Anfang der 1940er Jahre schleuste Vladimir Nabokov ein Wort in die ästhetische Debatte ein, das wir heute wieder gut gebrauchen können: Pošlost’ (richtig ausgesprochen: Poschlostj, Betonung auf der ersten Silbe, am Ende ein „tj“ von „feuchter Weichheit“). Pošlost’, so Nabokov, ist ein „mitleidloses“ russisches Wort, das ein Spektrum an Bedeutungen abdeckt, für das man im Deutschen oder Englischen stets mindestens zwei oder drei Wörter benötigt: „cheap“ (billig), „sham“ (unecht, falsch), „common“ (gemein), „smutty“ (schmierig, zotig), „pink-and-blue“ (rosarot und himmelblau), „in bad taste“ (geschmacklos), „with a lack of spirituality“ (mit völliger Abwesenheit von Geist) – im selben Moment aber „high falutin“ (hochgestochen), „tawdry“ (aufgedonnert) und „meaningful“ (bedeutungsvoll).

Familienfoto im goldenen Apartment, Quelle: housebeautiful.com
Pošlost’ überbrückt die Kluft, die sich zwischen den gegensätzlichen Bedeutungen auftut, so dass im Ergebnis so etwas wie „vergoldete Gewöhnlichkeit“ oder „hochgestochene Vulgarität“ oder „gemeine Moral“ oder „billige Bedeutsamkeit“ herauskommt. Deshalb schrieb Nabokov, dass Pošlost’ nicht einfach nur unverblümter Schund sei, sondern „alles verlogen Bedeutsame, verlogen Geistreiche, verlogen Anziehende.“ Das ist ungefähr das, was wir sehen, wenn wir auf Fotos schauen, die uns ins goldene Innenleben von Trumps Tower führen oder die uns von Putins kostspieligen Hobbys wissen lassen. Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, dieses russische Wort auch in die deutsche Sprache einzuführen.
Populismus und Pošlost’
Es mag auf den ersten Blick vernachlässigbar erscheinen, sich angesichts der politischen Zustände mit ästhetischen Fragestellungen zu beschäftigen. Aber Ästhetik ist genau das, was unsere Sinne öffnet, unsere Wahrnehmung einstellt und uns eine Perspektive liefert. Ohne Ästhetik werden keine Inhalte transportiert, kommt Kommunikation gar nicht zustande. Was also macht der offensichtlich zur Schau gestellte und ambitionierte Prunk von Trump, Putin und Erdoğan, was die simulierte Bedeutsamkeit ihrer Äusserungen mit dem Politischen?
Als Nabokov sich mit Pošlost’ beschäftigte, war er bereits zweimal emigriert, einmal 1920 aus Russland, ein weiteres Mal 1936 aus Deutschland. Es war insbesondere Deutschland, in dem er eine stete Pošlost’ am Werk sah, auch weil er, wie er schreibt, dort
in eben jenen Jahren lebte und schrieb, als nicht nur meine eigenen Eindrücke, sondern auch die meiner deutschen Freunde – und schliesslich der Geschichte selbst – immer düsterer wurden, bis der grausige Kitsch, den sie und ich verabscheuten, sich zu einem Regime auswuchs, das in seiner baren, düsteren Vulgarität nur mit dem Russland der sowjetischen Ära zu vergleichen ist […].
Nabokov sieht die Pošlost’ seiner Zeit in den beiden totalitären Systemen, in der stalinistischen Sowjetunion und im deutschen Faschismus ungehemmt zutage treten. In der Sowjetunion der 1920er Jahre kann man diesen ästhetischen Verfall schrittweise verfolgen.
Während bekannte Künstler wie Malevič, Mejerchol’d und Majakovskij zunächst noch vorhatten, eine neue revolutionäre proletarische Ästhetik zu schaffen, fielen diese und ihre künstlerischen Arbeiten bei der politischen Führung bald in Ungnade. Ihre Bilder, Texte und Aufführungen waren Stalin und den Profiteuren seiner Politik zu experimentell, zu wenig geeignet, den Geschmack der Masse, wie er Stalin vorschwebte, zu beeinflussen. Sie waren zu „elitär“, „zu kritisch“, „zu komisch“ oder zu „uneindeutig“ – allesamt Merkmale, die autokratische Systeme nicht aushalten. Als revolutionäre proletarische Ästhetik setzte sich schliesslich nicht etwa ein partizipatives, horizontales, dialogisches Modell durch, wie es zum Beispiel dem russischen Philosophen Michail Bachtin vorschwebte, sondern ein reaktionäres, vertikales und hierarchisches mit Anleihen aus der bürgerlichen bzw. aristokratischen Ästhetik des 19. Jahrhunderts.
Die anfängliche revolutionäre Ästhetik wurde im wörtlichen Sinne vernichtet und von der politischen Führung durch eine imitierte „bürgerliche“ Ästhetik, die man in der Sowjetunion der 1930er Jahre erkennen kann, ersetzt. Diese Imitationen des Gestrigen – Zuckerbäckerarchitektur statt Konstruktivismus, Familienfotos anstelle von Frauen in Berufskleidung, das Wohnzimmer mit Gummibaum statt Kommunalwohnung, Bilder vom Herrscher anstelle von Bildern des Volkes – diente als raffinierte Täuschung.
Der Glanz über der Gewalt
Die mit der Pošlost’ verbundene Täuschung tauchte in der Sowjetunion genau in dem Moment auf, als der Terror das normale Leben unmöglich machte, in den 1930er Jahren. Sie legte eine goldige und gepflegte Schicht über das, was nicht gezeigt werden sollte: Verhaftungen, Lager, Erschiessungen, Folter, Deportationen. Nabokov nennt es Tarnanstrich. Dabei diente die tarnende Pošlost’ einer doppelten Täuschung, sie täuschte mit ihrer glatten glänzenden Oberfläche und ihrer pseudohaften Moral über den Terror hinweg. Und sie täuschte zudem vor, dass das Glatte, Goldige, Fröhliche und Harmonische der ästhetische Wunsch des Volkes sei. Der Geschmack der „einfachen Leute“, das betont Nabokov ausdrücklich, ist Pošlost’ allerdings gerade nicht. Es handelt sich vielmehr um die falsche bzw. irreführende Darstellung ihres Begehrens. Als begehrens- und erstrebenswert wurden in Stalins System nicht mehr Soziabilität, Hierarchiefreiheit, Gleichheit und Gleichwertigkeit dargestellt. Was dem Volk entgegenblinkte, war vielmehr der Lohn für bedingungslosen Opportunismus.
Die amerikanische Historikerin Svetlana Boym vergleicht in ihrer Studie zum sowjetischen Alltag Pošlost’ mit Kitsch. Sie tut dies, weil der österreichische Schriftsteller Hermann Broch fast zur gleichen Zeit wie Nabokov über Kitsch schrieb – ein Wort, das sich ebenfalls kaum in andere Sprachen übersetzen lässt – und dieses ebenfalls mit der totalitären Ästhetik zusammenbrachte: Broch nannte Hitler einen „Kitschmenschen“ und „Kitschanhänger“. Für Broch ist Kitsch immer mit dem Dogmatischwerden verbunden. Man könnte auch sagen, mit dem Ende des Politischen, wenn man das Politische als die Möglichkeit fasst, grundsätzlich über alles neu verhandeln zu können. Kitsch hingegen verhandelt nichts, ist bar jeglicher Reflexion und Uneindeutigkeit.
Sowohl Nabokov als auch Broch sehen in Pošlost’ und Kitsch einen Angriff nicht nur auf die Ästhetik, sondern auch auf das Politische. Während aber Broch, wie später auch Adorno, im Grunde die Geste der Abwertung wiederholt, also Kitsch ganz generell als Schund abwertet, geht es Nabokov mit seiner Analyse von Pošlost’ um das Beobachten einer Praxis angestrengter, aber misslingender Aufwertung. Pošlost’ ist Kitsch oder Trash mit Ambitionen, eine Fehlimitation des als hoch, als glamourös, als weltmännisch, als künstlerisch, als cool und genial Geltenden.
Pošlost’ in Werbung und Propaganda

„Kleid mit Putin“, gezeigt auf einer Modenschau an Putins Geburtstag während des Forums „Geopolitische Herausforderungen der Gegenwart und Putins geistige Mission“, Design: Mona Al Mansouri, Quelle: meduza.io
In den letzten Jahren lässt sich Pošlost’ nicht mehr nur in der ‚gehobenen’ Parallelgesellschaft – in den Palästen neureicher Russen oder bei Reality-Stars (etwa den Geissens) – beobachten. Vielmehr wird Pošlost’ – und das ist die Zumutung – wieder zum Stil des Regierens: der Goldpalast von Erdoğan, Putins Selbstinszenierungen – und nun auch noch Trump, das Versailles imitierende Goldappartement, seine Familienfotos, die sein Programm des Nepotismus für alle sichtbar zu erkennen geben. Wer wissen will, in welche Richtung das gehen kann, muss nur nach Russland schauen. Man sieht dann nicht nur eine absurde Merchandising-Industrie, die einen an Geschmacklosigkeit nicht zu überbietenden Putinkult kreiert, sondern auch eine staatliche Förderung von Pošlost’ in der Öffentlichkeit. Stellvertretend lässt sich hier der Staatskünstler Zurab Zereteli nennen, der mit gigantischen Monumenten (u.a. Putinstatuen) und bronzenem Dekor seit Jahren Moskau „verschönert“. Zahlreiche Proteste für die „De-Zeretelisierung“ der Stadt blieben ergebnislos.
Poslost’ ist der Stil, der Kapitalismus und Autokratie ideal verbindet. In der Werbung, so Nabokov, zeige sich Pošlost’ dadurch, dass man uns zeigen wolle, „der Gipfel menschlicher Glückseligkeit sei käuflich“ und der „Kauf adle den Käufer“. Die Welt sei vom Verkäufer gemacht, von einem, „der darauf setzt, dass der Käufer den Trug akzeptiert.“ Es entstehe eine Schattenwelt, an die aber weder Verkäufer noch Käufer glauben. Die amerikanischen Wähler, so könnte man den Deal auf die Wahl übertragen, haben nicht nur Trump gewählt, sie haben sich auch für das Prinzip der Pošlost’ entschieden, sie haben den Trug, die offensichtliche Lüge akzeptiert.
Pošlost’ wird nicht mehr verborgen
Nabokov war der Meinung, dass Pošlost’ dann besonders wirksam und bösartig sei, wenn das Falsche nicht gleich in die Augen springt. Die Wahl von Trump hat bewiesen, dass dies – zumindest für Amerika – nicht mehr stimmt. Trump trägt die Pošlost’ offen zur Schau, sie zeigt seine kapitalistische Kompetenz und das von den Trumpfans tausendfach wiederholte Narrativ „Der ist schon reich, der wird uns nicht beklauen“ – „der ist schon reich, der hat es geschafft…“.
Die rechtspopulistischen Parteien in Westeuropa haben sich bislang nicht getraut, ihre Verachtung des Wählers so offen zu zeigen, auch wenn sie von reichen Politunternehmern beherrscht werden. Mit Gold als Ausweis kann man in Westeuropa noch keine Wählerstimmen holen. Sich als König oder Zar zu inszenieren, wie Trump, oder als Hollywood-Action-Held wie Putin würde für zu viel unfreiwillige Komik sorgen. In Westeuropa operieren die rechten Parteien eher mit dem Verbergen ihrer Pošlost’.

Still aus dem Werbevideo „Welcome to SVP“, Quelle: blick.ch
Besonders amüsant ist das in der Schweiz, wo es völlig verpönt ist, den Reichtum zur Schau zu stellen. Für die Wahlen im Jahr 2015 produzierte die rechtsnationale SVP ein Video, in dem sie sich selbst als pošlyj – spiessig, bünzlig, plüschig etc. – aufs Korn nahm. So schnitt Christoph Blocher im Garten vor seiner Villa mit einer Nagelschere Gras und Natalie Rickli schaute mit einer Schüssel voll Chips SRF. Eine verrückte Strategie: Die Werbehaudegen der SVP imitierten die Spiessigkeit als imitiert und sich selbst als cool. Sie hatten sich von der Kunst der Postmoderne und der Werbeindustrie abgeschaut, wie man ironisch mit Kitsch oder Pošlost’ umgehen und diese dabei als etwas sich anscheinend selbst Reflektierendes verkaufen kann. Allerdings blieb es bei der SVP nur bei der Imitation von Selbstironie. Oder anders gesagt: Sogar die Selbstironie war imitiert, sie war eine Marketingmassnahme, an die aber weder Politiker (Verkäufer) noch Wähler (Käufer) glauben. Die politische Realität entblösste das Werbeversprechen allerdings als das „verlogen Coole“ und das „verlogen Geistreiche“.
Was also macht Pošlost’ mit dem (heutigen) Politischen? Dient es noch immer der ästhetischen Demagogie, der Tarnung, der Ablenkung des Blicks – wie bei den beiden grossen Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts? Oder haben wir es mit einer neuen Funktion zu tun? Es sieht so aus, als geriete die Poslost’ in der Art, wie Trump und Putin sie zu ihrer Machtdemonstration betreiben, zur eigentlichen politischen Utopie, sie verdeckt das Ziel nicht, sie ist das Ziel. Dadurch wird sie – als das „verlogen Bedeutsame, verlogen Geistreiche, verlogen Anziehende“ – auch zum Symbol für eine Staatsform, die primär der eigenen Selbstbereicherung dient und allenfalls noch ein paar Boni und Prämien an die konformen Wähler verteilt. So muss die Lüge – wie im Fall von Trump und Putin – auch gar nicht mehr verborgen werden. Ganz im Gegenteil: Ganz offen kann gezeigt werden, dass Kapitalismus und Autokratie zusammenpassen wie die Faust aufs Auge.