Die #MeToo-Debatte hat einmal mehr gezeigt: Es wäre höchste Zeit, dass die Männer, die das Verhalten der Weinsteins, Trumps etc. beschämend finden, selbst sagen, was sie von sich und ihren Geschlechtsgenossen erwarten.

  • Raji Steineck

    Raji C. Steineck ist Philosoph und Philologe. Er lehrt Japanologie an der Universität Zürich und forscht über symbolische Formen, die Geschichte der Zeitauffassungen und die kritische Theorie der Kultur.

Verzei­hung, hier soll es noch einmal um den Mann gehen; nicht darum, was er angeb­lich ist, oder was er sein oder auch nicht sein soll, sondern was er sein will, so er denn Mann sein will. Denn es ist Zeit, mit dem schwei­genden Einver­ständnis zu brechen, mit dem Männer bisher die #MeToo-Debatte weit­ge­hend begleitet haben.  Zu wenig wurde dabei deut­lich, womit sich das Schweigen eigent­lich einver­standen erklärt hat: Mit der Anklage gegen Männer, die Erotik und gewalt­same Erobe­rung für dasselbe nehmen und entspre­chend mit anderen – meist Frauen – umgehen; oder eben doch mit diesen Männern und dem, was sie tun.

Das erstere nehmen – hoffent­lich – die meisten aus der schwei­genden Männer­mehr­heit für sich in Anspruch, aber das zweite können sie nicht einfach von sich weisen, so lange sie sich nicht äussern. Denn betreten still­zu­halten, wenn Frauen sich beschweren, damit nach einer Pause, «wenn sie sich beru­higt hat», alles so weiter­geht wie bisher, gehört zum Lebens­werk­zeug des Mannes im Patri­ar­chat; es ist ihm einge­schrieben wie die Über­zeu­gung, dass Frauen mit diesen Beschwerden über­treiben, und wie das Zuge­ständnis an die «echten Männer», sich zu nehmen, was sie wollen.

Raus aus dem Schweigen

Die Bewun­de­rung für den Typen, der nicht lang fragt, feiern popu­läre und fein­sin­ni­gere Medien bis heute. Und selbst wenn dem nicht so wäre, oder Männer damit nichts zu tun hätten: Es ist nicht gerade souverän, betreten zu schweigen. Und das Schweigen hinter­lässt eine Lücke, wo klare Vorstel­lungen zu arti­ku­lieren wären, wie Männer, die sich für Frauen inter­es­sieren und sie als Menschen ernst nehmen, diesen gegen­über eigent­lich auftreten wollen. Sonst bleibt der Verdacht, sie wüssten es nicht, könnten es nicht besser oder hielten sich – was immer sie tun, um die Aufmerk­sam­keit der Damen­welt zu erregen – für unter­legen gegen­über dem alten Macho-Gehabe. Es beför­dert und verfes­tigt die pein­liche Vorstel­lung, dass Männer von sich aus unter Flirt nichts Besseres zu verstehen vermögen als auftrump­fendes Gehabe, plumpes, belei­di­gendes Gerede und hilf­loses bis bösar­tiges Gegrap­sche – oder anders: dass das angeb­lich «starke» das stumme und blöde Geschlecht ist, so gern es auch wort­reich die Welt erklärt.

Theodor W. Adorno: Cover der Erst­aus­gabe der Minima Moralia

Die Konse­quenz hat vor einem drei­viertel Jahr­hun­dert Theodor W. Adorno in seinen Minima Moralia beob­achtet: «Unter­halb der verlo­genen Ideo­logie, welche den Mann als Über­le­genen hinstellt, liegt eine geheime, nicht minder unwahr, die ihn zum Infe­rioren … herab­setzt.» Das hindert ihn nicht, auf die Armse­lig­keit der «tough guys» hinzu­weisen, «die der Weich­linge als Opfer bedürfen, um nicht zuzu­ge­stehen, dass sie ihnen glei­chen.» Und sicher, weder sind die «tough guys» wirk­lich stark, noch ist die Stärke männlich.

Die Zurschau­stel­lung der Rück­sichts­lo­sig­keit feiert die Unter­drü­ckung, an deren Fort­set­zung alle mitwirken, die das attraktiv finden: die Schwa­chen, weil sie sich an die Stelle der Starken träumen, denen sie dann jeder­zeit zur Seite zu stehen bereit sind; die Starken, wieder mit Adorno, indem sie «die vergan­gene Gewalt gegen sich selbst» wieder­holen in Ritualen der stolzen Selbst­über­win­dung. Die still­schwei­gende Gemein­schaft in der Miss­ach­tung der Anderen und des eigenen Selbst erfreut sich, wie Adorno schreibt, «des Glückes der Einig­keit in der Absenz von Glück», sie ist gera­dezu das «Geheimnis der Inte­gra­tion» in einer Gesell­schaft, die auf Unter­drü­ckung beruht.

Kein Null­sum­men­spiel

Aus dieser Einig­keit auszu­bre­chen ist nun gerade kein Opfer oder Verlust, den der Mann auf sich zu nehmen hätte, als wäre das Patri­ar­chat eine Ordnung zum Zwecke der Befrie­di­gung seiner Bedürf­nisse gewesen. Das kann nur glauben, wer jedweden sozialen Verkehr als Null­sum­men­spiel begreift, bei dem der Gewinn der einen Seite den glei­chen Betrag hat wie der Verlust der anderen und umge­kehrt. Nur dann würde stimmen, dass, weil die Frauen etwas verloren haben, die Männer das Gleiche gewannen, was sie jetzt heraus­geben und also wieder verlieren sollen. Inzwi­schen kennt selbst die Vulgär­öko­nomie die «win-win-Situation» und die von ihr Geschulten sollten also auch befä­higt sein, die «lose-lose-Situation» zu begreifen. Als Gewalt­ord­nung leitet das Patri­ar­chat die Männer dazu an, gewalt­tätig zu sein oder sich mit Gewalt­tä­tig­keit gemein zu machen, weil jeder ständig unter der Drohung steht, als Nicht-Mann Gegen­stand der Gewalt zu werden – und dann noch ohne den brüchigen Schutz, den es den «unschul­digen» Frauen und den Müttern gewährt.

Tisch­fuss­ball: Foto von Bruno Aguirre; unsplash.com

Wer sich geschickt durch die Gewalt manö­vriert, hier tritt und dort sich duckt, in jedem Falle aber tut, wozu er als Mann berufen ist, der mag sich selbst zeit­weilig sicher fühlen; schon seine Familie, seine Freunde und die Frauen, denen er sich immerhin verbunden fühlen mag, sind es nie. Das muss vor sich und anderen verbergen, wer den Gewinn einstrei­chen will. Im Schatten der Gewalt gedeiht jenseits des «Glücks der Einig­keit» kein Glück und auch keine rechte Bezie­hung zu anderen Menschen; darum haben die «tough guys» auch keine Freunde, von Freun­dinnen ganz zu schweigen und, so sehr im Film oder im echten Leben manche Frauen sie auch anhim­meln mögen, erst recht keine Liebes­be­zie­hung, die den Namen verdient.

Vorstel­lungen vom Ende des Patriarchats

Wer, als Mann, sein Leben also nicht mit Kame­raden verbringen möchte, die besten­falls an ihm bewun­dern, was sie alle unglück­lich macht, mit Lakaien, die nur darauf warten, über ihn herzu­fallen, mit Frauen und Kindern, die nach Mass­gabe der ihnen drohenden Gefahr schlecht und recht verbergen, wie wenig sie wirk­lich von ihm halten; wer nicht möchte, dass sein Genuss nur im Stolz auf über­wun­dene Unlust besteht, sein Gelächter in Verach­tung und maskierter Angst, der hat guten Grund, das Ende des Patri­ar­chats zu begrüssen und nach Kräften an ihm mitzuarbeiten.

Morioka Masa­hiro, Cover von Sōsho­kukei danshi no ren’aigaku (Lessons in Love for Herbi­vore Men)

In jedem Fall sollte es sich für Männer, die solche sein und bleiben wollen, lohnen, darüber nach­zu­denken, was sie sich eigent­lich darunter vorstellen. Andro­gy­nität ist eine acht­bare Möglich­keit, aber wohl nicht für alle attraktiv, viel­leicht nicht einmal für eine Mehr­heit – auch wenn es Gegen­bei­spiele gibt: Wie Morioka Masa­hiro gezeigt hat, belegt die Karriere der „herbi­voren Männer“ in Japan, dass der Abschied von tradi­tio­nell männ­lich und die Inte­gra­tion von tradi­tio­nell weib­lich konno­tierten Eigen­schaften durchaus für grös­sere Kreise von Männern erstre­bens­wert sein kann und diese Rekon­fi­gu­ra­tion sich als erotisch anzie­hend für das andere Geschlecht zu erweisen vermag.

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Daneben ist es wert, zu über­legen und auszu­spre­chen, was Männ­lich­keit heisst, wenn Domi­nanz oder gar Gewalt­sam­keit kein Element von ihr sein soll. In mancher Hinsicht würde es wohl genügen, explizit heraus­zu­stellen, wonach viele Männer sich heute bereits richten oder, vorsich­tiger gesagt, wovon sie das gerne glauben würden. Es wäre dabei schon eine wünsch­bare Modi­fi­ka­tion der tradi­tio­nell (und fälsch­lich) männ­lich konno­tierten Tugenden «Mut» und «Weit­sicht», wenn Männer diese Normen auch entschieden verträten, vor allem natür­lich gegen­über Geschlechts­ge­nossen, die weiterhin meinen, es gehöre zum Mann-sein, sich über Frauen und andere Un-Männliche abschätzig zu äußern, sie zu über­gehen und zu schi­ka­nieren. Ange­sichts der Ubiquität, mit der trotz anschwel­lender Bocks­ge­sänge über «Gender-Wahn» und femi­nis­ti­schen main­stream das patri­ar­chale Männer­bild weiterhin medial und real in die Welt getragen wird, dürfte es an Gele­gen­heiten, solchen Mut und solche Weit­sicht zu erproben, nicht fehlen.

Achtung und eman­zi­pierte Männlichkeit

Im Übrigen: Es wird ja wohl der Männ­lich­keit zumin­dest nicht schaden, anderen Menschen unab­hängig von Geschlecht und Status mit Achtung zu begegnen und dafür auch aus Über­zeu­gung einzu­stehen; wobei Achtung hier nicht die neuer­dings viel beru­fene «Wert­schät­zung» meint, mit der das Manage­ment die Bemü­hungen der bezahlten Arbeits­kräfte belo­bigt. Solche «Wert­schät­zung» ist im Gegen­teil nur die bunt lackierte Form der Miss­ach­tung, die unge­schminkt dieje­nigen ereilt, welche für die Zwecke des Unter­neh­mens nicht mehr nütz­lich sind.

Achtung bestünde viel­mehr in der Aner­ken­nung der Anderen als Wesen mit eigenem Willen, über den einfach hinweg­zu­gehen sich verbietet – genau das, was die patri­ar­chale Ordnung in aller Offen­heit der Frau, versteckter aber auch der grössten Zahl der Männer versagt. Denn wo Männ­lich­keit zur Domi­nanz verpflichtet, ist es das Schicksal der meisten Männer, die meiste Zeit keine zu sein, und sich kaum mehr geachtet zu finden als die Frauen. Noch die trium­phie­rendsten unter ihnen müssen das zumin­dest als Kinder erfahren haben. Doch können sie es sich nicht einge­stehen, solange sie diese Ordnung als die ihre begreifen. Sie haben sich damit selbst mit Verach­tung gestraft, ohne das auch nur zu wissen oder wissen zu dürfen. Pascals berühmter Spruch «Le cœur a ses raisons que la raison ne connaît point – Das Herz hat seine Gründe, von denen der Verstand nichts weiß» ist das funda­men­tale Raison­ne­ment aller Unmündigkeit.

Achtung verpflichtet demge­gen­über zur Empfäng­lich­keit, für die anderen wie für sich selbst. Sie verlangt – schon wieder – Mut, nämlich zu wissen, worin der eigene Wille, das eigene Bedürfnis und die des Gegen­übers bestehen, und die Stärke, ihren mögli­chen Wider­spruch auszu­halten. Sie befeuert Klug­heit, indem sie zur Suche nach Wegen anspornt, solche Wider­sprüche zu vermit­teln, und ermög­licht Weis­heit, die im besten Fall daraus erwächst.

Es gäbe also Aussichten für eman­zi­pierte Männ­lich­keit, und sie sollten formu­liert werden, schon um des Lebens willen, das Männer selbst leben wollen. Konsis­tent wird das nur möglich sein, wo neben dem Patri­ar­chat auch die anderen Formen von Unter­drü­ckung (mindes­tens also Rassismus und Klas­sen­herr­schaft) adres­siert werden; denn die schönsten Reali­sie­rungen von Gender-Gerechtigkeit etc. treiben ganz ähnliche Blüten wie das Patri­ar­chat, solange das nicht der Fall ist – auch wenn Privi­le­gien wie Gewalt dann anders verteilt sein werden. Zum Schluss daher noch einmal Adorno: «Keine Eman­zi­pa­tion ohne die der Gesellschaft.»