Mit Frisurkopftüchern, subversiven Tapeten, einer utopischen Karaokebox oder einem mit Skype-Protokollen beschrifteten Hochzeitskleid denken KünstlerInnen zwischen Europa und Asien darüber nach, was uns eigentlich verbindet und was uns trennt. Ein Gespräch mit Inke Arns und Thibaut de Ruyter.

  • Inke Arns

    Inke Arns ist seit 2005 Künstlerische Leiterin des Hartware MedienKunstVerein (HMKV) in Dortmund. Sie hat zahlreiche Ausstellungen kuratiert und Bücher veröffentlicht u.a. zur NSK (Neuen Slowenischen Kunst), zum Reenactment in der Kunst, zu "Die Welt Ohne Uns" oder "World of Matter".
  • Thibaut de Ruyter

    Thibaut de Ruyter ist Architekt, Kurator und Kunstkritiker. Als Kritiker schreibt er regelmäßig für die Zeitschriften artpress, Il Giornale dell’Architettura, Fucking Good Art und Frieze d/e. Zuletzt hat er neben "Die Grenze" auch 2015 „Digitale Demenz (Artificial Intelligence)“ kuratiert.

Inke Arns und Thibaut de Ruyter haben gerade die achte Station ihrer Ausstel­lung „Die Grenze“ in Jeka­te­rin­burg eröffnet. Jeka­te­rin­burg liegt am Ural, jenem Gebirge, das Europa von Asien trennt. Aber auch wegen oder trotz dieser Grenze ist Russ­land hinter dem Ural nicht plötz­lich weniger euro­pä­isch oder mehr asia­tisch. Wo also endet Europa, wo beginnt Asien? Diese Frage haben die Kura­to­rInnen und Künst­le­rInnen aus Geor­gien, Arme­nien, Aser­bai­dschan, Tadschi­ki­stan, der Ukraine, Weiß­russ­land, Russ­land, Kasach­stan, Usbe­ki­stan, Kirgi­sien, Estland, Deutsch­land und der Türkei gestellt und sowohl komi­sche als auch kriti­sche Antworten bekommen.

Sylvia Sasse: Ihr seid mit eurer Ausstel­lung inzwi­schen in Jeka­te­rin­burg ange­kommen, der russi­schen Stadt, die geogra­phisch schon in Asien liegt, 40 km östlich von der imagi­nären Trenn­linie entfernt. Aber es gibt dort weder eine natio­nale Grenze, noch eine sprach­liche, kultu­relle oder reli­giöse. Welche „Grenzen“ sind es also, die euch interessieren?

Blick in die Ausstel­lung in Kras­noyarsk, Foto: Aleksey Kubasov.

Inke Arns: Es geht uns in der Ausstel­lung nicht um natio­nale Grenzen, Staa­ten­grenzen oder gar geopo­li­ti­sche Grenz­kon­flikte, sondern vor allem um Grenz­zonen oder auch um Zonen der Unein­deu­tig­keit, des Über­gangs, Zonen, die man nicht zuordnen kann – deswegen auch „Grenze“ im Singular. Als wir die ehema­lige Sowjet­union bereist haben, trafen wir in Jeka­te­rin­burg, das geogra­phisch gesehen in Asien liegt, Irina, die Kontakt­person des Goethe­insti­tuts, eine etwa fünf­zig­jäh­rige sowje­ti­sche Dame. Die sagte immer: „Ich lebe in Asien, aber meine Datscha ist in Europa.“ Und immer, wenn sie ihre Datscha in Europa erwähnte (die letzt­lich einfach nur in den Bergen des Ural liegt), ging die Sonne in ihrem Gesicht auf. Da haben wir über­haupt erst reali­siert, dass es da eine imagi­näre Grenze gibt, die die Leute und auch die Künstler, mit denen wir spra­chen, immer zu der Frage provo­ziert, wo sie eigent­lich sind und hinge­hören: nach Europa oder nach Asien, oder möglichst zu beidem.

Thibaut de Ruyter: Der Unter­titel zur Ausstel­lung heißt „Wo endet Europa und wo beginnt Asien?“ Und umge­kehrt. Wir waren zum Beispiel in Vladi­vostok und dachten, geogra­phisch geht es jetzt nicht noch weiter nach Asien. Das muss also Asien sein. Aber die einzigen Leute aus Asien, die wir dort getroffen haben, waren Touristen aus Korea und China, die zum Glück­spiel kamen ins Kasino mit dem viel­ver­spre­chenden Namen „Tigre du Cristal“.

Inke Arns ist künst­le­ri­sche Leiterin des Hart­ware Medi­en­Kunst­Ver­eins (HMKV) in Dort­mund, Autorin und Kura­torin zahl­rei­cher inter­na­tio­naler Ausstel­lungen zur Gegenwartskunst.

Inke Arns: Vladi­vostok ist so eine Zone der Unein­deu­tig­keit. Denn die Leute aus China und Korea kommen nicht nur, weil das Einkaufen güns­tiger ist oder weil sie dort im Casino spielen dürfen, sondern weil das der kürzeste Weg ist, um Europa zu sehen. Und Vladi­vostok liegt östlich von China. Das Kasino wird auch noch von einer malaysisch-vietnamesischen Firma betrieben. Eine sehr inter­es­sante Situa­tion, in der alles irgendwie durch­ein­ander geht.

Eine asia­ti­sche Simu­la­tion von Europa, die geogra­phisch in Asien liegt? Eine umge­kehrte und umge­drehte Kolonialisierung?

Inke Arns: Ja, dieses Wieder­finden Europas am Ende von Asien hatte auch etwas Bewe­gendes. Die Geschichte der Stadt erzählt auch von der impe­rialen Kolo­ni­sie­rung des russi­schen Ostens sowie von der multi­kul­tu­rellen (europäisch/asiatischen = russisch/chinesisch/koreanischen) Stadt, die Vladi­vostok bis 1937 war. Stalin hat dann die ethni­schen Minder­heiten zwangs­um­ge­sie­delt – daher gibt es z.B. heute eine sehr große korea­ni­sche Commu­nity in Kasach­stan, und man kann Kimchi an jeder Stra­ßen­ecke von Almaty kaufen.

Ist Asien so eine Art Brille für euch?

Sie können uns unter­stützen, indem Sie diesen Artikel teilen: 

Viron Erol Vert: „All borders are in us“, Foto: Sylvia Sasse.

Thibaut de Ruyter: Wir benutzen Asien, um Europa anders zu lesen. Der in Deutsch­land lebende türki­sche Künstler Viron Erol Vert zum Beispiel, der für seine Arbeit „All borders are within us“ Kopf­tü­cher entworfen hat, die euro­päi­sche Frisuren simu­lieren, sagt, dass die „Great Hijab Debate“ (= die Kopf­tuch­de­batte) ja vor allem ein euro­päi­sches Phänomen sei. Also entwirft er als „Lösung“ des Problems ein grenz­über­schrei­tendes Kopf­tuch für beide Welten, das musli­mi­sche Frauen in Europa tragen können und euro­päi­sche Frauen in musli­mi­schen Ländern.

Eine Art Lachen über Europas ange­strengten Blick auf den Osten, auf den Islam?

Thibaut de Ruyter: Ja, aber es geht auch um Projek­tionen. Als wir in Minsk waren und dort die Ausstel­lung disku­tierten, sagten einige, sie wüssten nicht, was diese Ausstel­lung über­haupt mit Europa zu tun haben soll. „Asien“ ist in Minsk völlig negativ besetzt, man will unbe­dingt zu Europa gehören. Aus Asien kommen die Gast­ar­beiter oder die Flücht­linge, die in Brest im Flücht­lings­lager leben. Sie dachten, wir machen eine Ausstel­lung über Flücht­linge und mit Flüchtlingen.

Auch das sagt viel über das imagi­näre Europa aus, dass dieje­nigen, die von Europa (der EU) ausge­schlossen werden, so deut­lich zu Europa gehören wollen, dass sie einen euro­päi­schen Patrio­tismus entwi­ckeln, der dann die Nach­barn im Osten abwertet. Die serbi­sche Kultur­wis­sen­schaft­lerin Milica Bakić-Hayden nennt das „nesting Orientalism“.

Thibaut de Ruyter ist Archi­tekt, Kurator und Kunst­kri­tiker. Er schreibt u.a. für artpress, Il Giornale dell’Architettura, Fucking Good Art, Frieze d/e und entwirft und kura­tiert Ausstel­lungen zur Gegenwartskunst.

Inke Arns: Ich musste bei diesen Diskus­sionen über die Ausstel­lung öfters an Slavoj Žižeks State­ment zum Begriff „Balkan“ denken, der – wie die Öster­rei­cher behaupten, jenseits der Alpen beginne. Die Slowenen, die nach Aussage ihres Tourismus-Büros „on the sunny side of the Alps“ leben, sagen aber, nein, der Balkan beginnt jenseits des Flusses Sava; die Kroaten wiederum sagen, wir sind katho­lisch und deshalb tiefstes Europa, der Balkan beginne in Serbien, und die Serben sagen: Aber wir haben doch Europa gegen das Osma­ni­sche Reich vertei­digt, der Balkan, das sind die musli­mi­schen Albaner und Bosnier. Der Balkan, das sind die Anderen.

Alina Kopytsa, „The Wedding Dress“, Co-design Kate Musina, Digi­tal­druck auf Textil, 2015/16, Foto: Aleksey Kubasov

Weniger humo­ris­tisch betrachtet: Die Ziehung der EU-Außengrenze, die unsere Bewe­gungs­frei­heit erwei­tert, bedeutet umge­kehrt immer die Einschrän­kung der Bewe­gungs­frei­heit der anderen. Ein Beispiel dafür ist auch die Arbeit von Alina Kopytsa. Die Künst­lerin kommt aus der Ukraine und wollte in der Schweiz heiraten. Als Ukrai­nerin ist sie in der Schweiz – das wäre auch in der EU so – als Frau suspekt. Sie muss also beweisen, dass die Ehe keine Scheinehe ist. Auf dem Hoch­zeits­kleid, das sie daraufhin entworfen hat, sind alle Skype-Gespräche, die sie mit ihrem zukünf­tigen Mann geführt hat, tran­skri­biert. Es sind Doku­mente aus ihrem intimsten Leben, die sie vorlegen musste, um zur Ehe „zuge­lassen“ zu werden. Das Kleid ist ein unglaub­li­ches State­ment. Kopytsa verharrt nicht in der Opfer­rolle, sondern sie verwan­delt ihre eigene Posi­tion der Schwäche in eine Posi­tion der Stärke, die die sie inkri­mi­nie­rende Situa­tion ausstellt. Bäm!

Thibaut de Ruyter: Man könnte auch von der Prosti­tu­ti­ons­grenze spre­chen. Eine fiktive Grenze, die Frauen aus der Ukraine unter Gene­ral­ver­dacht stellt. Und man sieht diese euro­päi­sche Fiktion auch in der Ukraine selbst. Die Auto­bahn vom Flug­hafen in die Innen­stadt ist voll­ge­pflas­tert mit riesigen Werbe­pla­katen für Bordelle, die dich nicht als Touristen, sondern als poten­ti­ellen Freier begrüßen. Sie heißen „Man’s Club“. Neben der Prosti­tu­ti­ons­grenze gibt es auch noch die Karaokegrenze.

Die Karao­ke­grenze?

Farhad Farz­a­liyev, „Mugham-Karaoke“, DVD-Player mit „Karaoke-Funktion“, Mikro, LCD/LED-Bildschirm, 2016, Foto: Aleksey Kubazov

Thibaut de Ruyter: Wir wollten ja keine Ausstel­lung über geopo­li­ti­sche Grenz­kon­flikte machen, sondern über kultu­relle Ähnlich­keiten und Diffe­renzen. Wir konnten in allen Ländern vor Ort recher­chieren, und da ich Archi­tekt bin, hat es mir beson­ders Spaß gemacht, Städte zu entde­cken und zu verglei­chen. Ich habe irgend­wann reali­siert, dass die Präsenz von Karaoke-Bars in Russ­land und in Zentral­asien radikal unter­schied­lich ist. Diesen Unter­schied sieht man auch zwischen Tbilisi, wo es fast keine Karaoke-Bars gibt, und Baku, wo es in fast jeder Straße eine gibt. Daher habe ich das dann die „Karao­ke­grenze“ genannt: Wenn Du wissen willst, ob Du in Asien oder Europa bist, musst Du nur die Karaoke-Bars in deiner Umge­bung zählen. Witzi­ger­weise haben wir in Baku einen Künstler getroffen, Farhad Farz­a­liev, der uns von seinem Inter­esse an Karaoke erzählte. Und so kam es, dass wir mit ihm eine neue Arbeit produ­ziert haben, eine Arbeit, die auf der Ober­fläche ganz lustig und leicht aussiehtnämlich eine voll funk­ti­ons­fä­hige Karaoke-Box. Inhalt­lich geht es in dieser Arbeit dann aber um den armenisch-aserbaidschanischen Konflikt um Nagorny-Karabach. Auch hier wird Humor benutzt, um sehr ernste Themen anzusprechen.

Beson­ders brutal wird der Wunsch nach einem imagi­nären Europa auch in der Arbeit der kasa­chi­schen Künst­lerin Natalya Dyu gezeigt. In ihrem Video führt sie vor, was viele asia­ti­sche Frauen machen, nämlich ihren Körper zu europäisieren.

Natalia Dyu, „Goodbye my Asian Eyes“, Video 00:05:44 min, 2009, Foto: Sylvia Sasse

Thibaut de Ruyter: Natalya Dyu zeigt eine drei­tei­lige Video­ar­beit. Links sehen wir die Künst­lerin als Raupe, rechts ist sie ein wunder­schöner Schmet­ter­ling. Und in der Mitte sehen wir die Schön­heits­ope­ra­tion, der sie sich unter­zogen hat. Die für asia­ti­sche Frauen typi­sche Schön­heits­ope­ra­tion, um rundere, euro­päi­sche Augen zu bekommen, Manga-Augen. „Goodbye my Asian Eyes“ heißt die Arbeit und fragt, was ist „Asien“ zu machen bereit, um zu Europa zu gehören.

Die meisten der Künst­le­rInnen kommen aus Staaten, die mal zur Sowjet­union gehörten. Damals war es die Ideo­logie, die sie krampf­haft verbunden hat. Gibt es heute noch Gemein­sam­keiten, neue, andere?

Thibaut de Ruyter: Wenn du in Kasach­stan landest, dann bist du in einer Welt, wo im Land selbst ganz unter­schied­liche Leute zusam­men­kommen, Russen und Kasa­chen, Deutsch­russen, Koreaner. Und egal, welcher Ethnie sie ange­hören, alle Frauen heißen sowieso Tatjana. Aber: All diese Länder, die Nach­fol­ge­staaten der Sowjet­union, sind total unter­schied­lich. Die einen sind reich, die anderen arm, die einen christlich-orthodox, die anderen musli­misch, die einen demo­kra­tisch, die anderen nicht usw. Allen gemeinsam ist viel­leicht die Korruption.

Thibaut, Du arran­gierst die Ausstel­lung immer wieder anders. D.h. du bildest aus den 23 schwarzen, für die Ausstel­lung von dir entwor­fenen Kisten, aus denen heraus die Künstler ihre Arbeiten zeigen, immer wieder neue Konstel­la­tionen und Paare.

Chebu­rashka, Foto: Thibaut de Ruyter

Thibaut de Ruyter: Ja, das ist mir wichtig, wir haben eine eigene Geogra­phie in der Ausstel­lung. So gibt es neue Verbin­dungen, mal thema­tisch, z.B. Arbeiten zum Heiraten, mal regional, z.B. das Problem der Nach­bar­schaft von Arme­nien und Aser­bai­dschan. Aber die Gemein­sam­keiten sind keine histo­ri­schen, sondern eher neue. Deshalb ergibt auch das Wort „post­so­wje­tisch“ keinen Sinn mehr. Das einzige, was noch funk­tio­niert, ist Čebu­raška – die sowje­ti­sche Plüsch­film­figur kennen alle. Aber sogar Čebu­raška sieht in verschie­denen Ländern unter­schied­lich aus. Das arme­ni­sche Modell ist am besten, es ist aus gutem Plüsch, das aser­bai­dscha­ni­sche ist schon asia­ti­scher, es singt.

Eine Čeru­bu­raš­kagrenze? Wenn post­so­wje­tisch als Bezeich­nung keinen Sinn mehr ergibt, dann ist vermut­lich auch der Rück­bezug auf die Vergan­gen­heit, der in der Ausstel­lung immer wieder vorkommt, kein gemeinsamer…

Inke Arns: Eigent­lich findet der Rück­bezug auf die Sowjet­union kaum statt. Es gibt fast keine gesell­schaft­liche Ausein­an­der­set­zung mit dieser Zeit (Ausnahmen sind die Arbeiten von Katya Isaeva und „Where Dogs Run“). Und auch die neue Gene­ra­tion von Künst­lern beschäf­tigt sich damit nicht. Und selbst in der Arbeit der tadschi­ki­schen Künst­le­rInnen Alla Rumyantseva und Alexey Rumyantsev, in der histo­ri­sches sowje­ti­sches Film­ma­te­rial verwendet wird, geht es nicht um damals, sondern um das Heute. „I met a girl“ stellt Film­aus­schnitte eines tadschi­ki­schen Films aus den 1960er Jahren der Sowjet­union, in der es um die Befreiung eines Mädchens aus lokaler Tradi­tion und Reli­gion geht, der heutigen Situa­tion gegen­über. Die Künstler haben Frauen zu ihren Träumen und ihrer Rolle in der heutigen Gesell­schaft Tadschi­ki­stans befragt. Das ist keine nost­al­gi­sche Arbeit, sie ist eher kämpferisch.

Die poli­ti­sche Situa­tion in einigen der Länder, aus denen die Künstler kommen, ist brisant, es herr­schen ähnlich dikta­to­ri­sche Verhält­nisse wie damals in der Sowjet­union, auch wenn nun Kapi­ta­lismus und Nepo­tismus die Wirt­schaft domi­nieren. Es fällt auf, dass viele Arbeiten mit sehr subtilen Allu­sionen arbeiten, mit versteckten Witzen, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen.

Saule Dyus­sen­bina, „Kasakh Funny Games“, wall­paper, 2016, Foto: Aleksey Kubasov

Inke Arns: Viele Arbeiten sehen so aus, als seien sie harmlos oder deko­rativ. Sie spre­chen aber teil­weise über sehr harte Themen, die in einigen Ländern nicht direkt ange­spro­chen werden können. Saule Dyus­sen­binas Projekt ist ein gutes Beispiel. Ihre orna­men­talen Tapeten-Entwürfe sehen auf den ersten Blick rein deko­rativ aus. Wenn man sich die Motive jedoch genauer anschaut, sieht man Themen wie ökolo­gi­sche Kata­stro­phen, die in der Öffent­lich­keit nicht thema­ti­siert werden, man sieht geron­to­kra­ti­sche Herr­scher, die sich neue Haupt­städte in der Wüste bauen lassen und man findet auch einen subtilen und höchst poeti­schen – und witzigen – Verweis auf die LGBT-Szene in Almaty.

Oder die Arbeit der usbe­ki­schen Künst­le­rInnen Umida Ahme­dova und Oleg Karpov. Sie haben für ihr Video „Hostages of Eter­nity“ eine einfache, kleine Stra­ßen­szene gefilmt. Wir sehen eine Frau, die im Regen mit einem Reisig-Besen Wasser von einer Straße fegt. Hin und her, immer wieder, hinge­bungs­voll, endlos, aussichtslos. Aber: Diese Straße verbindet den Wohn­sitz des usbe­ki­schen Präsi­denten mit dem Präsi­den­ten­pa­last, also dem Regie­rungs­sitz. Zweimal täglich benutzte Islom Karimov diese Straße, die immer blitz­blank zu sein hatte. Wenn man sich klar­macht, was dort zu sehen ist, bekommt diese einfache Aufnahme auf einmal eine große kriti­sche Kraft.

Thibaut de Ruyter: Humor ist unsere kura­to­ri­sche Stra­tegie. Wir machen mit den Künst­le­rInnen zusammen subtile Witze über Grenzen, über Europa…

Inke Arns: Und die Künst­lerin Olga Jitlina trägt zusammen mit Arbeits­mi­gran­tInnen Witze über Hodscha Nasreddin zusammen, die sie in einer Zeitung publi­ziert. Hodscha Nasreddin ist eine Figur der folk­lo­ris­ti­schen Lite­ratur, die von Buchara bis zum Balkan bekannt ist; er ist berühmt für seinen Witz und sein Talent, sich aus schwie­rigen Situa­tionen zu befreien. Nasreddin machte sich lustig über den Emir Timur und den Khan von Buchara, den russi­schen Kolo­nia­lismus, über diebi­sche Kolcho­sen­leiter und die patri­ar­chalen Sitten in Zentral­asien und im Kaukasus. Jitlinas Projekt versucht mit Hilfe des Lachens mit und über Nasdreddin Hodscha kultu­relle Grenzen zu über­winden. Sie schreibt dazu: „Nasreddin wird mit seinem wider­bors­tigen Charakter und seinem untrüg­li­chen Blick im heutigen Russ­land drin­gend gebraucht. Viel­leicht kann er uns dabei helfen, die brach­lie­genden kultu­rellen Bezie­hungen zwischen den inzwi­schen unab­hän­gigen post­so­wje­ti­schen Staaten zu reak­ti­vieren? Kann das Lachen die Menschen vorüber­ge­hend vergessen lassen, was sie trennt?“

Die Grenze“ ist eine Ausstel­lung des Goethe-Instituts.

Olga Jitlina, „Nasredin in Russia“, Zeitung, 3 Ausgaben, 2014, Foto: Aleksey Kubasov