleich­heit und Gerech­tig­keit, die die Menschen gegen die Monar­chie aufge­bracht hatten. Zum Teil wird immer noch darüber disku­tiert, ob Khomeini sowohl seine früheren Verbün­deten als auch den Westen über seine wahren Absichten getäuscht hatte oder ob der Verlauf der Ereig­nisse ihn in diese Rich­tung gedrängt hatte. Vielerlei Hinweise spre­chen immer stärker für das erste Szenario – d.h. dass Khomeini sich auf betrü­ge­ri­sche Weise an die Macht manö­vrierte –, doch Fakt bleibt, dass eine weit­rei­chende Volks­re­vo­lu­tion buch­stäb­lich von einer Gruppe reak­tio­närer, engstir­niger, reli­giöser Fana­tiker geka­pert und so letzt­end­lich der Lauf der irani­schen Geschichte umge­kehrt wurde.

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Der Anfang vom Ende

Mehr als vierzig Jahre später mündet diese Abwärts­spi­rale für das ganze Land in Frei­heits­ver­lust, Auto­kratie, wach­sender Armut, zügel­loser Korrup­tion, Umwelt­zer­stö­rung, Geschlech­ter­dis­kri­mi­nie­rung, ethni­scher Unter­drü­ckung, weit verbrei­teter Prosti­tu­tion und mora­li­scher Verzweif­lung, und sie führt darüber hinaus zu regio­nalen Reibe­reien, inter­na­tio­nalen Span­nungen und dem Verruf der Iraner und ihrer alten Kultur überall auf der Welt. In den vergan­genen Jahr­zehnten gab es immer wieder und in verschie­denen Formen Proteste gegen die sozialen Miss­stände, ja die eigent­liche gesell­schaft­liche Kata­strophe im Land, aber sie wurden regel­mässig mit grau­samen Strafen, Inhaf­tie­rungen, Hinrich­tungen, Mord und Terror im In- und Ausland beant­wortet. Doch mit den Aufständen von 2022 und 2023, die wie der Anfang vom Ende der Isla­mi­schen Repu­blik wirken, scheint diese Abwärts­spi­rale nun endlich ein Ende zu nehmen.

Ausge­löst durch den Tod von Mahsa Amini, einer jungen Kurdin, die während eines Besuchs in der Haupt­stadt Teheran von der so genannten Sitten­po­lizei getötet wurde, wuchs dieser Aufstand schnell zu einer mäch­tigen Bewe­gung an, an der sich Frauen, Student:innen, ethni­sche Minder­heiten, Lehrer:innen, Arbeiter:innen und sogar Schul­kinder betei­ligten und die von auslän­di­schen Künstler:innen, Intel­lek­tu­ellen und Politiker:innen sowie von Millionen von Iraner:innen auf der ganzen Welt sehr aktiv unter­stützt wird. Zum ersten Mal seit Jahr­zehnten waren die Strassen Europas, Nord­ame­rikas, Austra­liens und anderer Teile der Welt Zeugen der kraft­vollen Anwe­sen­heit der Iraner:innen, die sich zu Tausenden versam­melten und selbst­be­wusst und kreativ gegen die Gräu­el­taten des isla­mi­schen Regimes protes­tierten. Ironi­scher­weise kommen nun Menschen zurück auf die Bild­fläche, die als entbehr­lich gegolten hatten und direkt oder indi­rekt gezwungen gewesen waren, das Land zu verlassen: Scharen von bisher Unsicht­baren wenden sich nun gegen das Regime.

Schon früh stürzten die Geschwin­dig­keit und die Inten­sität des Aufstands das isla­mi­sche Regime in Verwir­rung und Chaos und veran­lassten den Westen dazu, seine Bezie­hungen zu ihm zu über­denken. Einige Monate später, mit mehr als 500 getö­teten Demons­tranten (darunter sechzig Kindern), Tausenden von Verletzten und Inhaf­tierten und vier jungen Männern, die unschuldig zum Tode verur­teilt und gehängt wurden, scheint das Regime die Ereig­nisse teil­weise unter Kontrolle gebracht zu haben und sich im In- und Ausland als stabile Macht zu behaupten. Aber unter der Ober­fläche lodert das Feuer der Revo­lu­tion mit uner­bitt­li­cher Heftig­keit weiter. Die Frage, die sich heute aller­dings stellt, lautet, ob nicht die Gefahr bestehe, dass diese Volks­be­we­gung erneut verein­nahmt und geka­pert wird. Und wenn ja, woher kommt diese Gefahr?

Frauen, Leben, Freiheit

Um diese Frage zu beant­worten, müssen wir die aktu­elle Bewe­gung in ihren histo­ri­schen Kontext einordnen, ange­fangen bei ihrem Haupt­slogan „Frauen, Leben, Frei­heit“. Diese Worte zeigen, dass die sich in Iran entfal­tende Revo­lu­tion unmit­telbar ein histo­ri­sches Muster aufbricht – das der Präsenz, ja Domi­nanz des schii­ti­schen Islam als einer Alter­na­tive. Zum ersten Mal seit Jahr­hun­derten iden­ti­fi­zieren junge Männer und Frauen den poli­ti­schen Islam als Ursprung und nicht mehr als Lösung sozialer Probleme. Dieser Wandel zeigt sich nicht nur in den Slogans, sondern auch in Hand­lungen wie dem Herun­ter­schlagen von Turbanen Geist­li­cher (ammameh parani) als symbo­li­sche Geste gegen die herr­schende Ideo­logie. Das isla­mi­sche Regime scheint der Unan­tast­bar­keit reli­giöser Insti­tu­tionen in der Öffent­lich­keit einen histo­risch unwie­der­bring­li­chen Schaden zuge­fügt zu haben. Keine säku­lare Bewe­gung hätte das Glau­bens­system der jungen Gene­ra­tion so erschüt­tern können, wie es die isla­mi­sche Herr­schaft selbst bewirkt hat. Nun ist der vier Jahr­zehnte andau­ernde Miss­brauch öffent­li­cher Mittel zugunsten des herr­schenden Klerus und seiner Verbün­deten ans Licht gekommen und hat die Schein­hei­lig­keit ihrer vorgeb­li­chen Fröm­mig­keit entlarvt.

Dies ist ein Wandel von histo­ri­schem Ausmass, dessen Bedeu­tung nicht über­schätzt werden kann. Um eine sport­liche Analogie zu verwenden: So wie man einen Schritt zurück­tritt, um über einen Bach zu springen, ist es, als ob die irani­sche Gesell­schaft vor vier Jahr­zehnten einen Schritt zurück­ge­treten sei, um über ein grosses Hindernis, nämlich den poli­ti­schen Islam zu springen. Aus dieser Verschie­bung lässt sich darauf schliessen, dass in Zukunft von Seiten des poli­ti­schen Islam kein Koop­tie­rungs­ri­siko mehr besteht – zumin­dest nicht in abseh­barer Zukunft. Mit anderen Worten, die poli­ti­sierte Reli­gion kann die gegen­wär­tige Situa­tion nicht wie in der Vergan­gen­heit verein­nahmen. Doch es exis­tieren andere, ernst­zu­neh­mende Gefah­ren­quellen. Abge­sehen von der vernach­läs­sig­baren Möglich­keit einer fort­ge­setzten Unter­drü­ckung durch das gegen­wär­tige Regime möchte ich hier drei weitere Möglich­keiten hervor­heben: falscher Feminismus-Liberalismus, Monarchismus-Faschismus und falscher Radikalismus.

Femi­nismus, Faschismus, Radikalismus

Zwei­fels­ohne stehen die Frauen an der Spitze der aktu­ellen Bewe­gung. Sie werden durch das isla­mi­sche Gesetz und die patri­ar­cha­li­sche Tradi­tion doppelt unter­drückt und fordern ihre Rechte und damit die Aner­ken­nung der histo­ri­schen Rolle ein, die sie für die Blüte der persi­schen Kultur gespielt haben. Unge­achtet der im Ausland weit verbrei­teten falschen Vorstel­lungen haben Frauen im poli­ti­schen und kultu­rellen Leben der irani­schen Gesell­schaft eine Schlüs­sel­rolle gespielt, insbe­son­dere in der Neuzeit. Als Künst­le­rinnen, Dich­te­rinnen, Schrift­stel­le­rinnen, Akti­vis­tinnen, Sport­le­rinnen, Verwal­tungs­an­ge­stellte usw. waren sie sichtbar präsent. Sie haben mit ihrem kalku­lierten Wider­stand gegen das isla­mi­sche Regime in den letzten vier Jahr­zehnten gezeigt, dass sie für ihre eigenen Rechte kämpfen können. Das Letzte, was sie brau­chen, ist daher, dass weisse (west­liche) Männer oder Frauen sich als ihre Retter:innen aufspielen. Ihre Version des Femi­nismus geht über den libe­ralen Femi­nismus hinaus, der die Gleich­stel­lung von Frauen in einer kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schafts­ord­nung mit den damit verbun­denen Ungleich­heiten entlang von Klas­sen­li­nien, ethni­schen Linien und Bildungs­un­ter­schieden anstrebt. Es handelt sich um einen radi­kalen, inter­sek­tio­nalen Femi­nismus, der ein Modell für den Rest der Region, die isla­mi­sche Welt im weiteren Sinne und viel­leicht sogar für die ganze Welt sein kann.

Was für den Status der Frauen gilt, gilt auch für die Gesell­schaft im Allge­meinen. Histo­risch gesehen wurde die Macht­dy­namik in Iran, wie oben beschrieben, von zwei domi­nanten Akteuren bestimmt – den Monar­chen und den Mullahs. Dieser Kreis­lauf muss endgültig durch­bro­chen werden. Jetzt, wo die Herr­schaft des Klerus durch den gegen­wär­tigen Aufstand in Frage gestellt wird, erscheint das monar­chis­ti­sche System als reali­sier­bare Alter­na­tive, und seine Befür­worter treiben ihre Agenda mit Hilfe der Figur von Reza Pahlavi, dem Erben des letzten Shahs, voran. Er selbst behauptet zwar, lang­fristig keine poli­ti­schen Ambi­tionen zu haben, doch das Verhalten einer erkenn­baren Gruppe von Monar­chisten lässt das Gegen­teil vermuten. Dies weckt bei einigen Beob­ach­tern berech­tigte Sorgen über einen poten­zi­ellen Aufstieg des monar­chis­tisch umhüllten Faschismus in einem post­is­la­mi­schen Iran. Die Erfah­rungen des Arabi­schen Früh­lings, insbe­son­dere in Ägypten, machen solche Befürch­tungen plausibel.

Die west­li­chen Mächte, insbe­son­dere die USA, spielen in dieser Hinsicht eine wich­tige Rolle. Die jüngste Geschichte, nicht nur in Ägypten, Irak und Libyen, sondern auch in Iran selbst, zeichnet ein weit­ge­hend nega­tives Bild davon, wie der Frei­heits­kampf der Völker durch auslän­di­sche Inter­ven­tionen unter­graben wurde und Hundert­tau­sende unschul­diger Menschen auf dem Altar von Unter­neh­mens­pro­fiten und den Plänen des militärisch-industriellen Komplexes geop­fert wurden. Die düstere Realität der globalen Real­po­litik wird der frei­heit­li­chen Rhetorik des Westens nicht gerecht. Diese trau­rige Bilanz ist einer der Gründe dafür, dass die Isla­mi­sche Repu­blik so lange über­leben konnte und sich als Retterin der Muslime gegen west­liche Inter­ven­tionen, das israe­li­sche Apart­heid­system und die auto­kra­ti­schen Regime in Saudi-Arabien und den Verei­nigten Arabi­schen Emiraten darstellen konnte. In der Zukunft eines befreiten Iran und der Region darf sich diese Geschichte nicht wiederholen.

Anlass zur Sorge um Irans Zukunft bietet auch der Fakt, dass die Kombi­na­tion der oben genannten Probleme einen frucht­baren Boden für die Kulti­vie­rung eines falschen Radi­ka­lismus schafft. Dieser könnte danach streben, den Status quo durch unkon­trol­liert radi­kale Aktionen zu erschüt­tern. Ein solcher Ansatz kann ethni­sche, kultu­relle oder poli­ti­sche Formen annehmen, oder diese kombi­nieren. Ange­sichts der prak­ti­schen Heraus­for­de­rungen, denen sich ein befreiter Iran in Bezug auf Wirt­schaft, Umwelt, poli­ti­sche Stabi­lität und regio­nale Riva­li­täten stellen muss, hätte ein solcher Radi­ka­lismus kaum eine Chance, den Frieden, die Frei­heit und den Wohl­stand herbei­zu­führen, den der aktu­elle Aufstand anstrebt. Wir brau­chen einen gemäs­sigten Radi­ka­lismus, der über die tradi­tio­nellen Alter­na­tiven hinaus­geht, aber gleich­zeitig in der Lage ist, prak­ti­sche Alter­na­tiven zu bieten, die in den sozio-historischen, poli­ti­schen und kultu­rellen Gege­ben­heiten Irans veran­kert sind.

Dieser kurze Über­blick über den irani­schen Kampf für Menschen­rechte und Frei­heiten zeigt, wie anfällig diese Kämpfe für verschie­dene Arten der Verein­nah­mung sind. Man kann nur hoffen, dass keine neuar­tigen Formen der Koop­tie­rung den aktu­ellen Aufstand unter­graben werden. Um es mit Tolstoj zu sagen: Alle Revo­lu­tionen sind gleich, aber jede geschei­terte Revo­lu­tion schei­tert auf ihre eigene Weise. Ich würde gerne daran glauben, dass die junge Gene­ra­tion von Männern und Frauen im Iran genug aus der Geschichte gelernt hat, um ihre Revo­lu­tion nicht schei­tern zu lassen.

Über­set­zung aus dem Ameri­ka­ni­schen: Anne Krier