Welche Körper werden aufgewertet? Welche abgewertet? Jörg Scheller und Daniel Hornuff sprechen über angepasste und extreme Körperbilder, über neofeudale Ästhetiken und die Frage, wie Körpergestaltung und Kunstgeschichte miteinander verwoben sind.

  • Jörg Scheller

    Jörg Scheller ist Professor für Kunstgeschichte an der Zürcher Hochschule der Künste. Er schreibt regelmäßig Beiträge unter anderem für die Neue Zürcher Zeitung, DIE ZEIT, frieze magazine und ist Kolumnist der Stuttgarter Zeitung. Bereits als 14-Jähriger stand er mit einer Metalband auf der Bühne. Heute betreibt er einen Heavy Metal Lieferservice mit dem Metal-Duo Malmzeit. Nebenbei ist Scheller zertifizierter Fitnesstrainer. www.joergscheller.de
  • Daniel Hornuff

    Daniel Hornuff ist Professor für Theorie und Praxis der Gestaltung an der Kunsthochschule/Universität Kassel. In seinen Forschungen beschäftigt er sich mit den kulturellen, politischen und ästhetischen Dimensionen von Gestaltung.

Der folgende Dialog zwischen Jörg Scheller und Daniel Hornuff entstand in einem Mail-Austausch und wurde im Nach­gang von den beiden Disku­tanten über­ar­beitet. Ziel dieses Gesprächs war es, zwei prägnante Dimen­sionen der Körper­kultur mitein­ander zu verglei­chen: Das Body­buil­ding und die Ästhetisch-Plastische Chir­urgie. Ausgangs­punkt des Austauschs bilden jüngere Veröf­fent­li­chungen, die die beiden Autoren zu dem Thema vorge­legt haben.

Jörg Scheller: Lieber Daniel, in unserer Forschung beschäf­tigen wir uns beide mit Körper­kultur – Du primär unter Gesichts­punkten des Designs, ich unter kunst­wis­sen­schaft­li­chen und ästhe­ti­schen Gesichts­punkten. In Deinem Buch Krass! Beauty-OPs und Soziale Medien (2021) stellst Du die These auf, dass eine „schön­heits­chir­ur­gi­sche Feudal­ge­sell­schaft“ und ein „neuer aris­to­kra­ti­scher Körper­stolz“ entstehen könnten, wenn das für viele uner­reich­bare Status­symbol des chir­ur­gisch opti­mierten Körpers zur Signa­li­sie­rung ökono­mi­scher Über­le­gen­heit genutzt wird. Mich inter­es­siert diese feudal-soziale Frage, da sie mit meinem Forschungs­ge­biet, dem Body­buil­ding, verbunden ist. Ich habe den Eindruck, dass der Aufschwung der Ästhetisch-Plastischen Chir­urgie Symptom und Symbol einer allem Diversity-, Werte- und Moral-Dekor zum Trotz – oder viel­leicht unter diesem Deck­mantel umso leichter – fort­schrei­tenden sozialen Feuda­li­sie­rung ist, die sich nicht nur in der Macht der Super­rei­chen artikuliert.

Daniel Hornuff: Da stimme ich Dir zu – in meinem Buch habe ich versucht, in diese Rich­tung zu argu­men­tieren. Körper­de­sign bedeutet im Fall der Ästhetisch-Plastischen Chir­urgie: Beauf­trage andere mit der Umge­stal­tung Deines Erschei­nungs­bildes. Das muss man sich leisten können. Mich inter­es­siert, wie dieses Design ausge­führt wird. In vielen Fällen soll von ihm nämlich nichts zu sehen sein. Man lässt andere gestal­tend in den eigenen Körper eingreifen – verbunden mit dem Wunsch, dass der Eingriff als solcher kaschiert wird. Gefolgt wird einem ästhe­ti­schen Ideal, das auf das Natur­schöne zielt. Dieses wird zwar künst­lich produ­ziert, Merk­male und Spuren des Künst­li­chen gilt es aber zu verde­cken. Je weniger sie sich dem Blick aufdrängen, desto größer muss der finan­zi­elle Einsatz gewesen, desto quali­täts­voller muss die Arbeit ausge­führt worden sein. Ein schlecht gemachtes Lifting gilt dann umso mehr als Ausweis einer billigen Dienstleistung.

JSch: Body­buil­ding hingegen – ich formu­liere etwas holz­schnitt­artig – ist Symptom und Symbol der Massen­de­mo­kra­ti­sie­rung im 20. Jahr­hun­dert. Der ursprüng­liche Muscle Beach in Santa Monica etwa war ein Projekt der Progres­siven Ära – die Works Progress Admi­nis­tra­tion stellte allen, auch einkom­mens­schwa­chen Menschen, Ort und Equip­ment für die körper­liche Selbst­op­ti­mie­rung kostenlos zur Verfü­gung. Über­haupt setzen Body­buil­ding und Fitness­trai­ning nichts weiter voraus als den eigenen Körper und ein paar Hanteln, die auch durch Steine, Holz, Wasser­kübel ersetzt werden können. So habe ich etwa in Abcha­sien 2019 einen Hantel­bau­work­shop für Kinder in einem Berg­dorf orga­ni­siert. Ästhetisch-Plastische Chir­urgie als Arbeit am Selbst­bild hingegen lässt sich nicht vom Selbst­bildner selbst ausführen. Es sind teure Dienst­leis­tungen erfor­der­lich. Der soziale Druck, der durch Ästhetisch-Plastische Chir­urgie aufge­baut wird, ist ein anderer: Arbeite nicht (nur) mit Dir an Dir, sondern erar­beite Dir Kapital, um andere für Dich an Dir arbeiten zu lassen! Oder täusche ich mich?

DH: Nein, ich denke nicht. Wollte man es pessi­mis­tisch sehen, ließe sich eine doppelte Gefahr der schön­heits­chir­ur­gi­schen Feudal­ge­sell­schaft iden­ti­fi­zieren: Es kommt nicht nur zu einer Klas­sen­bil­dung zwischen Operierten und Nicht-Operierten, sondern auch zu einem abfäl­ligen Blick auf jene Menschen, die zwar nach dem Natur­schönen strebten, deren Körper die Zeichen ästhe­ti­scher Eingriffe aber nicht leugnen können. Sie werden als Schönheitsblender:innen, als ästhe­ti­sche Möch­te­gerne abge­wertet. Ich frage mich, ob darin ein struk­tu­reller Unter­schied zu Bodybuilding-Körpern liegt. Du hast gezeigt, dass es im Body­buil­ding um eine Ästhetik des Außer­all­täg­li­chen, um Formen des Mons­trösen, des Nicht-Mehr-Natürlichen geht: Nicht das Gefallen, das Auffallen sei erklärtes Ziel, was eine funk­tio­nale Nähe zur modernen Kunst begründe. Zugleich hat sich im Feld der Ästhetisch-Plastischen Chir­urgie eine Szene, die soge­nannte Bodymodification-Szene, gebildet, die das körper­lich Groteske, das über­stei­gerte Künst­liche, das Kunst­schöne feiert. Haben wir es also in beiden Fällen mit zwei ähnli­chen körper­äs­the­ti­schen Kate­go­rien zu tun – mit natur­schönen, neoli­beral ange­passten Fitness- und extremen Ausstellungskörpern?

JSch: Ja, diese Ausdif­fe­ren­zie­rungs­these trifft es. Im Grunde beob­achten wir in der Körper­kultur das bekannte moderne Wech­sel­spiel, wie es Georg Simmel in der Philo­so­phie des Geldes (1900) beschrieben hat: Auf Homo­ge­ni­sie­rung wird unter Vorzei­chen des Fort­schritts dialek­tisch mit der Plura­li­sie­rung von Lebens­stilen reagiert, bis hin zur Avant­garde. Dass das Natur­schöne in Fitness und Ästhetisch-Plastischer Chir­urgie ganz selbst­ver­ständ­lich herge­stellt statt nur vorge­stellt oder vorge­funden wird, fügt sich ins philosophisch-soziologische Panorama des 19. Jahr­hun­derts: Für Hegel stand das Abso­lute nicht am Anfang, sondern am Ende der Geschichte. Ein Buch des Bodybuilding-Mitbegründers Eugen Sandow trägt den Unter­titel Man in the Making (1904). Es ist bezeich­nend, dass die Sozio­login Anja Röcke in ihrer Sozio­logie der Selbst­op­ti­mie­rung (2021) unter Verweis auf Ulrich Bröck­ling diesen Ausdruck zur Charak­te­ri­sie­rung des ideal­ty­pi­schen – nicht des empi­ri­schen! – westlich-modernen Subjekts wählt: „Ein Subjekt besteht immer ‚nur im Gerun­divum‘, also in the making.“

DH: Das bringt mich auf einen Aspekt der Geschichte der Ästhetisch-Plastischen Chir­urgie. Die popu­läre Ästhetisch-Plastische Chir­urgie, wie wir sie heute kennen, hat starke Wurzeln in der rekon­struk­tiven Chir­urgie. Im Nach­gang des Ersten Welt­krieges stand die Wieder­her­stel­lung zerstörter Körper­par­tien im Zentrum. Wieder­her­stel­lung bedeu­tete das Wieder­erlangen basaler körper­li­cher Funk­tionen, die durch Gewalt verloren gegangen waren. Diese Körper wurden als eine Art Zwischen­körper gesehen – zwar lebten sie noch, aber ihre unter­stellte Unvoll­stän­dig­keit markierte sie als Körper der Trans­for­ma­tion, die sowohl weiter verfallen als auch wieder – zumin­dest zu gewissen Teilen – vervoll­stän­digt werden konnten. Zugleich waren damit weit­rei­chende ästhe­ti­sche und soziale Fragen aufge­worfen. Wie sollten die teil-rekonstruierten Körper aussehen? Sollte das Wieder­her­ge­stellte als solches sichtbar bleiben, sogar als Kriegs- und Helden­zei­chen hervor­ge­kehrt werden? Oder wollte man kaschieren, um durch das Ver- und Über­de­cken vermeint­li­cher Makel eine soziale Re-Integration zu begünstigen?

JSch: An diesem Punkt, den Formen des „Machens“, unter­scheiden sich Ästhetisch-Plastische Chir­urgie und Body­buil­ding signi­fi­kant. Der alte Feudal­adel distin­gu­ierte sich, indem er körper­liche Arbeit abwer­tete und ablehnte. Er ließ arbeiten. Entspre­chend wurde das Geis­tige valo­ri­siert. Dieses Prinzip scheint mir intakt: Man lässt arbeiten, liefert allen­falls die Hand­lungs­an­wei­sung, wie ein Konzept­künstler. Viel­leicht lösen sich hier, wie in der Psycho­logie der Gegen­wart, die Grenzen zwischen Therapie und Opti­mie­rung auf. Was früher Mittel der Therapie war, etwa bei Kriegs­ge­schä­digten, wird zur ästhe­ti­schen Opti­mie­rungs­maß­nahme im Dienste sozialer Distinktion…

DH: …für die man auf das Prinzip des körper­mo­del­lie­renden Outsour­cings setzt: Man begibt sich in eine Art Fabrik, die die Arbeit übernimmt.

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JSch: Ja, denn die Umset­zung am Körper leisten andere Körper. Body­buil­ding hingegen basiert im Grunde auf der protes­tan­ti­schen Arbeits­ethik und einem gewissen prole­ta­ri­schen Stolz: Dieser Körper hier ist das Ergebnis meiner eigenen, harten, körper­li­chen Arbeit, die auch foto- oder video­gra­phisch doku­men­tiert, insze­niert, kommu­ni­ziert wird. Trotz ideen­ge­schicht­li­cher Vorläufer unter anderem in der Renais­sance­phi­lo­so­phie hat Body­buil­ding seine konkreten sozialen Ursprünge in anrü­chigen Milieus wie dem des Zirkus; die Gründer der ersten Body­buil­ding­liga, der Inter­na­tional Fede­ra­tion of Body­buil­ders (1946), nämlich Joe und Ben Weider, stammten aus beschei­denen Verhält­nissen; auch Arnold Schwar­zen­egger arbei­tete sich von weit unten nach ganz oben. Sind die Nutz­nießer der Ästhetisch-Plastischen Chir­urgie also die feudalen Konzept­künstler der Körper­kultur in the making?

DH: Inter­es­sant ist, dass bereits die Plas­ti­schen Chir­urgen des 19. Jahr­hun­derts den Anschluss an die Kunst gesucht haben. Ihre Lehr­bü­cher strotzen nur so vor Anleihen bei ästhe­ti­schen Topoi. Seiten­lang wird über Harmonie und Wohl­ge­stalt speku­liert, wird betont, wie sehr man sich in der Tradi­tion der großen Bildhauer:innen sieht: Man formt sein Werk, voll­endet und perfek­tio­niert mit den Mitteln der Kunst, was entweder Gott oder die Natur als körper­li­ches Defizit – als Fehler – hinter­lassen haben. Diese Anleihen bei der Kunst waren derart stark, dass sie bis heute wirken. Noch immer gibt es Praxen und Kliniken, die auf ihren Websites „Korrek­turen“ in Aussicht stellen.

JSch: Das heißt, es wird nach vorab fest­ge­legten Norm­bil­dern gestaltet? Es geht also gerade nicht um persön­liche, sondern vermeint­lich kollek­tive Körper­vor­stel­lungen? Das wäre ironisch – der neue Körper­adel beruft sich aufs herge­stellte Kollek­tive, dem Körper­plebs bleibt nur das vorge­fun­dene Besondere!

DN: Ja, denn solche – nicht alle! – Kliniken sugge­rieren, dass im Grunde bei jedem Menschen irgendein objektiv fest­stell­barer Körper­fehler vorliege, der nur durch die genia­li­sche Kraft eines chir­ur­gi­schen Körper­mo­del­lie­rers in die gute Form gebracht werden könne. Der Wunsch, soziale Teil­habe über das eigene Körper­bild zu erwirken, wird in solchen Ange­boten in ein unter­stelltes Defizit umge­bogen. Dieses gelte es ästhe­tisch zu lindern. Daher die wieder­keh­rende Verschrän­kung von thera­peu­ti­scher Rhetorik und ästhe­ti­scher Norm, gipfelnd in der berühmten „MangNase“, die an der Bodensee-Klinik zu erwerben ist. Welche Rolle aber nehmen ästhe­ti­schen Normen im Body­buil­ding ein – in einem Bereich also, der viel eindeu­tiger durch Wett­be­werb gekenn­zeichnet ist?

JSch: Die ästhe­ti­sche Norm im Body­buil­ding speist sich aus Erha­ben­heit und Lange­weile im wert­neu­tralen Sinne – mit dem Medi­en­künstler Nam June Paik gilt: Es gibt gute lang­wei­lige Kunst und schlechte lang­wei­lige Kunst. Wer als Nicht-Initiierter einen Bodybuilding-Wettbewerb erlebt hat, wird sich gewun­dert haben, was daran inter­es­sant sein soll. Endlos anmu­tende Reihen fast iden­tisch ausge­bil­deter Norm­körper, die in endlosen forma­lis­ti­schen Verglei­chen evalu­iert werden. Mich erin­nert Body­buil­ding an Konkrete Kunst. Mini­male Unter­schiede haben maxi­male Bedeu­tung. Nicht perma­nente Erneue­rung stilis­ti­scher Mittel ist das Ziel, sondern subtile Varia­tion inner­halb eines streng abge­grenzten Rahmens.

DH: Und woran bemisst sich dieser Rahmen?

JSch: Dieser Rahmen ist der gege­bene Körper. Ästhetisch-plastische Chir­urgie impli­ziert indes poten­ziell unend­liche Möglich­keiten und steht damit fest auf dem Treib­sand zeit­ge­nös­si­scher Selbst­op­ti­mie­rung „ohne vorstell­baren Endzu­stand und ohne erreich­bare Erfül­lung und Voll­endung“ (Röcke, s.o.). Sie ist symbo­li­sche wie auch prak­ti­sche Form unstill­barer „Begehr­nisse“ im „ästhe­ti­schen Kapi­ta­lismus“ (Gernot Böhme). Da das Gesicht im Body­buil­ding nicht bewertet wird, spielen allfäl­lige ästhetisch-chirurgische Eingriffe in dieser Region eine unter­ge­ord­nete Rolle – Doping mit Substanzen, die für Außen­ste­hende unsichtbar, also anäs­the­tisch bleiben, ist weitaus wich­tiger. Die Formung des Körpers erfolgt im Body­buil­ding durch Trai­ning von innen nach außen statt von außen nach innen. Was die Erha­ben­heit betrifft, so wollen Body­builder mit ihrer Ästhetik nicht den Eindruck schöner, verspielter oder natür­li­cher Harmonie erwe­cken, sondern etwas Gewal­tiges und Verstö­rendes zum Ausdruck bringen. Sie nennen sich „Freaks“ oder „not normal“; sie sind stolz auf einen unpo­pu­lären, ja als patho­lo­gisch geltenden Lebens­stil, der klös­ter­lich und exzessiv zugleich ist. „Not normal“ ist die Norm. Inso­fern sind es ausge­rechnet ihre Norm­körper, die, sozu­sagen durch Hyperaf­fir­ma­tion, Mainstream-Normen des Fitness­zeit­al­ters brechen.

DH: Aber damit müssen weit­rei­chende Entschei­dungen für das eigene Leben einher­gehen, oder? Entwi­ckelt sich ein Leben unter dem Vorzei­chen des Body­buil­dens zu einem Outsider-Leben, viel­leicht sogar zu einer subtil wider­stän­digen Lebensform?

JSch: Das ist durchaus so. Der Bodybuilding-Lebensstil ist inkom­pa­tibel mit dem des (post)modernen Selbst­op­ti­mie­rungs­sub­jekts, das aufge­rufen ist, sich ständig neu zu erfinden. Body­buil­ding ist eher AC/DC als Lady Gaga. Um einen Bogen zum Anfang unseres Dialogs und zur sozialen Frage zu schlagen, sei bemerkt, dass diese bewusste Beschrän­kung nicht zwin­gend weniger Kapital erfordert.

DH: Ist der direkte Geld­ein­satz beim Body­buil­ding nicht geringer als bei einer ausge­prägten ästhetisch-plastischen Behandlungsgeschichte?

JSch: Body­buil­ding lässt sich zwar mit mini­malem Einsatz externer Mittel betreiben. Aber der Zeit­auf­wand ist hoch – und Zeit ist Geld –, die adäquate Ernäh­rung teuer. Auch das Gym, uner­läss­lich für diffe­ren­ziertes Trai­ning mit hohen Gewichten, muss bezahlt werden. Wer über­dies im Wett­be­werbs­be­reich reüs­sieren will, kommt um Supple­mente und Doping nicht herum. Zeit, Ernäh­rung, Zugang zum Gym und zu Substanzen sind im Body­buil­ding ein Kapital, das der Körper nicht selbst gene­rieren kann – so bleibt Body­buil­ding zwar eine implizit demokratisch-egalitäre Praxis, bildet aber eine Aris­to­kratie inner­halb der Körper­kultur aus. Diese Aris­to­kratie wird in der im 21. Jahr­hun­dert entstan­denen „Natural Bodybuilding“-Bewegung als deka­dent und abge­hoben, ja als krank und perver­tiert kriti­siert. Hier schließt sich der Kreis zur Ästhetisch-Plastischen Chir­urgie und zu ihren feudalen Folgen.

DH: Der Kreis schließt sich auch mit Blick auf das von Dir ange­spro­chene Verhältnis von innen und außen. Es ist inter­es­sant, welche Images von Inner­lich­keit und Äußer­lich­keit im Feld der Ästhetisch-Plastischen Chir­urgie erzeugt werden. Viele Kliniken und Praxen stellen in ihren Ange­boten konkret in Aussicht, das Äußere eines Menschen durch model­lie­renden Eingriff dem empfun­denen Inneren anglei­chen zu können. Wer sich beispiels­weise jünger fühlt, als er sich beim Blick in den Spiegel wahr­nimmt, dem bietet sich eine Palette an plas­ti­schen Möglich­keiten, um sich dem gewünschten Selbst­bild anzu­nä­hern. Nach meiner Beob­ach­tung nutzen vor allem kultur­pes­si­mis­ti­sche Stimmen diese Optionen zum mora­li­schen Urteil: Wer Skal­pell und Botox brauche, um iden­tisch mit sich selbst zu werden, offen­bare ein Defizit an Refle­xi­ons­stärke und einen Mangel an geis­tiger Tiefe. Es sind nicht zuletzt solche Anma­ßungen, die das Thema für mich gesell­schaft­lich brisant erscheinen lassen. Was in diesen Unter­stel­lungen zum Ausdruck kommt, folgt essen­tia­lis­ti­schen, physio­gno­mi­schen Körper­ideen – der alten Vorstel­lung, in Körpern mate­ria­li­siere sich das eindeu­tige Wesen eines Menschen, er sei über sein Erschei­nungs­bild auslesbar, laufe als offenes Buch durch die Gegend. Dieser Deter­mi­nismus kann Anlass sein, Menschen auszu­schließen, abzu­werten und gezielt zu diskri­mi­nieren, sie als anders- oder abartig zu markieren. Zugleich tritt damit der Aspekt eines mögli­chen Empowerm­ents – die Möglich­keit, durch ein der eigenen Vorstel­lung ange­passtes Erschei­nungs­bild die Selbst­ak­zep­tanz zu erhöhen – voll­ends in den Hinter­grund. Dies ist jedoch ein Aspekt, der zentral für den modernen Erfolg der Ästhetisch-Plastischen Chir­urgie ist.

JSch: Womit wiederum das Verhältnis von Erscheinungs- und Selbst­bild aufge­rufen wird.

DH: Ja, und ich würde gene­rell sagen: Körper und Iden­tität weniger als hart mitein­ander verkop­pelte Größen einzu­stufen, sondern sie als wandel­bare, vonein­ander entkop­pelte Entwürfe zu sehen, trägt dazu bei, natu­ra­li­sie­rende Reduk­tio­nismen abzu­schwä­chen. Deshalb ist es so wichtig, die Bild- und Medi­en­di­men­sion der Ästhetisch-Plastischen Chir­urgie genau zu beob­achten. Denn gerade über Bilder in den Sozialen Medien – über Foto­gra­fien, Videos, zuneh­mend auch über algo­rith­misch erstellte Bild­si­mu­la­tionen – werden Körper­vor­stel­lungen einer­seits normiert, ande­rer­seits diver­si­fi­ziert und irri­tiert. Auch dies scheint mir eine metho­di­sche Paral­lele zur Beschäf­ti­gung mit dem Phänomen des Body­buil­dings zu sein: Wer sich auf eine möglichst vorur­teils­freie Beob­ach­tung der ästhe­ti­schen, medialen und sozialen Dyna­miken einlässt, erkennt, dass sich in diesen Körper­prak­tiken folgen­reiche Selbst­ver­ständ­nisse gegen­wär­tiger Kulturen zeigen.

JSch: Vor diesem Hinter­grund erscheint es mir als inter­es­sant, sowohl Unter­schiede als auch Gemein­sam­keiten zwischen Body­buil­ding und Ästhetisch-Plastischer Chir­urgie in den Blick zu nehmen. Wir sehen, so scheint es mir, Über­lap­pungen beim Thema der Bedeu­tung von Bildern. Jeweils dienen Bilder – innere, vorge­stellte, aber auch äußere, vor allem digi­tale – als ästhe­ti­sche Refe­renzen, um den eigenen Körper an ihnen zu messen. Klare Unter­schiede sehen ich hingegen in der gelebten gesell­schaft­li­chen Praxis: das ästhe­ti­sche Extreme im Body­buil­ding, Form­an­pas­sung und sogar Verschleie­rung des Eingriffs in der Ästhetisch-Plastischen Chir­urgie. Im Body­buil­ding muss das Künst­liche sogar sichtbar werden.

DH: Womit wir noch­mals den Bezug zur Bodymodification-Szene herstellen können, in der eben­falls nach ästhe­ti­scher Über­stei­ge­rung, nach einem Über­bieten gewöhn­li­cher Körper­formen gestrebt wird. Gleich­zeitig meine ich, dass es gerade diese kleinen, oft belä­chelten oder als grotesk abge­stem­pelten Bewe­gungen sind, die deut­lich zeigen, welche ästhe­ti­schen und sozialen Codes dem jewei­ligen Körper­de­sign zugrunde liegen. Wenn Deine Ansätze implizit dafür werben, weniger vorur­teils­be­laden solche Körper­kul­turen zu beob­achten, kann ich mich diesem Vorgehen nur anschließen. Die kultur­wis­sen­schaft­liche Beschäf­ti­gung mit der Ästhetisch-Plastischen Chir­urgie wäre demnach der Versuch, Diskri­mi­nie­rung und sozialen Ausschluss auf ihre körper­äs­the­ti­schen Wurzeln zu befragen.