Nach dem Wahlsieg Mauricio Macris im November 2015 ist Argentinien zur Speerspitze der Neuen Rechten in Lateinamerika geworden, eng gefolgt vom Nachbarland Brasilien, wo gegenwärtig ein Kongress, der mit Korrupten und Kriminellen gespickt ist, die gewählte Präsidentin mit einem kalten Staatsstreich bedroht. Der brasilianische Parlamentssprecher Eduardo Cunha und Vizepräsident Michel Temer, die den Angriff auf Dilma Rousseff anführen, stehen Macri nicht nur politisch nah; vielmehr teilen sie mit ihm auch eine Vorliebe für Offshore-Geschäfte und die Umleitung öffentlicher Gelder an Freunde und Verbündete. Macri selbst ist, wie die Panama-Papers enthüllten, Mitinhaber der Briefkastenfirmen Fleg Trading, Kagemusha, Ophalsen S. A. und Macri Group Panamá; ausserdem besitzt er Anteile an mindestens einem Dutzend weiterer Firmen in Steueroasen. Damit folgt Macri dem Beispiel seiner ebenfalls in den Panama-Papers genannten Kollegen aus Russland, der Ukraine, Syrien und Katar. Nicht nur das: Er gleicht ihnen auch in der Verfolgung Oppositioneller und in der Einschränkung der Pressefreiheit.

Mauricio Macri im Garten seines Landsitzes; Quelle: www.perfil.com
Doch im Gegensatz zu Putin, Assad oder Poroschenko geniesst Argentiniens Präsident das Wohlwollen derjenigen argentinischen Medien, die am Internationalen Netzwerk Investigativer Journalisten (ICIJ) beteiligt sind. Mit der Zustimmung ihrer internationalen Partner hielten die Zeitungen Clarín und La Nación die Enthüllungen über Macris dunkle Geschäfte bis nach den Präsidentschaftswahlen zurück. Mehr noch, die Regierung wurde mindestens einen Monat im Voraus über die Veröffentlichung informiert. Auf diese Weise blieb ihr genug Zeit, um publizistische und juristische Strategien vorzubereiten, mit denen die Aufmerksamkeit von den Enthüllungen durch die Panama-Papers abgelenkt werden konnte.
Oh, wie schön ist Panama
Der Einsatz der Medien im politischen Wettbewerb zugunsten der Mächtigen in Finanz und Wirtschaft ist an sich nichts Neues. Doch der Fall Argentiniens schlägt einige Rekorde, was das Ausmass der Unverfrorenheit angeht. Als die Süddeutsche Zeitung Journalisten aus unterschiedlichen Ländern zur Auswertung der Panama-Papers einlud, wurden aus Argentinien ausschliesslich stramm Macri-freundliche Medien hinzugezogen; nicht eine einzige unabhängige Stimme war vertreten. Dabei taucht die beteiligte La Nación sogar selber in den Panama-Papers als Inhaberin von Offshore-Scheinfirmen auf!
Die Folgeereignisse lassen wenig Raum für Zweifel: Im Moment der internationalen Veröffentlichung der Panama-Papers hatte Macris Umfeld bereits ein Netz von Gegenschlagzeilen zur Vertuschung des Skandals gestrickt, allen voran eine Flut von Anklagen gegen Politiker und angebliche Gewährsleute der Vorgängerregierung. Macri zeigte sich derweil „überrascht“ über die Existenz der Offshore-Gesellschaften, in deren Leitungsposten er sich mit seinem Vater und seinen Geschwistern abgewechselt hatte. Den Höhepunkt der Operation bildete die Aufnahme eines Verfahrens gegen Macris Vorgängerin Cristina Fernández de Kirchner, die seither die Schlagzeilen von Clarín und La Nación beherrscht. Die Ermittlungen gegen Kirchner begannen nur einen Tag nach der Einleitung einer Strafuntersuchung gegen den Präsidenten im Zusammenhang mit den Panama-Papers.

Mauricio Macri; Quelle: diarioprimicia.com.ar
Macris Aussage, eine seiner Offshore-Gesellschaften sei für eine Finanzoperation eingerichtet worden, die niemals zustande gekommen sei, wurde von der Zeitung Página 12 mittels einer einfachen Google-Suche widerlegt. Sie hatte einen Artikel ausgerechnet aus La Nación aus dem Jahr 2002 zutage gefördert, der schlicht das Gegenteil bewies. Zugleich häufen sich Anzeichen, dass die Offshore-Geschäfte von Mitarbeitern Macris in der Stadt Buenos Aires dazu gedient haben könnten, Millionen von Steuergeldern in die Wahlkampagne der Macri-Partei PRO umzuschleusen. Diese blockiert seit Amtsantritt der neuen Regierung laufende Untersuchungen über Offshore-Konten von Ex-Funktionären der ESMA, dem wichtigsten Folterzentrum der letzten Militärdiktatur.
Der journalistische Feuerschutz für Macri und zahlreiche seiner ebenfalls in die Affäre verstrickten Minister ist nur die Spitze eines seit Jahrzehnten gewachsenen Eisbergs. Die Clarín-Gruppe, der neben zahlreichen Zeitungen, Fernseh- und Radiokanälen auch Internet- und Kabelprovider angehören, zählt weltweit zu den Medienunternehmen mit der höchsten Marktkonzentration. Die gleichnamige Zeitung ist neben El País die auflagenstärkste in der spanischsprachigen Welt. Gemeinsam mit La Nación besitzt die Clarín-Gruppe ausserdem die Aktienmehrheit von Papel Prensa, dem Monopolisten für Zeitungspapier, die unter noch immer ungeklärten Umständen während der letzten Militärdiktatur erworben wurde und es beiden Blättern (ähnlich wie in Brasilien O Globo und O Estado de São Paulo) über Jahrzehnte erlaubt hat, mögliche Konkurrenten im Presse- und Mediensektor auszuschalten.
Die Kirchner-Regierung versuchte dieses Monopol mit dem Gesetz zur audiovisuellen Kommunikation wenigstens teilweise auszuhebeln; im Jahr 2009 wurde es in beiden Parlamentskammern mit grosser Mehrheit verabschiedet. Seither kam der Initiative die zweifelhafte Ehre zu, das gerichtlich am meisten umkämpfte Gesetz in der Geschichte Argentiniens zu sein, bis das Oberste Gericht es 2013 endlich für verfassungsgemäss erklärte. Am ersten Tag nach seinem Amtsantritt beeilte sich Macri, das Gesetz mit einem Notdekret rückgängig zu machen. Infolge dieses Austausches von Gefälligkeiten braucht die Clarín-Gruppe ihr Medienimperium nicht nur nicht aufzulösen; sie schliesst überdies bereits die ersten Verträge im einzigen Sektor ab, der in ihrem Portfolio noch fehlt: der Mobiltelefonie.
Die Wiedereinsetzung der Monopole hat die wenigen Macri-kritischen Medien in eine Krise gestürzt, zudem wurden Journalisten, die dem Präsidenten Unregelmässigeiten und Gesetzesverstösse nachweisen konnten, entlassen. So ist es kaum verwunderlich, wenn bewaffnete Angriffe auf Versammlungen der Opposition und Bombendrohungen auf Menschenrechtszentren in der Presse kaum Aufmerksamkeit erhalten und Kundgebungen gegen die Regierung ignoriert werden. Auch die Massenentlassungen seit Macris Regierungsantritt werden totgeschwiegen, die laut Gewerkschaften bereits über 200,000 Arbeitsplätze gekostet haben. Dass die Kürzungspolitik der neuen Regierung nicht gerade populär und folglich auf massive Medienmanipulation angewiesen sein würde, um die Unzufriedenheit in Grenzen zu halten, war niemals ein Geheimnis. Doch schon nach wenigen Monaten hat die Operation Ausmasse erreicht, die das Gedächtnis der dunkelsten Abschnitte der jüngsten Vergangenheit des Landes heraufrufen.
Erst das Urteil, dann der Prozess
Der mediale Feuerschutz der Macri-Regierung funktioniert in enger Absprache mit einem Teil des Justizapparates, der unter dem Banner der “Korruptionsbekämpfung” gegen Figuren der Opposition vorgeht – mit dem Ziel ihrer Schwächung und, sofern möglich, der Inhaftierung von Repräsentanten des politischen und sozialen Widerstandes. Diese politische Einflussnahme der Judikative kann als Teil einer Offensive in ganz Lateinamerika betrachtet werden, deren aktuelles Aushängeschild der brasilianische Ermittlungsrichter Sérgio Moro ist, der die Untersuchungen gegen Ex-Präsident Lula da Silva führt.
Ein ähnliches Schema funktioniert bereits seit einiger Zeit in Argentinien, doch mit der aktuellen Justizoffensive gegen Ex-Präsidentin Cristina Kirchner hat die Eskalation eine neue Qualität erreicht. Bundesrichter Claudio Bonadío, der das Verfahren gegen Kirchner eröffnet hat, ist ein Bundesgenosse Macris mit einer langen Vorgeschichte unter der notorisch korrupten Regierung Carlos Menems. Bonadío wird unter anderem zur Last gelegt, einen Fall zu kontaminierten Blutkonserven verschleppt und Beweismittel bei der Untersuchung des Terroranschlages auf ein jüdisches Gemeindezentrum im Jahr 1994 unterschlagen zu haben. Sein aktuelles Verfahren gegen Kirchner wird von einem breiten Spektrum von Juristen als rein politisch motiviert eingeschätzt. Bonadío ermittelt gegen die ehemalige Präsidentin und zahlreiche ihrer damaligen Regierungsmitglieder wegen der Festsetzung des Wechselkurses für Investitionsgeschäfte – eine Massnahme, die eindeutig in die Zuständigkeit der Bundesregierung fiel.

Im Visier der Justiz: Ex-Präsidentin Cristina Kirchner und Indigenen-Aktivistin Milagro Sala; Quelle: colectivoepprosario.blogspot.ch
Diese Justizoffensive gegen Kirchner muss im Zusammenhang mit anderen Vorstössen der Judikative gesehen werden, insbesondere mit der Inhaftierung der Bürgerrechtlerin und Parlamentsabgeordneten Milagro Sala, deren Anwaltsteam mittlerweile selbst mit Strafanzeigen überzogen worden ist. Sala hatte an einem Protestcamp gegen den Entzug von Staatsgeldern für indigene Kooperativen teilgenommen. Das Ziel dieser Vorstösse der Justiz im Dienst der politischen und medialen Machthaber scheint stets das Gleiche zu sein: das Foto von führenden Oppositionellen hinter Gittern.
Offen parteiische Richter leisten der Regierung somit bereitwillig gute Dienste, wenn es um die symbolische Demontage des Kirchnerismo geht. Die Implikationen dieser Vorfälle sind schwerwiegend: Sie weisen auf eine Rechtsprechung hin, welche die Grenzen des politisch Sagbaren definiert, die Legimitimät politischer und sozialer Kämpfe infrage stellt und sich zum Vollzugsinstrument einer neoliberalen Administration macht. Zugleich aber zeigt sich die Justiz mehr als zögerlich, was die Ermittlungen gegen zentrale Figuren der aktuellen Regierung angeht – allen voran Macri selbst, gegen den bereits vor der Enthüllung seiner Offshore-Geschäfte zahlreiche Ermittlungen anhängig waren.
Komm, wir finden einen Schatz!
Die Kampagne, die Macri an die Macht brachte, war seinerzeit geprägt vom Image des Professionalismus und des Respekts für die demokratischen Institutionen, die von den Medienmonopolen als Opfer der Manipulation durch die Kirchner-Regierung, wenn nicht gar als zweckentfremdete Instrumente persönlicher Bereicherung dargestellt worden waren. Dem traditionellen Drehbuch der alten und neuen Rechten folgend, wurde jegliche Ausweitung von Bürgerrechten und Sozialleistungen zur Gewährung staatlicher Privilegien verzerrt, die notwendigerweise auf korrupte Machenschaften hindeuten musste. Dies hinderte die neuen Amtsträger allerdings nicht daran, sogleich eine grosse Zahl von Geschäftspartnern, Freunden und Familienmitgliedern in hohe Staatsämter zu berufen, während die Massenentlassungen als notwendige Säuberung des Staates von „Parasiten“ verkauft wurden.
Doch hinter dem Zynismus dieser politischen Schocktherapie, hinter der massenhaften Ernennung von Funktionären, deren einzige Qualifikation in ihrem Status als Ehefrau, Neffe, Nichte, Enkel oder Schwiegertochter eines hohen Amtsträgers besteht, steht eine politische Agenda: die Übertragung der Kontrolle über die Staatsfinanzen an grosse Kapitalgesellschaften und ihre Bundesgenossen im politischen Apparat des Macrismo. In diesen Zusammenhang gehören scheinbar disparate Vorgänge und Massnahmen wie die Vergabe von grossen Staatsaufträgen an alte Geschäftsfreunde, die Berufung von Vertretern aus den Chefetagen der Grossfinanz in wichtige Staatsämter, die Auszahlung internationaler Schuldenspekulanten zu ruinösen Konditionen sowie die Offshore-Geschäfte des Präsidenten und seiner Minister, deren ‘Legalität’ auf der Logik des transnationalen Finanzgeschäfts basiert.
Offshore-Demokratie
Gibt es einen gemeinsamen Nenner, auf den sich so unterschiedliche Episoden wie Offshore-Geschäfte, die juristisch-mediale Verfolgung von Oppositionellen und die zynischen Aussagen von Vertretern der Macri-Regierung zur Rechtfertigung des sozialen Kahlschlags bringen lassen – Sätze, wie sie etwa die Vizepräsidentin der Schulbehörde von Buenos Aires äusserte, welche die Verteilung von Milchprodukten nach Ablauf des Verfallsdatums in Armenvierteln mit den Worten verteidigte: „Wer wirklich Hunger hat, der isst einfach alles“? Es gibt diesen gemeinsamen Nenner: Er ist das abenteuerliche Ausmass der Steuerhinterziehung in Ländern wie Argentinien. Seit Jahrzehnten lancieren die grossen Medienmonopole Korruptionsanschuldigungen gegen Politiker, die den Interessen der Grosskonzerne im Weg stehen, während in der Öffentlichkeit die Vorstellung etabliert wird, dass es keinen Sinn macht, in einem Land wie Argentinien überhaupt Steuern zu zahlen, weil Staatsbedienstete sich öffentliche Mittel aneignen oder diese durch überflüssige Sozial- und Infrastrukturprojekte verprassen. Damit erreichten es die Medienmonopole, dass Arbeiter, Angestellte und kleine Geschäftsleute (die, wie überall auf der Welt, Steuern zahlen müssen) sich mit Grossunternehmern wie Macri identifizieren, die ihr Geld auf Offshore-Konten bunkern, um staatliche Steuerkontrollen zu umgehen.

„Ich habe kein Bankkonto in Panama. #BinStaatsangestellter“. Buenos Aires, April 2016; Quelle: Wall Street Journal, wjs.com
Diese Form von Solidarität ist ebenso abstrus wie effizient. Sie lässt sich auf einen Punkt bringen in der Aussage des argentinischen Fernsehjournalisten Jorge Lanata gegenüber der spanischen Zeitung ABC vom 12. Dezember 2015: “Macri braucht weder Macht noch Geld. Es ist sehr nobel von ihm, dass er sich ans Steuer des Chaos gestellt hat, das in Argentinien herrscht.” Mit anderen Worten: Vertreiben wir die Armen aus der Politik, damit sie endlich aufhören, Staatsgelder zu veruntreuen, und ersetzen wir sie durch die Reichen. Selten hat man eine so offene Liebeserklärung an die Plutokratie vernommen.
Plutokratie aber ist nichts anderes als der klassische Begriff für die Offshore-Demokratie unserer Tage.
*) Dieser Text des Observatorio Argentino erscheint auch in spanischer, englischer, italienischer und französischer Sprache. Das Observatorio Argentino ist ein Zusammenschluss von über dreissig international renommierten Lateinamerika-SpezialistInnen: Alejandra Crosta (University of Oxford), Alessandra Ghezzani (Università di Pisa), Andrea Pagni (Universität Erlangen-Nürnberg), Andrés Avellaneda (University of Florida), Anna Forné (Göteborgs Universitet), Ben Bollig (University of Oxford), Cara Levey (University College Cork), Carmen Arndt (AP Berlin), Cecilia Sosa (University of East London), Claudia Tomadoni (Bauhaus Universität Weimar), Daniel Ozarow (Middlesex University), Dardo Scavino (Université de Pau), David Rojinsky (King’s College London), Edoardo Balletta (Università di Bologna), Emilia Perassi (Università di Milano), Federica Rocco (Università di Udine), Fernanda Peñaloza (University of Sydney), Fernando Reati (Georgia State University), Fernando Rosenberg (Brandeis University), Francisco Domínguez (Middlesex University), Gabriel Giorgi (New York University), Gisela Heffes (Rice University), Graciela Montaldo (Columbia University), Ignacio Aguiló (University of Manchester), James Scorer (University of Manchester), Jens Andermann (Universität Zürich), John Kraniauskas (Birkbeck College London), Jordana Blejmar (University of Liverpool), Kathrin Sartingen (Universität Wien), Liliana Ruth Feierstein (Humboldt-Universität zu Berlin), Milton Läufer (New York University), Pablo Rosso (Environmental Monitoring specialist, Berlin), Rike Bolte (Universität Osnabrück), Vikki Bell (Goldsmiths College London).