Als die israelische Kultur- und Sportministerin Miri Regev im Herbst 2017 für einen Familienurlaub nach Kuba reiste, berichteten israelische Zeitungen interessiert von dem Besuch. Üblicherweise erfahren die Urlaubspläne von Politiker:innen wenig Aufmerksamkeit; das Land, das sie besuchte, hatte jedoch vor mehr als vierzig Jahren, im September 1973, seine diplomatischen Beziehungen zu Israel abgebrochen und bis dato nicht wieder aufgenommen. Im Allgemeinen gilt Kubas Verhältnis zu Israel bis 1973 als „freundschaftlich“ bis „neutral“. In diesem Zusammenhang wird häufig auf die vermeintliche Abwesenheit von Antisemitismus in dem Land rekurriert – so gibt es keine Berichte über antijüdische Ausschreitungen im Rahmen der revolutionären Unruhen seit 1953 oder danach und keine der fünf Synagogen in Havanna wurde nach Castros Sieg 1959 geschlossen. Dementsprechend wird der diplomatische Bruch als eine rein geopolitische Geste in Richtung der arabischen Staaten interpretiert. Die Berichterstattung in der Granma, dem Kommunikationsorgan des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas und der auflagenstärksten Zeitung der Insel, zeichnet jedoch ein anderes Bild der kubanisch-israelischen Beziehungen.
Diplomatischer Balanceakt

Israels UNO-Botschafter Chaim Herzog 1975 in der UN-Vollversammlung; Quelle: Post.com
Vor 45 Jahren, im November 1975, verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die bis 1991 gültige Resolution 3379, in der Zionismus als eine Form des Rassismus gebrandmarkt wurde. In der Liste der Befürworter des Beschlusses sticht Kuba heraus: Es ist das einzige lateinamerikanische Land, das für die Resolution stimmte. Dabei begannen die zwischenstaatlichen Beziehungen mit Israel vielversprechend.
Israel gehörte 1960 zu den ersten Ländern, die die revolutionäre Regierung Kubas anerkannten. Zwischen den beiden Staaten existierten Kooperationen in der Landwirtschaft, Che Guevara bewunderte die Kibbuz-Bewegung für ihr agrarsozialistisches Ethos und der israelische Botschafter zu Panama und Haiti, Mordechai Arbell, besuchte Havanna sogar kurz nach der gescheiterten Invasion in der Schweinebucht, die Kubas Sorge vor einer militärischen Einflussnahme der USA auf der Insel hatte wahr werden lassen. Entsprechend gab es Bemühungen, bilaterale Beziehungen zwischen den Ländern aufzubauen. Mitte der 1960er Jahre verschärften sich jedoch zusehends die Konfliktlinien des Kalten Krieges, der letztendlich den wesentlichen Faktor für das kubanisch-israelische Verhältnis darstellte: Israel und der Großteil der Länder Lateinamerikas orientierten sich traditionell an den USA, wohingegen sich arabische Staaten zunehmend in der Blockfreien Bewegung organisierten, zu deren Gründungsmitgliedern auch Kuba gehörte. Diese näherte sich spätestens in den 1970er Jahren stärker der Sowjetunion an, als sich mehr und mehr der dort vertretenen Ländern von der Theorie der „zwei Imperialismen“ (einer von Westen und einer von Osten) abwandten.

Che Guevara in Algier, 1965; Quelle: twitter.com
Obwohl Kuba und Israel also schon bald nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen rivalisierenden Blöcken angehörten, fand das Verhältnis zu Israel in den ersten Jahren nach der kubanischen Revolution nur wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Guevara etwa nahm bei einer Konferenz in Algerien 1965 nur indirekt auf das Land Bezug, als er vom „heldenhaften Volk Palästinas“ sprach, das „Nein!“ sage „zum imperialistischen Feind“. Deutlicher wurde eine „Resolution zum arabisch-israelischen Konflikt“, die im Januar 1966 im Rahmen der in Havanna abgehaltenen Conferencia Tricontinental verabschiedet wurde. Diese Konferenz, zu der auch Abgesandte der Palestine Liberation Organization (PLO) eingeladen waren, brachte Delegierte nationaler Befreiungsbewegungen des globalen Südens in der kubanischen Hauptstadt zusammen.
In der Resolution wurde der „zionistische Emigrantenstaat“ als „Bedrohung für die Entwicklung des Fortschritts“ im Nahen Osten bezeichnet; und die Teilnehmenden wurden dazu aufgerufen, „ihre Anstrengungen zu verdoppeln, um die zionistische Infiltrierung und Durchdringung ihrer jeweiligen Länder zu bekämpfen und die Abkommen mit Israel aufzukündigen“. Trotz der klaren Worte traten kubanische Funktionäre nach dem Ende der Konferenz an den Delegierten Israels auf der Insel, Shlomo Lavav, heran, um ihm zu versichern, dass sich Kuba dieser Resolution nicht verpflichtet fühle, da es sich um eine Konferenz von Parteien und nicht von Staaten gehandelt habe. Diese argumentative Scheindifferenz verdeutlicht den Balanceakt, den Kuba zwischen Solidarisierung mit dem tercermundismo, der außenpolitischen Konzentration auf die sogenannte Dritte Welt, einerseits und der Akzeptanz Israels andererseits in den 1960er Jahren noch versuchte.
Das Schicksalsjahr 1967

Israelische Truppen rücken auf die Golanhöhen in Syrien vor; Quelle: welt.de
Der Sechstagekrieg 1967 markierte einen Wendepunkt. Kurz nach Kriegsende richtete sich der ständige Vertreter Kubas bei den Vereinten Nationen, Ricardo Alarcón, erstmals direkt an Israel. In seiner Rede vor der Generalversammlung nannte er den israelischen Präventivschlag gegen Ägypten einen „Überraschungsangriff, sorgfältig im Vorfeld im Nazi-Stil geplant“. Auch in der Granma war mehrmals, so beispielsweise am 15. Juni 1967, von einem „Angriff im Nazi-Stil“ und von der Verwendung der „gleichen Methoden des Blitzkriegs [wie] Hitlerdeutschland“ die Rede.
Die Parallelisierung mit dem nationalsozialistischen Deutschland ermöglichte es, ein etabliertes Feindbild auf den israelischen Staat zu übertragen; der von Deutschen an Juden begangene Völkermord und dessen Zusammenhang mit dem jüdischen Staat fand dabei – wie auch in der Berichterstattung der Granma insgesamt – keinerlei Erwähnung. Am selben Tag erklärte die Zeitung den arabischen Ländern kämpferisch, dass Angst und Feigheit vor Hitler der Grund für den Kriegsausbruch gewesen seien und deswegen in der aktuellen Situation dringend abgelegt werden müssten: „Der Weg der Zugeständnisse ist derjenige, der vor dreißig Jahren zum Zweiten Weltkrieg geführt hat.“ Damit wurde Israel nicht nur eine ähnliche Intention wie Nazideutschland unterstellt, sondern vor allem ein analoges Vorgehen, das seiner Imagination als Vertreter des imperialistischen Gegners USA im Nahen Osten entsprach.
Kuba hingegen sah sich in der Traditionslinie des Widerstandes. In einer im Juli 1967 gehaltenen Rede Fidel Castros erklärte der kubanische Staatschef: „Vor der Aggression im Nahen Osten gab es die Aggression in Vietnam und die Überraschungsangriffe in Girón [Strand im Osten der Schweinebucht] und diese verräterische Gewohnheit im Morgengrauen Überraschungsangriffe durchzuführen, um zu versuchen, die Kampfmittel zu zerstören“. Der Verweis auf die Schweinebuchtinvasion, in die Israel genauso wenig involviert gewesen war wie in den Vietnamkrieg, schaffte eine Identitätsrelation zwischen den USA und Israel, in der das konkrete Vorgehen des jüdischen Staates keine Rolle spielte.
Der tercermundismo, Kuba und die UdSSR

Die Parteizeitung Granma zum Militäreinsatz Kubas in Angola, 1976; Quelle: mercadolibre.com.pe
Das Weltbild antiimperialistischer Bewegungen in den 1960er und stärker noch in den 1970er Jahren beruhte auf starren Freund-Feind-Zuschreibungen, die nicht nur national, sondern global gedacht wurden. Dabei diente die Verknüpfung einzelner nationaler Kämpfe zu einem weltumfassenden „Befreiungskampf“ nicht zuletzt der Legitimation eigener Ziele. Für Kuba war die Identifikation mit solchen Kämpfen bedeutsam, um an der eigenen Vorreiterstellung in der sogenannten Dritten Welt zu arbeiten und sie ab Mitte der 1970er zu sichern. Diese Position verdichtete sich bereits in den Wahrnehmungsweisen des Sechstagekrieges: Zur Unterstreichung der innigen kubanisch-ägyptischen Beziehungen betonte die Granma den Respekt, der den kubanischen Funktionär:innen gezollt werde, die trotz des Kriegszustands in Ägypten geblieben seien.
Ganz im Sinne des Revolutionsmottos „Patria o Muerte“ („Heimat oder Tod“) berichtete der in Ägypten für den Handel zuständige Vertreter Kubas, „dass allen Kubanern, die sich in Kairo befinden, inklusive der Kinder der Beamten, in dieser Phase des Kampfes gegen den Imperialismus das gleiche Schicksal widerfahren wird wie dem ägyptischen Volk“. Das Erbringen dieses „ultimativen Opfers“, die Inkaufnahme des Todes auch der Unschuldigsten, stand sinnbildlich für die Vorstellung einer gemeinsamen antiimperialistischen Front, die vom Nahen zum Fernen Osten und bis nach Mittelamerika reichte. Diese kompromisslose Haltung teilte auch Ricardo Alarcón: Sollte ein zukünftiger Vorschlag zum Friedensschluss veränderte Grenzlinien beinhalten, sei einem solchen Abkommen „der Tod des letzten Bürgers“ des Landes vorzuziehen.
Sowohl in der Zeitungsberichterstattung zum Sechstagekrieg 1967 als auch in der Rede Alarcóns vor den Vereinten Nationen zeigt sich eine antiisraelische Tendenz, die in den folgenden Jahren verstärkt zum Ausdruck kam. Trotz der Nähe zu den arabischen Staaten unternahm Kuba 1967 allerdings keine bilateralen Schritte gegenüber Israel, was dem Land von seinen Verbündeten bis zum schlussendlichen diplomatischen Bruch 1973 regelmäßig vorgeworfen wurde. Für Kuba spielte die Verbindung zu Israel im Hinblick auf die UdSSR eine Schlüsselrolle. Die Verweigerung des Landes, die diplomatischen Beziehungen zu Israel nach dem Sechstagekrieg abzubrechen – so wie es die Sowjetunion und alle ihre Satellitenstaaten bis auf Rumänien getan hatten – wird zumeist als Demonstration der eigenen Unabhängigkeit verstanden. Diese geopolitische Überlegung spiegelte sich jedoch nicht in den kubanischen Zeitungen, die sich fast ausschließlich auf sowjetische und arabische Quellen beriefen.
Nationales Selbstverständnis und internationale Positionierung
Der Blick in das Parteiorgan, das für die kubanische Führungsriege den Ort der Informationsvermittlung und für die Bevölkerung den wesentlichen Referenzpunkt für ihre Meinungsbildung darstellte, deutete bereits vor 1973 auf ein israelfeindliches Klima auf der Insel hin. Dies äußerte sich nicht in passiver Zurückweisung militärischer Handlungen des israelischen Staates, sondern in aktiver Parteinahme und destruktiver Rhetorik. Als Folge der in die „Dritte Welt“ gerichteten Politik wurden die arabischen Staaten – oftmals unabhängig von ihrem tatsächlichen Vorgehen – zu progressiven Verbündeten stilisiert, während Israel und der Zionismus in seiner Interpretation als kolonialistische und zerstörerische Ideologie das Gegenkonzept verkörperten.
So stellte die Fokussierung auf Israel die Möglichkeit dar, die Geringschätzung gegenüber den USA durch eine Umwegkommunikation kundzutun, gerade unter Verwendung antiisraelischer diskursiver Strategien. Im September 1967 äußerte Fidel zwar in einem vielzitierten Interview, dass wahre Revolutionäre einem anderen Land niemals mit der Vernichtung drohen würden. Dennoch lief die Berichterstattung der Granma auf die vollständige Diskreditierung des Staates Israel hinaus – nicht indes im Sinne einer expliziten Infragestellung des Existenzrechtes, sondern im Sinne einer prinzipiellen Delegitimierung, die aus seiner imaginierten Position als „Brückenkopf des Imperialismus“ herrührte, was etwa Jean Améry 1969 in seinem pointierten Artikel Der ehrbare Antisemitismus kritisch analysierte.
Obwohl keine unmittelbaren außenpolitischen Maßnahmen getroffen wurden, kann nach der Betrachtung der Staatsmedien nicht von einer neutralen oder gar freundschaftlichen Positionierung gegenüber Israel gesprochen werden. Vielmehr zeichnet sich darin bereits eine politische Haltung ab, die auf diplomatischer Ebene erst um einiges später zum Tragen kam. So eröffnet sich ein differenzierteres Bild der als opportunistisch verstandenen zwischenstaatlichen Entscheidungen Kubas. Die Weichen für die Entwicklung, die ihren Höhepunkt in der Resolution 3379 im November 1975 fand, wurden demnach nicht erst im Abbruch der diplomatischen Beziehungen 1973, sondern bereits sechs Jahre zuvor, im Juni 1967, gelegt. Das Verhältnis zu Israel repräsentierte für Kuba nicht bloß eine randständige diplomatische Frage, sondern stellte im Rahmen der Annäherung an die Blockfreie Bewegung und des Konflikts mit den USA einen zentralen Referenzpunkt des nationalen Selbstverständnisses dar. Die Auseinandersetzung um Israel eröffnete dem Land die Möglichkeit, seinen nationalen Absichten auf einer internationalen Bühne – mit lautstarker, auch antisemitischer Unterstützung – Gehör zu verschaffen.