
Brennende Wälder, schmelzende Gletscher und Müllstrudel im Meer prägen die mediale Wahrnehmung der Klimakrise, zusammen mit Aufnahmen von Greta Thunberg, die verzweifelt versucht, ganze Generationen von verstockten Gewohnheitstieren wachzurütteln, die weder auf ihr Entrecôte noch auf Flugreisen in ferne Ferienparadiese verzichten wollen. Die Populärkultur spekuliert schon lange lustvoll über das Ende der Welt und produziert eine kaum mehr überschaubare Menge von dystopischen und postapokalyptischen Szenarien in Romanen, Filmen, TV-Serien und Videogames. Das Problem ist nur, dass in dystopischen Settings alles bereits zusammengebrochen ist. Das Vergnügen an Serien wie The Walking Dead (2010), die den Überlebenskampf in der Zombieapokalypse in Szene setzen, besteht für die Zuschauer:innen darin, über das Ende hinaus zu denken und zu verfolgen, wie die Menschheit wieder bei Null anfängt: die fiktionale Zukunft nach der Katastrophe als spekulatives Labor. Was dabei herauskommt, ist oft eine Variation dessen, was schon Robinson Crusoe im 18. Jahrhundert durchgemacht hat – im besten Fall mit einem feministischen, queeren und dekolonialen Twist.
Unsichtbare Phänomene
Die Obsession auf die Apokalypse führt aber dazu, dass zu wenig über die Möglichkeiten des Erzählens im Hier und Jetzt spekuliert wird. Das führt zu einem Erstarren zwischen Visionen vom Weltuntergang und einem messianischen Fortschrittsoptimismus, wie Donna Haraway in Staying With the Trouble (2016) argumentiert. Als Alternative schlägt sie vor, Geschichten vom nachhaltigeren Weiterleben auf dem Planeten zu erzählen, die sich vom Machbarkeitswahn und damit dem einsamen Helden abwenden und lebendige Gefüge aus vielfach verflochtenen Entitäten vorstellen. Sie nennt das «Ongoingness», oder eben «staying with the trouble».
Die Schwierigkeit, populäre, also unterhaltsame und mitreissende Geschichten vom Weiterleben in hochkomplexen und vielfach ökonomisch verstrickten und ökologisch bedrohten Gesellschaften zu erzählen, hat aber auch damit zu tun, dass sich die Auswirkungen des Anthropozäns – seien es schmelzende Polkappen oder Zoonosen – im Alltag nur schleichend bemerkbar machen. Timothy Morton hat den Begriff der Hyperobjects geprägt für Phänomene, die zugleich präsent und unsichtbar, vertraut und unheimlich sind. Dazu gehört auch die Mensch als Spezies:
The Anthropocene is an antianthropocentric concept because it enables us to think the human species not as an ontically given thing I can point to, but as a hyperobject that is real yet inaccessible.
Die Idee des Hyperobjektes hilft dabei, etwas zu verstehen. Denn es gibt keinen Massstab, um die individuelle alltägliche Praxis mit den Zahlen und Fakten zum Klimawandel in ein unmittelbares, kausal einleuchtendes Verhältnis zu setzen. Als Beispiel für dieses Seltsam-Unheimliche des Menschseins im Anthropozän verwendet Morton in seinem Buch Dark Ecology. For a Logic of Future Coexistence (2016) das Starten eines Autos und fragt, wie es sich zur Erderwärmung verhält. Ökologisches Denken setze mit der unheimlichen Erkenntnis ein, dass die eine Hand, die den Zündschlüssel dreht, statistisch völlig bedeutungslos ist. Und doch,
mysteriously and disturbingly, scaled up to Earth magnitude so that there are billions of hands that are turning billions of ignitions in billions of starting engines every few minutes, the Sixth mass Extinction Event is precisely what is being caused.
Der Hammer löst keine Probleme
Wer es lange genug vor dem Bildschirm aushält, kann feststellen, dass Denkansätze, wie sie Morton und Haraway vertreten, mittlerweile Eingang in die populärkulturelle Zirkulation gefunden haben. Als Experimentierraum dienen, wenig überraschend, Fantasy-Serien, die sich auch an Kinder beziehungsweise an Jugendliche richten. Das hat zum einen damit zu tun, dass die ‚Klimajugend‘ mittlerweile als Zielpublikum entdeckt wurde, und tatsächlich gibt es in Sweet Tooth und in Ragnarök jeweils eine Greta-Figur. Andererseits ist das Fantasy-Genre im Bereich Kinder- und Jugendmedien nicht mehr in erster Linie ein Austragungsort des Kampfes von Gut gegen Böse, sondern ist in den letzten Jahren immer mehr zum Experimentierfeld für ein ökokritisches und an Diversität orientiertes Erzählen geworden.
Auf Netflix sind zwei ganz unterschiedliche Original-Produktionen zu sehen, die versuchen, schleichende Prozesse erfahrbar zu machen und anstatt vom Aufräumen nach der Katastrophe von dynamischen Verflechtungen zu erzählen. Die dänische Serie Ragnarök (2020) nutzt die Mittel des seriellen Erzählens schlau, um das anwesend-abwesend Unheimliche von Folge zu Folge fassbarer zu machen. Zu Beginn kämpft eine junge Klimaaktivistin allein gegen den Grosskonzern, der in einem norwegischen Dorf mit dem vielsagenden Namen Edda das Trinkwasser vergiftet und Menschen an Krebs sterben lässt – doch niemand glaubt ihr. Selbst ihr mysteriöser Tod bereits in der ersten Folge bringt das verschlafene Dorf nicht aus der Ruhe. Nur Magne, der Neue in der Klasse, geht der Sache nach. Während er mehr und mehr Beweise für die Umweltkatastrophe sammelt, die damit für die Zuschauer:innen immer realer wird, verwandelt sich sein Körper ebenfalls schleichend: er entwickelt Superkräfte. Auf der Handlungsebene haben sie nichts mit seinem Engagement gegen die Grossunternehmer:innen zu tun, doch in der Inszenierung wird klar, dass es der Widerstand ist, der ihn zu einer Inkarnation von Thor, dem nordischen Blitz- und Donnergott, macht. Auch hinter der Industriellenfamilie, die das Wasser vergiftet und die Menschen schamlos ausbeutet, verstecken sich mythische Riesen: Der Kampf zwischen Grosskapital und rücksichtlosem Unternehmertum auf der einen und Klimaaktivist:innen auf der anderen Seite wird als Neuauflage von Ragnarök, dem Kampf der Gött:innen gegen die Riesen, inszeniert. Das klingt, so nacherzählt, lächerlich. Doch der Reiz der Serie besteht darin, dass der Kampf für eine bessere Welt durch die gekonnt trashige Inszenierung von Superkräften und Kämpfen zwischen Riesen und Gött:innen gleichzeitig ironisiert und ernstgenommen wird.

Mjölnir-Hammer in Ragnarök, Quelle: Netflix
Die Superkräfte und der mythische Mjölnir-Hammer lösen kein einziges Problem, sie spitzen die vorhandenen nur zu. Denn die Serie meint es ernst mit dem Widerstand der Jugendlichen, die genug haben vom Opportunismus der Erwachsenen. Im Kern erzählt Ragnarök eine Coming-of-Age-Geschichte, die das Fantastische braucht, um auszubrechen aus populären psychologischen Narrativen, die nur auf Anpassung oder Resignation hinauslaufen können. Man wundert sich aber schon, warum diese Serie etwas so Frisches und Überraschendes hat, wo sie doch ausgerechnet uralte weiße Helden bemüht, die dazu seit zehn Jahren ausgiebig durch das Marvel-Universum durchgenudelt werden (2011 kam Thor ins Kino; der neueste Zugang ist die Miniserie Loki von 2021). Es gelingt Ragnarök, den Heldenkult umzudrehen – Thor kann so stark sein, wie er will, entscheidend ist seine Fähigkeit zur Vernetzung und zur Zusammenarbeit. Und sobald er begreift, dass es heutzutage nicht mehr reicht, den Mjölnir-Hammer durch die Gegend zu werfen, steht er auch nicht mehr als einsamer Held da, sondern als Teil eines Teams. Auf der Ebene der Inszenierung wird die Bewegung hin zum Mythischen verkoppelt mit einer Öffnung des Raums. Die Kleinstadt, die sich zu Beginn ängstlich vor den Wirtschaftsmagnaten zu ducken scheint, erscheint immer mehr als Ort der sozialen Durchlässigkeit und der fluiden Geschlechteridentitäten.
Hirschjunge mit Charme
Noch weiter treibt die US-Serie Sweet Tooth (2021) die fantastische Entgrenzung. Schauplatz der Serie ist zwar eine Welt nach der Katastrophe – einer Viren-Pandemie –, in der das Leben aber irgendwie weitergeht, wenn auch mit einer reduzierten Infrastruktur. Seit dem Ausbruch der Krankheit, ‚the big crumble‘ genannt, sind alle Neugeborenen speziesfluid, was sie immun macht gegen den Virus. Die einen haben eine Schweinenase oder, wie der Protagonist Gus, ein Hirschgeweih, andere sehen aus wie Kuscheltiere oder Figuren aus Kinderanimationsfilmen. Zwischen Arche Noah und Winnie the Pooh verkörpern sie alle menschlichen Fantasien, die sich mit der Tierwelt verbinden. Doch die Wirklichkeit, in der sie leben, ist alles andere als kuschelig: Die sogenannten Hybriden werden von den ‚Last Men‘, marodierenden Banden, gejagt, um zu Impf- und Wirkstoffen gegen die Krankheit verarbeitet zu werden. Die eigentliche ökologische Katastrophe bahnt sich erst an. Denn die neue Spezies, die Mensch und Tier verbindet, steht für die Hoffnung auf eine nachhaltige Zukunft – doch offensichtlich interessieren sich die Menschen mehr für ihre kurzfristigen Bedürfnisse als für die Zukunft des Planeten. Das gilt nicht nur für die mörderischen Banden, sondern auch für den netten Arzt, der dringend ein Medikament für seine Frau braucht und deshalb alle ethischen Bedenken über Bord zu werfen bereit ist. Auch der Vater von Gus, dem Jungen mit Hirschgeweih und tierlicher Sensibilität, versucht sich von der Welt abzuschotten und seinen Sohn in der Sicherheit des Waldes als Einsiedler aufzuziehen. Doch wie bei Parzival scheitert das Projekt an der Neugier des Kindes. Gus macht sich auf den Weg, und weil er nichts weiß über die Welt, begegnet er dem ganzen Chaos da draußen mit Charme und Freundlichkeit.
Am Ende der ersten Staffel ist keine Lösung in Sicht; doch das Interessante an der Serie ist nicht das, was geschieht, sondern die Art, wie sie erzählt ist. Denn Sweet Tooth ist eine wilde, buchstäblich abenteuerliche Assemblage aus Genremodalitäten von Fantasy, Dystopie, Horror und lieblichem Kinderfilm. Die Serie bemüht sich geradezu programmatisch nicht darum, alles zu einem stimmigen Ganzen zusammenzufügen, sondern lässt die widersprüchlichen Bildwelten nebeneinander herlaufen.
Was beide Serien verbindet ist der Versuch, sich lustvoll und recht hemmungslos am Fundus des populären mythopoetischen Erzählens zu bedienen, um aus einer rasanten Abfolge von Zitaten und Déjà-vus etwas Altbekanntes und zugleich Verstörend-Neues entstehen zu lassen. Weil populäre Genres sich immer auch auf ihre jeweilige Geschichte beziehen, lassen sich Brüche mit Konventionen, Seh- und Denkgewohnheiten innerhalb vertrauter Narrative inszenieren. Im Fall von Sweet Tooth leben die Figuren in einer kaputten Welt, in der hinter jeder Ecke Gefahr lauert, und wandern dabei durch die Landschaft, als seien sie Hobbits aus Lord of the Rings; eine Gruppe jugendlicher Rebell:innen gerät in Konflikte, die an Goldings Lord of the Flies erinnern, und die fluiden Tierkinder spielen miteinander wie in Winnie-the-Pooh – um nur einige wenige Genremodalitäten zu nennen. Entscheidend ist, dass jede Geschichte eine Nuance der Wirklichkeit erfasst, aber ohne einen Anspruch auf eine Deutungshoheit. Selbst die Erzählerstimme aus dem Off, die dem Ganzen einen verbindlichen Rahmen geben soll, stiftet vor allem Verwirrung. Denn die raue Stimme von James Brolin wirkt nicht nur mit ihren Kalendersprüchen, sondern auch mit ihrer Lagerfeuertonalität wie eine Gutenachtgeschichte, der niemand mehr Glauben schenken will. Ihre Überzeugungskraft ist etwa so groß wie die von Thors Hammer.
Beide Serien nutzen fantastische, mythopoetische Elemente, um zu zeigen, dass der wahre Horror gerade nicht von hybriden, als monströs ausgegrenzten Figuren aller Art ausgeht, seien sie nun Gött:innen oder Tiere. Er steckt vielmehr in der patriarchalen, heteronormativen Familie und im kapitalistisch-industriellen Wirtschaftssystem. Man kann sich fragen, ob die patriarchalen Verhältnisse wirklich mit so viel Wucht in Szene gesetzt werden müssen, damit sie dann bekämpft und aus ihren Ruinen heraus Geschichten von Solidarität und (Arten)vielfalt erzählt werden können; so reproduzieren sich die alten Helden eben doch immer wieder, auch wenn ihre alten Waffen ihre Schlagkraft eingebüsst haben. Auf der anderen Seite ist es genau das, was populäre Erzählformate so gut können: in alten Geschichten das Potential für die Gegenwart entdecken.