An den Südafrikanischen Universitäten verschaffen sich junge Feministinnen Gehör. Dabei geht es nur vordergründig um die Abschaffung von Studiengebühren.

Derzeit lässt sich in Südafrika etwas Bemer­kens­wertes beob­achten, von dem nur wenig in der deutsch­spra­chigen Presse zu lesen ist. Im Kontext der anhal­tenden Proteste der Jugend gegen die Regie­rung und das Estab­lish­ment, und zwar insbe­son­dere von Studie­renden, findet zugleich ein Aufstand junger Frauen statt. Deren Proteste richten sich nicht nur gegen Studi­en­ge­bühren, ein nach wie vor kolo­niales Bildungs­system und die korrupte herr­schende Klasse, sondern gegen das patri­ar­cha­li­sche System insge­samt, was den Sexismus in den eigenen Reihen einschliesst.

Rhodes Must Fall-Proteste, Quelle: www.thedailyvox.co.za

#RhodesMustFall-Proteste, Quelle: www.thedailyvox.co.za

A statue of Cecil John Rhodes was removed from Univer­sity Of Cape Town on 9 April 2015 after concerted student protest. Quelle: Tony Carr, flickr.com

So erklärte Mbali Matan­dela letztes Jahr im März in der renom­mierten Wochen­zeit­schrift Mail & Guar­dian: „When the Rhodes Must Fall move­ment began UCT femi­nists quickly called a meeting with its leader­ship. They were not going to let their voices be drowned out. After the movement’s first meeting, myself and a small group of black, radical femi­nists decided that we needed to stake our claim in talks about the univer­sity and its insti­tu­tional racism.” Ziel der studen­ti­schen #RhodesMustFall-Bewegung war zunächst die Entfer­nung der Statue von Cecil Rhodes vom Campus der Univer­sity of Cape Town (UCT) als ein Symbol der Kolo­ni­al­ge­schichte und der Apart­heid sowie der fort­wäh­renden weissen Domi­nanz in Südafrika.

Südafrika ist noch immer bis in die feinsten gesell­schaft­li­chen Poren hinein vom Rassismus geprägt, wie sollte es auch anders sein, denn schliess­lich liegt das Ende der Apart­heid noch nicht einmal eine Gene­ra­tion zurück. Dazu kommen, bei aller haus­ge­machten Miss­wirt­schaft und Korrup­tion, die Auswir­kungen des globalen Kapi­ta­lismus und das Erbe der Apart­heid auch in wirt­schaft­li­cher Hinsicht. So regelten unzäh­lige Gesetze den Zugang zum Arbeits­markt, zu Bildung und Ausbil­dung und privi­le­gierten als weiss klas­si­fi­zierte Menschen in jeder Hinsicht. Die neue Regie­rung hatte 1994 keines­wegs ein prospe­rie­rendes Land mit einer gesunden Wirt­schaft über­nommen, sondern u.a. einen absurd aufge­blähten Staats- und Verwal­tungs­ap­parat, mit Ämtern und Behörden parallel und exklusiv für jede der gesetz­lich fest­ge­legten „Rassen­gruppe“.

Die Gene­ra­tion der Born Free, also der nach 1994 gebo­renen, lässt sich aller­dings nicht mehr mit Hinweisen auf das kolo­niale Erbe und den heroi­schen Befrei­ungs­kampf des heute in einer Drei­er­al­lianz mit dem Gewerk­schafts­ver­band COSATU und der Kommu­nis­ti­schen Partei Südafrikas regie­renden African National Congress (ANC) abspeisen. Und die neue femi­nis­ti­sche Bewe­gung richtet sich sowohl gegen offenen und struk­tu­rellen Rassismus als auch gegen die herr­schende Hete­ro­nor­ma­ti­vität und weigert sich, die Kate­go­rien Race und Gender gegen­ein­ander auszuspielen.

So ging es auch den Femi­nis­tinnen an der UCT zentral darum, die Verge­schlecht­li­chung von Macht als theo­re­ti­sches und prak­ti­sches Problem zu disku­tieren und „die Frau­en­frage“ nicht zum ‚Neben­wi­der­spruch‘ vergan­gener oder gegen­wär­tiger Kämpfe erklären zu lassen. Ein erster Erfolg der Diskus­sionen war die Ergän­zung des Protest­liedes „Nantsi indonda emnyama“ das etwa bedeutet „Passt auf, hier kommt der schwarze Mann“ um die Zeile „Nangu umfazi omnyama“, das heisst „Hier kommt die schwarze Frau“. In einer zutiefst patri­ar­cha­li­schen Gesell­schaft darf das bereits als ein kleiner Sieg betrachtet werden, und solche Aktionen setzen wirk­same Zeichen.

#RhodesMustFall-Proteste, Quelle: bizlinks.wordpress.com

#RhodesMustFall-Proteste, Quelle: bizlinks.wordpress.com

Bei dem letzten grossen Treffen am Tag der Entfer­nung von Cecil Rhodes’ Statue war die Präsenz schwarzer Studen­tinnen als Redne­rinnen und Anfüh­re­rinnen vor dem besetzten Azania House auf dem UCT Campus auffällig und beein­dru­ckend. Auch wenn beim Marsch zur Rhodes Statue die alten martia­li­schen Lieder aus dem Anti-Apartheidkampf der 1980er Jahren zu hören waren, wie z.B. „one settler, one bullet“, prägte doch ihre Beto­nung von Hete­ro­ge­nität als Wert und von Inklu­sion als poli­ti­scher Praxis die Aktion glei­cher­massen. Im Ange­sicht leicht verblüffter Campus-Arbeiter riefen junge schwarze Frauen zum Kampf gegen das schwarze Patri­ar­chat auf und erhielten Applaus in Form des in Poetry Slams beliebten Finger­schnip­sens. Inzwi­schen ist die Sprache der Lesben-, Schwulen-, Queer-und Transgender-Bewegung fester Bestand­teil der #Rhodes­Must­Fall Bewe­gung und ihrer Weiterführungen.

Der neue Femi­nismus der – zumeist jungen – schwarzen Frauen setzt sich in doppelter Hinsicht von den Tradi­tionen der alten südafri­ka­ni­schen Frau­en­be­we­gungen ab. Zum einen kriti­sieren die jungen Femi­nis­tinnen eine als „weissen Femi­nismus“ bezeich­nete Bewe­gung, die blind für rassis­ti­sche Privi­le­gie­rung sei und sich histo­risch vor allem über schwarze Frauen und im Namen von schwarzen Frauen geäus­sert hätte. Die theo­re­ti­schen Posi­tionen post-kolonialer, inter­sek­tio­na­lis­tisch argu­men­tie­render Femi­nis­tinnen seien dabei nicht rezi­piert worden. Zum anderen wenden sich von den etablierten Frau­en­or­ga­ni­sa­tionen wie der ANC Women‘s League ab, die bei allen Erfolgen Teil des Estab­lish­ments geworden sind. So gab es beim Über­gang zur Demo­kratie zwar einen Konsens, dass Frauen eine wich­tige Rolle im neuen Südafrika spielen sollten. Die Verfas­sung ist zudem hinsicht­lich der Rechte von Frauen vorbild­lich, Südafrika ist eins von 23 afri­ka­ni­schen Ländern mit einer Frau­en­quote, und im Parla­ment sind 40% der Abge­ord­neten Frauen. Die Realität der meisten Frauen in Südafrika hat aller­dings wenig mit Gleich­be­rech­ti­gung zu tun, und die ANC Women’s League hat mit ihrer Unter­stüt­zung von Jakob Zuma jeden Anspruch auf wider­stän­dige Politik verloren. So sprach Panashe Chigu­madzi, Grün­derin der Platt­form Vaguard denn auch in der Rand Daily Mail von einer neuen Mili­tanz unter schwarzen Frauen und antwor­tete auf Anwürfe, deren Femi­nismus sei ideo­lo­gisch verwirrt, oppor­tu­nis­tisch und spal­te­risch: „Black patri­archs, it is quite simple. If you don‘t want us to divide black people with our femi­nism, don‘t divide us with your patriarchy.”

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#FeesMustFall-Proteste, Quelle: www.dukechronicle.com

#FeesMustFall-Proteste, Quelle: www.peuples-solidaires.org

#FeesMustFall-Proteste, Quelle: www.peuples-solidaires.org

Bisher ist nur eine Minder­heit von Studen­tinnen und Studenten orga­ni­siert, doch es herrscht eine breite Unzu­frie­den­heit mit den gesell­schaft­li­chen Verhält­nissen und es trug zum Ansehen der univer­si­tären Proteste bei, dass nicht nur die Entfer­nung kolo­nialer Symbole und der Kampf gegen Studi­en­ge­bühren (#Fees­Must­Fall) von Inter­esse war, sondern auch das Outsour­cing der Arbeiter auf dem Campus und ihre mise­ra­blen Löhne (#EndOut­sourching).

Mbali Matandela (Center) during the early Rhodes Must Fall protests during the Cape Epic. Photo Xola dos Santos, Quelle: rhodesmustfall.co.za

Mbali Matan­dela (Mitte) während der #RhodesMustFall-Proteste. Photo Xola dos Santos, Quelle: rhodesmustfall.co.za

Die Proteste zeigen sich an den Südafri­ka­ni­schen Unis unter­schied­lich, v.a. aber sind die Probleme der Univer­si­täten selbst höchst unter­schied­lich. Während die histo­ri­schen weissen Univer­si­täten wie UCT über enormen Grund­be­sitz und somit Reichtum verfügen und arme Studen­tinnen und Studenten unter­stützen können, stünden die histo­risch schwarzen Univer­si­täten wie die Univer­sity of the Western Cape (UWC), vor dem Bank­rott, wenn sie die ausste­henden Studi­en­ge­bühren abschreiben und alle zukünf­tigen erlassen würden.

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Man kann sich darüber mokieren, dass die Studie­renden eine nagel­neue Well­blech­hütte als Symbol des Protestes auf den schi­cken UCT Campus gestellt haben – vermut­lich vom Taschen­geld gekauft –, oder dass sich die Liste der Eltern, die anstehen, um Kaution für ihre im Zuge der Prostet inhaf­tierten Kinder zu bezahlen, wie ein Who is Who der neuen Elite liest. Doch die studen­ti­schen Proteste haben eine wich­tige Diskus­sion in Gang gebracht und sind dabei in eine Lücke gestossen, die sich aufgrund schwa­cher Oppo­si­ti­ons­par­teien, armuts­be­dingter Lethargie und einer selbst­zu­frie­dene Elite immer mehr öffnet. Gegen das Schweigen setzen sie eine gesell­schaft­liche Debatte und verlangen dabei eine legi­time Stimme des Protestes.

Diese wird den Studenten zuneh­mend verwei­gert, was nicht nur mit der tatsäch­lich schwie­rigen Situa­tion einiger Unis, wie der UWC zu tun hat, sondern auch mit umstrit­tenen Aktionen der #RhodesMustFall-Bewegung zu Beginn des neuen Semes­ters 2016, so insbe­son­dere die Zerstö­rung einiger „kolo­nialer“ Ölge­mälde. Die Akti­vistin und Autorin Sisonke Msimang schrieb über diese Aktionen an der UCT: “Burning colo­nial arti­facts might feel good but in the end it seems like an act of woun­ded­ness rather than an act of strength.  It does symbolic violence to the colo­ni­zers and that may be okay, but more than that – and this is where I have real ques­tions – it seeks erasure. I want to believe that a move­ment for justice is one that rages against forget­ting, not one that enables it.” Es bleibt eine bittere ironi­sche Schluss­pointe, dass nur Studenten reicher Unis, die im Besitz von Kunst­schätzen sind, diese auch zerstören können und dann in die Presse kommen. Was an der UWC passiert, findet selbst in Südafrika kaum Eingang in die Presse.

So richtig und wichtig es ist, das junge Südafri­ka­ne­rinnen und Südafri­kaner sich nicht in eine Art rheto­ri­sche Geisel­haft nehmen lassen und sowohl gegen die Erbschaft der Apart­heid als auch gegen die heutige poli­ti­sche Klasse rebel­lieren, deren zentrale Legi­ti­ma­tion der Verweis auf den glor­rei­chen Befrei­ungs­kampf ist, so wichtig ist es, die Geschichte nicht zu vergessen. Dazu gehört in der Tat der Befrei­ungs­kampf, der sich aller­dings keines­wegs auf Anhän­ge­rinnen und Anhänger des ANC beschränkte; dazu gehört aber auch eine pein­volle Geschichte der Gewalt nicht nur auf Seiten des Staates, sondern eben­falls inner­halb der Befrei­ungs­be­we­gungen, in den Nach­bar­schaften der Town­ships in den 1980er und 1990er Jahren und nicht zuletzt inner­halb der Familien.

Bilder und Statuen zu zerstören tastet das Apartheid-Erbe nicht an und führt eine Tradi­tion der Aberken­nung weiter. So schreibt Sisonke Msimang: „It seems to me that we ought to value art precisely because our acts of crea­ti­vity have been so under-valued and mis-recognised for so long.” Diesem Argu­ment muss man nicht zustimmen, entschei­dend ist aber die Möglich­keit zur Debatte, zumal in einem akade­mi­schen Umfeld. „The false need for agree­ment, and the vitriol spread around when people disagree – with univer­sity manage­ment, with poli­ti­cians, and with acti­vists – is starting to worry me.” Die bunt zusam­men­ge­wür­felte junge femi­nis­ti­sche Bewe­gung und ihre Sympa­thi­san­tinnen haben das Poten­tial, sich der Eindeu­tig­keit, der Fest­le­gung zu entziehen, ohne dabei beliebig zu werden. Indem sie Diver­sität vertei­digen, tragen sie zur Debatte bei, und das ist bereits an sich ein Wert.