Der folgende Dialog zwischen Jörg Scheller und Daniel Hornuff entstand in einem Mail-Austausch und wurde im Nachgang von den beiden Diskutanten überarbeitet. Ziel dieses Gesprächs war es, zwei prägnante Dimensionen der Körperkultur miteinander zu vergleichen: Das Bodybuilding und die Ästhetisch-Plastische Chirurgie. Ausgangspunkt des Austauschs bilden jüngere Veröffentlichungen, die die beiden Autoren zu dem Thema vorgelegt haben.
Jörg Scheller: Lieber Daniel, in unserer Forschung beschäftigen wir uns beide mit Körperkultur – Du primär unter Gesichtspunkten des Designs, ich unter kunstwissenschaftlichen und ästhetischen Gesichtspunkten. In Deinem Buch Krass! Beauty-OPs und Soziale Medien (2021) stellst Du die These auf, dass eine „schönheitschirurgische Feudalgesellschaft“ und ein „neuer aristokratischer Körperstolz“ entstehen könnten, wenn das für viele unerreichbare Statussymbol des chirurgisch optimierten Körpers zur Signalisierung ökonomischer Überlegenheit genutzt wird. Mich interessiert diese feudal-soziale Frage, da sie mit meinem Forschungsgebiet, dem Bodybuilding, verbunden ist. Ich habe den Eindruck, dass der Aufschwung der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie Symptom und Symbol einer allem Diversity-, Werte- und Moral-Dekor zum Trotz – oder vielleicht unter diesem Deckmantel umso leichter – fortschreitenden sozialen Feudalisierung ist, die sich nicht nur in der Macht der Superreichen artikuliert.
Daniel Hornuff: Da stimme ich Dir zu – in meinem Buch habe ich versucht, in diese Richtung zu argumentieren. Körperdesign bedeutet im Fall der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie: Beauftrage andere mit der Umgestaltung Deines Erscheinungsbildes. Das muss man sich leisten können. Mich interessiert, wie dieses Design ausgeführt wird. In vielen Fällen soll von ihm nämlich nichts zu sehen sein. Man lässt andere gestaltend in den eigenen Körper eingreifen – verbunden mit dem Wunsch, dass der Eingriff als solcher kaschiert wird. Gefolgt wird einem ästhetischen Ideal, das auf das Naturschöne zielt. Dieses wird zwar künstlich produziert, Merkmale und Spuren des Künstlichen gilt es aber zu verdecken. Je weniger sie sich dem Blick aufdrängen, desto größer muss der finanzielle Einsatz gewesen, desto qualitätsvoller muss die Arbeit ausgeführt worden sein. Ein schlecht gemachtes Lifting gilt dann umso mehr als Ausweis einer billigen Dienstleistung.
JSch: Bodybuilding hingegen – ich formuliere etwas holzschnittartig – ist Symptom und Symbol der Massendemokratisierung im 20. Jahrhundert. Der ursprüngliche Muscle Beach in Santa Monica etwa war ein Projekt der Progressiven Ära – die Works Progress Administration stellte allen, auch einkommensschwachen Menschen, Ort und Equipment für die körperliche Selbstoptimierung kostenlos zur Verfügung. Überhaupt setzen Bodybuilding und Fitnesstraining nichts weiter voraus als den eigenen Körper und ein paar Hanteln, die auch durch Steine, Holz, Wasserkübel ersetzt werden können. So habe ich etwa in Abchasien 2019 einen Hantelbauworkshop für Kinder in einem Bergdorf organisiert. Ästhetisch-Plastische Chirurgie als Arbeit am Selbstbild hingegen lässt sich nicht vom Selbstbildner selbst ausführen. Es sind teure Dienstleistungen erforderlich. Der soziale Druck, der durch Ästhetisch-Plastische Chirurgie aufgebaut wird, ist ein anderer: Arbeite nicht (nur) mit Dir an Dir, sondern erarbeite Dir Kapital, um andere für Dich an Dir arbeiten zu lassen! Oder täusche ich mich?
DH: Nein, ich denke nicht. Wollte man es pessimistisch sehen, ließe sich eine doppelte Gefahr der schönheitschirurgischen Feudalgesellschaft identifizieren: Es kommt nicht nur zu einer Klassenbildung zwischen Operierten und Nicht-Operierten, sondern auch zu einem abfälligen Blick auf jene Menschen, die zwar nach dem Naturschönen strebten, deren Körper die Zeichen ästhetischer Eingriffe aber nicht leugnen können. Sie werden als Schönheitsblender:innen, als ästhetische Möchtegerne abgewertet. Ich frage mich, ob darin ein struktureller Unterschied zu Bodybuilding-Körpern liegt. Du hast gezeigt, dass es im Bodybuilding um eine Ästhetik des Außeralltäglichen, um Formen des Monströsen, des Nicht-Mehr-Natürlichen geht: Nicht das Gefallen, das Auffallen sei erklärtes Ziel, was eine funktionale Nähe zur modernen Kunst begründe. Zugleich hat sich im Feld der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie eine Szene, die sogenannte Bodymodification-Szene, gebildet, die das körperlich Groteske, das übersteigerte Künstliche, das Kunstschöne feiert. Haben wir es also in beiden Fällen mit zwei ähnlichen körperästhetischen Kategorien zu tun – mit naturschönen, neoliberal angepassten Fitness- und extremen Ausstellungskörpern?
JSch: Ja, diese Ausdifferenzierungsthese trifft es. Im Grunde beobachten wir in der Körperkultur das bekannte moderne Wechselspiel, wie es Georg Simmel in der Philosophie des Geldes (1900) beschrieben hat: Auf Homogenisierung wird unter Vorzeichen des Fortschritts dialektisch mit der Pluralisierung von Lebensstilen reagiert, bis hin zur Avantgarde. Dass das Naturschöne in Fitness und Ästhetisch-Plastischer Chirurgie ganz selbstverständlich hergestellt statt nur vorgestellt oder vorgefunden wird, fügt sich ins philosophisch-soziologische Panorama des 19. Jahrhunderts: Für Hegel stand das Absolute nicht am Anfang, sondern am Ende der Geschichte. Ein Buch des Bodybuilding-Mitbegründers Eugen Sandow trägt den Untertitel Man in the Making (1904). Es ist bezeichnend, dass die Soziologin Anja Röcke in ihrer Soziologie der Selbstoptimierung (2021) unter Verweis auf Ulrich Bröckling diesen Ausdruck zur Charakterisierung des idealtypischen – nicht des empirischen! – westlich-modernen Subjekts wählt: „Ein Subjekt besteht immer ‚nur im Gerundivum‘, also in the making.“
DH: Das bringt mich auf einen Aspekt der Geschichte der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie. Die populäre Ästhetisch-Plastische Chirurgie, wie wir sie heute kennen, hat starke Wurzeln in der rekonstruktiven Chirurgie. Im Nachgang des Ersten Weltkrieges stand die Wiederherstellung zerstörter Körperpartien im Zentrum. Wiederherstellung bedeutete das Wiedererlangen basaler körperlicher Funktionen, die durch Gewalt verloren gegangen waren. Diese Körper wurden als eine Art Zwischenkörper gesehen – zwar lebten sie noch, aber ihre unterstellte Unvollständigkeit markierte sie als Körper der Transformation, die sowohl weiter verfallen als auch wieder – zumindest zu gewissen Teilen – vervollständigt werden konnten. Zugleich waren damit weitreichende ästhetische und soziale Fragen aufgeworfen. Wie sollten die teil-rekonstruierten Körper aussehen? Sollte das Wiederhergestellte als solches sichtbar bleiben, sogar als Kriegs- und Heldenzeichen hervorgekehrt werden? Oder wollte man kaschieren, um durch das Ver- und Überdecken vermeintlicher Makel eine soziale Re-Integration zu begünstigen?
JSch: An diesem Punkt, den Formen des „Machens“, unterscheiden sich Ästhetisch-Plastische Chirurgie und Bodybuilding signifikant. Der alte Feudaladel distinguierte sich, indem er körperliche Arbeit abwertete und ablehnte. Er ließ arbeiten. Entsprechend wurde das Geistige valorisiert. Dieses Prinzip scheint mir intakt: Man lässt arbeiten, liefert allenfalls die Handlungsanweisung, wie ein Konzeptkünstler. Vielleicht lösen sich hier, wie in der Psychologie der Gegenwart, die Grenzen zwischen Therapie und Optimierung auf. Was früher Mittel der Therapie war, etwa bei Kriegsgeschädigten, wird zur ästhetischen Optimierungsmaßnahme im Dienste sozialer Distinktion…
DH: …für die man auf das Prinzip des körpermodellierenden Outsourcings setzt: Man begibt sich in eine Art Fabrik, die die Arbeit übernimmt.
JSch: Ja, denn die Umsetzung am Körper leisten andere Körper. Bodybuilding hingegen basiert im Grunde auf der protestantischen Arbeitsethik und einem gewissen proletarischen Stolz: Dieser Körper hier ist das Ergebnis meiner eigenen, harten, körperlichen Arbeit, die auch foto- oder videographisch dokumentiert, inszeniert, kommuniziert wird. Trotz ideengeschichtlicher Vorläufer unter anderem in der Renaissancephilosophie hat Bodybuilding seine konkreten sozialen Ursprünge in anrüchigen Milieus wie dem des Zirkus; die Gründer der ersten Bodybuildingliga, der International Federation of Bodybuilders (1946), nämlich Joe und Ben Weider, stammten aus bescheidenen Verhältnissen; auch Arnold Schwarzenegger arbeitete sich von weit unten nach ganz oben. Sind die Nutznießer der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie also die feudalen Konzeptkünstler der Körperkultur in the making?
DH: Interessant ist, dass bereits die Plastischen Chirurgen des 19. Jahrhunderts den Anschluss an die Kunst gesucht haben. Ihre Lehrbücher strotzen nur so vor Anleihen bei ästhetischen Topoi. Seitenlang wird über Harmonie und Wohlgestalt spekuliert, wird betont, wie sehr man sich in der Tradition der großen Bildhauer:innen sieht: Man formt sein Werk, vollendet und perfektioniert mit den Mitteln der Kunst, was entweder Gott oder die Natur als körperliches Defizit – als Fehler – hinterlassen haben. Diese Anleihen bei der Kunst waren derart stark, dass sie bis heute wirken. Noch immer gibt es Praxen und Kliniken, die auf ihren Websites „Korrekturen“ in Aussicht stellen.
JSch: Das heißt, es wird nach vorab festgelegten Normbildern gestaltet? Es geht also gerade nicht um persönliche, sondern vermeintlich kollektive Körpervorstellungen? Das wäre ironisch – der neue Körperadel beruft sich aufs hergestellte Kollektive, dem Körperplebs bleibt nur das vorgefundene Besondere!
DN: Ja, denn solche – nicht alle! – Kliniken suggerieren, dass im Grunde bei jedem Menschen irgendein objektiv feststellbarer Körperfehler vorliege, der nur durch die genialische Kraft eines chirurgischen Körpermodellierers in die gute Form gebracht werden könne. Der Wunsch, soziale Teilhabe über das eigene Körperbild zu erwirken, wird in solchen Angeboten in ein unterstelltes Defizit umgebogen. Dieses gelte es ästhetisch zu lindern. Daher die wiederkehrende Verschränkung von therapeutischer Rhetorik und ästhetischer Norm, gipfelnd in der berühmten „Mang–Nase“, die an der Bodensee-Klinik zu erwerben ist. Welche Rolle aber nehmen ästhetischen Normen im Bodybuilding ein – in einem Bereich also, der viel eindeutiger durch Wettbewerb gekennzeichnet ist?
JSch: Die ästhetische Norm im Bodybuilding speist sich aus Erhabenheit und Langeweile im wertneutralen Sinne – mit dem Medienkünstler Nam June Paik gilt: Es gibt gute langweilige Kunst und schlechte langweilige Kunst. Wer als Nicht-Initiierter einen Bodybuilding-Wettbewerb erlebt hat, wird sich gewundert haben, was daran interessant sein soll. Endlos anmutende Reihen fast identisch ausgebildeter Normkörper, die in endlosen formalistischen Vergleichen evaluiert werden. Mich erinnert Bodybuilding an Konkrete Kunst. Minimale Unterschiede haben maximale Bedeutung. Nicht permanente Erneuerung stilistischer Mittel ist das Ziel, sondern subtile Variation innerhalb eines streng abgegrenzten Rahmens.
DH: Und woran bemisst sich dieser Rahmen?
JSch: Dieser Rahmen ist der gegebene Körper. Ästhetisch-plastische Chirurgie impliziert indes potenziell unendliche Möglichkeiten und steht damit fest auf dem Treibsand zeitgenössischer Selbstoptimierung „ohne vorstellbaren Endzustand und ohne erreichbare Erfüllung und Vollendung“ (Röcke, s.o.). Sie ist symbolische wie auch praktische Form unstillbarer „Begehrnisse“ im „ästhetischen Kapitalismus“ (Gernot Böhme). Da das Gesicht im Bodybuilding nicht bewertet wird, spielen allfällige ästhetisch-chirurgische Eingriffe in dieser Region eine untergeordnete Rolle – Doping mit Substanzen, die für Außenstehende unsichtbar, also anästhetisch bleiben, ist weitaus wichtiger. Die Formung des Körpers erfolgt im Bodybuilding durch Training von innen nach außen statt von außen nach innen. Was die Erhabenheit betrifft, so wollen Bodybuilder mit ihrer Ästhetik nicht den Eindruck schöner, verspielter oder natürlicher Harmonie erwecken, sondern etwas Gewaltiges und Verstörendes zum Ausdruck bringen. Sie nennen sich „Freaks“ oder „not normal“; sie sind stolz auf einen unpopulären, ja als pathologisch geltenden Lebensstil, der klösterlich und exzessiv zugleich ist. „Not normal“ ist die Norm. Insofern sind es ausgerechnet ihre Normkörper, die, sozusagen durch Hyperaffirmation, Mainstream-Normen des Fitnesszeitalters brechen.
DH: Aber damit müssen weitreichende Entscheidungen für das eigene Leben einhergehen, oder? Entwickelt sich ein Leben unter dem Vorzeichen des Bodybuildens zu einem Outsider-Leben, vielleicht sogar zu einer subtil widerständigen Lebensform?
JSch: Das ist durchaus so. Der Bodybuilding-Lebensstil ist inkompatibel mit dem des (post)modernen Selbstoptimierungssubjekts, das aufgerufen ist, sich ständig neu zu erfinden. Bodybuilding ist eher AC/DC als Lady Gaga. Um einen Bogen zum Anfang unseres Dialogs und zur sozialen Frage zu schlagen, sei bemerkt, dass diese bewusste Beschränkung nicht zwingend weniger Kapital erfordert.
DH: Ist der direkte Geldeinsatz beim Bodybuilding nicht geringer als bei einer ausgeprägten ästhetisch-plastischen Behandlungsgeschichte?
JSch: Bodybuilding lässt sich zwar mit minimalem Einsatz externer Mittel betreiben. Aber der Zeitaufwand ist hoch – und Zeit ist Geld –, die adäquate Ernährung teuer. Auch das Gym, unerlässlich für differenziertes Training mit hohen Gewichten, muss bezahlt werden. Wer überdies im Wettbewerbsbereich reüssieren will, kommt um Supplemente und Doping nicht herum. Zeit, Ernährung, Zugang zum Gym und zu Substanzen sind im Bodybuilding ein Kapital, das der Körper nicht selbst generieren kann – so bleibt Bodybuilding zwar eine implizit demokratisch-egalitäre Praxis, bildet aber eine Aristokratie innerhalb der Körperkultur aus. Diese Aristokratie wird in der im 21. Jahrhundert entstandenen „Natural Bodybuilding“-Bewegung als dekadent und abgehoben, ja als krank und pervertiert kritisiert. Hier schließt sich der Kreis zur Ästhetisch-Plastischen Chirurgie und zu ihren feudalen Folgen.
DH: Der Kreis schließt sich auch mit Blick auf das von Dir angesprochene Verhältnis von innen und außen. Es ist interessant, welche Images von Innerlichkeit und Äußerlichkeit im Feld der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie erzeugt werden. Viele Kliniken und Praxen stellen in ihren Angeboten konkret in Aussicht, das Äußere eines Menschen durch modellierenden Eingriff dem empfundenen Inneren angleichen zu können. Wer sich beispielsweise jünger fühlt, als er sich beim Blick in den Spiegel wahrnimmt, dem bietet sich eine Palette an plastischen Möglichkeiten, um sich dem gewünschten Selbstbild anzunähern. Nach meiner Beobachtung nutzen vor allem kulturpessimistische Stimmen diese Optionen zum moralischen Urteil: Wer Skalpell und Botox brauche, um identisch mit sich selbst zu werden, offenbare ein Defizit an Reflexionsstärke und einen Mangel an geistiger Tiefe. Es sind nicht zuletzt solche Anmaßungen, die das Thema für mich gesellschaftlich brisant erscheinen lassen. Was in diesen Unterstellungen zum Ausdruck kommt, folgt essentialistischen, physiognomischen Körperideen – der alten Vorstellung, in Körpern materialisiere sich das eindeutige Wesen eines Menschen, er sei über sein Erscheinungsbild auslesbar, laufe als offenes Buch durch die Gegend. Dieser Determinismus kann Anlass sein, Menschen auszuschließen, abzuwerten und gezielt zu diskriminieren, sie als anders- oder abartig zu markieren. Zugleich tritt damit der Aspekt eines möglichen Empowerments – die Möglichkeit, durch ein der eigenen Vorstellung angepasstes Erscheinungsbild die Selbstakzeptanz zu erhöhen – vollends in den Hintergrund. Dies ist jedoch ein Aspekt, der zentral für den modernen Erfolg der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie ist.
JSch: Womit wiederum das Verhältnis von Erscheinungs- und Selbstbild aufgerufen wird.
DH: Ja, und ich würde generell sagen: Körper und Identität weniger als hart miteinander verkoppelte Größen einzustufen, sondern sie als wandelbare, voneinander entkoppelte Entwürfe zu sehen, trägt dazu bei, naturalisierende Reduktionismen abzuschwächen. Deshalb ist es so wichtig, die Bild- und Mediendimension der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie genau zu beobachten. Denn gerade über Bilder in den Sozialen Medien – über Fotografien, Videos, zunehmend auch über algorithmisch erstellte Bildsimulationen – werden Körpervorstellungen einerseits normiert, andererseits diversifiziert und irritiert. Auch dies scheint mir eine methodische Parallele zur Beschäftigung mit dem Phänomen des Bodybuildings zu sein: Wer sich auf eine möglichst vorurteilsfreie Beobachtung der ästhetischen, medialen und sozialen Dynamiken einlässt, erkennt, dass sich in diesen Körperpraktiken folgenreiche Selbstverständnisse gegenwärtiger Kulturen zeigen.
JSch: Vor diesem Hintergrund erscheint es mir als interessant, sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten zwischen Bodybuilding und Ästhetisch-Plastischer Chirurgie in den Blick zu nehmen. Wir sehen, so scheint es mir, Überlappungen beim Thema der Bedeutung von Bildern. Jeweils dienen Bilder – innere, vorgestellte, aber auch äußere, vor allem digitale – als ästhetische Referenzen, um den eigenen Körper an ihnen zu messen. Klare Unterschiede sehen ich hingegen in der gelebten gesellschaftlichen Praxis: das ästhetische Extreme im Bodybuilding, Formanpassung und sogar Verschleierung des Eingriffs in der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie. Im Bodybuilding muss das Künstliche sogar sichtbar werden.
DH: Womit wir nochmals den Bezug zur Bodymodification-Szene herstellen können, in der ebenfalls nach ästhetischer Übersteigerung, nach einem Überbieten gewöhnlicher Körperformen gestrebt wird. Gleichzeitig meine ich, dass es gerade diese kleinen, oft belächelten oder als grotesk abgestempelten Bewegungen sind, die deutlich zeigen, welche ästhetischen und sozialen Codes dem jeweiligen Körperdesign zugrunde liegen. Wenn Deine Ansätze implizit dafür werben, weniger vorurteilsbeladen solche Körperkulturen zu beobachten, kann ich mich diesem Vorgehen nur anschließen. Die kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie wäre demnach der Versuch, Diskriminierung und sozialen Ausschluss auf ihre körperästhetischen Wurzeln zu befragen.
Interessantes Gespräch; mir ist dabei der Große Herkules von Hendrick Goltzius (1589) eingefallen, dem der Künstler allerlei Muskelpakete verabreicht hat, die pure Erfindung sind. Ein Meisterstück grotesker Körperlichkeit, Bodybuilding avant la lettre.