Die Proteste gegen Maßnahmen zur Abwehr der Coronapandemie werden zuweilen mit bekannten Slogans der feministischen Body Politics befeuert. Es geht um das Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Der Beitrag beleuchtet, inwieweit die Politisierung von Körper(n) zwischen Individualisierung und kollektiven Forderungen changiert.

  • Imke Schmincke

    Imke Schmincke ist akademische Oberrätin am Institut für Soziologie der LMU München am Lehrbereich Soziologie und Gender Studies. Dort forscht und lehrt sie zu den Themen Körper, Geschlecht, soziale Ungleichheit, Frauenbewegungen. Zuletzt ist von ihr erschienen das Lehrbuch Körpersoziologie (2021).
Geschichte der Gegenwart
Geschichte der Gegenwart 
Mein Körper gehört mir? Body Poli­tics in Zeiten von Corona
/

Kaum ein Thema mobi­li­siert in letzter Zeit so starke Argu­mente für ein Recht auf körper­liche Selbst­be­stim­mung wie die Debatte um eine mögliche Impf­pflicht gegen das Corona-Virus. Dabei erstaunt nicht nur, dass der indi­vi­du­elle Körper so vehe­ment gegen eine Maßnahme vertei­digt wird, die sich nicht als Angriff versteht, sondern letzt­lich dem Schutz der Körper im Plural dienen soll. Erstaun­li­cher noch ist dabei die Wieder­kehr der Argu­mente und femi­nis­ti­schen Slogans aus den Debatten um die Reform bzw. Abschaf­fung des deut­schen § 218 von 1871, der Abtrei­bungen grund­sätz­lich unter Strafe stellt. „My Body My choice“ und „Mein Körper gehört mir“ ist auf Plakaten oder T-Shirts derje­nigen zu lesen, die gegen Masken­pflicht und Impfung mobi­li­sieren. Erstaun­lich ist dies auch deshalb, weil mitunter dezi­dierte Abtreibungsgegner:innen im Kontext von Corona für ein Recht auf körper­liche Selbst­be­stim­mung argu­men­tieren. So verur­teilt die AfD-Politikerin Alice Weidel in der Debatte des deut­schen Bundes­tags zum Thema Impf­pflicht vom 26. Februar 2022 die Einfüh­rung einer Impf­pflicht als „Anschlag auf die Frei­heit und Menschen­würde und auf das Grund­recht auf körper­liche Unver­sehrt­heit“ und stellt entsetzt fest: „Wenn der Staat sich anmaßt, über die Körper seiner Bürger zu entscheiden, ist das ein elemen­tarer Zivi­li­sa­ti­ons­bruch.“  Man höre und staune, unter­halb von Zivi­li­sa­ti­ons­bruch ist das Thema nicht zu verhandeln. 

Selbst­be­stim­mung für alle – außer für Schwangere?

Aber warum erscheint es beim Thema Abtrei­bung aus Sicht dieser Partei (die in ihrem Wahl­pro­gramm eine rigide Politik gegen Abtrei­bungen vertritt) akzep­tabel, wenn der Staat massiv über die Körper seiner Bürge­rinnen bestimmt? Die Über­nahme ehemals femi­nis­ti­scher Posi­tionen von Menschen, die Impf­pflicht und Masken ablehnen, ist nicht auf Deutsch­land beschränkt und hat inter­na­tional bei verschie­denen Kommen­ta­to­rinnen Kopf­schüt­teln ausge­löst. Während Beate Haus­bichler, Redak­teurin bei der öster­rei­chi­schen Tages­zei­tung Der Stan­dard, in ihrem Beitrag im Stan­dard das ‚Kapern‘ femi­nis­ti­scher Forde­rungen zynisch findet, weil dadurch letzt­lich die tödli­chen Folgen einer restrik­tiven Gesetz­ge­bung zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch rela­ti­viert würden, stellt die Jour­na­listin und Autorin Michelle Gold­berg in einer ihrer regel­mä­ßigen Kolumnen in der New York Times fest, dass Rechte in den USA nicht zufällig diese Slogans ‚entwen­deten‘ in einer Zeit, in der die libe­rale Abtrei­bungs­ge­setz­ge­bung wieder vermehrt unter Beschuss ist. „At the very moment that Roe v. Wade could be over­turned”, so Gold­berg in ihrem Kommentar, “the American right has become obsessed with bodily auto­nomy and has adopted the slogan ‘My body, my choice’ about Covid vaccines and mask mandates.” 

1973 hatte der Oberste Gerichtshof der Verei­nigten Staaten in der Klage „Roe vs. Wade“ die Grund­satz­ent­schei­dung getroffen, dass eine schwan­gere Frau das Recht hat, in den ersten Monaten der Schwan­ger­schaft über deren Abbruch oder Fort­set­zung selbst entscheiden zu dürfen. In den letzten Jahren wird diese libe­rale Abtrei­bungs­re­ge­lung von immer mehr Bundes­staaten außer Kraft gesetzt. Nach Gold­berg wird die Schein­hei­lig­keit der Abtreibungsgegner:innen jetzt so richtig offen­kundig: Denn das Recht auf körper­liche Inte­grität soll über allem stehen, aber nicht für schwan­gere Frauen gelten. 

Die Aneig­nung femi­nis­ti­scher Body Politics

Wie lässt sich die Aneig­nung der zentralen Slogans femi­nis­ti­scher Body Poli­tics durch rechte Impf- und Abtreibungsgegner:innen verstehen? Und was hat es über­haupt mit der Vehe­menz auf sich, mit der einige derzeit den Schutz des eigenen Körpers als höchstes Gut rekla­mieren? Um diese beiden Fragen zu klären, ist es weiter­füh­rend, einen körper­so­zio­lo­gi­schen Blick auf die Entste­hung der femi­nis­ti­schen Body Poli­tics zu werfen.

Körper­ge­schichte und Körper­so­zio­logie unter­su­chen die Histo­ri­zität und Sozia­lität der mensch­li­chen Körper. Sie versu­chen dabei, eine dualis­ti­sche Perspek­tive auf das Verhältnis von Körper und Geist, von Körper und Gesell­schaft zu vermeiden und damit deter­mi­nie­rende Vorstel­lungen sowie Verding­li­chungen in der Thema­ti­sie­rung der körperlich-leiblichen Dimen­sion mensch­li­cher Exis­tenz zurück­zu­weisen. Deter­mi­nie­rend ist beispiels­weise die Vorstel­lung, der Körper werde einseitig von ‚der‘ Gesell­schaft geprägt oder gar zuge­richtet. Verding­li­chend ist ein Verhältnis zum eigenen Körper, in dem dieser (ausschließ­lich) als Ding oder Instru­ment erscheint. Auch wenn genau dieses Körper-Verhältnis sich in der Moderne entwi­ckelt hat und heute in west­li­chen Gesell­schaften domi­nant ist, so gilt es doch, dieses Verhältnis als gewor­denes sichtbar zu machen. Zentral für eine geistes- und sozi­al­wis­sen­schaft­liche Perspek­tive ist daher die Einsicht in den Wandel von Körper­kon­zepten, Körper­ver­hält­nissen und nicht zuletzt Körper­er­fah­rungen. Die in den 1980er Jahren einset­zende geistes-, kultur- und sozi­al­wis­sen­schaft­liche Beschäf­ti­gung ist selbst Ausdruck eines spezi­fi­schen für die zweite Hälfte des 20. Jahr­hun­derts zu beschrei­benden Wandels: der ‚eigene‘ Körper ist zuneh­mend wich­tiger für die indi­vi­du­elle Iden­tität geworden. 

Der indi­vi­du­elle Körper als Anker 

In einer unüber­sicht­li­cheren und beschleu­nigten Welt, in der Verän­de­rungen und Verant­wort­lich­keiten immer weniger zure­chenbar erscheinen, fungiert der indi­vi­du­elle Körper als Anker und Ressource, über den (vermeint­lich) indi­vi­duell verfügt werden kann, der kontrol­liert, beob­achtet, gehegt und gepflegt werden kann – und muss. Denn in einer neoli­be­ralen Gesell­schaft ist auch das Verhältnis der einzelnen zu ihren Körpern indi­vi­dua­li­siert: der Körper wird zum Kapital, in ihn muss entspre­chend inves­tiert, er muss opti­miert werden. Er ist glei­cher­maßen Einsatz im Wett­be­werb wie auch Funda­ment der eigenen Handlungsfähigkeit. 

Und doch ist die Körper­lich­keit den einzelnen nur bedingt verfügbar, schließ­lich wider­setzen sich die Körper der Kontrolle, werden einfach krank oder brechen erschöpft zusammen. Außerdem ist der eigene Körper nicht autark, er braucht Nahrung, Schutz und Zuwen­dung und ist das Medium für Inter­ak­tion und Kommu­ni­ka­tion. Inso­fern ist die Vorstel­lung, über den eigenen Körper verfügen zu können, wahr und falsch zugleich und Ausdruck einer stark indi­vi­dua­li­sierten Gesell­schaft. Genauso wie die neoli­be­rale Ideo­logie Gesell­schaft als Zusam­men­hang von gegen­seitig Abhän­gigen verleugnet, verleugnet der einzelne die Abhän­gig­keit des Körpers von anderen, dessen Preka­rität und Ange­wie­sen­heit – kurz: dessen Sozialität.

Zwischen Fremd­be­sitz und Selbstbestimmung

Das mit der Moderne entstan­dene Körper­ver­hältnis als eines von Besitz und damit auch die Abstrak­tion von der eigenen Körper­lich­keit stand jedoch zu Beginn nur den männ­li­chen weißen besit­zenden bürger­li­chen Indi­vi­duen zu. Der Ausschluss der anderen Gruppen wurde über deren Natu­ra­li­sie­rung, genauer die Natu­ra­li­sie­rung ihrer Anders­ar­tig­keit (z.B. Frauen = andere = körper­liche Wesen) legi­ti­miert. Gegen diese Ausschlüsse formierten sich soziale Bewe­gungen. Während Frauen in der ersten Frau­en­be­we­gung für poli­ti­sche und ökono­mi­sche Auto­nomie kämpften, ging es in der zweiten Frau­en­be­we­gung auch um körper­liche und sexu­elle Selbst­be­stim­mung. Denn deren Verwei­ge­rung war ja grund­sätz­lich in das Verständnis von Weib­lich­keit einge­schrieben. Erst die Befreiung von Gewalt anderer über den eigenen Körper konnte einen eigenen Subjekt­status begründen. 

Inso­fern handelte es sich bei den femi­nis­ti­schen Body Poli­tics der 1970er Jahre gewis­ser­maßen um eine nach­ho­lende Subjekt­wer­dung. Denn da Frauen bereits zu poli­ti­schen und ökono­mi­schen Subjekten geworden waren,  blieb nun in der Anglei­chung an das männ­liche Subjekt noch das Ziel der Auto­nomie über den eigenen Körper. Aller­dings schlossen die femi­nis­ti­schen Forde­rungen nach körper­li­cher und sexu­eller Selbst­be­stim­mung zu Beginn auch die Kritik der Verhält­nisse und damit die Bedin­gungen dieser unglei­chen und unge­rechten Geschlecht­er­ord­nung mit ein. Selbst­be­stim­mung über den eigenen Körper und die eigene Sexua­lität ist durch diese Poli­ti­sie­rung zu einem wich­tigen und weiterhin auch zu erkämp­fenden Gut geworden. Mitt­ler­weile lässt sich jedoch beob­achten, dass der starke Fokus auf körper­liche Auto­nomie (dies­seits und jenseits des Femi­nismus) mit einer zuneh­menden Indi­vi­dua­li­sie­rung einher­geht, an deren Ende nicht mehr die Kritik der Verhält­nisse sondern die opti­male Selbst­ver­wer­tung jedes und jeder einzelnen steht. Mit anderen Worten: Der Fokus auf Auto­nomie verstellt den Blick auf Abhän­gig­keiten von und das Ange­wie­sen­sein auf Andere. 

Sie können uns unter­stützen, indem Sie diesen Artikel teilen: 

Irrwege der Individualisierung

Inso­fern ist es am Ende doch nicht ganz so verwun­der­lich, dass die Slogans der femi­nis­ti­schen Body Poli­tics heute von Corona-Leugner:innen durch die Straßen getragen werden. Zumin­dest mit Blick auf die in diesen ange­legte indi­vi­dua­li­sierte Sicht auf letzt­lich über­in­di­vi­du­elle Probleme und Zusam­men­hänge. Denn eine indi­vi­dua­lis­tisch verengte femi­nis­ti­sche Perspek­tive auf Körper, Sexua­lität und Repro­duk­tion, die mit dem neoli­be­ralen Voka­bular der freien Wahl, Selbst­be­stim­mung und Eigen­ver­ant­wor­tung operiert, leistet der Aneig­nung durch rechte Impfgegner:innen Vorschub, wie auch die US-amerikanische Migrations- und Reli­gi­ons­wis­sen­schaft­lerin Barbara Sostaita in ihrem Beitrag für bitch­media zu diesem Thema fest­hält: „In the end, it’s not so ironic that right-wing anti-vaxxers are using the language of choice; after all, it has been key to their world­view all along.“ Das Problem ist bereits im Slogan selbst ange­legt, so Sostaita: „’My body, my choice’ is highly indi­vi­dua­li­stic and – in the end – fails to convey the ways we’re bound up with each other.” 

Neoli­be­raler Narzissmus

Bleibt noch die Frage, warum Corona die neoli­be­rale Sorge um den eigenen Körper so sehr verstärkt. In den Protesten gegen die Impf­pflicht arti­ku­liert sich – neben vielem anderen – das Wirk­lich­keit gewor­dene neoli­be­rale Subjekt, das sich als verein­zelt und eigen­ver­ant­wort­lich erlebt und seinen Körper zum Terri­to­rium des Abwehr­kampfs verklärt, gegen das Virus, das von außen eindringen will, und gegen die Gesell­schaft, die mit ihren Maßnahmen die Frei­heit des einzelnen zu beschneiden droht. Die Pandemie wirkt hier als narziss­ti­sche Krän­kung: zum einen, weil sie sowohl die Verwund­bar­keit der indi­vi­du­ellen Körper (wenn auch in sozial unglei­cher Weise) und deren Ange­wie­sen­sein auf Hilfe und Unter­stüt­zung offenbar werden lässt. Zum anderen aufgrund des Umstandes, dass es doch so etwas wie Gesell­schaft gibt – die mehr ist als bloß eine Ansamm­lung einzelner über ihre indi­vi­du­ellen Körper verfü­genden Monaden.

So sehr die Sorge um den eigenen Körper als letzte Bastion, über die (vermeint­lich) verfügt werden kann, psycho­lo­gisch zu verstehen ist, so proble­ma­tisch ist sie ange­sichts der Tatsache, dass wir mit und durch unsere Körper soziale Wesen und damit aufein­ander ange­wiesen sind. Die in der Körper­lich­keit ange­legte Sozia­lität sollte statt­dessen eher als Auffor­de­rung zum soli­da­ri­schen Handeln verstanden werden. Denn das auch körper­lich begrün­dete Aufein­an­der­an­ge­wie­sen­sein im Prinzip freier und selbst­be­stimmter Indi­vi­duen ermög­licht Formen der Koope­ra­tion, Verant­wor­tung und Fürsorge. Deut­lich geworden sollte sein, dass die Poli­ti­sie­rung der Körper unter­schied­li­chen Zwecken dient und dass von Fall zu Fall zu entscheiden ist, wo Selbst­be­stim­mung eine legi­time gegen Fremd­be­stim­mung sich wendende Forde­rung ist und wo sie als Ausdruck einer Über­hö­hung indi­vi­du­eller Auto­nomie und des Leug­nens gesell­schaft­li­cher Soli­da­rität zu kriti­sieren bleibt.