In Wien stehen viele Denkmäler herum, die einen antisemitischen Politiker ehren. Auf eine Intervention reagierte die Stadt erst mit Schweigen, dann mit Kunst und altbekannten Ausflüchten zur Geschichtspolitik. Da hilft nur noch Polemik.

  • Benjamin Kaufmann

    Benjamin Kaufmann ist Dichter und Präsident der österreichischen Sektion der LICRA – Ligue Internationale Contre le Racisme et l’Antisémitisme, einer NGO mit Beobachter-Status bei der UNO und der OSZE. Seine Forschungsschwerpunkte sind der Nexus von Kunst und Politik mit einem besonderen Fokus auf Gesten und Geschichts- und Erinnerungspolitiken. Von ihm herausgegebene Bücher sind u.a. im Passagen Verlag und in der Magnes Press der Hebräischen Universität Jerusalem erschienen.

Vater Lueger, der Du wohnst in Wien, gelobt sei Dein Name, beschütze unser christ­li­ches Volk, Dein Wille geschehe allen christ­li­chen Völkern dieser Erde, verschaff’ uns keine Börse, sondern nur christ­li­ches Brod, Vergieb uns allen Schuld­nern, die durch jüdi­sche Wucher­hände sind betrogen worden, auch wir wollen ihnen vergeben, führe uns nicht in Versu­chung eines anderen Sinnes zu werden, sondern erlöse uns von dem Juden-Übel Amen. (sic; Flug­blatt 1896)

Neun Personen mit enger Verbin­dung zur Stadt Wien, acht, die vor dem Natio­nal­so­zia­lismus aus Öster­reich geflohen sind, um ihr Leben zu retten, einer, der Ausch­witz über­lebte. Ihre Namen sind: Evelyn Torton Beck, Elazar Benyoëtz, Riane Eisler, Zvi Jagen­dorf, Eric Kandel, Kurt Rosen­kranz, Lore Segal, Fred Terna und Georg Stefan Troller. Neun Personen, Größen ihrer jewei­ligen Diszi­plinen, viel­fach ausge­zeichnet – auch von der Stadt Wien und der Repu­blik Öster­reich –, Personen, die vom Land, das sie verlassen mussten, gerne verein­nahmt wurden, haben der Stadt Wien ein Geschenk gemacht. Dieses Geschenk war, sich trotz allem dieser Stadt zuzu­wenden, sich mit ihr zu beschäf­tigen und an ihren Bürger­meister in einem offenen Brief eine Bitte zu richten. Die Bitte, den Lueger-Platz im Herzen der Stadt umzu­be­nennen und das darauf errich­tete Karl-Lueger-Ehrenmal zu entfernen. So gern man sich auch noch gestern mit den Namen dieser neun Personen geschmückt hat, so wenig sind sie heute dem Bürger­meister, der sich selbst als Anti­fa­schist bezeichnet, eine Antwort wert.

Ein stolzer Antisemit

Hans Zatzka, Apotheose auf Dr. Karl Lueger, ca. 1910; Quelle: wikipedia.com

Als ein Kind des Vormärz’ unter­nahm Karl Lueger in den 1870er-Jahren erste poli­ti­sche Gehver­suche im libe­ralen Lager. Bald aber wandte er sich von diesem ab und trat ab 1887 offen anti­se­mi­tisch auf. Wie sehr Luegers Programm fortan vom Anti­se­mi­tismus bestimmt war, verdeut­li­chen die Namen der Listen Anti­se­mi­ten­liga und Verei­nigte Anti­se­miten, auf denen er kandi­dierte. 1895 wurde er erst­mals zum Bürger­meister der Stadt Wien gewählt, doch versagte ihm Kaiser Franz Joseph I. zunächst die Bestä­ti­gung im Amt. Erst nach der fünften Wahl und einer Inter­ven­tion von Papst Leo XIII. beim Kaiser konnte Lueger 1897 das Amt antreten. Gemeinsam mit Adolf Stoe­cker in Deutsch­land stand Lueger an der Spitze der christlich-sozialen Bewe­gung, die den alther­ge­brachten christ­li­chen Anti­ju­da­ismus auf das sozio-ökonomische Feld auswei­tete und mit moderner Demagogie verband.

Gemeinsam mit seinem Wider­sa­cher Georg Schö­nerer, den er in poli­ti­scher Bedeu­tung bald über­ragte, bildete Lueger das geis­tige Zentrum der, nach dem Histo­riker John Weiss, „schrillsten und popu­lärsten rechts­ra­di­kalen Sozi­al­be­we­gung, die Europa vor den Tagen Musso­linis und Hitlers gesehen hat“. Lueger forderte zur Zeit der Pogrome im Russi­schen Zaren­reich auch in Wien Juden zu köpfen und wetterte, der Anti­se­mi­tismus werde erst dann zugrunde gehen, wenn der letzte Jude zugrunde gegangen sei. Hitler – der noch in der „Kampf­zeit“ eine Lueger-Medaille als Talisman um den Hals trug – bemerkte aner­ken­nend, Lueger habe die Rettung des Staates im Anti­se­mi­tismus gesehen. Luegers Anti­se­mi­tismus war nicht, wie gele­gent­lich behauptet, „ein Produkt seiner Zeit“, hingegen war die Zeit, die auf Lueger folgte, mit ein Produkt seiner Rhetorik.

Denje­nigen, die diese Zeit der Demü­ti­gung, Verfol­gung und Vernich­tung über­lebten, eine Antwort zu versagen, wäre für sich genommen pein­lich genug, doch beließ es die Stadt nicht bei dieser einen Unge­heu­er­lich­keit. Nein, sie weiß es auch besser; weiß besser als diese neun Shoa-Überlebenden, wie mit den Verlet­zungen der Vergan­gen­heit umzu­gehen ist: „Wir müssen“, sagt Kultur­stadt­rätin Vero­nica Kaup-Hasler, „späteren Gene­ra­tionen die Möglich­keit geben, sich kritisch zur Geschichte zu verhalten.“ Der einfachste Weg, das zu tun, ist, selbst­re­dend, es selbst nicht zu tun, sondern die ganze Arbeit „späteren Gene­ra­tionen“ zu über­lassen. Jene können dann gleich noch die Über­heb­lich­keit und den Mangel an Empa­thie der voran­ge­gan­genen Gene­ra­tion mitauf­ar­beiten.  Dieje­nigen, die fürchten, dass es, wenn dieser kleinste Schritt des Anstands gegangen ist, keine Möglich­keit mehr geben werde, sich im öffent­li­chen Raum mit den dunklen Kapi­teln der Vergan­gen­heit ausein­an­der­zu­setzen, kann ich beruhigen.

Das Lueger-Denkmal wird gerei­nigt, 1935; Quelle: sueddeutsche.de

Schließ­lich schrieb, wie die bis 1936 erschie­nene Wiener Sonn- und Montags­zei­tung einmal formu­lierte, Lueger „seinen Namen auf jeden irgendwie bekrit­zel­baren Stein“, „gemäß dem Gedanken“, wie Hitler aner­ken­nend bemerkte, „daß, wenn die Worte nicht mehr reden, dann die Steine spre­chen müssen.“ Auch vom „gott­be­gna­deten“ Nazi-Bildhauer Josef Müllner, der das Ehrenmal entworfen hat, steht noch allerlei Kitschiges und Deutsch­na­tio­nales in Wien herum. Von der angeb­lich drohenden „gerei­nigten“ oder „asep­ti­schen“ Stadt, vor der die Kultur­stadt­rätin wieder­holt gewarnt hat, kann also keine Rede sein. Selbst wenn das Lueger-Ehrenmal irgend­wann entfernt werden sollte – wir Jüdinnen und Juden wissen schon noch, wo wir sind.

Wessen Fleisch, wessen Wunde?

Nun liegt die Frage nahe, warum wir der nächsten Gene­ra­tion nicht das Geschenk machen, die Apotheose Luegers durch Müll­ners Ehrenmal nicht ertragen zu müssen? Die Antwort ist: weil es Jüdinnen und Juden sind, welche die schmerz­liche Demü­ti­gung und die herab­las­sende Provo­ka­tion, die mit seinem Fort­be­stehen einher­geht, fühlen. „Wir halten das aus“, sagt die Kultur­stadt­rätin und impli­ziert: dass ihr es nicht tut, ist nicht unser Problem. Darüber, in welches „Wir“ sich der Histo­riker Oliver Rath­kolb einschließt, wenn er sagt: „zu sugge­rieren, wir sind besser als Lueger, finde ich nicht richtig“, lässt sich hingegen nur speku­lieren. Kaup-Hasler und Rath­kolb sind sich mit der Histo­ri­kerin Heide­marie Uhl einig, dass der „Stachel im Fleisch“ erhalten bleiben müsse.

Gemeint ist das Fleisch der öster­rei­chi­schen Mehr­heits­ge­sell­schaft; für die jüdi­schen Perspek­tiven ist man blind und taub. Uhl spricht im Zusam­men­hang mit der Forde­rung nach Entfer­nung des Ehren­mals von der „Sehn­sucht nach Unschuld und Rein­heit“ und plädiert dafür, „die Wunde“ offen zu halten. Die Sprache, die hier verwendet wird, ist unver­kennbar von katho­li­schem Denken geprägt und alle drei reihen sich damit in die tief katho­li­sche Tradi­tion ein, den Schmerz von Jüdinnen und Juden als den eigenen zu feti­schi­sieren. Unsere Wunde. Unser Fleisch. Unser Lueger. Unser Wiener Kultur­erbe des Anti­se­mi­tismus, das wir schützen müssen. Schützen vor den Juden, die uns den Lueger wegnehmen wollen. Wir brau­chen den Stachel für unsere Perfor­mance der Läute­rung, für unseren Kate­chismus. Wir brau­chen den Verweis auf die brutale Vergan­gen­heit, um die auch nicht ideale Gegen­wart milder erscheinen zu lassen. Euer Begehren aber ist uns nichts. Diese zyni­sche und herab­las­sende Haltung der Stadt­po­litik entlarvt ihre vorgeb­liche Oppo­si­tion zum Anti­se­mi­tismus als etwas, das sie für sich selbst performt und nicht für Jüdinnen und Juden tut.

Reak­tion anstelle einer Antwort

Diese Haltung ist am Lueger-Platz bereits in Bronze gegossen und in Stein gemei­ßelt, zur Sicher­heit ist sie nun auch noch in Holz gefräst worden. Nicht genug, dass es am Anstand fehlte, den Über­le­benden zu antworten, nicht genug, dass man über­heb­lich behauptet hat, es besser als sie zu wissen, schließ­lich hat man auch noch beschlossen, dass es medi­en­tak­tisch opportun sei, den Appell der Über­le­benden zu über­tönen. Denn es gab zwar keine Antwort, sehr wohl aber eine Reak­tion auf den Appell: Eilig hat die Stadt Wien eine Pres­se­kon­fe­renz einbe­rufen, um eine künst­le­ri­sche Inter­ven­tion vorzu­stellen, so unfertig, dass nicht einmal eine Bauge­neh­mi­gung vorlag. Damit wird auch noch die Kunst herab­ge­wür­digt und zu einem Spiel­ball der Politik degradiert.

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Die „Inter­ven­tion“ beim Lueger-Denkmal; Foto: privat

Diese „Inter­ven­tion“ ist nun eröffnet worden. Künst­le­risch ist sie ein Versagen auf ganzer Linie und rief Reak­tionen hervor, die von Unver­ständnis bis zu Entsetzen reichten. In einer groben, über­af­fir­ma­tiven Setzung verviel­fachte das Künst­le­rin­nenduo Six/Petritsch die Ehrung Luegers noch dadurch, dass es Holz­sil­hou­etten von sech­zehn Lueger-Ehrungen, die auf das Gebiet der Stadt Wien verteilt sind, auf dem Lueger-Platz aufstellen ließ. Als sei es der Lueger­eh­rung noch nicht genug gewesen. Nebenbei sei bemerkt, dass es in Wien hunderte Errichtungs- und Eröff­nungs­ta­feln gibt, die während Luegers Amts­zeit ange­bracht wurden. Weder Luegers Anti­se­mi­tismus noch Müll­ners Natio­nal­so­zia­lismus werden von der „Inter­ven­tion“ thema­ti­siert. Dieses Projekt zeigt nur eines eindrück­lich, nämlich, dass dem über zehn Meter hohen Ehrenmal mit den Mitteln einer „künst­le­ri­schen Kontex­tua­li­sie­rung“ nicht beizu­kommen ist. Der Wunsch, die Verant­wor­tung auf die Kunst abzu­wälzen, ist nichts als Ausdruck der Feig­heit, eine poli­ti­sche Frage auch mit poli­ti­schen Mitteln zu lösen.

Gewollt bzw. geduldet

Die Kultur­stadt­rätin sieht das frei­lich anders: „Das kann Kunst“, konsta­tierte sie im Rahmen eines Kollo­quiums zum Thema im Wiener Museum moderner Kunst mumok. Nach­satz, nicht ohne einen Hauch von Arro­ganz gegen­über dem Fach­pu­blikum aus Politik, Kunst und Geis­tes­wis­sen­schaften: „davon verstehe ich was.“ Immer wieder wurde von Seiten der Stadt betont, dass man für die auf die tempo­räre Inter­ven­tion folgende perma­nente Umge­stal­tung des Ehren­mals „der Kunst“ möglichst viel Frei­heit lassen wolle. Heraus­ge­kommen ist folgende erstaun­liche Fest­stel­lung in den Unter­lagen zur Ausschrei­bung, die bei einer Veran­stal­tung im Bezirks­mu­seum Wieden zitiert wurde:

Das Werk spie­gelt mit seiner künst­le­ri­schen Ausge­stal­tung, seinen ikono­gra­phi­schen Inhalten und (in der Gesamt­schau) seinen ikono­lo­gi­schen Zusam­men­hängen die offi­zi­elle, von der Stadt­re­gie­rung gewollte bzw. gedul­dete Auffas­sung wider. Damit ist es ein histo­ri­sches Doku­ment, das, wie jede andere Bild- und/oder Schrift­quelle, authen­tisch, also unver­fälscht zu erhalten ist. Jegliche Verän­de­rung des mit dem Lueger-Denkmal über­lie­ferten histo­ri­schen Erschei­nungs­bildes durch substan­ti­elle Eingriffe ist daher nicht möglich.

Die gewollte bzw. gedul­dete Lueger­eh­rung, der also um eine halbe Million Euro eine bessere Kontext­tafel verpasst werden soll, will die Stadt nun möglichst schnell einze­men­tiert sehen. Von ihrem „wir wissen es besser“ ließ sich die Stadt nicht durch die im mumok vorge­brachten wissen­schaft­li­chen Argu­mente abbringen, nicht von den Stimmen der Shoa-Überlebenden, nicht davon, dass sich der Präsi­dent der Israe­li­ti­schen Kultus­ge­meinde Oskar Deutsch ihrer Forde­rung mehr­fach öffent­lich ange­schlossen hat, und auch nicht davon, dass ihr für die Jury reihen­weise jüdi­sche Menschen, von denen sie so gerne einen Koscher-Stempel wollte, abge­sagt haben. Nichts aber illus­triert diese Haltung tref­fender als das lässige „Schalom“, das die Kultur­stadt­rätin einer Demons­tra­tion der Jüdi­schen Hochschüler:innen bei der Eröff­nung der Inter­ven­tion zuge­worfen hat, um ihnen post­wen­dend den Rücken zuzu­kehren und vor den Betrof­fenen von Anti­se­mi­tismus zu erklären, was dieser sei und wie man mit ihm richtig umgehe.

Wird dieser Weg weiter beschritten, ist glas­klar, für wen und gegen wen hier gehan­delt wird. Der Wiener Theodor Herzl grün­dete die Zionis­ti­sche Welt­or­ga­ni­sa­tion 1897, nicht zufällig in dem Jahr, in dem Lueger als Bürger­meister antrat. Herzl war kein Utopist, er erkannte, dass Jüdi­sches Leben unter Nicht-Juden zuneh­mend gefähr­li­cher wurde. Heute, 125 Jahre später, werden Jüdinnen und Juden immer noch herab­las­send behan­delt und ihre Sorgen werden igno­riert. Aus der Geschichte lernen? Viel­leicht anderswo. Unsern Lueger lass ma uns net neman. Hätten die Alli­ierten nicht die Hitler­büsten aus dem öffent­li­chen Raum entfernt, so würde die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Stadt­re­gie­rung wohl auch diese noch als der Geschichte mahnend vertei­digen. Nur zu, wenn sie es ernst meinen mit dem Stachel: stellen wir sie wieder auf, nennen wir den Rathaus­platz wieder Adolf-Hitler-Platz, viel­leicht mit „kontex­tua­li­sie­render Zusatz­tafel“ früher Dr.-Karl-Lueger-Platz, von ihm so benannt während seiner Amts­zeit als Bürger­meister. Sie wissen schon – niemals vergessen. Damit nicht nur Jüdinnen und Juden, sondern alle, wissen, wo sie sind.