
Kaum ein Thema mobilisiert in letzter Zeit so starke Argumente für ein Recht auf körperliche Selbstbestimmung wie die Debatte um eine mögliche Impfpflicht gegen das Corona-Virus. Dabei erstaunt nicht nur, dass der individuelle Körper so vehement gegen eine Maßnahme verteidigt wird, die sich nicht als Angriff versteht, sondern letztlich dem Schutz der Körper im Plural dienen soll. Erstaunlicher noch ist dabei die Wiederkehr der Argumente und feministischen Slogans aus den Debatten um die Reform bzw. Abschaffung des deutschen § 218 von 1871, der Abtreibungen grundsätzlich unter Strafe stellt. „My Body My choice“ und „Mein Körper gehört mir“ ist auf Plakaten oder T-Shirts derjenigen zu lesen, die gegen Maskenpflicht und Impfung mobilisieren. Erstaunlich ist dies auch deshalb, weil mitunter dezidierte Abtreibungsgegner:innen im Kontext von Corona für ein Recht auf körperliche Selbstbestimmung argumentieren. So verurteilt die AfD-Politikerin Alice Weidel in der Debatte des deutschen Bundestags zum Thema Impfpflicht vom 26. Februar 2022 die Einführung einer Impfpflicht als „Anschlag auf die Freiheit und Menschenwürde und auf das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit“ und stellt entsetzt fest: „Wenn der Staat sich anmaßt, über die Körper seiner Bürger zu entscheiden, ist das ein elementarer Zivilisationsbruch.“ Man höre und staune, unterhalb von Zivilisationsbruch ist das Thema nicht zu verhandeln.
Selbstbestimmung für alle – außer für Schwangere?
Aber warum erscheint es beim Thema Abtreibung aus Sicht dieser Partei (die in ihrem Wahlprogramm eine rigide Politik gegen Abtreibungen vertritt) akzeptabel, wenn der Staat massiv über die Körper seiner Bürgerinnen bestimmt? Die Übernahme ehemals feministischer Positionen von Menschen, die Impfpflicht und Masken ablehnen, ist nicht auf Deutschland beschränkt und hat international bei verschiedenen Kommentatorinnen Kopfschütteln ausgelöst. Während Beate Hausbichler, Redakteurin bei der österreichischen Tageszeitung Der Standard, in ihrem Beitrag im Standard das ‚Kapern‘ feministischer Forderungen zynisch findet, weil dadurch letztlich die tödlichen Folgen einer restriktiven Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch relativiert würden, stellt die Journalistin und Autorin Michelle Goldberg in einer ihrer regelmäßigen Kolumnen in der New York Times fest, dass Rechte in den USA nicht zufällig diese Slogans ‚entwendeten‘ in einer Zeit, in der die liberale Abtreibungsgesetzgebung wieder vermehrt unter Beschuss ist. „At the very moment that Roe v. Wade could be overturned”, so Goldberg in ihrem Kommentar, “the American right has become obsessed with bodily autonomy and has adopted the slogan ‘My body, my choice’ about Covid vaccines and mask mandates.”
1973 hatte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten in der Klage „Roe vs. Wade“ die Grundsatzentscheidung getroffen, dass eine schwangere Frau das Recht hat, in den ersten Monaten der Schwangerschaft über deren Abbruch oder Fortsetzung selbst entscheiden zu dürfen. In den letzten Jahren wird diese liberale Abtreibungsregelung von immer mehr Bundesstaaten außer Kraft gesetzt. Nach Goldberg wird die Scheinheiligkeit der Abtreibungsgegner:innen jetzt so richtig offenkundig: Denn das Recht auf körperliche Integrität soll über allem stehen, aber nicht für schwangere Frauen gelten.
Die Aneignung feministischer Body Politics
Wie lässt sich die Aneignung der zentralen Slogans feministischer Body Politics durch rechte Impf- und Abtreibungsgegner:innen verstehen? Und was hat es überhaupt mit der Vehemenz auf sich, mit der einige derzeit den Schutz des eigenen Körpers als höchstes Gut reklamieren? Um diese beiden Fragen zu klären, ist es weiterführend, einen körpersoziologischen Blick auf die Entstehung der feministischen Body Politics zu werfen.
Körpergeschichte und Körpersoziologie untersuchen die Historizität und Sozialität der menschlichen Körper. Sie versuchen dabei, eine dualistische Perspektive auf das Verhältnis von Körper und Geist, von Körper und Gesellschaft zu vermeiden und damit determinierende Vorstellungen sowie Verdinglichungen in der Thematisierung der körperlich-leiblichen Dimension menschlicher Existenz zurückzuweisen. Determinierend ist beispielsweise die Vorstellung, der Körper werde einseitig von ‚der‘ Gesellschaft geprägt oder gar zugerichtet. Verdinglichend ist ein Verhältnis zum eigenen Körper, in dem dieser (ausschließlich) als Ding oder Instrument erscheint. Auch wenn genau dieses Körper-Verhältnis sich in der Moderne entwickelt hat und heute in westlichen Gesellschaften dominant ist, so gilt es doch, dieses Verhältnis als gewordenes sichtbar zu machen. Zentral für eine geistes- und sozialwissenschaftliche Perspektive ist daher die Einsicht in den Wandel von Körperkonzepten, Körperverhältnissen und nicht zuletzt Körpererfahrungen. Die in den 1980er Jahren einsetzende geistes-, kultur- und sozialwissenschaftliche Beschäftigung ist selbst Ausdruck eines spezifischen für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zu beschreibenden Wandels: der ‚eigene‘ Körper ist zunehmend wichtiger für die individuelle Identität geworden.
Der individuelle Körper als Anker
In einer unübersichtlicheren und beschleunigten Welt, in der Veränderungen und Verantwortlichkeiten immer weniger zurechenbar erscheinen, fungiert der individuelle Körper als Anker und Ressource, über den (vermeintlich) individuell verfügt werden kann, der kontrolliert, beobachtet, gehegt und gepflegt werden kann – und muss. Denn in einer neoliberalen Gesellschaft ist auch das Verhältnis der einzelnen zu ihren Körpern individualisiert: der Körper wird zum Kapital, in ihn muss entsprechend investiert, er muss optimiert werden. Er ist gleichermaßen Einsatz im Wettbewerb wie auch Fundament der eigenen Handlungsfähigkeit.
Und doch ist die Körperlichkeit den einzelnen nur bedingt verfügbar, schließlich widersetzen sich die Körper der Kontrolle, werden einfach krank oder brechen erschöpft zusammen. Außerdem ist der eigene Körper nicht autark, er braucht Nahrung, Schutz und Zuwendung und ist das Medium für Interaktion und Kommunikation. Insofern ist die Vorstellung, über den eigenen Körper verfügen zu können, wahr und falsch zugleich und Ausdruck einer stark individualisierten Gesellschaft. Genauso wie die neoliberale Ideologie Gesellschaft als Zusammenhang von gegenseitig Abhängigen verleugnet, verleugnet der einzelne die Abhängigkeit des Körpers von anderen, dessen Prekarität und Angewiesenheit – kurz: dessen Sozialität.
Zwischen Fremdbesitz und Selbstbestimmung
Das mit der Moderne entstandene Körperverhältnis als eines von Besitz und damit auch die Abstraktion von der eigenen Körperlichkeit stand jedoch zu Beginn nur den männlichen weißen besitzenden bürgerlichen Individuen zu. Der Ausschluss der anderen Gruppen wurde über deren Naturalisierung, genauer die Naturalisierung ihrer Andersartigkeit (z.B. Frauen = andere = körperliche Wesen) legitimiert. Gegen diese Ausschlüsse formierten sich soziale Bewegungen. Während Frauen in der ersten Frauenbewegung für politische und ökonomische Autonomie kämpften, ging es in der zweiten Frauenbewegung auch um körperliche und sexuelle Selbstbestimmung. Denn deren Verweigerung war ja grundsätzlich in das Verständnis von Weiblichkeit eingeschrieben. Erst die Befreiung von Gewalt anderer über den eigenen Körper konnte einen eigenen Subjektstatus begründen.
Insofern handelte es sich bei den feministischen Body Politics der 1970er Jahre gewissermaßen um eine nachholende Subjektwerdung. Denn da Frauen bereits zu politischen und ökonomischen Subjekten geworden waren, blieb nun in der Angleichung an das männliche Subjekt noch das Ziel der Autonomie über den eigenen Körper. Allerdings schlossen die feministischen Forderungen nach körperlicher und sexueller Selbstbestimmung zu Beginn auch die Kritik der Verhältnisse und damit die Bedingungen dieser ungleichen und ungerechten Geschlechterordnung mit ein. Selbstbestimmung über den eigenen Körper und die eigene Sexualität ist durch diese Politisierung zu einem wichtigen und weiterhin auch zu erkämpfenden Gut geworden. Mittlerweile lässt sich jedoch beobachten, dass der starke Fokus auf körperliche Autonomie (diesseits und jenseits des Feminismus) mit einer zunehmenden Individualisierung einhergeht, an deren Ende nicht mehr die Kritik der Verhältnisse sondern die optimale Selbstverwertung jedes und jeder einzelnen steht. Mit anderen Worten: Der Fokus auf Autonomie verstellt den Blick auf Abhängigkeiten von und das Angewiesensein auf Andere.
Irrwege der Individualisierung
Insofern ist es am Ende doch nicht ganz so verwunderlich, dass die Slogans der feministischen Body Politics heute von Corona-Leugner:innen durch die Straßen getragen werden. Zumindest mit Blick auf die in diesen angelegte individualisierte Sicht auf letztlich überindividuelle Probleme und Zusammenhänge. Denn eine individualistisch verengte feministische Perspektive auf Körper, Sexualität und Reproduktion, die mit dem neoliberalen Vokabular der freien Wahl, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung operiert, leistet der Aneignung durch rechte Impfgegner:innen Vorschub, wie auch die US-amerikanische Migrations- und Religionswissenschaftlerin Barbara Sostaita in ihrem Beitrag für bitchmedia zu diesem Thema festhält: „In the end, it’s not so ironic that right-wing anti-vaxxers are using the language of choice; after all, it has been key to their worldview all along.“ Das Problem ist bereits im Slogan selbst angelegt, so Sostaita: „’My body, my choice’ is highly individualistic and – in the end – fails to convey the ways we’re bound up with each other.”
Neoliberaler Narzissmus
Bleibt noch die Frage, warum Corona die neoliberale Sorge um den eigenen Körper so sehr verstärkt. In den Protesten gegen die Impfpflicht artikuliert sich – neben vielem anderen – das Wirklichkeit gewordene neoliberale Subjekt, das sich als vereinzelt und eigenverantwortlich erlebt und seinen Körper zum Territorium des Abwehrkampfs verklärt, gegen das Virus, das von außen eindringen will, und gegen die Gesellschaft, die mit ihren Maßnahmen die Freiheit des einzelnen zu beschneiden droht. Die Pandemie wirkt hier als narzisstische Kränkung: zum einen, weil sie sowohl die Verwundbarkeit der individuellen Körper (wenn auch in sozial ungleicher Weise) und deren Angewiesensein auf Hilfe und Unterstützung offenbar werden lässt. Zum anderen aufgrund des Umstandes, dass es doch so etwas wie Gesellschaft gibt – die mehr ist als bloß eine Ansammlung einzelner über ihre individuellen Körper verfügenden Monaden.
So sehr die Sorge um den eigenen Körper als letzte Bastion, über die (vermeintlich) verfügt werden kann, psychologisch zu verstehen ist, so problematisch ist sie angesichts der Tatsache, dass wir mit und durch unsere Körper soziale Wesen und damit aufeinander angewiesen sind. Die in der Körperlichkeit angelegte Sozialität sollte stattdessen eher als Aufforderung zum solidarischen Handeln verstanden werden. Denn das auch körperlich begründete Aufeinanderangewiesensein im Prinzip freier und selbstbestimmter Individuen ermöglicht Formen der Kooperation, Verantwortung und Fürsorge. Deutlich geworden sollte sein, dass die Politisierung der Körper unterschiedlichen Zwecken dient und dass von Fall zu Fall zu entscheiden ist, wo Selbstbestimmung eine legitime gegen Fremdbestimmung sich wendende Forderung ist und wo sie als Ausdruck einer Überhöhung individueller Autonomie und des Leugnens gesellschaftlicher Solidarität zu kritisieren bleibt.