Dass sich die Welt im Krisenmodus befindet, ist unstrittig. Wenig verwunderlich daher, dass das Konzept der Resilienz, vor wenigen Jahren ein im Alltagsdeutsch kaum verankerter Fachbegriff, inzwischen zum Standardvokabular von Politiker*innen, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen gehört. So viel scheint sicher: Wir brauchen mehr Resilienz. Nur mit Resilienz, so die Annahme, können wir Heißtagen, Starkregen und Waldbränden, gefährlichen Virusmutationen, unkalkulierbaren Inzidenzschwankungen und nunmehr auch Krieg und nuklearer Bedrohung trotzen. Wer oder was dabei resilient(er) werden soll, ist je nach Kontext und Perspektive unterschiedlich: Katastrophenschutz oder Gesundheitsversorgung, Städtebau oder Landwirtschaft, Demokratie oder Volkswirtschaft, Bundeswehr oder Frühwarnsysteme. Eines aber scheint sicher: Resilienz kann mensch nie genug haben. Wo sich angesichts aktueller Notlagen und düsterer Zukunftsaussichten Affekte wie Panik, Ratlosigkeit oder Resignation ausbreiten, bietet Resilienz einen ideellen Fluchtpunkt.
In diesem Sinne definiert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit Resilienz als „Fähigkeit von Personen oder Gemeinschaften, schwierige Lebenssituationen wie Krisen oder Katastrophen ohne dauerhafte Beeinträchtigung zu überstehen.“ Bezogen auf den Klimawandel müsse der Mensch lernen, „mit den Risiken und Folgen der globalen Erwärmung zu leben, sein Verhalten daran anzupassen und künftigen Krisen vorzubeugen.“ Resilienz, legt diese Definition nahe, zielt allenfalls in zweiter Linie darauf, den Klimawandel aufzuhalten. In erster Linie geht es darum, sich der Erderwärmung anzupassen. Das Ministerium hält weiterhin fest, nicht-resiliente Menschen und Gesellschaften würden häufig als „vulnerabel“ bezeichnet – ein Hinweis auf die enge und komplementäre Beziehung von Vulnerabilität und Resilienz.
Im medialen Diskurs populär ist die psychologische Resilienz, die individuelle mental-emotionale Krisenfestigkeit. Glaubt man den zahllosen, während der Corona-Pandemie präsentierten Ratschlägen, so lässt sich diese mit einfachen Mitteln steigern – etwa, indem man sich morgens ein paar Linsen in die linke Hosentasche steckt und für jedes angenehme Erlebnis eine Linse in die rechte transferiert. Abends erstellt man dann seine tägliche Glücksbilanz und siehe da, schon ist man wieder ein Stückchen resilienter geworden.
Trivial? Sonderlich komplex ist die Psychologie der Resilienz tatsächlich nicht. Vielmehr befriedigt sie einen Bedarf nach leicht konsumierbaren Handlungsanleitungen, der angesichts der sich multiplizierenden Krisenerscheinungen nicht kleiner geworden ist. Was Resilienz jedoch von ähnlich gelagerten populärpsychologischen Konzepten wie Positives Denken, Dankbarkeit oder Achtsamkeit unterscheidet, ist die kleine Prise Negativität, die das Konzept mit sich führt: Nur wer in echten Schwierigkeiten steckt, braucht Resilienz – und nur wer eine Krisensituation durchgestanden hat, kann wissen, wie es um die eigene Resilienz bestellt ist. Der mit dem Verweis auf die Allgegenwärtigkeit von Krisen, Notlagen und Gefahren verbundene Schrecken wird durch das Versprechen auf Bewältigbarkeit zugleich abgemildert: Im Gedankengebäude der Resilienz gefasst bekommen selbst die schlimmsten Schicksalsschläge einen positiven Unterbau – etwa, wenn Betroffenen von Flutkatastrophen unter der Überschrift Resilienz dazu geraten wird, doch einmal die Blickrichtung zu ändern: Wer weiß, vielleicht findet sich ja in den Trümmern des eigenen Hauses der Ausgangspunkt für ein neues und erfolgreicheres Leben.
Resilienz – ein elastisches Konzept
Nicht nur auf individualpsychologischer, auch auf politischer und ökonomischer Ebene reüssiert Resilienz. Innerhalb der EU ist der Begriff „zur konzeptionellen Allzweckwaffe für jegliche Form der Problembewältigung“ avanciert, vor allem im Kontext von Austeritätspolitiken. Manche Ökonom*innen geraten angesichts der Superkraft der Resilienz regelrecht ins Schwärmen: Eine resilientere Gesellschaft, so der Ökonom Markus Brunnermeier, erfreue sich langfristig eines stärkeren Wirtschaftswachstums – einfach, weil sie die üblichen ebenso wie unübliche Konjunktureinbrüche und -schwankungen besser absorbieren kann. Mit Resilienz einher geht aus seiner Sicht die Fähigkeit, Risiken einzugehen – und diese sei wiederum ein essenzieller Wachstumstreiber. Tatsächlich gilt die so genannte organisationale Resilienz, in der sich die vielen individuellen Resilienzen der Mitarbeiter*innen aggregieren, für Unternehmen als eminenter Wettbewerbsvorteil. Kein Wunder, dass viele Unternehmen versuchen, die Resilienz ihrer Mitarbeiter*innen professionell zu fördern – und dass uns Alltagsdiskurse dazu auffordern, auch außerhalb der Arbeitszeit zum Zwecke der Leistungssteigerung unsere Resilienz auszubauen. Wo von Resilienz die Rede ist, gilt grundsätzlich: Leben – oder Arbeiten – mit wenig Problemen ist eher wenig wünschenswert. Denn erst die fortlaufende Konfrontation mit Unsicherheit, Bedrohung und Krise lässt unsere Widerstands-, aber eben auch unsere Innovationsfähigkeit wachsen. Aus dieser Sicht stellen sich Personalmangel, unkalkulierbare Marktschwankungen, Lieferengpässe und Rohstoffknappheit als – individuelle wie organisationale – Wachstumsgelegenheiten dar.
Allerdings kommt Resilienz interessanterweise nicht nur als normativer Anker von Neoliberalismus und „Wachstumismus“ zum Einsatz. Angesichts der Krisenhaftigkeit der Welt mehren sich Stimmen, die Resilienz in exakt entgegengesetzter Weise verstanden wissen wollen: als Silberstreif am Horizont, der uns den Weg in eine Gesellschaft jenseits von Wachstumseuphorie und ökologischer Zerstörung weist und als Sprung nach vorn in Richtung von mehr Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Der Ökonom Jeremy Rifkin ist sogar überzeugt, dass wir die Anfänge einer „Resilienzrevolution“ erleben. Resilienz weist ihm zufolge den Weg aus der ökologischen Katastrophe und den Begrenzungen der parlamentarischen Demokratie zugleich.
Der diskrete Charme der Anpassung
Resilienz ist also ein vielfach anwendbarer und dehnbarer Begriff – er bezeichnet nicht nur eine Art von Elastizität, sondern ist selbst ausgesprochen elastisch. Ursprünglich der Materialwissenschaft entlehnt wird er Mitte des 20. Jahrhunderts auf zwei Weisen produktiv gemacht: erstens als psychologisches Konzept, mit dem versucht wird zu ergründen, warum manche Menschen mit schwierigen Lebensumständen besser zurechtkommen als andere; zweitens als Paradigma der Ökosystemtheorie. Resilienz verweist im letztgenannten Zusammenhang auf die Fähigkeit von Wäldern, Flüssen und Gesellschaften, unter der Einwirkung von Schocks und Disruptionen langfristig zu überleben. Die gemeinsame Schnittstelle beider – epistemologisch eher schwer vereinbarer – Perspektiven, der individualpsychologischen wie der systemtheoretischen, liegt im Begriff der Adaption: Resilient ist – egal ob Regenwald oder Burnoutbetroffene – wer oder was in der Lage ist, sich auf katastrophale Umstände flexibel einzustellen. Resilienz meint also letztlich die Fähigkeit, sich an das Unsichere, Brüchige und Unkalkulierbare anzupassen.
Allerdings muss nicht überall, wo es um Resilienz geht, von Resilienz die Rede sein. Resilienz als Denkfigur taucht nicht nur dort auf, wo der Begriff ganz explizit mit einer Flexibilisierung von Löhnen nach unten, der Reduktion von Arbeitnehmer*innenrechten und der Senkung staatlicher Ausgaben im Kontext von Austeritätspolitik gleichgesetzt wird. Sondern auch da, wo von Arbeitnehmer*innen – in welchem Vokabular auch immer – die kontinuierliche Sicherung der eigenen Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit verlangt oder Bürger*innen zwecks Reparatur der sozialen Folgekosten neoliberaler Privatisierungspolitik für unbezahltes Engagement mobilisiert werden. Überall dort, wo Krisenerscheinungen durch politische Interventionen und Verhaltenssteuerungen so aufgefangen oder zumindest abgemildert werden, dass eine Infragestellung des Status Quo vermieden werden kann, ist die Denkfigur der Resilienz im Spiel.
Letztlich ist Resilienz ein Angebot, die Wirklichkeit zu deuten. Allerdings geht es weniger um Weltsicht als um Handlungsorientierung. Es handelt sich, wie sich in Anlehnung an Michel Foucault formulieren lässt, um ein Programm der Menschenführung, das sich gegenüber vergleichbaren anderen Programmen als erfolgreich erweist – und zwar genau deshalb, weil es zugleich mehr ist als bloß eine praktische Gebrauchsanweisung und weniger als eine Ideologie. In wohlfahrtsstaatlich-liberalen Gesellschaften werden solche Deutungsangebote und Programme – also das, was Foucault „Gouvernementalität“ genannt hat – naheliegenderweise nicht autoritär oktroyiert, sondern sie oszillieren zwischen Politik, Wissenschaft, Moral und Alltag, knüpfen an den jeweils vorherrschenden common sense an und richten diesen zugleich neu aus.
Resilienz und Schock-Doktrin
Trotz der Gegensätzlichkeit der Zielvorstellungen gibt es, wo von Resilienz die Rede ist, stets eine spezifische Form der Problemstellung, eine Art und Weise, Gesellschaft und Subjekt zu denken. Dieser normative Kern des Resilienzkonzeptes wird erkennbar, wenn man danach fragt, was im jeweiligen Resilienzdiskurs in aller Regel NICHT auftaucht: Verantwortung, Interessen, Konflikt. Ausgespart bleiben strukturelle Macht- und Herrschaftsverhältnisse, Fragen nach Eigentumsverhältnissen etwa, aber auch danach, wer eigentlich von den jeweiligen Krisen und Katastrophen, die Resilienz erforderlich machen, profitiert.
Viele Autor*innen deuten die in den letzten Jahren enorm gewachsene Popularität des Resilienzkonzeptes als Indiz einer Neuausrichtung neoliberaler Gouvernementalität. Dabei gehe es, so die Annahme, um nicht weniger als um eine neue Bedeutung des Begriffs Krise selbst. Diese werde nicht mehr als möglichst schnell zu überwindende Zwischenphase, sondern als Zustand verstanden, der unbeherrschbar wie unausweichlich ist. Krisen können, diesem Narrativ zufolge, also nicht ein für allemal überwunden, wohl aber erfolgreich gemanagt und bewältigt werden. In der Konsequenz wird die jeweilige Krise nicht länger als Ausnahme von einem Normalzustand, sondern auch als willkommene Wachstumsgelegenheit gerahmt – prominent in den Worten von Milton Friedman, demzufolge nur eine Krise echte Veränderung erzeuge. Dabei reicht die Verwandtschaft von Krise und Neoliberalismus historisch weiter zurück – etwa zu der aus Sicht von Neoliberalen erfolgreichen Umsetzung der so genannten Schock-Doktrin in Pinochets Chile in den 1970er Jahren. Mit der Finanzmarktkrise von 2008 und 2009 jedoch radikalisiert sich der Zusammenhang von Neoliberalismus und Krise. Menschen, Umwelt, Märkte und Institutionen sollen im Angesicht von unkalkulierbaren Krisenbedingungen ihre Fähigkeit ausbauen, Krisen so zu absorbieren, dass sie das Funktionieren der globalen Finanzmärkte und der mit ihnen verbundenen Chancen auf exponentielle Gewinnakkumulation nicht gefährden. Auf diese Weise, so etwa Mitchell Dean, werde Schumpeters Idee der schöpferischen Zerstörung der Ökonomie innerhalb neoliberaler Regime und Rationalitäten radikalisiert und naturalisiert.
Dieser Perspektive zufolge sind Krisen und Katastrophen nicht in erster Linie bedrohlich oder das, was es unbedingt zu verhindern gilt. Sie erscheinen vielmehr als unvermeidlich. Politik reduziert sich in diesem Zuschnitt darauf, Subjekte und Systeme fit zu machen für eine zumindest ungewisse, wenn nicht überaus bedrohliche Zukunft.
Resilient für die Zukunft?
Resilienz zu kritisieren, heißt sicher nicht, die Notwendigkeit von Krisenprävention und Anpassungsmaßnahmen, etwa an den Klimawandel, abzustreiten. Ebenso wenig ist die Frage nach psychologischer Resilienz grundsätzlich falsch: Niemand wünscht sich, schlecht durch eine Krise zu kommen oder gar traumatisiert zu werden. Richtig ist sicherlich auch, dass wir es zukünftig mit einer Zunahme von, wie Karl-Werner Brand es formuliert hat, „Resilienzkonflikten“ zu tun bekommen werden, bei denen darum gestritten wird, wer welchen Preis für die Krisenbewältigung zu zahlen hat.
Sicher ist jedoch: Wird Resilienz zu einem allgemeinen Leitbild und Handlungsideal, dann werden Krisen und Katastrophen immer mehr zum unvermeidlichen Normalzustand erklärt, an den es sich in erster Linie besser anzupassen gilt. Wo von Resilienz die Rede ist, treten normative Grundsätze wie Demokratie, Gleichheit oder (Klima-)Gerechtigkeit gegenüber der Maxime einer kurzfristigen Verhinderung von (noch) Schlimmerem tendenziell in den Hintergrund. Dabei handelt es sich allerdings nicht, wie von Giorgio Agamben zu Beginn der Corona-Pandemie befürchtet, um einen schmittianischen Ausnahmezustand, sondern eher um eine fortgeschritten neoliberale Form des Krisenmangements, das auf flexibel ein -und ausgesetzten Ausnahmesituationen basiert: In denen auch Grundrechte, je nach Lage der Dinge, pragmatisch vorübergehend außer Kraft gesetzt werden, Bedarfe immer wieder neu priorisiert werden und Merkels zweifelhaftes Erfolgsrezept vom „Fahren auf Sicht“ mit Doppelwumms- und Epochenbruch-Rhetoriken kombiniert wird, während sich demokratische Partizipation immer mehr darauf reduziert, demoskopische Umfragen auszuwerten und – mehr oder weniger erfolgreich – die jeweils vorherrschenden Stimmungen in der Bevölkerung auszuloten und mehr oder weniger geschickt von oben zu kalibrieren.
Die Antwort auf die Frage, ob Resilienz ein strukturkonservatives, wenn nicht kategorisch a-politisches Konzept ist, ob es also überhaupt emanzipatorisch gewendet werden kann, hängt natürlich davon ab, was jeweils unter Emanzipation verstanden wird – und kann deshalb hier nicht befriedigend beantwortet werden. Sicher ist allerdings, dass eine Transformation in einer tatsächlich ökologisch-soziale Weltgesellschaft, so utopisch diese Vision scheinen mag, niemals funktionieren wird, ohne dass geklärt wird, wer von katastrophischen Zuständen auf welche Weise profitiert und schon allein deshalb wenig Interesse daran hat, sie zu verändern. Genauer zu beobachten, bleibt daher, wem welche Form der Resilienz abverlangt wird. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob die Personalabteilung im eigenen Unternehmen zur Teilnahme an Resilienztrainings animiert oder aber Bevölkerungen im globalen Süden ihre amtlich festgestellten Vulnerabilitäten so bearbeiten sollen, dass sie die Wohlstandsgesellschaften des globalen Nordens möglichst wenig mit Menschen ‚belasten‘, die vor Krieg, Gewalt und ökologischen Katastrophen fliehen. Der Verweis auf das vermeintlich objektiv Notwendige, ontologisch Wahre oder das schlichte Überlebenmüssen verschleiert, wer wie von Krisen belastet wird und wer von ihnen profitiert.
Stimme zu. Denke Resilienzhypothese kann aufklärend wirken. Je individuell ausgeprägte Resilienz ist evolutionäre Kraft, durch die bei historischen Umfeldkrisen oft irgendwelche durchkamen. Gilt auch für menschlichen Fortschritt. Irgendwer war immer wer so resilient gg. Mainstream, um nicht eine „verrückte“ Idee zu verfolgen, die später Grundlage für Neues wurde. Gilt auch für Kinder. Unter denselben ungünstigen Umfeldbedingungen aufgewachsen, zerzweigen sich ihre Lebenswege. Neoliberal ist, ausbeuterische, diskriminierende Umfeldbedingungen auszuschalten. Wenn die zu dominant sind, hilft auch keine individuelle Resilienz mehr. Wo sie noch da ist, geht sie unangepasste, „kriminelle“ zum Teil sehr lukrative Wege. Das ist Fakt hierzulande, erst Recht in vielen… Mehr anzeigen »